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Bereits im Vorfeld berichtete man ausführlich über die Titanic. Einige Tage nach Fertigstellung des Ozeanriesen hieß es in der BILD: "Wir Europäer haben der Welt eine technische Meisterleistung geschenkt. Heute können wir nicht mehr behaupten, dass es die Engländer alleine waren, die dieses Schiff erbaut haben. Es waren alle Europäer, vereint im Fortschritt. Die Völker der Erde ziehen vor uns den Hut!" Und: "Jetzt kann man auf dem Ozean so bequem reisen, wie in einer Eisenbahn. Der Große See ist uns nun Untertan! Wir Menschen sind Ozean!" Am Tag der Jungfernfahrt brachte BILD zwei Doppelseiten zum - Orginalzitat - "einmaligen Weltereignis". Wie recht die BILD mit dieser Einmaligkeit hatte, wußte sie, obwohl sie sonst immer alles weiß, leider noch nicht. Schon Wochen vor dem Großereignis wurde über den enthemmten Luxus an Bord geschwärmt: "Werden Guggenheim und Astor das bordeigene Freudenhaus besuchen?" BILD-Fräuleins in knapper Bekleidung lächelten von der Vorderseite und wußten wochenlang nur zu sagen: "Ich fahre mit und angel' mir einen Million
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Schon einen Tag nach Antritt der Jungfernfahrt, am 11. April 1912 also, trieb die BILD-Zeitung die Titanic - und namentlich Kapitän Smith - an, das Blaue Band für die schnellste Überquerung des Atlantiks zu gewinnen. Im überschwänglichen Artikel heißt es: "Schneller Titanic! Schneller! Wir wären enttäuscht, wenn so ein Luxusschiff nicht mindestens auch noch eine solche Kleinigkeit wie das Blaue Band gewinnt." Dabei wird der Direktor der White Star Line, Bruce Ismay, zitiert: "Ja, wir wollen das Band!" BILD erhob diesen Herrn darauf zum Sieger des Tages: "Soviel Wagemut gefällt uns!"
Ein gewisser Chefkolumnist Freiherr von Wagner romantisierte: "Wenn die Titanic eine Frau wäre, würde sie Erotik ausstrahlen, vor der ich nicht haltmachen könnte. Du, Titanic, wirst auch in hundert Jahren noch die erotischste Dame der Weltmeere sein." Ein anderer Kolumnist, Freiherr Müller von Vogg sah alles etwas politischer und meinte, dass man so eine technische Höchstleistung nur in einem Land entwickeln könne, welches so wie Großbritannien seine Gewerkschaften und sozialistischen Parteien kleinhält. "Der bitterböse Kommunismus im Deutschen Reich läßt Titanicen aller Art und Größen gar nicht zu!" Aber dennoch sei die Titanic eine "europäische Wunderbarkeit" und die Engländer müßten das einsehen, dürften diesen Erfolg gar nicht für sich alleine beanspruchen. "Wir sind doch völkisch verwandt!"
