Samstag, 7. Juni 2008

BILD informiert!

Seit geraumer Zeit wirbt die BILD-Zeitung damit, leider erst seit 1952 berichten zu dürfen. Gewagt könnte man das nebenstehende Plakat derart interpretieren, dass deshalb der Untergang der Titanic nicht verhindert werden konnte. Doch - ich traue es mich fast nicht zu sagen - die BILD hat 1912 doch davon berichtet! Diesbezüglich liegen mir Unterlagen vor. Wie diese Unmöglichkeit sein kann, weiß ich nicht in vollster Gewißheit zu beantworten. Wohl aber wie mir die Dokumente, d.h. die BILD-Ausgaben jenes Jahres, zugespielt worden sind. So begab es sich, dass ein stark verwirrter Mann sie mir übergab, dabei von Zeitreisen und Axel Springer und allerlei anderen Seltsamkeiten sprach, die gemeinhin keinerlei Zusammenhang zu haben scheinen. Meine Erklärung muß daher spekulativ bleiben. Womöglich handelte es sich um einen zeitreisenden Wissenschaftler des 24. Jahrhunderts, der Axel Springer seiner Zeit entrissen hat, um ihn einige Jahre vorher wieder auszulassen. Somit gründete Springer seine GmbH nicht erst 1946, sondern irgendwann vor 1912. Vielleicht sind die mir zugespielten Dokumente lediglich Relikte aus einer anderen, uns vollkommen unbekannten Zeitlinie, deren Echtheit wir in unserer Linie nie beweisen können. Doch wir wollen uns nicht mit dem Wie und Woher aufhalten, sondern kurz dokumentieren, wie die BILD seinerzeit vom 14. April 1912 - der Tag des Untergangs - berichtete, wie sie die Leserschaft informierte. Aber bevor ich beginne, sollten wir in uns gehen und aufrichtig gegenüber uns selbst sein und zur Sprache bringen, was sich uns im Innersten aufdrängt: Wir haben nie wahrhaft geglaubt, dass es eine Zeit vor BILD gab!

Bereits im Vorfeld berichtete man ausführlich über die Titanic. Einige Tage nach Fertigstellung des Ozeanriesen hieß es in der BILD: "Wir Europäer haben der Welt eine technische Meisterleistung geschenkt. Heute können wir nicht mehr behaupten, dass es die Engländer alleine waren, die dieses Schiff erbaut haben. Es waren alle Europäer, vereint im Fortschritt. Die Völker der Erde ziehen vor uns den Hut!" Und: "Jetzt kann man auf dem Ozean so bequem reisen, wie in einer Eisenbahn. Der Große See ist uns nun Untertan! Wir Menschen sind Ozean!" Am Tag der Jungfernfahrt brachte BILD zwei Doppelseiten zum - Orginalzitat - "einmaligen Weltereignis". Wie recht die BILD mit dieser Einmaligkeit hatte, wußte sie, obwohl sie sonst immer alles weiß, leider noch nicht. Schon Wochen vor dem Großereignis wurde über den enthemmten Luxus an Bord geschwärmt: "Werden Guggenheim und Astor das bordeigene Freudenhaus besuchen?" BILD-Fräuleins in knapper Bekleidung lächelten von der Vorderseite und wußten wochenlang nur zu sagen: "Ich fahre mit und angel' mir einen Millionär!"
Schon einen Tag nach Antritt der Jungfernfahrt, am 11. April 1912 also, trieb die BILD-Zeitung die Titanic - und namentlich Kapitän Smith - an, das Blaue Band für die schnellste Überquerung des Atlantiks zu gewinnen. Im überschwänglichen Artikel heißt es: "Schneller Titanic! Schneller! Wir wären enttäuscht, wenn so ein Luxusschiff nicht mindestens auch noch eine solche Kleinigkeit wie das Blaue Band gewinnt." Dabei wird der Direktor der White Star Line, Bruce Ismay, zitiert: "Ja, wir wollen das Band!" BILD erhob diesen Herrn darauf zum Sieger des Tages: "Soviel Wagemut gefällt uns!"
Ein gewisser Chefkolumnist Freiherr von Wagner romantisierte: "Wenn die Titanic eine Frau wäre, würde sie Erotik ausstrahlen, vor der ich nicht haltmachen könnte. Du, Titanic, wirst auch in hundert Jahren noch die erotischste Dame der Weltmeere sein." Ein anderer Kolumnist, Freiherr Müller von Vogg sah alles etwas politischer und meinte, dass man so eine technische Höchstleistung nur in einem Land entwickeln könne, welches so wie Großbritannien seine Gewerkschaften und sozialistischen Parteien kleinhält. "Der bitterböse Kommunismus im Deutschen Reich läßt Titanicen aller Art und Größen gar nicht zu!" Aber dennoch sei die Titanic eine "europäische Wunderbarkeit" und die Engländer müßten das einsehen, dürften diesen Erfolg gar nicht für sich alleine beanspruchen. "Wir sind doch völkisch verwandt!"

