Mittwoch, 30. September 2009

SPD auf dem Tiefpunkt – Eine kleine, hämische Nachbetrachtung aus der Sicht eines langjährigen SPD-Wählers

ein Gastbeitrag von Jürgen Voß


Hilmar Kopper, dem ehemaligen Vorstandsprecher der Deutschen Bank (ganz recht, der Peanuts-Kopper; die deutsche Elite zeichnet sich eben seit jeher durch hohe soziale Sensibilität aus!) wird der Ausspruch nachgesagt, wenn eine Partei die erforderlichen „Reformen“ in Deutschland durchsetzen könnte, dann nur die SPD. Gemeint hatte er wohl, dass nur die SPD die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer insgesamt in ihrer blinden Loyalität zu ihr, stillhalten könnte, wenn es ans „Eingemachte“ gehen würde.

Clever dieser Kopper, denn was er wirklich sagen wollte, war: Wir benutzen die SPD als „nützliche Idiotin“ und wenn sie dabei drauf geht, umso besser. Also die berühmten zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Restituierung des marktradikalen Kapitalismus nach angelsächsischem Muster ohne den durch den Kommunismus erzwungenen „Sozialklimbim“ bei gleichzeitiger Zerstörung einer großen Volkspartei, die sich gerade über diesen (zu beseitigenden) Sozialstaat definiert. („Modell Deutschland!“).

Vielleicht geht die Vermutung, eine solche planmäßige Strategie hätte seit 1998 vorgelegen, ein wenig zu weit, doch Hinweise darauf gibt es genug:

  1. Da ist z. B. der außerordentliche freundliche Umgang der Mainstreampresse mit dem rabiaten Parvenue Schröder im Vorfeld der Bundestagswahl 1998. Auf seinem Chamäleon-Opportunismus und seine Sehnsucht, als sozialer Underdog im Kreise von denen „da oben“ endlich Anerkennung zu erfahren („Der Genosse der Bosse“) konnte die Kapitalseite blind setzen. Und er hat nach anfänglichem Hin- und Herlavieren ja auch alle Erwartungen prima erfüllt.

  1. Da ist des Weiteren das bisweilen an die Bösartigkeitsgrenze stoßende Niederschreiben des „gefährlichsten Mannes Europas“ Lafontaine, von dem man wusste, dass er sich der neoliberalen Umgestaltung unserer Gesellschaft vehement widersetzen würde. Dieses Lafontaine-Bashing (Alle Redaktionsleiter von SZ, FAZ und Konsorten hatten wohl „Feuer frei“ gegeben) setzte sich vor allem nach seinem Rücktritt fort und erreichte mit Gründung der „Linken“ einen neuen Höhepunkt („der spukende Demagoge, der schreiende Populist“). Dass Lafontaine vor allem aus politischen Gründen, eben weil er den neoliberalen Mumpitz nicht mitmachen wollte, zurückgetreten war, diese durchaus nahe liegende Überlegung wagte kein Journalist auszusprechen.

  1. Im Gegensatz dazu verlegte sich die Journaille gegenüber der „instrumentalisierten“ SPD aufs „Hochpreisen und Hochschreiben“ von Leuten, von denen man sich in Sachen neoliberale „Wende“ ein konstruktives Mitmachen versprach. Dies waren insbesondere Leute wie Müntefering und Clement. Der eine, der Meister der kurzen Sätze, die leider auch meist die blöden Sätze waren („Dazu reicht Volksschule Sauerland“; „Wir können zwar diskutieren, aber es gibt keine Alternative“) wurde wegen seiner von der Partei gar nicht gedeckten „Rente mit 67“ als „Vollstrecker“ (Originalton SZ) gefeiert und selbst sein Abdanken vom Parteivorsitz wegen einer lächerlichen Personalie wurde nur en passant registriert und ihm – anders als bei Lafontaine - nicht übel genommen.