Am 16. April 1912, mit einem Tag Verspätung, berichtete die BILD dann vom großen Unglück. Irrtümlich dachte man, alle Passagiere seien ums Leben gekommen. Der Bericht erzählt minutiös: "Ein dumpfer Schlag! Allen ist schlagartig klar, dies muß ein Eisberg gewesen sein! Panik bricht aus! Das Pack in d
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Wiederum einen Tag später wußte die BILD einen Schuldigen zu benennen, wenngleich man noch "vorsichtig" danach fragte. Der Direktor der White Star Line, Bruce Ismay, soll Kapitän Smith gedrängt haben, noch schneller den Atlantik zu überqueren. Das Blaue Band wäre die Krönung der Titanic-Erfolgsgeschichte. BILD meint: "Verantwortungslos!" Zudem wurde der Leserschaft mitgeteilt, dass Ismay ein engstirniger, arroganter und selbstsüchtiger Geschäftsmann ist. "Ein typisch englischer Snob!" Chefkolumnist von Wagner ließ es sich nicht nehmen, über Ismay zu schreiben: "Lieber Bruce Ismay, Sie sahen wie der sichere Sieger aus, wollten schnell sein, obwohl die Öffentlichkeit davon abriet. [...] Sie widern mich an! Das Teuflische an Ihnen ist, dass Sie so unscheinbar aussehen. Wä
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Ein weiterer Artikel befaßte sich derweilen mit dem englischen Debakel: "Es war niemals ein europäischer Geist, der dieses größenwahnsinnige Projekt beflügelt hat. Wieder einmal typisch britisch, so voller Dekadenz die Ozeane überqueren zu wollen. Zu den aufgedunsenen Gesichtern und der geschmacklosen Kleidung, kommt nun auch noch technische Unfähigkeit und Größenwahn dazu! Das ist typisch britisch. Germany is not amused!" Außerdem erklärte BILD, wie es zu dem tragischen Unglück hat kommen können. "Obwohl die Titanic unsinkbar war, geschah das eigentlich Unmögliche! Experten erklären warum! [...] BILD-Experte Mxxxx (Anmerkung: Name unleserlich): Ganz klar, das Schiff ging unter wie ein Stein. Jene Experten, die vom Auseinanderbrechen des Rumpfes sprechen, haben von Statik keinerlei Wissen." Und weil es schnell wie ein Stein sank: "Rettungsboote hätten auch da nicht genutzt! Es sind nur wieder ganz linke Stimmen, die den Menschen Rettung versprechen wollen, die ja eigentlich geradezu unmöglich war bei dieser Sinkgeschwindigkeit." Auf die Aussage eines deutschen Sozialdemokraten, der kundtat, dass das Titanic-Unglück zeige, wie blind der Fortschrittsglaube mache, urteilt die BILD: "Vaterlandslos waren sie ja schon immer! Und nun auch noch zynisch! Ein Fall für den Staatsanwalt! Hinter Gittern mit solchen Gesellen! Wer stoppt den roten Rxxxx (Anmerkung: Name unleserlich)?"
Nach und nach verging das Interesse am Thema Titanic. Und einige Monate später wurde Ismay rehabilitiert und von der BILD zu "Englands besten Unternehmensdirektor" gekürt. Nun könnte der Leser dieser Zeilen behaupten, dass dies alles schlecht erfunden sei. Erfunden ist so ein Szenario in Anbetracht der BILD-Zeitung aber nie. Wir aber fragen uns: Was hat die Berichterstattung zum Titanic-Unglück seinerzeit den Ertrinkenden und Erfrierenden gebracht? Oder sollte ich fragen, was es gebracht hätte?
Ein Gastbeitrag von Roberto J. De Lapuente.
Genial!
AntwortenLöschenSchade ist nur dass die ganze Sache so realistisch ist und dennoch viele Menschen BLIND^W BILD kaufen.
Aber sich seine Meinung "bilden" lassen war schon immer einfach als selber zu denken.
Dem kann ich mich nur anschließen.
AntwortenLöschen@Senior DeLapuente: GENIAL geschrieben. Hut ab!
sehr schöne sache und super geschrieben!
AntwortenLöschen--mh, für die zeitungstitelseiten:
strichcodes und euro gab es (zumindest in dieser zeitlinie) 1912 noch nicht. glaub ich.
Da kann ich nur sagen: Hut ab!
AntwortenLöschenFrag mich nur, wie die Kollegen von BILD nach der Lektüre titeln würden...
Wahrscheinlich: UNGLAUBLICH! BILD war bereits 1912 größte Zeitung Europas! Fotos im Internet aufgetaucht!
Oder so...
Liest Franz-Josef Wagner BILDblog? Oder gar ad sinistram? Durfte ich den großen alten Mann des schmalzigen Schmierens hier begrüßen?
AntwortenLöschenWarum? - Weil Wagner heute schreibt, was er gestern der DFB-Mannschaft in der Halbzeit gesagt hätte: "Spielst Du oder Dein Double? Ballack, Ballack, wo bist Du? Wo ist mein Capitano? Wir fahren gegen einen Eisberg. Himmel Herrgott, die Titanic sinkt."
Titanic also. Soso! Man darf befürchten, dass der alte Mann wieder einmal nicht weiß, was er eigentlich sagen will. Wenn die DFB-Elf als Titanic bezeichnet wird, dann ist der Untergang sowieso unausweichlich. Warum also dann aufregen? Nobel geht die Elf zugrunde...