Donnerstag, 13. März 2008

Oh Schröder, der du weilst im Aufsichtsrat...

In der SZ hat Marc Beise einen Kommentar mit der Überschrift "Schröder hatte Recht" geschrieben, in dem er Lobhudelei um Lobhudelei an Schröder und dessen Agenda 2010 ablässt. Verglichen wird Schröder dabei mit Merkel nach einem simplen schwarz-weiß-Muster:

Vor genau fünf Jahren hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) im Bundestag die Agenda 2010 ausgerufen und Sozial- und Arbeitsmarktreformen angeordnet. Geliebt wird der Altkanzler dafür nicht, allenfalls respektiert, vor allem aber kritisiert und von nicht wenigen sogar gehasst.

Seine Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) hat ein ähnlich großes Projekt noch nicht gewagt. Dafür wird sie von sehr vielen Menschen respektiert und von praktisch niemandem gehasst. Der Agenda-Kanzler Schröder war der programmierte Wahlverlierer, die Abwarte-Kanzlerin Merkel sieht aus wie die geborene Wahlsiegerin. Dennoch ist Schröder der bessere Politiker. Warum?

Erwartungsgemäß lautet die Antwort: Hart-IV und Agenda2010. Dabei geht Beise methodisch vor: Zuerst die Prämisse.

Für die Agenda spricht die wirtschaftliche Vernunft. Seit Willy Brandts Zeiten, seit den siebziger Jahren, war die staatliche Vollversorgung oberste Maxime. Die Politik wollte den Menschen möglichst alle Lebensrisiken ausgleichen. In einer Generation, von 1970 bis 2005, haben sich die Sozialhilfeleistungen vervierfacht.

Wie immer, wenn Neoliberale etwas schreiben, findet sich der Verweis auf die 1970er Jahre, die für sie den ultimativen Sündenfall darstellen (vgl. auch hier). Niemals fehlen darf der Verweis darauf, dass der Sozialstaat nicht mehr zu finanzieren sei. Warum, das wird nie erklärt. Es ist wahr, dass sich die Sozialleistungen in den 1970er Jahren erhöht haben; gleichzeitig stimmt aber auch, dass sie bereits in den 1980er Jahren von schwarz-gelb wieder abgebaut wurden. Dazu kommt, dass für Zahlen, wie sie Marc Beise hier natürlich ohne jede Quelle angibt, häufig absolute Zahlen benutzt und, was deutlich schwerer wiegt, die Produktivitätszuwächse und das Wirtschaftswachstum seit damals einfach unter den Tisch gefallen lassen wird. Die Staatseinnahmen haben sich ja ebenfalls vergrößert, und durch die Produktivitätssteigerungen lassen sich andere Lasten schultern als bisher.
Zugleich stieg die Arbeitslosigkeit in Westdeutschland von 150.000 auf 3,2 Millionen Menschen - beides zusammen ist ein dramatisches Versagen der Politik, die sich auf die Alimentierung der Arbeitslosen konzentriert hat statt darauf, mehr Arbeit zu schaffen. Zumal der Sozialstaat immer weniger zu finanzieren ist. Eine öffentliche Verschuldung von 1,5 Billionen Euro zulasten kommender Generationen ist durch nichts zu rechtfertigen; sie ist die angekündigte Chronik des Staatsbankrotts.
Eine weitere zumindest grobe Vereinfachung ist, dass die Politik seit damals nur die Arbeitslosen alimentiert hätte, statt Arbeitslose zu schaffen. Selbstverständlich wurden Anstrengungen unternommen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, doch aus unterschiedlichen Gründen scheiterten diese oder brachten nicht den Ertrag, den man sich erhofft hatte - ein durchgehendes Motiv von Brandt über Schmidt zu Lambsdorff und Kohl. Nun kommt für Beise
Schröder quasi als "deus ex machina" und wendet alles zum Besseren: in heroischem Widerstand gegen Volk, Partei und Medien drängt er, der große Pragmatiker und strahlende Held, die dringend notwendigen und von den politischen Zauderern nicht angepackten Reformen durch, um das kurz zusammenzufassen. So führt uns das Ganze dann auch in die Gegenwart:
Es kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass der gegenwärtige Erfolg am Arbeitsmarkt auch auf die Reformen der Vorjahre zurückzuführen ist.
Tatamm, nun endlich wirken die Reformen des großen Gerhard! Davon abgesehen kann jeder reichlich ernsthaft bestreiten, dass hier irgendetwas auf die Reformen der Vorjahre zurückzuführen sei, und vor allem kann jeder bestreiten, dass es überhaupt einen "gegenwärtigen Erfolg am Arbeitsmarkt" gebe. Denn die Statistiken der BA sind grotesk gefälscht; dreikommairgendetwas Arbeitslose hätten wir gerade, die Zahl ist ohnehin egal. Denn über zwei Millionen Arbeitslose tauchen in der Statistik gar nicht auf, und die Zahl der Leistungsempfänger hat die acht Millionen längst überschritten.
Zum Fördern freilich hätte Schröder entweder einen Wirtschaftsaufschwung (den es erst später gab) gebraucht oder weitere Reformen, beispielsweise die Lockerung des Arbeitsmarktes. Es ist verrückt, dass Firmen hierzulande Mitarbeiter erst loswerden können, wenn sie vor dem Bankrott stehen oder ihre Werke verlagern.
Das Fördern der Arbeitslosen ist, den Arbeitsmarkt zu lockern? Den Kündigungsschutz quasi abzuschaffen, den Arbeitnehmern jede Sicherheit zu nehmen und eine Hire-und-Fire-Praxis einzuführen, das würde die Arbeitslosen fördern? Warum das funktionieren sollte, erklärt Beise nicht. Das kann er auch gar nicht, denn es ist Unfug, ein weiteres, viel zu häufig unwidersprochenes neoliberales Dogma. Unternehmen stellen Leute ein, wenn sie sie brauchen, nicht wenn die Bedingungen so toll sind.
Schröder blieb die Folgereformen schuldig, aber er hatte auch kaum eine Chance. Heute noch ist fast das ganze Land gegen eine Politik hin zu mehr Eigenverantwortung und Solidität. Immer noch und immer lauter hört man die alte Leier vom Staat, der niemanden zurücklassen darf. Koste es, was es wolle, das Geld wird schon irgendwo herkommen. Früher kam ein großes und mächtiges Land wie Deutschland mit dieser naiven Wirtschaftspolitik über die Runden. Heute, wo überall junge und hungrige Wettbewerber lauern, funktioniert das nicht mehr.
Denn früher, so wissen wir, war alles gut. Und heute, puff, gibt es einen Weltmarkt. Früher gab es den nämlich nicht. Dass Marc Beise es überhaupt wagt, in diesem Zusammenhang den Begriff "naiv" zu verwenden! Ich persönlich halte eher eine Wirtschaftspolitik für naiv, die den Arbeitsmarkt mit einem Kartoffelmarkt gleichsetzt, den man nur lockern müsse. Die von offenkundig falschen Prämissen ausgeht, in der man immer nur die alte Leier vom Staat hört, der attraktive Bedingungen schaffen muss, koste es was es wolle. Irgendwo wird das Geld schon her kommen. Auch heute kommt ein großes und mächtiges Land wie Deutschland mit dieser naiven Wirtschaftspolitik nicht über die Runden. Aber das begreifen die Marc Beises dieser Welt nicht. Sie beten weiterhin ihr Goldenes Kalb an:

