Donnerstag, 27. März 2008

Gedanken zum Schulsystem, Lehrer betreffend - Nachtrag

Ich habe auf meinen Beitrag "Gedanken zum Schulsystem, Lehrer betreffend" eine Leserzuschrift erhalten, die ich euch nicht vorenthalten möchte:

Hallo Oeffinger Freidenker,

erstmal: Ich finde Ihren Blog super!

Da Sie ab und zu etwas zur Bildungspolitik schreiben, hier ein paar Anmerkungen zu Ihrem post vom 22.03.08 „Gedanken zum Schulsystem, Lehrer betreffend“. Ich hatte keine Lust und Zeit, sie als Kommentar zu veröffentlichen. Wie man an den letzten der 6 Kommentare sieht, driftet das Ganze schnell sonst wo hin.

Ich bin angestellter Lehrer für Naturwissenschaften (seit 11 Jahren an einer nicht ins Katastrophenbild passenden, weil (noch) sehr gut funktionierenden Hauptschule, vorher arbeitete ich an Realschule + Gesamtschule) und habe einige Jahre als Chemiker in einem Labor für Umweltanalytik gearbeitet.

Meine Meinung: Die Studie von Herrn Rauin, die ich für methodisch fragwürdig halte und von ihm selbst bereits relativiert wurde (s.u.), lenkt von den eigentlichen Missständen in den Schulen und da vor allem von den Versäumnissen (u.a. finanziellen) der Regierenden ab (ich meine hier alles was man als katastrophales Kaputtsparen im Sozial- und Bildungsbereich bezeichnen kann). Ein paar Hundert befragte Lehrer (viel mehr sind am Ende der Studie nicht mehr da gewesen!) mit nur 4-jähriger Berufserfahrung sollen Aussagen zu einem völlig heterogenen Berufsstand untermauern?? Was bleibt hängen von dieser Studie, die gerne von der konservativen Presse und der taz durch Christian Füller (für mich der Oswald Metzger der TAZ) verbreitet wurde? Das Bildungssystem ist ok, die Lehrer sind zu blöd? Feiner ausgedrückt, gleicher Inhalt, haben dies vor einiger Zeit die Wirtschaftsweisen von McKinsey in einer Studie, veröffentlicht zu erst in der WELT, in der Singapur, in dem man lt. Amnesty international auch schon mal wegen Haschischbesitzes hingerichtet werden kann, als Musterländle für ein gegliedertes Schulsystem angepriesen wurde.

Ein paar Details noch:

Burnout nach 4 Jahren? Bei den Arbeitsbedingungen eigentlich kein Wunder, dennoch: Allgemeine Aussagen über Burnout auf dieser dünnen Grundlage zu machen, halte ich für unseriös. Rauin, typisch Pädagogikprofessor, weiß offensichtlich nicht, was bei Lehrern sonst noch zu Burn-out führt außer einem schlappen Abitur vielleicht. Infos und Studien dazu gibt’s unzählige. Die Schaarschmidt-Studie z.B.

Insbesondere der Anteil der engagiert arbeitenden Lehrern, aber auch der bereits resignierenden ab 30 steigt deutlich an, da hat Rauins Studie schon längst nicht mehr nachgefragt.

Ich halte Rauins Gerede auch deshalb für aussageschwach, weil er keine Querschnittstudie zu anderen Berufen vorlegen kann (zB zu zockenden BWL’ern), insbesondere aber anderer burnoutbedrohter Berufsgruppen (Ärzte, Sozialberufler, Manager, etc).

Übrigens arbeiten in unserem etwa 50-köpfigen Kollegium Lehrer mit den unterschiedlichsten Ausbildungsgängen: Vom Sek-II-Lehrer bis zu ausgesprochen Haupt- oder Realschullehrern nach älteren Ausbildungsmodellen sowie SEK-I-Lehrer, die an allen Schulen der SEK-I unterrichten können. Allein diese Vielzahl an Ausbildungsschwerpunkten machen die Plattheit von Rauins Aussagen deutlich.