Am 16. April 1912, mit einem Tag Verspätung, berichtete die BILD dann vom großen Unglück. Irrtümlich dachte man, alle Passagiere seien ums Leben gekommen. Der Bericht erzählt minutiös: "Ein dumpfer Schlag! Allen ist schlagartig klar, dies muß ein Eisberg gewesen sein! Panik bricht aus! Das Pack in den unteren Abteilen will sich auf Kosten der Leistungsträger ins Obergeschoß retten. Tumult bricht aus. Schüße! Blut! Innerhalb von zehn Minuten ist der Spuk vorbei. Die Titanic liegt auf dem Grund des Ozeans. Wir alle sind fassungslos." Namhafte Reichstagsabgeordnete erklären in BILD, dass man nun uneingeschränkt Mitleid mit den Engländern haben müsse. Überhaupt: Schon einen Tag später fragt die BILD, ob dieses Unglück geschehen wäre, wenn das Schiff ein deutsches Produkt gewesen wäre. "Made in Germany haben die Briten als Warnplakette erfunden, um unsere deutsche Ware als billigen Ramsch zu kennzeichnen. Vor einigen Tagen wären sie froh gewesen, wenn sie unter dem Schlagwort Made in Germany hätten reisen dürfen!", urteilte Müller von Vogg. Gleichzeitig aber ein Lichtblick. Der Aufmacher am 17. April 1912 lautet: "Ein Wunder! Es gibt Überlebende! Tragödie mit Herz!" BILD-Kommentator Nicolaus von Fest erklärt, dass man die "Eisberg-Story" nicht für bare Münze nehmen sollte. "Man muß davon ausgehen, dass die Sozialisten der Erde eine ganz große Sauerei vertuschen! Der BILD liegen Fakten vor, wonach das Schiff sank, weil Sozialisten an Bord das Steuer übernommen haben." Man müsse nun einsehen, so fuhr er fort, dass wer kein Schiff steuern kann, erst recht kein Staatsschiff zu lenken weiß. "Die Titanic-Tragödie zeigt, dass die Jünger Marxens wahre Verbrecher sind!"