Große Reformen, jedenfalls wenn sie den Bürgern etwas zumuten, werden immer auf Widerstand stoßen. Viele Politiker wissen das, vermutlich auch Kanzlerin Merkel. Trotzdem oder vielleicht deshalb tun sie wenig. Und je länger sie wenig tun, desto heller wird das Licht des Gerhard Schröder strahlen. Eines Tages.


17 Kommentare:

  1. Hm, ganz unabhängig davon was dieser Typ sagt...

    Ich respektiere Schröder dafür, das er den Mut hatte große, unbeliebte Reformen anzupacken. Das sieht man nicht oft... die Groko kann sich ja offensichtich auch zu nichts großen bringen... nur "schmerzlose" Kompromisse. Das bringt doch alles nichts. Manchmal sollte etwas einfach in die Hand genommen werden.

    AntwortenLöschen
  2. Seit wann entscheidet sich die Qualität von Reformen / Gesetzen daran, wie unliebsam oder schmerzvoll sie für das Volk sind?

    Gruß

    Alex

    AntwortenLöschen
  3. Gute Frage... wo hab ich das gesagt?

    1. Reformen die zu lange verschlafen werden sind meistens schmerzhaft weil sie "radikaler" sind als wenn sie früher unternommen worden wären. Und troztdem sind sie - notwendig!

    2. Im nachhinein ist man immer schlauer...

    AntwortenLöschen
  4. Dieser verlogene Lobgesang ist nur noch peinlich.
    Die Agenda 2010 ist der größte Betrug der Nachkriegsgeschichte an das Volk in D. Das ist meine Meinung, und ich stehe nicht allein.

    AntwortenLöschen
  5. @Frank
    Dann sind wir schon zu zweit.:)
    Versteh doch, dass Marc Beise von SZ auch das Geld für Miete braucht.
    Und wenn man nix „leisten“ kann...

    @Oeffinger Freischwimmer in der ...
    „Ich respektiere Schröder dafür, das er den Mut hatte große, unbeliebte Reformen anzupacken.“
    Sei wann erfolglose Kamikaze gilt als Held? Wir sollen nächste Regierung aus Bndgee-Jumpern wählen.
    „Das bringt doch alles nichts. Manchmal sollte etwas einfach in die Hand genommen werden.“
    Ein Kopf wäre hier angemessener.

    „2. Im nachhinein ist man immer schlauer...“
    Sach ich doch, dass Köpfchen dafür haben muss!!!

    AntwortenLöschen
  6. Jaja, Leute... ihr hättet alles besser gemacht. Das is doch nicht zum aushalten...

    AntwortenLöschen
  7. Du musst aber. Das ist halt die Demokratie:)
    Und wenn Du davon stirbst, werde ich auch nicht sehr enttäuscht sein.

