Donnerstag, 11. August 2011

Spalten statt Versöhnen

Von Stefan Sasse

Als Reaktion auf die Ausschreitungen hat Premier Cameron dem Mob effektiv den Krieg erklärt. 16.000 Polizisten werden nach London geschickt, mit umfangreichen neuen Befugnissen ausgestattet (etwa das "Entfernen von Gesichtsvermummung", was letztlich auf ein ziemlich aggressives Herunterreißen und wahrscheinliches Verletzen des anderen hinausläuft), Wasserwerfer - bisher noch nie gegen Briten auf der Hauptinsel eingesetzt - sollen stationiert werden, und in bester Law&Order-Tradition wird über den Einsatz des Militärs im Inneren "nachgedacht". Darüber hinaus ist die britische Justiz gewissermaßen in 24-Stunden-Schichten dabei, in Eilverfahren ("Turbo-Verfahren" in Camerons Wortlaut) hunderte von Festgenommenen abzuurteilen, darunter teilweise sogar Kinder. Und in seinem letzten Streich hat Cameron die Kommunen dazu aufgefordert, alle "Kriminellen" (der Sammelbegriff, den er für die Festgenommenen benutzt) gegebenenfalls aus Sozialwohnungen hinauszuwerfen. Zuletzt will er Blackberry- und Twitter-Zugriff für alle Verdächtigen pauschal sperren.

Die Chancen, dass die Proteste mit diesen Maßnahmen erstickt werden, stehen gut. Tausende von Briten begrüßten diese Schritte bereits. Gegen die Mehrheitsmeinung, die durch sie vertreten wird, und die massive Einwirkung der Staatsgewalt hat der Mob der Armenviertel keine Chance. Die Reaktionen der Mittelschicht zeigen, dass sie vor allem angewidert und verängstigt sind; ein Überschlagen der Proteste hat die Regierung nicht zu befürchten. Sie kann deswegen problemlos mit voller Gewalt zuschlagen, denn der Beifall der für sie relevanten Zielgruppe ist ihr gewiss. Die Autos anzündenden und Geschäfte plündernden Randalierer wählen wenn überhaupt ohnehin nicht die Tories.

Woher die Randalierer eigentlich kommen und was sie motiviert ist weiterhin unklar. Man sollte sie weder vorschnell als reine Kriminelle brandmarken, wie Cameron das tut, noch sollte man sie übereifrig als kapitalismuskritische Avantgarde einordnen und hoffen, dass nun der Zusammenbruch des kapitalistischen Systems bevorsteht und eine grassroots-Bewegung alles besser machen wird. Dass solche Proteste in Deutschland ausbrechen ist, da muss man Friedrichs ausnahmsweise Recht geben, sehr unwahrscheinlich. Tatsächlich sind die Integrationsleistungen Deutschlands wesentlich besser als die Großbritanniens.

Der massive Einsatz von Polizei und die Bewilligung des Einsatzes von Gewalt, die mit Sicherheit für Verletzte sorgen wird, lässt allerdings darauf schließen, dass zwar die Wunde in London und anderen Großstädten rasch geschlossen werden wird. Heilen aber wird sie sicher nicht. Wer solcherarts niedergeprügelt wird, duckt sich vielleicht unter dem Schlag und wird in seiner Bewegung verharren. Er wird aber letztlich nur darauf waren, bei geeigneter Gelegenheit neu zuzuschlagen. Cameron spaltet das Land weiter, er schlägt jede Möglichkeit einer Versöhnung oder eines Dialogs von vornherein aus; mit seiner Brandmarkung der Randalierer als Kriminelle und der Forderung, sie aus ihren Wohnungen zu werfen und einzusperren stellt er sie letztlich außerhalb der britischen Gesellschaft. Eine so große Minderheit einfach zu Nicht-Mitgliedern der Gemeinschaft zu erklären aber kann nicht gutgehen.

6 Kommentare:

  1. "[...]Cameron spaltet das Land weiter, er schlägt jede Möglichkeit einer Versöhnung oder eines Dialogs von vornherein aus; mit seiner Brandmarkung der Randalierer als Kriminelle und der Forderung, sie aus ihren Wohnungen zu werfen und einzusperren stellt er sie letztlich außerhalb der britischen Gesellschaft. Eine so große Minderheit einfach zu Nicht-Mitgliedern der Gemeinschaft zu erklären aber kann nicht gutgehen[...]"

    Also nach gestrigen TV-Nachrichten glaube ich eher, dass Cameron die Demonstranten in GB als "Terroristen" ansieht, und nicht nur als Kriminelle.

    Mein Fazit:

    Hätte es 09/11 nicht gegeben dann hätte Cameron es um einiges schwerer derart massiv gegen berechtigte Proteste vorzugehen.....dem seligen Bin Laden sei dank....ganz zynisch ausgedrückt....

    Gruß
    Bernie

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  2. Wie sollte Cameron denn deiner Meinung nach reagieren?

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  3. Etwas ausgewogener. Seine Reaktion hat etwas von Konterrevolution. Die Massenurteile, Hartgummigeschosse, Befugnisse der Polizisten, etc. - all das wirkt ein bisschen wie ein Monarch des 19. Jahrhunderts, der eine Revolution niederschlagen lässt. Er sollte meiner Meinung nach rechtsstaatlicher vorgehen. Die Randalierer verletzen den Rechtsstaat; das gibt ihm nicht das Recht, ihn seinerseits zu verletzen.

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  4. Stimme komplett zu. Dass Cameron erstmal die Leute beruhigen will und alles dransetzt, um für Ruhe zu sorgen, ist verständlich. Aber mittlerweile wirken die Ankündigungen fast genauso erschreckend und abgedreht wie der Mob, weil da scheinbar überhaupt keine rechtsstaatlichen Grenzen mehr gelten.
    Gerade hat Zeit online getwittert, dass die englische Polizei die vollen Namen, Geb.-Daten und Wohnorte der Verurteilten twittert Oo
    Siehe: https://twitter.com/#!/gmpolice/status/101715057209122816
    und http://thenextweb.com/uk/2011/08/11/greater-manchester-police-tweeting-names-dates-of-birth-and-addresses-of-looters/

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  5. @Ariane, all

    Tja, die Freiheit stirbt Scheibchenweise.

    Die Vorgehensweise von Cameron erinnert doch tatsächlich an den Patriot Act I und II der USA unter George W. Bush und Obama. Eher noch an George W. Bush, und ich bleib dabei hätte es 09/11 nicht gegeben, dann wäre diese Maßnahmen gegen Terroristen, wie Cameron die Demonstranten in GB nennt, nicht möglich. Bin Laden sei dank....immer noch ausgewogen und ganz zynisch.....

    Zornige Grüße
    Bernie

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  6. Noch was:

    Wer jetzt meint, dass ich hier übertreibe, der war seit dem 09/11 irgenwo auf einem anderen Planeten, aber nicht hier auf der Erde.....man muß schon arg betriebsblind sein um die Freiheitsbeschränkungen für Normalos nicht zu sein, die seit dem Anschlag auf das WTC nicht nur für Muslime gelten sondern für alle "Verdächtigen" - was auch immer das bei Marktradikalen heißen mag.....
    Trauriger Gruß
    Bernie

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