Wiederum einen Tag später wußte die BILD einen Schuldigen zu benennen, wenngleich man noch "vorsichtig" danach fragte. Der Direktor der White Star Line, Bruce Ismay, soll Kapitän Smith gedrängt haben, noch schneller den Atlantik zu überqueren. Das Blaue Band wäre die Krönung der Titanic-Erfolgsgeschichte. BILD meint: "Verantwortungslos!" Zudem wurde der Leserschaft mitgeteilt, dass Ismay ein engstirniger, arroganter und selbstsüchtiger Geschäftsmann ist. "Ein typisch englischer Snob!" Chefkolumnist von Wagner ließ es sich nicht nehmen, über Ismay zu schreiben: "Lieber Bruce Ismay, Sie sahen wie der sichere Sieger aus, wollten schnell sein, obwohl die Öffentlichkeit davon abriet. [...] Sie widern mich an! Das Teuflische an Ihnen ist, dass Sie so unscheinbar aussehen. Wären Sie eine Frau, ich würde auf Sie hereinfallen, aber dann eines Tages bemerken, dass ich neben einer Teufelin erwache." Fazit der BILD: Verlierer des Tages, weil "die unbändige Geltungssucht den Verstand ausgeschaltet hat!"
Ein weiterer Artikel befaßte sich derweilen mit dem englischen Debakel: "Es war niemals ein europäischer Geist, der dieses größenwahnsinnige Projekt beflügelt hat. Wieder einmal typisch britisch, so voller Dekadenz die Ozeane überqueren zu wollen. Zu den aufgedunsenen Gesichtern und der geschmacklosen Kleidung, kommt nun auch noch technische Unfähigkeit und Größenwahn dazu! Das ist typisch britisch. Germany is not amused!" Außerdem erklärte BILD, wie es zu dem tragischen Unglück hat kommen können. "Obwohl die Titanic unsinkbar war, geschah das eigentlich Unmögliche! Experten erklären warum! [...] BILD-Experte Mxxxx (Anmerkung: Name unleserlich): Ganz klar, das Schiff ging unter wie ein Stein. Jene Experten, die vom Auseinanderbrechen des Rumpfes sprechen, haben von Statik keinerlei Wissen." Und weil es schnell wie ein Stein sank: "Rettungsboote hätten auch da nicht genutzt! Es sind nur wieder ganz linke Stimmen, die den Menschen Rettung versprechen wollen, die ja eigentlich geradezu unmöglich war bei dieser Sinkgeschwindigkeit." Auf die Aussage eines deutschen Sozialdemokraten, der kundtat, dass das Titanic-Unglück zeige, wie blind der Fortschrittsglaube mache, urteilt die BILD: "Vaterlandslos waren sie ja schon immer! Und nun auch noch zynisch! Ein Fall für den Staatsanwalt! Hinter Gittern mit solchen Gesellen! Wer stoppt den roten Rxxxx (Anmerkung: Name unleserlich)?"

Nach und nach verging das Interesse am Thema Titanic. Und einige Monate später wurde Ismay rehabilitiert und von der BILD zu "Englands besten Unternehmensdirektor" gekürt. Nun könnte der Leser dieser Zeilen behaupten, dass dies alles schlecht erfunden sei. Erfunden ist so ein Szenario in Anbetracht der BILD-Zeitung aber nie. Wir aber fragen uns: Was hat die Berichterstattung zum Titanic-Unglück seinerzeit den Ertrinkenden und Erfrierenden gebracht? Oder sollte ich fragen, was es gebracht hätte?

Ein Gastbeitrag von Roberto J. De Lapuente.

5 Kommentare:

  1. Genial!
    Schade ist nur dass die ganze Sache so realistisch ist und dennoch viele Menschen BLIND^W BILD kaufen.

    Aber sich seine Meinung "bilden" lassen war schon immer einfach als selber zu denken.

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  2. Dem kann ich mich nur anschließen.
    @Senior DeLapuente: GENIAL geschrieben. Hut ab!

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  3. sehr schöne sache und super geschrieben!
    --mh, für die zeitungstitelseiten:
    strichcodes und euro gab es (zumindest in dieser zeitlinie) 1912 noch nicht. glaub ich.

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  4. Da kann ich nur sagen: Hut ab!
    Frag mich nur, wie die Kollegen von BILD nach der Lektüre titeln würden...
    Wahrscheinlich: UNGLAUBLICH! BILD war bereits 1912 größte Zeitung Europas! Fotos im Internet aufgetaucht!

    Oder so...

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  5. Liest Franz-Josef Wagner BILDblog? Oder gar ad sinistram? Durfte ich den großen alten Mann des schmalzigen Schmierens hier begrüßen?

    Warum? - Weil Wagner heute schreibt, was er gestern der DFB-Mannschaft in der Halbzeit gesagt hätte: "Spielst Du oder Dein Double? Ballack, Ballack, wo bist Du? Wo ist mein Capitano? Wir fahren gegen einen Eisberg. Himmel Herrgott, die Titanic sinkt."

    Titanic also. Soso! Man darf befürchten, dass der alte Mann wieder einmal nicht weiß, was er eigentlich sagen will. Wenn die DFB-Elf als Titanic bezeichnet wird, dann ist der Untergang sowieso unausweichlich. Warum also dann aufregen? Nobel geht die Elf zugrunde...

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