Freitag, 5. August 2011

Das bürgerliche Moralempfinden

Von Stefan Sasse

Dass bei der Plagiatsaffäre bereits mehrere bürgerliche Akteure ihr eigenes Moralempfinden deutlich herausgestellt haben ist wahrlich keine Neuigkeit mehr. Guttenberg, Koch-Mehrin, Chatzimarkakis und Pröfrock überboten sich gegenseitig mit lächerlichen und niveaulosen Versuchen, sich aus der Affäre zu ziehen. Ob sie nun die Integrität ihrer Doktorväter in den Dreck zogen oder den Plagiatsjägern sinistre Absichten unterstellten, so oder so waren es die anderen. Chatzimarkakis beweist gerade erneut, welchen Rang Anstand bei ihm als Vertreter des Mittelstandes im Europaparlament einnimmt: folgend auf die Enttarnung des Vroniplag-Gründers Heidingsfelder verkündete er in der BILD, das SPD-Mitglied habe es aus parteitaktischen Gründen auf ihn abgesehen. Soso. 

Nun mag das ja durchaus sein. Aber wenn ein CDU-Abgeordneter ein Auto klaut und ich das als SPD-Mitglied zur Anzeige bringe, ändert das dann etwas am Auto-Diebstahl? Natürlich nicht. Manche Kommentatoren, die in dieselbe Kerbe schlagen - allen voran unverständlicherweise immer noch Michael Spreng, der die Enttarnung Heidingsfelder mit einem absoluten kommentatorischen Tiefpunkt begleitete - scheinen irgendwie zu glauben, dass die Motivation der Plagiatsjäger überragend interessant ist. Natürlich ist eine Hexenjagd problematisch, aber niemand hindert die FDP oder CDU daran, bei Verdacht auf Einseitigkeit einfach ein eigenes Programm zu starten oder darauf hinzuweisen. Beides geschieht aber nicht, es bleibt bei Anschuldigungen ohne jeden Beleg, wie sie Chatzimarkakis nun von sich gab. 

Dass er das ausgerechnet in der BILD tat, zeigt ebenfalls deutlich die Stärke seiner eigenen Position. Das Blatt, das bereits vorher mit "right or wrong, my Guttenberg" neue journalistische Standards setzte und dessen Kernleserschaft vermutlich nicht übermäßig großes emotionales Kapital in die Frage der Rechtmäßigkeit von Doktortiteln investiert, ermöglicht gewissermaßen ein Heimspiel. Von hier aus sind keine kritischen Fragen zu erwarten, und jeder der Chatzimarkakis' Vorwurf für eine Nachricht hält übernimmt zuerst einmal seine Position. 

Chatzimarkakis hat also nicht nur plagiiert und den Doktortitel aberkannt bekommen, sondern macht sich jetzt auch noch mit der Verdummungspresse des Blut- und Tittenblatts gemein, um - und hier zeigen vier der Finger der mit dem Zeigefindet auf Heidingsfelder zeigenden Hand deutlich auf ihn zurück - parteitaktische Vorteile für sich selbst herauszuschlagen. Dass er zweifelsfrei schuldig ist - who cares? Was bedeutet schon Anstand für jemanden, der für die FDP in einem der höchsten parlamentarischen Gremien der Welt sitzt? Ungefähr genausoviel wie für das Blatt, mit dem er sein persönliches Wohl und Wehe ebenso wie Guttenberg zu verknüpfen beginnt. Mögen sie eine kurze Ehe führen, und möge der Scheidungskrieg lang und schmutzig werden. Sie haben es und sich verdient. 

7 Kommentare:

  1. Habe mich auch über Chatzimarkakis aufgeregt, der sich jetzt als Opfer parteipolitischer Ränkespiele wähnt. Sein Betrug scheint für ihn keiner mehr zu sein, weil er vom Falschen dabei ertappt wurde.

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  2. @Roberto

    Tja ja, die Richtigen müssens sein.Doch Weihnachtsmann und Osterhase sind anderweitig beschäftigt...

    Grüße
    Hagnum

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  3. Wunderbar emotionaler Beitrag! Ich meine das im besten Sinne und bitte das nicht falsch zu verstehen. Bei soviel Dreistigkeit ist Zorn nur noch angemessen.

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  4. "Integrität ihrer Doktorväter in den Dreck zogen"

    Naja, weil sie ihn dafür bezahlt haben. Quid pro quo.


    "....nicht übermäßig großes emotionales Kapital in die Frage der Rechtmäßigkeit von Doktortiteln investiert."

    Hier gilt wieder , Quid pro quo.

    Da wehrt sich einer emminet gegen die Feststellung.

    Demjenigen rufe ich zu: Der Kaiser ist nackt.

    Dr.-Titel werden verkauft wie (uralte) Adelstitel und Kaugummi.

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