Freitag, 12. August 2011

Bitte keine Verklärung der Wehrpflicht

Von Jens Voeller

Die Wehrpflicht war schon in den 1990er Jahren, als ich meinen obligatorischen Grundwehrdienst bei der Bundesmarine ableistete, ein Anachronismus. Dabei habe ich den Wehrdienst nicht einmal zähneknirschend angetreten – es war eine Mischung aus Vorstellungen von Seefahrer-Romantik und politischer Überzeugung von der Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit einer Wehrpflichtigenarmee, die mich mit einigem Enthusiasmus „zum Bund“ gehen ließ.

Dieser idealistische Zahn wurde mir (und meinen Kameraden, soweit sie ihn besaßen) recht schnell gezogen. Nach ein paar Wochen war auch dem letzten klar, dass schon damals auch der Soldatenberuf in den meisten Verwendungsreihen ein Maß an Ausbildung und Spezialisierung erforderte, das man als Wehrpflichtiger nicht annähernd erreichen konnte. Der allgemein-militärische Teil unserer Ausbildung war zugunsten von Fach-Lehrgängen – ich war Funker, also im „Fernmeldebetriebsdienst“ – so stark zurechtgestutzt worden, dass wir Wehrpflichtigen in Kampfhandlungen nur als Kanonenfutter getaugt hätten (was uns von unseren resignierten Ausbildern auch ganz offen gesagt wurde). Berücksichtigt man zudem die von Wehrpflichtigen gebundenen Kapazitäten (Ausrüstung, Transport-Fahrzeuge, Führungs-Personal etc.) wäre der militärische Nutzen von Wehrpflichtigen in Kampfhandlungen vielerorts wohl negativ, die Wehrpflichtigen also nur „Ballast“ gewesen.

Die Behauptung, dass eine Berufsarmee die Gesellschaft teurer zu stehen komme als eine Wehrpflichtigenarmee, ist nur haltbar, wenn man die Opportunitätskosten der Wehrpflicht unterschlägt. Dazu gehören in jedem Fall die den Wehrpflichtigen aufgrund der um ein Jahr kürzeren Lebensarbeitszeit entgangenen Erwerbseinkommen (ein Schaden, der über die Steuerausfälle zumindest zum Teil letztlich auch dem Staat entsteht), sowie der ideelle Schaden durch die Aufschiebung der Verwirklichung von Lebensplanungen und das ertragene Arbeitsleid (einer Arbeit, die die meisten der Wehrpflichtigen ohne Zwang nicht würden machen wollen). Da der Großteil der (Opportunitäts-)Kosten der Wehrpflicht den Wehrpflichtigen aufgebürdet wird und diese durch das Sold nur minimal entschädigt werden, ist die Wehrpflicht auch ökonomisch ineffizient, da mit der (vermeintlich) billigen Arbeitskraft von Wehrpflichtigen verschwenderisch umgegangen wird und für die Armee kein wirtschaftlicher Anreiz zur organisatorischen Optimierung besteht.

Die militärische und ökonomische Ineffizienz der Wehrpflicht war schon damals so offensichtlich, dass seit Beginn des Trends zu „Out-of-Area“-Einsätzen immer schon nur Freiwillige für solche Einsätze außerhalb des Nato-Hoheitsgebietes herangezogen wurden. Bedingung für die Teilnahme an solchen Einsätzen war für Wehrpflichtige die Unterzeichnung einer Einwilligungserklärung sowie eine freiwillige Verlängerung des Wehrdienstes. Grundwehrdienstleistende blieben nicht nur von solchen Einsätzen, sondern gleich von ganzen Verwendungsreihen ausgeschlossen – dazu gehörten, zu meinem großen Bedauern, alle Verwendungsreihen an Bord eines Schiffes der Bundesmarine. Die Freiwilligen erhielten ein spezielles Training und bessere Ausrüstung, was zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft in der Bundeswehr führte – die „Hauptverteidigungskräfte“ (die Holzklasse) hier, die „Krisenreaktionskräfte“ (die Luxusklasse) dort. Die Wehrpflichtigen in der Holzklasse konnten sich wenigstens damit trösten, dass sie, sobald die Grundausbildung erstmal geschafft war, ihren Wehrdienst „auf einer Arschbacke“ absitzen konnten – der Arbeitseinsatz war, wie gesagt, nicht gerade auf Effizienz gebürstet.

