In edlen Türmen lebt es sich sicherlich gut. Abgehoben von der Masse, ihren aktuellen und alltäglichen Leiden entrückt und mit herausragendem Über- und Ausblick gesegnet, dürfte man es sich problemlos gut gehen lassen können. Heutzutage gibt es sogar Aufzüge, da muss man nicht mehr so viele Treppen laufen. Es könnte so schön sein, wenn nur nicht der ganze Pöbel auch mal gerne in den Turm wöllte. Oder ihn einreißen, das ist nie so ganz sicher, aber die Nivellierung ist des Liberalen - dem der Elfenbeinturm das natürliche Habitat ist - größtes Gräul.
Sehr schön verdeutlicht wird dieser Zusammenhang dieser Tage von der FDP, die im Kurhaus Wiesbaden zwischen Marmorsäulen und Kronleuchtern ihre jährliche Herbstklausur abhält. Dieses Jahr ist als besonderer Gast Friedrich Merz anwesend, der mit Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble sowohl das intellektuelle Niveau als auch den Werdegang gemeinsam hat: von Merkel gemeuchelt.
Als Merz nach dem zweiten Gang - es gab bis dahin Carpaccio vom Roten Thun
mit Avocadocreme und ein Shrimps-Risotto mit gebratenem Loup de Mer - ans
Rednerpult im ehrwürdigen Christian-Zais-Saal tritt, begrüßt er erst den "lieben
Guido". (Quelle)
"Der liebe Guido" ist ein alter Studienkollege Merz', man kennt und schätzt sich. Übetreten will Merz trotzdem nicht. Aber zurück zum Thema. Merz hielt, natürlich, eine Rede. Die Zukunftsprobleme des Sozialstaats waren das Thema, und zu anfang erkannte Merz auch ganz richtig, dass die Menschen verunsichert seien, dass der Graben zwischen denen, die eine Chance hätten und denen, die in der Unterschicht feststecken immer größer werde. Soweit, so richtig. Aber als ordentlicher "Liberaler" weiß er darauf auch eine grandiose Lösung:
Es müsse gesagt werden, was geht und was nicht geht, beginnt Merz. In dieser
Disziplin gilt Merz ohnehin als ungeschlagen. Was in seinen Augen nicht geht,
ist, immer mehr Geld in die Sozialsysteme zu stecken.
Es müsse doch mal die Frage gestellt werden, ob die Sozialpolitik nicht mit immer mehr Geld "Probleme geschaffen habe, die es vorher nicht gab", sagt Merz und erntet kräftigen Beifall. Es müsse darüber gesprochen werden, dass "weniger manchmal mehr ist". Nicht die Ausweitung des Sozialstaates dürfe Priorität haben, sondern die "Begrenzung des Sozialstaates".
(Quelle)
In Ordnung. Die Menschen sind verunsichert, finden, dass der Sozialismus - "richtig" durchgeführt - gar keine sooooo doofe Idee ist und der Graben vertieft sich. Um dieses Problem zu lösen muss man ihnen alle Sicherheiten nehmen, von Sozialismus als Unsinn diffamieren und den Graben noch ein wenig tiefer schaufeln. Grandiose Idee, Herr Merz. Hier zeigt sich die
Qualität eines wahren Liberalen. Aber es geht noch weiter:Aus einem Mehr an Geld für Bildung und damit mehr Chancengerechtigkeit leitet er eine technikfreundlichere Politik ab. Tapfer verteidigt er die Atomenergie und fordert mehr Offenheit für die Gentechnik: "Warum stellen wir die Leute nicht, die gegen Biotechnik sind und gleichzeitig einen Dritte-Welt-Laden betreiben? Ohne Gentechnik werden wir die Ernährungsprobleme der Welt nicht lösen." (Quelle)
Aha. Mehr Geld für Bildung bedeutet eine technikfreundliche Politik? Oder nicht mehr Geld für Bildung, sondern eine technikfreundliche Politik? Wirklich Substanz scheint hinter Merzens Vorschlägen nicht zu stecken. Immerhin gibt es am Schluss ein Brandenburger Tor in Porzellan für ihn, überreicht vom Ober-Freien Westerwelle persönlich. Jetzt aber flugs wieder in den Turm.
ist es jetzt schon falsch Bildung und Technologie zu fördern - einfach nur weil es ein Liberaler gesagt hat?
AntwortenLöschenJa ja, ein großer Fragensteller unser Herr Merz. Aber nicht eine einzige Antwort kann er präsentieren. Warum auch. Läuft er doch Gefahr, dass diese nicht in seinem Sinne ist.
AntwortenLöschenDarum also weiter populistisch Fragen stellen, die auch schön als Schlagzeile in der Bild stehen können.
Da sage noch jemand, Merkel habe noch nichts geschaffen. Immerhin hat sie aber Merz kaltgestellt.
AntwortenLöschenUnd warum Merz nicht zur FDP wechselt? Nun, er hat im "schwarzen Sauerland" einen sicheren CDU-Wahlkreis inne. Von anderen fordert er aber mehr Risikobereitschaft und prangert die "Vollkaskomentalität" in der Bevölkerung an.
Müntefering kommt ja auch aus dem Sauerland. Das macht aber gar nicht lustig...