S21 und kein Ende? Vorgestern wurden offiziell die Ergebnisse des “Stresstests” zum Milliarden-Projekt “Stuttgart 21″ vorgestellt, doch die Debatte um den geplanten neuen Durchgangsbahnhof in der Baden-Württemberger Metropole wird damit nicht etwa ein Ende finden.
Nach Monaten der “Schlichtung”, moderiert von Heiner Geißler, wurden am Freitag die Ergebnisse des sogenannten “Stresstests” einer unabhängigen Schweizer Gutachterfirma präsentiert. Kernpunkt dabei ist die Leistungsfähigkeit des projektierten neuen Bahnhofs. Gemäß Anforderungen der Bahn soll er 30 Prozent leistungsfähiger sein als der alte Kopfbahnhof, also statt 37 Zügen pro Stunde ganze 49 bewältigen. Laut der Gutachterfirma SMA, die den angedachten Betrieb – inklusive etwaiger Störungen – in einem Computermodell simuliert hat, würde der neue Bahnhof dieser Vorgabe gerecht werden. Damit könnten die S21-Gegner es auf sich bewenden lassen und ihre Proteste einstellen, wenn es denn nur darum ginge, einen leistungsfähigeren Bahnhof zu bauen.
Damit ist es aber bei Weitem nicht getan. Nicht nur wäre ein modernisierter Kopfbahnhof “K21″ gemäß den Berechnungen des langjährigen vormaligen Leiters des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Egon Hopfenzitz, noch leistungsfähiger und würde eine maximale Kapazität von 54(!) Zügen die Stunde bieten – auch wäre eine Modernisierung, wie schon öfter zur Sprache kam, wohl deutlich günstiger. Die Kosten für das Projekt und die dazugehörige neue Bahntrasse Wendlingen-Ulm sind bereits jetzt enorm gestiegen , werden aber von der Bahn nach Möglichkeit verschleiert – sogar gegenüber der Landesregierung, wie der Stern unlängst berichtete. Aus einer bahninternen Risikoanalyse geht hervor, daß selbst die Planer der DB Projektbau GmbH 121 benannten Risiken gerade mal eine einzige Chance gegenüberstehen sehen, was im worst case zu Gesamtausgaben von rund 7 Milliarden allein für den neuen Bahnhof führen könnte. Dabei ist die Neubaustrecke (NBS) Wendlingen-Ulm, die nochmals mit 2,89 Milliarden zu Buche schlagen soll (Stand: Juli 2010). noch nicht mit eingerechnet. Eine Studie, die im Auftrag der Grünen vom Münchener Verkehrsberatungsbüro Vieregg-Rössler erstellt wurde, schließt sogar Kosten von bis zu 10 Milliarden Euro für die NBS nicht aus.
Daß das ganze Projekt erheblich teurer werden dürfte, als urprünglich von der Bahn veranschlagt, zeigte sich bereits 2008 in einem vertraulichen Bericht des Bundesrechnungshofes, der für den Bahnhof letztendlich 5,3 Milliarden und die NBS 3,2 Milliarden Euro Finanzierungsbedarf errechnete. In der Summe ergaben sich somit schon vor drei Jahren 8,5 Milliarden Euro für die beiden zusammenhängenden Projekte – weit mehr, als ursprünglich geplant und ausgewiesen war. Das Umweltbundesamt kam im Rahmen seiner 2010 vorgelegten “Ausbaukonzeption für einen leistungsfähigen Schienengüterverkehr in Deutschland” sogar auf mögliche Kosten von 9 bis 11 Milliarden Euro – und zweifelte gleichzeitig den Nutzen von S21 und Neubautrasse deutlich an (S. 151-153). So ist beispielsweise die Strecke für den Güterfernverkehr kaum geeignet und auch eine relevante Zeitersparnis für die Bahnpassagiere, die einen solchen Aufwand rechtfertigen würde, ist nicht erkennbar. Hinzu kommt, daß die Bahn auch durch dünnere Tunnelwandstärken und weniger Rettungswege versucht, die Kosten im Griff zu behalten und dabei die Sicherheit ihrer Kunden unnötig gefährdet. Dies ist ein Vorgehen, das man eher einer skrupellosen Firma in einer “Bananenrepublik” zutrauen würde, denn einem deutschen Unternehmen, das früher staatlich war und heute zu 100 Prozent in Staatsbesitz ist.
Wenn man Kosten wie Nutzen nüchtern betrachtet, fragt man sich unwillkürlich, warum dieser Bahnhof samt NBS mit allen Mitteln durchgesetzt und gebaut werden soll, obwohl Stuttgart wohl nie ein “Durchgangsbahnhof” werden wird. Warum wird seitens der Bahn und der Befürworter dieses Projekts nicht ernsthaft über Kosten/Nutzen gesprochen, warum wird vernebelt, schöngeredet und nötigenfalls auch Gewalt hervorgerufen bzw. eskaliert?