Neben diesen militärischen und wirtschaftlichen Erwägungen ist bei der Wehrpflicht aber immer auch nach ethischen und rechtlichen Grundsätzen zu fragen. Welches Recht hat eine Gesellschaft, ihre Bürger zum Dienst in einer Armee zu zwingen, der ihre Hauptaufgabe – die Landesverteidigung – vor über 20 Jahren im Wesentlichen abhanden gekommen ist und die sich nun aufgrund geostrategischer Erwägungen an Regimestürzen am anderen Ende der Welt beteiligt? Mit welchem Recht kann der Staat die Grundrechte eines jungen Menschen so beschneiden, wenn wir (um es in den Worten von Volker Pispers auszudrücken) nicht mehr nur uns beschützen oder auch nur das was uns gehört (unser Land), sondern das, was wir gerne hätten (Ressourcen)? Bei unserem neuen militärischen Paradigma fällt der Zwang zum Dienst an der Waffe eben in eine ganz andere ethische Kategorie.

Abschließend möchte ich noch ein paar Bemerkungen zum „Verankerungs-Argument“ machen, demzufolge die Wehrpflicht die Armee in der Gesellschaft verankert, dadurch die Demokratie stabilisiert und das Abgleiten in eine Diktatur verhindert und im konkreten Fall der Weimarer Republik auch verhindert hätte. Ich halte das für eine steile These, über die abschließend zu urteilen Historikern vorbehalten sein sollte. Meine Laien-Einschätzung dazu: die Weimarer Republik wurde nicht von einer Berufsarmee gestürzt, und sie wäre von einer Wehrpflichtigenarmee auch kaum gerettet worden. Der primäre Zusammenhang zwischen Regierungsform und Form der Armee ist meines Erachtens ein anderer: autoritäre Regime tun sich besonders leicht mit der Beschneidung von Grundrechten und haben eine besondere Vorliebe für die Wehrpflicht.

[Dieser Beitrag ist eine Antwort auf einen von Bronski im FRBlog veröffentlichten Leserbrief.]

8 Kommentare:

  1. Nix Neues, aber es ist immer gut (und gegen die Reklamewelt auch leider notwendig), die simple Wahrheit auszusprechen resp. zu schreiben.
    - kdm

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  2. Ich empfehle dazu die sehr erhellende Lektüre von Joseph von Westphalen: Das Militär und die Mülltüte.
    War mal im RABEN abgedruckt. Er hatte in einem ZEIT-Magazin-Artikel was Abwertendes übers Militär geschrieben und die ach so liberale ZEIT kroch den Bundeswehroberen daraufhin Entschuldigung erheischend in den Hintern. Und J. v. Westphalen hatte einigen Ärger, den er mit einigem Abstand sehr ausführlich beschreibt: "Das Militär und die Mülltüre."
    Ist sicher auch in einem erhältlichen Sammelband mit Kurzgeschichten von ihm mit drin. Lohn die Lektüre, Ist auch komisch, im Nachhinein.
    - kdm

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  3. Ja klar, weil es jetzt Berufssoldaten gibt, die ihre teures Equipment zu bedienen lernen. Und in Bunkern sitzen, wird meistens in der Zivilbevölkerung gestorben.
    Das wäre ja staatszersetzend würden die Wehrpflichtigen an milliardenteueren Waffen ausgebildet, weil diese sich dann ihre Gedanken machen könnten, wenn sie nach ihrer Wehrzeit für 5 Euro die Stunde als Wachmann genau diese Waffen bewachen dürfen.

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  4. @kdm:
    Danke für den Hinweis auf von Westphalen und seinen Text. Bin jetzt neugierig und würde ihn gerne lesen. Wo findet man am besten die alten Ausgaben des RABEN? In Stadtbibliotheken?

    @Anonym, #4:
    Verstehe nicht, was Du damit sagen willst. Vor allem sehe ich keinen Bezug zu meinem Text.

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  5. Soldaten sind kein Kanonenfutter.

    DIE OFFENEN FELDSCHLACHTEN SIND VORBEI!

    Deshalb wirst du als Kanonenfutter nicht mehr gebraucht.