  1. Der andere, Wolfgang Clement, durch eine Art Putsch gegen den SPD-Übervater Rau endlich in NRW an die Macht gekommen, von Haus aus eine Mischung von Arroganzling und anmaßendem Elitaristen, der seine Mitarbeiter bei seiner cholerischen Ausbrüchen schon mal mit Büchern bewarf, wurde, obwohl als Jurist von Ökonomie ohne jede Ahnung, als Superminister gefeiert, wo er auch prompt nichts auf die Kette bekam und bei den monatlichen Arbeitslosenzahlen als „Master of Desaster“ auftreten musste. Wie es um seine Loyalität gegenüber der Partei, der er alles zu verdanken hatte, bestellt war und um was für einen Charakter es sich bei ihm handelte, zeigte er bei der Hessenwahl (und jetzt kürzlich bei der Bundestagswahl). Er, der klassische Nichtgenosse, in Bochum als Jurist und Redaktionschef eines Provinzblättchens von der Partei auf den Schild gehoben und in die Karrierebahn auf Ziele abgeschossen, die er sonst nie erreicht hätte (was muss der Mann für Magengeschwüre gekriegt haben, wenn er von seinen popeligen Genossen in Bochum-Hamme sich duzen lassen musste), rief offen zur Wahl einer anderen Partei auf. Schließlich hat Clement mit der Etablierung der Leiharbeit, nachdem er sich fast ein Jahrzehnt von dieser Branche hatte schmieren und schließlich als Krönung einen schönen Austragsposten von dem größten Leiharbeitgeber schenken lassen, sein neoliberales Meisterstück zur „Flexibilisierung“ des Arbeitsmarktes geliefert.

  1. Er und mindestens ein weiteres Dutzend anderer Genossen haben Dank ihrer neoliberalen „Reformpolitik“, persönlich sich glänzend bereichert, wenn sie nicht gleich in die Privatwirtschaft gewechselt sind. So bekommt der Fliesenleger Walter Riester als Dankeschön für die knapp 4 Milliarden jährlichen Direktsubventionen an die Privatversicherungsindustrie pro Jahr ein Vortragssalär von 200 tsd. bis 250 tsd. Euro; der Regierungssprecher Bela Anders ist direkt bei einer Lebensversicherung eingestiegen und selbst die „Träne vom Dienst“, Rudolf Scharping, spielt den Finanzberater für eine amerikanische Heuschrecke und macht auf „Public Private Partnership“.

Diese kleine Aufzählung ist natürlich völlig unvollständig. Elf Jahre neoliberale Reformpolitik gegen den Willen der Bevölkerung haben neben diesen persönlichen Dingen fatale politische Konsequenzen gehabt: 12 Landtagswahlen hat die SPD katastrophal verloren, 2 Bundestagswahlen hat sie in den Sand gesetzt, 400 000 Mitglieder sind ausgetreten und tausende von Mandaten in den Gebietskörperschaften sind preisgegeben worden. Das ist aber nur der politische Preis für 11 Jahre systematische Zerstörungsarbeit am Sozialstaat. Der soziale Preis ist ein Abdriften und Resignieren von Millionen Menschen, die mit dieser politischen „Klasse“ nichts mehr zu tun haben wollen und erst gar nicht mehr zu Wahl gehen. Warum wollen die Leute einfach nicht verstehen, dass eine Rentenkürzung besser ist als eine Rentenerhöhung?

Jetzt, nach dem 23 % Desaster, ist die SPD endlich da, wo die Kapitalseite sie haben wollte: In der Bedeutungslosigkeit und sie benimmt sich – wie es bei dieser gerade bei Niederlagen immer so unendlich traurigen Partei vorauszusehen war - zögerlich und inkonsequent. Da wird der „Netzwerker“ Gabriel, unser Fats Domino aus Hannover („Gestern wusste ich noch nicht wie man Umweltminister schreibt, heute bin ich einen“), ein opportunistischer Berufspolitiker par excellence neuer Parteivorsitzender und der Agenda - Architekt Steinmeier Oppositionsführer. Da kann’s ja nur noch aufwärts gehen.

Der Autor ist Sozialwissenschaftler, 64 Jahre alt, kommt aus einem Bergarbeiterhaushalt, war über zwei Jahrzehnte SPD Mitglied und bis zu seiner Verrentung Sozialstatistiker in einer Stadtverwaltung.