Einfache Antworten darauf gibt es nicht, denn es spielen wohl – wie in komplexen Sachzusammenhängen üblich – verschiedene Faktoren eine Rolle. Einer davon ist sicherlich das Unvermögen der meisten Politiker und Manager, einen einmal eingeschlagenen Kurs noch korrigieren zu können, selbst wenn er sich im Nachhinein als falsch erweist. Zu groß ist die Angst vor Gesichtsverlust, zu groß die Angst vor dem Verlust an Respekt. Menschlich, allzu menschlich, aber dies ist eben ein Fehlschluß. Der Mut, eine getroffene Entscheidung – nach Erlangung besserer Erkenntnisse – auch noch einmal revidieren zu können, wird für gewöhnlich von den Mitmenschen auch anerkannt. Hätte beispielsweise die Landesregierung in BW rechtzeitig anhand der neuen Fakten eine ehrliche Neubewertung angekündigt – sie wäre vermutlich wiedergewählt worden.
Diese Einsicht aber kam nicht bzw. griff nicht, was nahelegt, daß noch mehr auf dem Spiel steht als die Raison. Somit stellt sich die Frage “cui bono” – wem nutzt es? Dem Personen- wie Güterverkehr jedenfalls nicht, wenn man den Argumenten der Gegner, zu denen mittlerweile auch staatliche Institutionen wie der Bundesrechnungshof und das Umweltbundesamt gezählt werden müssen, folgen will. Auch bringt die Bahn hier einmal nicht etwa Menschen zusammen, sondern spaltet sie in Befürworter und Gegner.: Zu wessen “Guten” geschieht das also? Eine Antwort darauf könnten Betrachtungen liefern, wer von S21 auch finanziell profitiert, wobei festzuhalten ist, daß es sich hier zwar um zwei zusammenhängende, aber dennoch getrennt finanzierte Projekte handelt. “Stuttgart 21″ hat mittlerweile einen Kostendeckel, der 4,5 Milliarden nicht überschreiten soll, während sich bei der NBS – vielleicht auch aufgrund noch fehlenden Drucks seitens der Bürger – etwas Vergleichbares noch nicht findet. Das Gesamtprojekt ist daher finanztechnisch aufzuspalten (wiewohl S21 ohne die NBS laut Umweltbundesamt eben keinen Sinn macht). Da bei Stuttgart 21 die Bahn – und somit der Bund als einziger Anteilseigner – auch bei exorbitanten Kosten dank “Kostendeckelung”, Grundstücksverkäufen und Honoraren für Bauplanung und -leitung noch Gewinne einfährt, ist zunächst sie als Gewinner zu benennen und nächstens der Bund. Eine genauere Aufschlüsselung bietet ein Video der S21-Gegner, das die Frage “Wer finanziert S21?” zu klären versucht. Nach dieser Rechnung wird es an der Landeshauptstadt, den umliegenden Kommunen und dem Bundesland hängenbleiben, etwaig auftretendende Unterfinanzierungen aufzufangen, damit das Gesamtprojekt nicht eines Tages als Bauruine stehen bleibt.
Auch weitere Profiteure dürfte es geben, wie beispielsweise das ARD-Magazin Plusminus nahelegt. Einkaufscenterplaner wie ECE, gegründet von Werner Otto (-> Ottoversand), nehmen sich gerne der entstehenden Parzellen in Bestlage an, um dort lukrative Shoppingcenter zu errichten, die letzten Endes den lokalen Einzelhandel verdrängen. Beim Geschäft mit den “Filetstückchen in Bestlage” sind interessierte Kreise gerne dabei, wie nicht zuletzt auch der Spiegelfechter im Herbst anmerkte. Und auch die Daimler AG, als erste global notierte Aktiengesellschaft(!), scheint ein besonderes Interesse an ihrem Stammsitz Stuttgart zu hegen, trugen und tragen doch drei ehemalige Daimler- bzw. DASA-Vorstandsmitglieder (Dürr, Mehdorn, Grube) als vormalige oder jetzige Vorstandsvorsitzende der Bahn wesentlich Verantwortung für dieses Projekt. Eskaliert ein derart gigantomanisches Projekt nur deshalb so, weil neben einigen Anderen auch Daimler ein vitales Interesse daran hat? Und wenn ja – welcher Natur ist dieses?
Zusammenfassend läßt sich sagen, daß diese Umgestaltung spätestens angesichts der drohenden Kosten, die besser in die Erhaltung und Verbesserung des bestehenden Schienenverkehrs investiert wären, ein Unding ist, gegen das zurecht protestiert wird. Eine Spaltung in “Wutbürger” und “Gutbürger” (die stillschweigend alles abnicken und bezahlen) ist hier nicht angebracht und diejenigen, die zwar nicht von S21 profitieren, aber endlich “ihre Ruhe” haben wollen, müssen sich fragen lassen, ob sie denn alle Fakten kennen und ihrer staatsbürgerlichen Verantwortung gerecht werden.
Vor diesem Hintergrund nun erfolgt der Schlichtungsvorschlag von Heiner Geißler, der eher ein fauler Kompromiss ist, mit dem beide Seiten nicht werden leben können. Er wird die grundlegenden Fehler dieses Projektes nicht wirklich beheben und niemanden zufriedenstellen – weder Befürworter noch Gegner des bisherigen Plans. “Stuttgart steht auf” und es zeigt sich, daß “ganz normale Bürger” angesichts eines derart verfehlten Projekts nicht mehr still halten, sondern ihre Verantwortung sehen und zu “Wutbürgern” werden. Wir brauchen mehr Stuttgarter in dieser Republik …
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