    Und nur deshalb kann auf die Wehrpflicht verzichtet werden.

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  6. Da bin ich mir nicht so sicher, ob die Berufsarmee längerfristig nicht doch eine repressive Funktion nach innen entwickeln könnte. Die Situation ist heute keineswegs analog zur Weimarer Zeit; damals war die Demokratie relativ neu, heute ist sie weitaus tiefer in den Köpfen der Menschen verankert.
    Natürlich wird Deutschland nicht der erste Dominostein sein, der in eine Form von Militärdiktatur (oder militärisch abgesicherten Diktatur) umkippt: vielleicht die USA?

    Und was Ihr ethisches Argument angeht:

    "Mit welchem Recht kann der Staat die Grundrechte eines jungen Menschen so beschneiden, wenn wir ..... nicht mehr nur uns beschützen oder auch nur das was uns gehört ..... , sondern das, was wir gerne hätten (Ressourcen)?"

    sehe ich Ohnemichel-Verhalten sehr viel kritischer als Sie.
    Ohne Ressourcen ist das, was wir uns als menschenwürdige Existenz betrachten, zu Ende: willkommen in der Steinzeit!
    Wer von diesen Ressourcen profitieren, also menschenwürdig leben will, muss ggf. auch bereit sein, um diese zu kämpfen.
    Der Strom kommt eben doch nicht aus der Steckdose!

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  7. @Cangrande, #7:
    Mir ging es nicht darum, ob eine Armee für repressive Zwecke nach innen genutzt werden kann. Das ist unter den entsprechenden politischen Umständen m.E. ganz unabhängig von der Frage der Wehrpflicht möglich. Wenn man den "Gegner", also Demonstranten, Aufständische, Kritiker, Andersdenkende durch entsprechende Propaganda nur hinreichend kriminalisiert und als Gefahr für die öffentliche Ordnung hinstellt, ziehen bei den Repressionen auch Wehrpflichtige mit; oder man nutzt dazu militärische Einheiten, in denen es wenige oder keine Wehrpflichtigen gibt.

    Die entscheidende Frage ist doch vielmehr: geht die Initiative zur Repression von der Armee aus? Wird die Armee zum Staat im Staate und bestimmt sie letztlich über die Politik und nicht, wie es eigentlich sein sollte, die Politik über die Armee? Dass dies eine spezifische Gefahr von Berufsarmeen ist, gibt die bisherige Erfahrung in den westlichen Demokratien nicht her.

    Die umgekehrte Vorstellung, dass ein anderweitiges Umschlagen einer Demokratie in eine Diktatur im entscheidenden Moment von der Armee verhindert wird, halte ich für heikel: ein Militärputsch zur Sicherung der Demokratie? Die Armee als Avantgarde der Republik? Und eine Wehrpflicht, um dies sicherzustellen? Eine haarsträubende Vorstellung.

    Zum ethischen Argument: mir ging es nicht darum, eine Diskussion über unsere Militärdoktrin zu eröffnen. Aber wenn wir schon dabei sind: bisher hat die Beschaffung und Verteilung von Ressourcen, insbesondere Primärenergieträgern, über marktwirtschaftliche Mechanismen ganz gut funktioniert. Beispielsweise hat die Vervielfachung des Weltmarktpreises für Öl zwischen 1997 und 2006 bei uns weder zu Unruhen noch zu Rationierungen geführt. Der Weltmarktpreis für Steinkohle ist seit Jahrzehnten so niedrig, dass dadurch die inländische Förderung trotz massiver Subventionen in Grund und Boden konkurriert wurde. Wir sind eben eine relativ wohlhabende Gesellschaft, die es sich locker leisten kann, das was sie braucht einzukaufen. Wir sind in keiner Weise existenziell abhängig davon, uns mit militärischer Gewalt einen privilegierten Zugang zu Ressourcen zu verschaffen.

    Mein eigentlicher Punkt war jedoch ein anderer: wenn wir schon eine solch aggressive Militärdoktrin verfolgen wie derzeit, sprechen militärische wie wirtschaftliche Erwägungen für eine Berufsarmee, und die Heranziehung von Wehrpflichtigen würde dann zusätzliche ethische Probleme aufwerfen.

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