Samstag, 26. Juni 2010

Elitenförderung statt Bildungsrepublik


Freitag letzter Woche hat der Bundestag einige Änderungen am Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) und die Einführung eines neuen Stipendienmodells beschlossen. Nicht nur bei der Opposition, auch bei den meisten bildungspolitischen Akteuren stoßen diese Maßnahmen jedoch mindestens auf starke Skepsis, bis hin zu klarer Ablehnung – und dies selbst bei bspw. Stipendiantenguppen. Das deutsche Bildungssystem braucht in Wahrheit ganz andere Veränderungen als die von Union und FDP beschlossenen.

BAföG-Erhöhung: nicht einmal die Inflation ausgeglichen

Ab 1. Oktober sollen die BAföG-Sätze um 2%, die Elternfreibeträge um 3% steigen. Außerdem erfolgen eine Verschiebung der Altershöchstgrenze von 30 auf 35 Jahre und ein paar andere Änderungen (die durchaus zu begrüßen sind). Laut Bildungsministerin Schavan sollen so zukünftig 50.000 bis 60.000 mehr Studierende BAföG erhalten. Der Höchstsatz steigt auf 670 Euro (einschließlich Krankenversicherungszuschuss). Dies wird insgesamt im Durchschnitt 13 Euro im Monat mehr pro BAföG-Empfänger bedeuten.
Nun ist es immer recht populär, Sätze wie “solche Beträge bewirken ja gar nichts!” zu gebrauchen. Gerne wird dies natürlich von denen getan, denen 13 Euro pro Monat in der Tat egal sein können – kommt man aber gerade so über die Runden, sind 13 Euro mehr im Monat nun einmal 13 Euro mehr. Und natürlich bedeutet der Gesamtbetrag durchaus einen Fortschritt, wie klein er auch sein mag, und insgesamt sind auch positive wirtschaftliche Aspekte wie die Steigerung der Binnennachfrage (da der Großteil direkt wieder in den Konsum gehen wird) zu erwarten.
Alles gut also? Durchaus nicht. Die BAföG-Erhöhungen erfolgten bisher in einem so niedrigen Bereich, dass die deutschen Studenten in den letzten Jahren in Wahrheit immer weniger Kaufkraft besaßen (vgl. auch den BAföG-Bericht der Bundesregierung, z.B. S. 44) – und diesmal ist es nicht anders, denn man muss die Erhöhung natürlich im Rahmen der Inflation sehen. Tut man dies, merkt man schnell, dass sich die angebliche Erhöhung als Täuschung entpuppt. Schon bei der letzten, längst überfälligen Steigerung des BAföGs 2008 (davor 2001!) wurde noch nicht einmal die Inflation ausgeglichen – und es hatte durch die “kalte Progression” auch noch ein zunehmender Anteil von Studierenden den BAföG-Anspruch verloren (siehe DIW). Auch die jetzt geplante Erhöhung kann nicht einmal mit der Inflationsrate mithalten. Real gab es also sogar eine Senkung der BAföG-Beträge – nur jetzt wieder etwas weniger stark.
Die GEW hält eine Erhöhung der Bedarfssätze und Freibeträge um zehn Prozent für notwendig, um gestiegene Lebenshaltungskosten auszugleichen und den Anteil der BAföG-Empfänger zu steigern. Dass die tatsächliche Erhöhung aber deutlich niedriger ausfällt, kann nur bedeuten, dass die Bundesregierung dieses Ziel nicht teilt.
Dies zeigt wieder einmal, dass eine Kopplung des BAföGs an die Preissteigerung (Verbraucherpreise) unbedingt notwendig wäre. Zudem verharren die Bildungsausgaben insgesamt immer noch auf einem international sehr niedrigen Niveau. Zu recht mahnt etwa die OECD immer wieder an, dass Deutschland seine Mittel für diesen Bereich dringend drastisch erhöhen müsse, allein schon, um den Anteil der Abiturienten und Studenten auf das durchschnittliche Niveau der Industriestaaten zu heben.

Stipendien für Reiche statt Bildung für alle?