    AntwortenLöschen
  8. Hui... was bist du denn für ein ganz harter. Ich weis nicht ob ich lachen oder heulen soll... aber ignorieren wäre wohl am besten. Geh einfach wieder in deiner Scheinwelt spielen... das würde helfen.

    AntwortenLöschen
  9. "Dieser Blog versteht sich als linksliberal und soll eine Art allgemeinen Überblick über aktuelle Geschehnisse geben, gewürzt mit Fundstücken aus den Weiten des Web und bissigen Kommentaren meinerseits. Ich sehe ihn als Teil einer Art gesellschaftspolitischen Engagements, das abseits von Parteistrukturen stattfindet."
    Warte, Warte...
    "Freiheit ist zuerst immer die Freiheit der Andersdenkenden. - Rosa Luxemburg "
    Also, nix mit gehen. Wir sind gekommen um zu bleiben.
    P.S.:
    @Oeffinger Freischwimmer in der S...
    Übrigens finde ich sehr mutig, wie Gerd als Sozi vom Gasprom kaufen lässt. Er springt über alle gesellschaftliche Schatten und wird nicht mal rot, dieser Roter. Bä...

    AntwortenLöschen
  10. Ich hoffe doch, dass hier unterschiedliche Meinungen versammelt bleiben...gegenseitig zustimmen können wir uns auch selbst.

    AntwortenLöschen
  11. Ich finde es sehr mutig, wenn man mit einem so beschränkten Ausdrucksvermögen andere Leute anpöbelt.
    Ich verstehe nicht, was grundsätzlich an der Agenda falsch sein soll. Endlich mal Politik im Sinne der kommenden Generationen. Und der Mann hatte wenigstens Charisma, von welchem Politiker kann man das noch sagen? Btw, es wird sich noch als sehr vorteilhaft erweisen, dass Schröder überaus gute Kontakte nach Russland unterhält, von daher würde ich mir den Seitenhieb auf den "Herrn Aufsichtsrat" verkneifen ;-)

    AntwortenLöschen
  12. Meinungen: Wo steht denn bei diesem Kasper eine Meinung?
    Bitte zitieren... ich sehe nur Kommentare aber keine Aussage zum Thema.

    Bei Leuten wie "anonym" gefällt es mir doch ab und an wieder die wachsende Ungerechtigkeit in unserem Lande zu sehen, die Umverteilung nach oben um solchen Leute verlieren zu sehen... den Hass, die Verzweiflung... die tollen Kommentare. Da hoffe ich doch noch auf ein paar weitere "Victory" Zeichen.

    By the way: Cool zitieren kann ich auch, wie z.B.
    "Man soll den Gegner nicht schlechter machen, als er ohnehin schon ist." (Mark Twain) fiele mir hier ein.

    Und, warum interessiert es mich was du an Schröder mutig findest. Bin ich sein Biograph oder Anwalt?

    AntwortenLöschen
  13. Ja, die Verarmung großer Teile der Bevölkerung, das Verbreiten von Zukunftsangst und die Verschleuderung von Staatsvermögen sind schon große Investitionen in die Zukunft unseres Landes.

    AntwortenLöschen
  14. Hartz 4 ist für mich keine Verschleuderung von Staatsvermögen. Aber wenn da einer der Meinung ist, er bekomme zu viel, dann sollte er das der BA mitteilen. Und wo bitte wird hier Zukunftsangst verbreitet? Bitte mal erklären, nicht nur irgend nen Müll in die Runde werfen.

    AntwortenLöschen
  15. Und äh, verarmt wird die Bevölkerung ja nun wohl nicht. Sozialhilfe ist eine Leistung, die man vom Staat erhält. Arm dran ist man, wenn man diese Leistung nicht erhält. Also kann wohl kaum von aktivem verarmen die Rede sein, ich bitte dich...

    AntwortenLöschen
  16. Und ausserdem habe ich diese Sachen nie für gut geheisen... lies meinen Beitrag und du weist warum ich das geschrieben hab. Solche Sachen gefallen mir dann wenn es Leute wie xy an den nervlichen Zusammenbruch bringt.

    AntwortenLöschen
  17. Bei Verschleuderung von Staatsvermögen rede ich auch weniger von Hartz-IV, sondern von den zahllosen, überhasteten und von Korruption durchsetzten Privatisierungen. Überall wurde der Staat nach Strich und Faden beschissen, und die zuständigen Funktionäre wurden meist hochdotiert von den profitierenden Unternehmen eingestellt.
    Davon abgesehen verarmt die Bevölkerung auch durch Hartz-IV ganz massiv, aber ich hebe nicht mal im Rahmen der Sozialleistung als solcher an, sondern dem unglaublichen Missbrauch, den viele Arbeitgeber damit treiben. Eine kleine Anfrage der FDP hat erst vor einigen Tagen ergeben, dass über 2,5 Millionen Leute Hartz-IV als Kombilohnersatz beziehen...
    Und Zukunftsangst entsteht durch Hartz-IV ganz massiv, weil du nach einem Jahr alles verlierst, was du in deinem Leben aufgebaut hast.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.