Von Frank Benedikt
Man mag sich eigentlich gar nicht damit beschäftigen, gibt es doch so viel Wichtigeres wie beispielsweise den Akt der Staatspiraterie, den sich Israel mal eben erlaubt hat. Die deutsche Beteiligung am Krieg in „Ghan“, die permanent hohe Arbeitslosigkeit, wachsende soziale Ungleichheit, die Finanz- und Wirtschaftskrise … Krisengebiete, wohin man auch blickt. Nun also auch noch eine veritable „Führungskrise“, denn das Land wird überraschend kommissarisch vom Bremer Bürgermeister und derzeitigen Bundesratspräsidenten Jens Böhrnsen vertreten.
Ein Novum, denn bisher ist in der inzwischen 61-jährigen Geschichte der Bundesrepublik noch nie ein Bundespräsident von heute auf morgen einfach zurückgetreten. Der Vorgang ist somit ohne Vergleich, und es stellt sich die Frage, warum. Warum tritt das Staatsoberhaupt einfach sang- und klanglos, nur unter Zurücklassung der dürren Erklärung, daß seines Erachtens seinem hohen Amt nicht genug Respekt entgegengebracht worden sei, zurück? War es die mediale Kritik anläßlich Köhlers „Hunnenrede“, wie es die Medien selbst behaupten? Oder steckt mehr dahinter, wie manch politische Blogger spekulieren? Ein gezielter Ausstieg gar, um zurück in die Wirtschaft zu wechseln? Nun, das bietet sich aus zwei Gründen eigentlich nicht an: erstens hätte Horst Köhler gleich dort bleiben können und zweitens ist er nun auch nicht mehr der Jüngsten einer. Die Erläuterung, welche auch ein paar Medien lieferten, nämlich daß er einfach zu „dünnhäutig“ sei, scheint hier die plausibelste.
In der Folge ist Köhler wohl einfach ins Rettungsboot gestiegen, da ihm der Wind zu scharf ins Gesicht blies, was man selbst mit gutem Willen nicht so einfach entschuldigen kann: Der Kapitän verläßt in rauher See das schlingernde Staatsschiff und die Passagiere sind noch an Bord. An Land hieße man dies wohl „Fahnenflucht“, auf hoher See gibt es keine Entsprechung dafür, aber „mangelnde Seefestigkeit“ dürfte es auch ganz gut beschreiben. Der Bundespräsident hat angesichts der Kritik, die ihm ob seiner „Hunnenrede“ entgegenschlug, offiziell den besseren Teil der Tapferkeit gewählt und sein Heil in der Flucht gesucht. Dabei ließ er ein zunehmend derangiertes Land zurück, das sich mit mannigfaltigen Problemen auseinandersetzen muß – von der bereits jetzt derangierten Regierung nicht zu sprechen. Horst Köhler dürfte es nicht besonders schaden, denn über der Aktualität der jeweiligen Ereignisse ist noch stets schnell vergessen, wer da gerade mal wieder was „verbockt“ hat, aber die BRD steht vor einem weiteren Problem: Wer soll sie in Zukunft vertreten, wer als (halbwegs) einende Klammer fungieren?
Die Liste der gehandelten Kandidaten ist lang und obwohl zumindest die Union zu Ursula von der Leyen zu tendieren scheint, ist doch die Präferenz des Volkes eine ganz andere: Joschka Fischer und Margot Käßmann dominieren mit jeweils gut 21 Prozent den Leser-Poll bei SpOn und dies dürfte auch der Stimmung im Lande entsprechen. Nun, in Anbetracht der klaren politischen Mehrheit für eine schwarz-gelbe Kandidatin dürfte es aber müssig sein, die beiden gegeneinander zu stellen (daß Fischer trotz zweier Kriegsbefürwortungen und seiner Nabucco-Verflechtung noch in hohem Ansehen zu stehen scheint, ist degoutant); vielmehr wäre ein Duell zwischen „Zensursula“ und „Maggie“ interessant. Die Kandidatin der politischen Kaste gegen die des Volkes – das hätte was. „Hochpolitisch“ vs. „unpolitisch“ auf den ersten Blick, auf den zweiten kann man das so nicht stehen lassen – weder ist „vdL“ politisch nun besonders engagiert, noch ist das „die trinkende Bischöfin“ nicht. Was die beiden – von einigen Grundwerten abgesehen – auch unterscheidet ist, daß Käßmann nicht nur einen schweren Fehler gemacht, sondern diesen auch eingesehen und in aller Konsequenz daraus die Konsequenzen gezogen hat. Exakt diese Konsequenz fehlte wohl Horst Köhler, denn zwar schmiss er von heute auf morgen das Handtuch, aber er zeigte sich bis zuletzt nicht einsichtig, suchte nicht den Dialog mit seinen Kritikern, sondern hielt an dem fest, was seit einigen Jahren die – mehr oder minder erklärte – Politik der jeweiligen Bundesregierung scheint: der Legitimität des Kampfes um Handelswege, Ressourcen und Absatzmärkte. In Studien deutscher Think Tanks seit den Neunzigern postuliert, in „Weißbüchern“ wiedergekäut, ist dies nichts anders als eine Neuauflage der „guten alten Kanonenboot-Diplomatie“ und eine Wiederkehr des Kolonialismus’ – dem gilt es entschieden entgegenzusteuern.
In diesem Land darf jeder Polit-Halbprofi HartzIV-Empfänger beleidigen und kritisieren, Sarrazin und Westerwelle machen´s vor. Aber wehe, es geht mal anders herum, dann zieht man sich beleidigt zurück, getreu dem Motto:"Da spiel ich nicht mehr mit". Wie abgehoben fühlt sich eigentlich unsere politische "Elite" wenn sie glaubt, über jeder Kritik zu stehen?
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