Außerdem wurde letzten Freitag die Einführung eines nationalen Stipendiensystems beschlossen. Bis zu 160.000 der “leistungsstärksten Studenten” sollen dabei gefördert werden. So will die Bundesregierung eine Erhöhung der Zahl der Studierenden mit Stipendien um 8% (von 2% auf 10%) erreichen. Besonders diese Maßnahme ist heftig umstritten.
So sollen die Stipendien einkommensunabängig vergeben werden – auch Kinder von Millionären oder Milliardären werden also künftig von der Gesellschaft 300 Euro monatlich erhalten. Nicht umsonst stehen solche Programme bei Bildungswissenschaftlern in keinem guten Ruf. Sie schaffen die soziale Selektivität des deutschen Hochschulsystems nicht ab, nein, sie verstärken sie sogar eher. Das Geld der Steuerzahler wird wenig sinnvoll verwendet und kommt nicht dort an, wo es den meisten Nutzen stiften könnte.
Eine derartige “Elitenförderung” ist außerdem nicht das, was Deutschland bräuchte – breite Bildungschancen für alle, eine deutlich höhere Akademikerquote sind vielmehr notwendig. In keinem anderen OECD-Land hängt der Bildungserfolg derart stark vom sozialen Hintergrund des Elternhauses ab. Das sozial äußerst selektive deutsche Schulysystem führt dazu, dass kaum Kinder aus Arbeiterfamilien die Universität besuchen. Wer erfolgreich aus diesem Schulsystem hervorgeht und damit für ein Stipendium in Frage kommt, stammt meist aus gesellschaftlichen Schichten, die keine weitere finanzielle Förderung mehr benötigen.
Wir brauchen nicht mehr Elite-Studenten und nicht größere Unterschiede der Qualifikationen, wir brauchen mehr Studierende, und dabei vor allem mehr aus sozial weniger privilegierten Schichten. Diese müssen viel stärker als bisher gefördert werden, will Deutschland nicht endgültig im Bildungsbereich zur Zwei-Klassen-Gesellschaft werden. Selbst Bundesbildungsministerin Schavan gesteht zu, dass der Anteil von Studenten aus einkommensschwachen Familien zu gering sei. Mit diesem Stipendiensystem wird das jedoch kaum verändert werden. Die herrschenden gesellschaftlichen Schichten, die sich gerne als Elite betrachten, bleiben unter sich und nehmen die 300 Euro mehr pro Monat auch gerne noch an – benötigt würde das Geld an ganz anderen Stellen.
Selbst bei Stipendianten-Gruppen stößt dieses Modell auf massive Kritik und führte gar zu Demonstrationen vor dem Bundestag. Das Geld wäre besser für eine weitere BAföG-Erhöhung verwendet worden, hieß es von dieser Seite, da es dort auch bei den Studenten, die es wirklich bräuchten, ankäme.

Bildung: staatliche Aufgabe oder durch der Privatunternehmen Gnaden?

Die Stipendien sollen zudem zwar von den Hochschulen vergeben, aber zu gleichen Teilen mit öffentlichen und privaten Mitteln finanziert werden. Die Hauptlast der Ausgaben werden aber freilich die Universitäten tragen, wenn man die Verwaltungsausgaben mit einbezieht. Zudem wird befürchtet, dass so gerade kleinere und mittelgroße Universitäten Nachteile haben werden, die sich kaum extra Personal leisten können.
Das Hauptproblem ist aber, dass dadurch die Privatwirtschaft noch mehr Einfluss auf die Universitäten, auch auf Lehrpersonal und -inhalte, haben wird, als sie jetzt schon besitzt. Die Verwertungsaspekte werden noch mehr in den Vordergrund rücken, Bildung wird noch mehr zur Ware werden. Vor allem werden natürlich solche Fächer gefördert werden, die unmittelbar den Gewinninteressen privater Konzerne zu Gute kommen. Die Universitäten werden sich weiter der Privatwirtschaft anbiedern, der Erwerb kritischen Wissens wird erschwert werden und soziale Fragen werden in den Hintergrund gedrängt. Man wird überall darauf bedacht sein, nicht allzu kritisch mit den milden Gönnern umzugehen – und vor allem die Dominanz des Kapitals und die herrschende Gesellschaft nicht in Frage zu stellen. Man beißt schließlich nicht die Hand, die einen füttert.
Dem von einem Privatunternehmen geförderten Studierenden wird die Antwort auf die Frage nicht schwer fallen, ob er eine unabhängige Wissenschaft oder das Geschäft seines Mäzen betreibt. Das Humboldtsche Bildungsideal erscheint ihm so nur noch als bemitleidenswerte Anekdote aus früheren Tagen. Schon die Umstellung auf Bachelor/Master war ein Ausdruck der gesellschaftlichen Dominanz neoliberaler und neokonservativer Gruppen. Mit dieser Maßnahme will die Bundesregierung der Freiheit von Forschung und Lehre nun offenbar den Todesstoß versetzen.

