Montag, 22. September 2008

Totgesagte leben länger

Laut SpOn ist die deutsche Linke tot. Davon merkt "die deutsche Linke" zwar nichts, aber das macht nichts, ist ja SpiegelOnline, der Ort, an dem das Niveau nicht einmal mehr zum Gutenacht-Sagen vorbeikommt. "Die deutsche Linke", für den Spiegel sind das 60jährige verbitterte Gewerkschafter, ebensoalte Ossis die der DDR und, natürlich, Oskar Lafontaine. Der ist ja bekanntlich der Antichrist der Bundesrepublik und erhält seine Bedeutung hauptsächlich durch die ständigen unreflektierten Hasstiraden der etablierten Medien von SpOn bis Zeit. Lafontaine ist demzufolge zwar ein ungemein unintelligenter Haudrauf, aber irgendwie dennoch der gefährlichste Mann Europas. Er führt dabei diese "deutsche Linke" an, die alle nur in die 1970er Jahre zurückwollen, in denen die Welt noch in Ordnung war. Und dabei bedrohen sie die Freiheit, die Agenda und Frank-Walter Steinmeier (alles in Personalunion).
Dieses Bild ist Quark. Nächste Woche beschreibt der Spiegel in einem anderen Artikel (wahrscheinlich vom selben Autor) wieder genüsslich die "Selbstzerfleischung" der Linken (welcher auch immer), um eine Woche später wieder irgendwelche linken Mehrheiten herbei zu phantasieren. Es gibt keine "deutsche Linke", und wenn es sie gäbe, wäre Lafontaine nicht ihr Führer. Es gibt zahllose Strömungen, die man zu "links" zählen kann von Linksliberalen wie mir bis hin zu Sozialisten wie Sarah Wagenknecht. Das alles in einen Topf zu werfen ist so sinnvoll wie die Konstruktion einer "deutschen Rechten" von Jürgen Rüttgers bis Holger Apfel. Es gibt auch keinen "Linksruck" und keine "linke Mehrheit" in Deutschland. Wer sollte denn diese "linke Mehrheit" bilden? Die Grünen, die mit der CDU koalieren? Die SPD, deren Führer ein Bündnis mit der FDP wollen um den Mindestlohn (!) durchzusetzen? Die LINKE, in der ehemalige Gewerkschaftler neben Sozialisten sitzen, die von der Weltrevolution träumen? Der linke Teil der Blogosphäre, die hauptsächlich von ihrer Verdruss über das Versagen auf die etablierten Medien geeint wird? Was davon ist die deutsche Linke, über die Reinhard Mohr im Spiegel schreibt wie Karl May über die Indianer?
Für Reinhard Mohr ist diese "deutsche Linke" natürlich rückwärts genannt, erzreaktionär gar. Sie will in eine Welt zurück, so behauptet er, in der die Mauer noch steht und Telefone Kabel und Wählscheiben haben. Sie will nichts mit unserer tollen, globalisierten Welt zu tun haben, in der es Paris Hilton (sic!) und das iPhone gibt, die zugegebenermaßen größten Erfindungen seit dem Rad. Stattdessen verbreitete sie populistische Parolen ohne Tiefgang. Habt ihr es gemerkt? Schwupps ist "die deutsche Linke" schon wieder Oskar Lafontaine. Morgen zerreibt sie sich wieder in Flügelkämpfen.
Nichts könnte falscher sein. Reinhard Mohr schreibt aus dem Elfenbeinturm und adelt dann nebenbei noch die 68er als einzige echte deutsche Linke, denn die sei ja vorwärtsgewandt gewesen und ungemein progressiv, während die heutige Linke total fortschrittsfeindlich und rückwärtsgewandt sei und die "Herausforderungen der heutigen Zeit nicht als Chance" begreife. Entweder hat sich Reinhard Mohr hier nicht informiert oder er schreibt mit der ideologischen Brille. Zum einen will kein Linker den ich kenne in die 1970er Jahre zurück und schon gleich dreimal nicht in die Zeit oder Verhältnisse der Mauer. Sieht man sich beispielsweise einmal das Programm von attac an, liest man aufmerksam Heiner Flassbeck oder Gustav Horn (nach der Geographie von Reinhard Mohr auch deutsche Linke) dann stellt man fest, dass hier alles vorherrscht, aber kein reaktionärer Aufbruch zurück. Und, um noch einmal auf die LINKE zurückzukommen: Mohr wirft ihr vor, sie fordere viel, verspreche viel und sei populistisch. Ach nein. Sie ist eine OPPOSITIONSPARTEI. Oder wie ernst sind Programm und Wahlversprechen der FDP zu nehmen, beide übrigens deutlich dünner und deutlich weniger ausargumentiert und belegt als die der LINKEn? Natürlich fordert die LINKE auch Schwachsinn. Sie MUSS polarisieren, wenn sie wahrgenommen werden will. Keiner würde über sie berichten, wenn sie sagen würde, dass Teile der Agenda 2010 eigentlich ganz brauchbar sind. Dann würde sie auch keiner wählen, weil das sagt die SPD auch.
Aber die "deutsche Linke" ist auch heute progressiv und nach vorne gewandt. Die Antworten mögen vordergründig die gleichen wie 1972 sein, aber das sind sie nicht. Man sollte sich einmal damit beschäftigen und nicht jede Kritik am Neoliberalismus gleich als rückwärtsgewandt verteufeln. Aber das übersteigt die Kapazitäten eines Spiegel oder Reinhard Mohr wohl deutlich. Denn dann müsste man sich auch von liebgewonnen Feindbildern verabschieden.

6 Kommentare:

  1. Der Mohr mit Namen Reinhard hat seine Schuldigkeit getan und kann gehen ;-)

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  2. "Der linke Teil der Blogosphäre, die hauptsächlich von ihrem Verdruss über das Versagen auf die etablierten Medien geeint wird?"
    Das Einende sehe ich nicht im Verdruß über das Versagen der etablierten Medien, sondern eher in den treffenden Analysen der kritischen Blogger." Und da, wo Herz und Verstand sich zu einer humanen Ethik vereinen.

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  3. Der Mohr ist ein Schwätzer.
    "Für Reinhard Mohr ist diese "deutsche Linke" natürlich rückwärts genannt, erzreaktionär gar."
    Mitmenschlichkeit veraltet nicht.
    Rückwärts gewandt ist diese neoliberale Politik, die uns Verhältnisse beschert wie zu Zeiten von Charles Dickens.

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  4. Ich habe btw nicht verstanden, warum die Rückkehr zu einer Friedenspolitik wie in den 70ern verkehrt sein soll. Ist Krieg jetzt modern und Frieden olles Gelaber aus den 70ern oder wie? Kann mich wer aufklären? :(

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  5. @KlausBaum: Ich rede nicht von dem, was die Blogs gemeinsam haben, sondern von dem, was alle noch unterschreiben würden. Und das ist recht wenig ^^

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