5 Kommentare:

  1. vom zentrum kommend, erwartete man von mir, in den 50iger jahren, den übertritt zur spd, die cdu
    war der todfeind des nachkriegs-zentrums, aber ich habe bereits damals die spd so eingeschätzt, wie du sie erlebtest, und anschaulich die handelnden figuren im sinne des kapitals gezeichnet hast. ich bin ein gärtner aus dem münsterland, unabhängiger katholik, als glockenstadtbote habe habe ich mich seit einigen wochen in den wahlkampf eingemischt. leider zu spät, wie viele linke zwar die gefahr von schwarz-gelb-braun richtig einschätzend, aber , vage hofften, der kelch möge an uns vorübergehen, den kampf zu unkonzentriert und zu uneinig und zu schwach führten. wir wussten,
    dass es nur D I E L I N K E als alternative gab. jetzt gilt es aus
    den fehlern zu lernen, und eine starke phalanx im parlament und mit ausserparlamentarischer opposition zu bilden, die starke kampagnen-bündnisse entwickelt.
    die huren des kapitals in den medien müssen konsquent enttarnt und bekämpft werden. gegen beleidigende äusserungen, wie populismus u. ä. müssen wir sofort vorgehen. die begonnenen kampagnen gegen die atomkraft und für ein bedingungsloses grundeinkommen für
    ein menschenwürdiges leben , ab sofort tatkräftig unterstützen. unbeirrt den kampf für den frieden fortsetzen. die vorkämpfer wie,
    lafontaine und gysi dürfen wir nicht allein lassen.
    also unbeirrt weiterarbeiten.

    der glockenstadtbote

    alfred lanfer

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  2. Ich würde der Analyse in weiten Teilen folgen, sehe es aber schon so, dass zumindest bis 2003 die Parteilinke noch einen gewissen Einfluss hatte (auch wenn der seit dem Wechsel im Finanzministerium 1999 stark zurückgedrängt wurde).
    Das in keinster Weise demokratische oder auch nur diskutierte Durchpeitschen der Agenda 2010 und eine fast beispiellose Medienkampagne zu deren Unterstützung und zur Diskreditierung ihrer Gegner stellen für mich schon einen entscheidenden Wendepunkt dar.

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  3. sehr treffende analyse. ich hoffe, das ihr kritischen blogger nicht aufgebt. die spd braucht jetzt hilfe, sich von den metastasen der marktradikalen idiologie zu befreien. der oeffinger gehoert seit laengerem zu meiner taeglichen pflichtlektuere und zu einer der wichtigen anlaufstellen der sogenannten gegenoeffendlichkeit. weiter so! *thumbsup*

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  4. Sehr treffend analysiert. Es ist bezeichnend, dass aus 11 Jahren SPD-Regierung deutlich unsozialere und bürgerrechtseinschränkendere Politik resultierte als aus 16 Jahren SPD-Opposition. Korruption, Lobbyismus, fehlendes Rückgrad der Parteimitglieder und vor allem Meinungsmache in der Presse machten es möglich.

    An eine Regeneration bis 2013 ist nicht zu glauben. Der ganze Parteikopf müsste ausgetauscht werden, aber die konservative Presse mischt sich da bereits ein und geißelt die "Parteilinken" als undankbare Verräter und Intriganten.

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  5. Ein Linksrutsch der SPD kann schon deswegen nicht stattfinden, weil es in der SPD keine Linken gibt (zumindest nicht auf höherer Ebene der Parteistrukturen).
    Nahles, die immer gerne genannt wird, hat gerade mit dem Vize-Parteivorsitzenden von Labour ein Paper gemacht, das den Tenor hat "zurück zur sozialen Marktwirtschaft Ludwig Erhards". Das soll LINKS sein? Wowi, der Sarrazin zum Wirtschaftssenator in Berlin machte? Der soll LINKS sein?
    Scholz? Der Mann, der die "Reformpolitik" stets veteidigt hat, soll LINKS sein? Gabriel, bei den Seeheimern und den Netzwerkern tätig. Soll Links sein?
    .

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