Verantwortungsloser Bundesrat – Sparen an der falschen Stelle

Im Bundesrat stehen die beschlossenen Gesetze derweil unter starkem Finanzierungsvorbehalt und sind daher heftig umstritten. Man befürchtet, allein für die BAföG-Erhöhung 530 Millionen Euro zahlen zu müssen. Der Finanzausschusses des Bundesrats hat nun beschlossen, den Vermittlungsausschuss anzurufen.
Hier zeigen sich die Defizite des fatalen deutschen Bildungsföderalismus. Die Bildungsausgaben werden hier zum Spielball des Geschachers von karriereversessenen Machtpolitikern. Vor allem die Unions-Ministerpräsidenten, allen voran Koch, wollen den von weltweit führenden Ökonomen scharf kritisierten Sparkurs Deutschlands selbst noch auf dem Gebiet fahren, wo er am meisten Schaden anrichten kann – bei der Bildung. Ein solches Verhalten ist selten verantwortungslos.
Der Vorschlag, vorerst die Stipendien-Programme auf Eis zu legen (diese sind wohl auch der – durchaus nachzuvollziehende – Grund, weshalb sich auch bei der SPD eine Ablehnung abzeichnet), wäre dabei durchaus eher zu verschmerzen. Die Kopplung beider Maßnahmen durch die Bundesregierung mag zwar taktisch geschickt sein, doch wäre es auch kein gutes Zeichen, auf eine BAföG-Erhöhung verzichten zu müssen, weil sie auf ihren Elitenförderungswünschen beharrt. Zudem wird die Union unter ihrer Anhängerschaft durch diese wohl auch wenig an Zustimmung erwarten können – nicht mehr Geld für Bildung bereit stellen zu wollen, kommt jedoch in allen Lagern wenig an.

Die Bildungspolitik von Schwarz-Gelb: Ein paar Nebelkerzen und viel Dogmatismus

Die beschlossenen Maßnahmen lassen das Gerede der Bundeskanzlerin von der Bildungsrepublik wieder einmal als bloße Show und billiges Blendwerk erscheinen, mit dem man sich ein paar nette Schlagzeilen in der Haus- und Hofpresse verschaffen kann, ohne viel dafür tun zu müssen. Das Thema ist sowieso schnell aus der Aufmerksamkeitsspanne der Medien verschwunden, und selbst eine BAföG-Erhöhung unterhalb der Inflationsrate wird von den Jubelpersern der Bundesregierung als Erfolg dieser verkauft.
Am Ende bleiben nur Phrasen wie “Bildung ist unsere Zukunft” oder “Wir haben doch nichts außer der Bildung” – und sie verhallen schnell in überfüllten Hörsälen und zerbröckelnden Klassenzimmern. Studierenden, die nicht in ein Seminar kommen und deshalb die erbarmungslosen Vorgaben ihres Bachelor-Studienganges nicht einhalten können, werden die 300 Euro für eine kleine Gruppe Privilegierter im Jura- oder BWLer-Trakt nicht viel nutzen.
Wie schon in Folge des Bildungsstreiks und nach den sogenannten Bildungsgipfeln versucht die schwarz-gelbe Bundesregierung, ein paar Beruhigungspillen (wie jetzt die BAföG-Erhöhung) zu verteilen, anstatt die wirklichen Defizite im deutschen Bildungssystem anzugehen. Und sie lenkt davon ab, dass in der deutschen Schulpolitik wie in der Hochschulpolitik auf eine elitäre, unsolidarische und schädliche Politik gesetzt wird, die auf eine Ausgrenzung der Masse der Gesellschaft von Bildungschancen setzt und die sozialen Unterschiede verschärft, statt Bildung als ein öffentliches Gut, das für alle gleichermaßen zugänglich sein muss, zu etablieren. Die jetzigen Maßnahmen zu den Stipendiensystemen zeigen so wieder einmal, wie sehr in der Bundesregierung eine dominierende neoliberale Ideologie sachgerechte Lösungen unmöglich macht.
[mw]

Bilder:

Flickr (Björn Rohles) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de
Flickr (Björn Kietzmann) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/deed.de
Flickr (chris 9773) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.0/deed.de
Flickr (Merkelizer) / http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/deed.de

Update:

Am Freitag Nachmittag haben zwei Ausschüsse des Bundesrates gegen das Stipendien-Programm gestimmt. Der Bundesrat insgesamt muss aber noch abstimmen. Und dann steht noch der Vermittlungsausschuss offen. Vor diesen kommt eventuell auch die BAföG-Erhöhung.

