Mittwoch, 24. August 2011

Kampf um die Seele der CDU

Von Stefan Sasse

Als Annette Schavan noch Kultusministerin von Baden-Württemberg war, ging ich noch zur Schule. Entsprechend gehörte sie in den Fundus jugendlicher Feindbilder fest verankert. Sie hat die Streichung der Studienfahrten zu verantworten, die neuen Lehrpläne und - vor allem - das neue Abitur, dass das alte Leistungskurssystem abgeschafft hat. Die Eltern hat sie spätestens mit der Einführung des G8 gegen sich aufgebracht. Niemand war deswegen übermäßig traurig, als sie Landespolitik in den relativ einflusslosen Posten der Bildungsministerin im Bund verließ. Als langjährige politische Alliierte Merkels war dieser Schritt, besonders nach der Niederlage im Landes-CDU-Machtkampf gegen Oettinger, nur konsequent. Inzwischen, so informiert uns ein Artikel in der FAZ, ist Schavan in der CDU unbeliebter denn je. Man macht sie, so das konservative Blatt, das Erwin Teufels Plädoyer gegen die "neue" CDU prominent gefeautered hat, mit für die "Profillosigkeit" der CDU verantwortlich. Es ist derzeit ein beliebtes Topic der Kritik an der CDU, auf ihren vermeintlichen Verlust guter alter Werte hinzuweisen. Allein, gut sind diese Werte selten, dafür aber alt. Nirgendwo ist das besser zu sehen als an Schavans Leib- und Magenthema, der Bildungspolitik.

Spätestens seit dem Desaster um die Hamburger Schulreform ist vielen CDU-Strategen klar geworden, dass die Abschaffung der Hauptschule - realistisch absolut geboten - besonders bei den typischen CDU-Wählerschichten auf schweren Widerstand stößt. Nicht, weil man die Hauptschule so toll fände, sondern weil man den Bodensatz der Gesellschaft gerne dort halten würde, damit er nicht die Schulbank mit dem eigenen Nachwuchs drückt. Es gehört zum so genannten Markenkern der CDU, das dreigliedrige Schulsystem, das praktisch unisono von nationalen wie internationalen Experten ob seiner sozialen Selektion verdammt wird zu erhalten. An diesem Grundsatz hat Schavan gerüttelt, wohl in enger Abstimmung mit Merkel, bedenkt man die Nähe beider Frauen. Der Konservatismus, den Teile der CDU mit dem Widerstand gegen diese Reformen aber zelebrieren, ist ein falscher, gefährlicher. Mit aller Macht soll eine gesellschaftliche Schichtung, ein Gesellschaftsbild erhalten werden, das schon lange nicht mehr existiert: die Teilung der Gesellschaft in Arbeiter (Hauptschule), Angestellte (Realschule) und die Leitenden Angestellten und Beamten (Gymnasium) mit dem Mann als Haupternährer und der Frau als Hausfrau. Es erinnert ein wenig an die Versuche von Konservativen in den 1920er und 1930er Jahren, den Ständestaat nach Zunftvorbild wiederzubeleben: es völlig aus der Zeit gefallen.

Der Kampf um die Seele der CDU, der gerade gefochten wird, ist ein relativ wenig beachteter. Die FAZ ist derzeit das einzige Medium, das kontinuierlich - auf der Seite der klassisch-Konservativen - das ganze beobachet, kommentiert und auch eingreift. Für den Modernisierungskurs der Union, der sich am deutlichsten auf dem Feld der Familienpolitik, Integrationspolitik, Umweltpolitik und Bildungspolitik manifestiert hat (woran sich die Kritiker auch entzünden), ergreift derzeit kaum jemand offen Partei, weswegen er auch in der Defensive ist. Gerne wird dabei der Vorwurf der Beliebigkeit erhoben, der in der Generalkritik an der Politik ohnehin ein Allzeit-Hoch erlebt. Er ist aber falsch. Man kann viel gegen die CDU sagen, vor allem was ihr Agieren auf dem Feld der Sozial- und Wirtschaftspolitik angeht, aber ihr Modernisierungskurs in Sachen Familie, Integration, Umweltschutz und Bildung ist absolut zu begrüßen. Sie hat sich hier ihrer Konkurrenz im linken Parteienspektrum deutlich angenähert; nirgendwo ist das Wort von der "Sozialdemokratisierung" der Union richtiger als hier (obgleich man bei SPD und CDU eher von einer "Vergrünung" sprechen sollte, sind es doch ursprünglich ihre Themen). Das soll nicht heißen, dass eine hundertprozentige Übereinstimmung existierte, oder dass die CDU jetzt die Speerspitze der Emanzipationsbewegung wäre. Sie ist aber auf dem richtigen Weg.