Die Dümmsten, die Faulsten werden Lehrer? Neulich (im Januar) gab der Kölner Pädagogik-Professor G. Schäfer im konservativen Kölner Stadt-Anzeiger im Rahmen einer allgemeinen Lehrer- und Hauptschülerschelte bekannt, dass er sich die Haare raufe angesichts der Dummheit seiner Studenten im Examen (!). Tja, wenn ich bei den Zentralen Abschlussprüfungen erst merke, wie es um meine Schüler steht, hab ich doch was verpennt, oder? Ich hab Rauins Studie nur in seiner eigenen Zusammenfassung gelesen. Kein Wort dort über eine detaillierte Aufschlüsselung nach Fächern. Ich halte das für notwendig, wenn solche pauschal diffamierenden Äußerungen einen Hauch von Sachgehalt haben sollen. Während meines Chemie- und Biologiestudiums in Köln liefen etliche Veranstaltungen mit den Diplomern gemeinsam. Das Niveau war anspruchsvoll und da, wo es für den Lehreralltag wirklich keinen Sinn mehr machte, reduziert. Ich wollte schließlich nicht Chemiker werden, sondern Chemielehrer (meine Kenntnisse reichten dennoch für eine leitende Stellung im LaborJ)

Es mag sein, dass die Beamten billiger für den Staat sind als Angestellte, dafür verdienen sie einige Hundert Euro weniger als ihre verbeamteten Kollegen. Das Streikrecht steht eher auf dem Papier. Die heilige Kuh „Vermeidung von Unterrichtsausfall“ (dabei arbeiten wir ohnehin mehr als die meisten OECD-Kollegen) verhindert sowieso die Ausübung solcher demokratischer Mittel. Beamtentum, Angestelltenrecht und Schulrecht sind so miteinander verzahnt, dass Widerspruch oder Aufbegehren in einem ziemlich klebrigen Rechtssumpf stecken bleiben.

Mich wundert, was Sie über die Lehrerausbildung und deren mangelnden Praxisbezug in BW schreiben. In NRW sieht das so aus, dass nach einem i.d.R. 8-semestrigen Studium, das bereits einige Schulpraktika enthält, sich das 2-jährige Referendariat anschließt, in dem man (zu meiner Zeit Anfang der 90er) insgesamt 24-Mal eine benotete Lehrprobe abliefern musste. Über mangelnden Stress konnte man sich eigentlich nicht beklagen. Für die Rauin’s und Füller’s genug Zeit zum Ausselektieren. Ein paar von uns sind damals tatsächlich abgesprungen. Ausgerechnet Schwarz-Gelb, die in NRW 2005 mit hochgekrempelten Ärmeln und „Schluss mit der Rot-grünen-Weichei-Mentalität“-Parolen angetreten sind, hat die Prüfungsordnung für Lehreramtsanwärter entschärft, ohne jedoch die wirklich notwendigen Reformen auch nur ansatzweise anzupacken.

Zum Schluss noch dies:

Es liegt etliches im Argen in unserem Bildungssystem. Ich möchte auch die Lehrer aus dieser Kritik nicht herausnehmen. Aber so eine populistische, auf dünnem Eis gezimmerte Studie hat mit differenzierter Kritik sowenig zu tun wie ein Bild-Artikel mit seriöser Recherche.

Das hier übrigens hat Herr Rauin 2004 noch in der Fachzeitschrift Pädagogische Korrespondenz (Heft 32, 2004, S. 39 – 49) geschrieben:

„Aber die massive Überschätzung vorläufiger Befunde oder die Häufigkeit waghalsiger Schlussfolgerungen aus den Daten empirischer Forschung, die durch die methodische Unbefangenheit mancher Produzenten und vieler Nutzer empirischer Studien verursacht wird, fordern zu einer kritischen Betrachtung heraus.“

Doch dann übernahm er 2006 seine jetzige Professur und (Motto: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?) musste sich halt mal profilieren. Diese Art von Lehrerschelte ist übrigens momentan unter Pädagogik-Profs ziemlich in.

Hier hat er sie teilweise schon selbst relativiert.

Eine gute Kritik dieser Studie gibt es hier zu lesen.

Quelle des Rauin-Zitats

1 Kommentar:

  1. Finde ich super, dass Du diese Zuschrift trotz Gegenmeinung veröffentlicht hast! Vielen Dank!

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