6 Kommentare:

  1. Daran merkt man aber, dass in Deutschland die Politik nur noch aus der betriebswirtschaftlichen Sicht gesehen wird und man deshalb keinen Wert auf Nachhaltigkeit legt - die kommt ja schliesslich in der BWL auch nicht vor. Dabei wird allerdings zu gerne vergessen, dass ein Land keine Firma, ein Staatshaushalt kein Familienhaushalt ist und Dividenten aus Investitionen benötigen schon mal eine ganze Generation, um sich auszuzahlen.

    Die Situation innerhalb der Bildung ist insgesamt eine Baustelle und diese Politik verletzt immer mehr das Recht darauf einen Beruf seiner Wahl erlernen zu können. Das zählt nicht nur für Univesitäten, sondern auch für das gesamte System der beruflichen Bildung. Das Problem ist nicht neu, die ersten Jahrgänge, die davon betroffen waren sind heute über 40 und das Problem hat sich seitdem immer weiter verschärft, bishin zu Hartz4, was defacto das Recht auf freie Berufswahl abgeschafft hat.

    Und so verkommt Deutschland zu einem Land der Hilfsarbeiter und das in Zeiten, wo nicht weniger, sondern mehr Wissen und Bildung notwendig ist, um eine hochentwickelte Industriegesellschaft wie Deutschland zukunftsfähig zu machen. Man könnte deshalb fast schon meinen, dass die heutigen Regierungen nur noch im Sinne haben die Infrastruktur des Landes derart zu zerstören, dass das Land sich am Ende nur noch mit Entwicklungsländern messen kann, aber mit keinem hochentwickelten Industrieland mehr.

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  2. Was auffällt ist dass Schwarz/gelb derzeit permanent Vergünstigungen aushandelt für eine angebliche Klientel die diese offenbar gar nicht will. So ist hier auch wieder davon die Rede daß selbst die Stipendiaten auf diese Vorzugsbehandlung keinen gesteiterten Wert legen, dennoch wird an dieser Politik mit aller Vehemenz festgehalten.
    Einmal mehr fühle ich mich an kindliches Verhalten erinnert, als meine Kinder mir unbedingt was schenken wollten und tief verletzt waren wenn ich Nacktschnecken als Geschenk leider nicht so prickelnd finde..

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  3. @ Manul:
    UNd dazu kommen auch noch so ganz direkte Maßnahmen wie die Einführung von Studiengebühren.
    Die meisten Entscheidungsträger in der Politik praktizieren in der Tat ein verkürztes (nur betriebs-)wirtschaftliches Denken. Manche glauben wohl immer noch, dass Deutschlands Zukunft in einem Niedriglohnland liegt mit Arbeitskräften, die zwar schlecht qualifiziert, ohne Rechte und ohne soziale Sicherheiten sind, abe, aber immer mit Arbeitnehmer in anderen Ländern kokurrieren müssen, die noch schlechter bezahlt usw. sind.

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  4. @ NannyOgg07:
    Solche Stimmen wie von den Stipedniantengruppen (oder ein anderes Beispiel, von Millionäven, die eine höhere Einkomens- oder eine Vermögenssteuer fordern) sind aber leider noch viel zu selten zu hören.

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  5. Einbuergerungsholocaust in Deutschland!
    http://einbuergerungsholocaust.go.to/

    Paul Wolf
    Horststr.6
    51063 Koeln
    http://paulwolf.go.to/
    https://acrobat.com/#d=RwY*V*VwAFUmFU3gJot*0A

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  6. Ja, ich empfehle allen mal, sich die Links des Vorposters "einbuergerung2" durchzulesen. Aber bitte gründlich und komplett, wenn ich bitten dürfte, in Ordnung?

    Er ist ein zur Perfektion gesteigertes Beispiel für einen heutigen selbsternannten "Linken" und das derzeitige Standardverhalten der meisten Linken, auch hier im Forum. Komisch nur, dass die Regierungsbeteiligung ausbleibt. Orientiert euch doch bitte noch ein bisschen mehr daran, schließlich ist es bei weitem nicht genug, wenn nur die FDP die Taliban der deutschen Parteienlandschaft sind, wir brauchen dringendst einen mindestens doppelt so bescheuerten, destruktiven, "linken" Gegenpart! Go for it, ihr schafft das schon noch! Ich freue mich schon auf italienische Verhältnisse, wo die Linken zwar von Zeit zu Zeit trotz Berlusconis Medienimperium gewählt werden, aber glücklicherweise auch nur wenige Wochen brauchen, um sich dann zu zerlegen. So ist das halt, wenn man sich in Wirklichkeit sauwohl fühlt, und die Zustände gar nicht ändern will. Gut gemacht!

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