Konservative wie Erwin Teufel, die jetzt den Kulturkampf um konservative Werte beschwören, sind eine Gefahr für diese Fortschritte. Sie verkörpern nicht irgendwelche bewahrenswerten Zustände, die durch eine voreilige, beliebige Politik in Gefahr gebracht werden. Was sie verkörpern, was sie erhalten wollen, sind Zustände, für deren Überwindung man mit Recht lange Kämpfe ausgefochten hat, und deren Wandel innerhalb der Union das bleibende Verdienst Merkels und ihres Kabinetts bleiben wird. Für Schattengefechte wie die, die Teufel nun eröffnet hat, gibt es wohl kaum Spielraum im von aktuellen Krisen gebeutelten Kabinett. Das können er und seine Sekundanten in der FAZ ausnutzen, um ihre Agenda durchzudrücken. Es ist zu wünschen, dass sie damit keinen Erfolg haben. Die Erfolge moderner Familienpolitik, Integrationspolitik, Umweltpolitik und Bildungspolitik, unter Rot-Grün begonnen und unter der Großen Koalition wie Schwarz-Gelb weitergeführt, mögen noch lange nicht der Endpunkt und keinesfalls 100% befriedigend sein. Sie sind nur Stückwerk und haben ernsthafte Schwächen, das kann niemand bezweifeln. Aber sie sind auf dem richtigen Weg. Den Ewiggestrigen darf es nicht gelungen, mit nostalgischer Verklärung das Rad zurückzudrehen.

5 Kommentare:

  1. Ich halte generell nichts davon, dass sich Parteien "annähern". Ich will als Wählerin die Wahl haben zwischen verschiedenen Positionen. Diese Wahl habe ich durch den Rechtsruck der SPD als sozialdemokratisch gesinnte Wählerin nicht mehr. Ebenso hat ein Konservativer keine echte Wahl mehr, wenn die Union nun die Familien- und Bildungspolitik etc. zur Disposition stellt.

    Ich bin links, aber ich bin in erster Linie überzeugte Demokratin. Wir brauchen keinen Einheitsparteien-Block. Wir brauchen mehr Demokratie - nicht weniger!

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  2. Du übersiehst hier die Frage der Kontinuität. Demokratische Regierungen müssen Bestehendes irgendwie integrieren, sie können nicht immer radikal alles umwerfen wollen was vor ihnen gemacht wurde. Die SPD musste die Westbindung und die NATO anerkennen, die CDU dann später die Betriebsräte und die Ostpolitik, die SPD dann wiederum die deutsche Einheit und die CDU nun Familien- und Integrationspolitik sowie Umweltpolitik. Wann immer eine Partei das nicht tut, endet es schlecht. Die Daueropposition der SPD in den 1950er und 1960er Jahren, der CDU in den frühen 1970er Jahren, der SPD dann wiederum in den 1980er Jahren und dann das Chaos der Schwarz-Gelben nach ihrem gescheiterten Versuch der Rückkopplung des Atomausstiegs.
    Wenn die LINKE irgendwann an die Regierung kommt, das garantiere ich, wird sie auch nicht Hartz-IV abschaffen.

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  3. .....H 4 braucht auch nicht abgeschafft zu werden......abschaffen der Sanktionen und zahlen würde doch schon langen....

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  4. Wenn man Politik als "Kontinuitätspolitik" definiert, verkommt sie zum Werkzeug zur Aufrechterhaltung von etablierten Privilegien.

    Wenn alle Parteien sich "annähern", die gleichen Lügen und Versprechungen verbreiten, wir Einheitsblock-Parteien wählen, wozu dann noch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einzelnen Parteien? Wenn eh alle gleich sind zu 85 Prozent? (SPD/CDU/FDP/GRÜNE)

    Die Aufrechterhaltung des Status Quo, Politik im Sinne der Herrschenden, Reichen und Mächtigen zu machen, disqualifiziert sich als parlamentarische Volksvertretung.

    Wir leben in einer Lobbykratie und nicht in einer Demokratie. Wer dies erkennt, weiß, dass wir OHNE eine radikale Veränderung unseres politischen Systems letztlich gar nichts verändern werden.

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  5. Die Sache mit der Muter oder Vaterkindbeziehung ist nicht so einfach, wie es in deinem Artikel angesprochen wird. Die Zusammenhänge sind sehr viel komplizierter.

    Einen guten verständlichen Überblick gibt dieses Interview.

    http://pcast.sr-online.de/play/fragen/2011-08-22_ghuether210811.mp3

    Meine Erfahrung mit dem Schulsystem für die Unterschicht spiegeln genau diese Erkenntnisse der Wissenschaft wieder.

    Der Mensch ist das Lebewesen dessen Nervensystem sich am langsamsten entwickelt und ausreift. Also das Lebewesen das am stärksten durch seine Umwelt präg- und formbar ist.

    Das Klassensystem muß abgeschafft werden keine Frage, aber wir brauchen auch Eltern die mehr Zeit für ihre Kinder haben.

    Was spricht gegen Arbeitszeitverkürzung durch eine Festlegung der Regelarbeitszeit auf 30 Stunden.

    Wenn wir das Schulsystem ändern haben wir keine Probleme Menschen für alle benötigten Qualifikationen auszubilden.

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