Freitag, 14. Mai 2010

Das Dilemma der LINKEn

Von Jürgen Voß

Ungeachtet des erfreulichen Ergebnisses bei der NRW-Landtagswahl, bei der die Linke ihre Wählerstimmen gegenüber der letzten Landtagswahl versechsfachen konnte (434 846 Zweitstimmen im Vergleich zu 72 989 in 2005) steckt diese Partei heute und wahrscheinlich noch über Jahre hinaus in einem unauflösbaren Dilemma. 

1. Große Teile der NRW-Linken stammen aus der ehemaligen DKP, schleppen also den Ballast einer über Jahrzehnte hinweg völlig unkritischen Einstellung gegenüber der ehemaligen DDR mit sich herum. Einer Einstellung, die jedem politisch wachen Bürger in Erinnerung geblieben ist und deshalb nicht einfach ausgelöscht werden kann. Wer sich über Jahrzehnte orthodox-dogmatisch über alle Zweifel hinweg gesetzt hat, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Würde die Linke sich von diesem Problem durch eine kritische Aufarbeitung, die an sich überfällig ist, befreien, würde sie – im Westen und erst recht im Osten - ihre Existenz gefährden und die Mitgliedschaft vielleicht in Gänze spalten. Der kritische Teil der Linken, der aus der SPD stammt, sei als ehemalige Wähler oder als enttäuschte Mitglieder, ist, selbst zusammen mit dem agenda-verprellten Gewerkschaftsflügel, viel zu schwach, um ein unabhängige Linke bilden zu können. Wegen dieses Ballasts aus der jüngsten Vergangenheit und des falschen Umgangs damit, ist die Linke selbst für den dümmsten und oberflächlichsten Angriff aus den Medien ein gefundenes Fressen und quasi wehrlos.

2. Die fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit führt bis in die Gegenwart zu immer neuen Dummheiten. Die Forderung etwa nach „Verstaatlichung der Energiekonzerne“ mag objektiv gar nicht so falsch sein, von der Semantik her ist sie verheerend. Hätte man eine „öffentlichen Kontrolle“ der Energiekonzerne gefordert, dann hätte hinter dieser abgeschwächten Formulierung ja die an sich richtige Forderung genau so erkennbar sein können. So aber legt man das Schiff unnötig auf Breitseite und bietet die größtmögliche Angriffsfläche.

3. Nicht nur Verbalradikalismus schadet der Linken. Mit den Begriffen wie „Sozialis-mus“ und „Kommunismus“ verbinden Millionen Menschen grauenhafte Erfahrungen und Erinnerungen. Da nützen auch tausend Beteuerungen nicht, dass der „reale“ Kommunismus oder der „reale“ Sozialismus gar nicht der eigentliche S. bzw. K. gewesen seien, dass man etwas ganz anderes anstrebe; die Öffentlichkeit lässt sich damit nicht abspeisen. Für sie bleiben Sozialismus wie Kommunismus vollkommen abwegige Zielsetzungen, die ihre Vergangenheit hinter sich haben und – ich sage es mal so polemisch – noch in tausend Jahren nicht wieder auf der Tagesordnung stehen. Ich fühle mich jedenfalls immer an Leszek Kolakowski erinnert: „Alle Wege, das Paradies auf Erden zu errichten, führen geradewegs in die Hölle!“

4. Die fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit hat auch dazu geführt, dass die Linke das zurzeit offenkundig werdende totale Scheitern des Neoliberalismus bislang argumentativ nicht für sich nutzen konnte.
Die an sich vollkommen richtige Einschätzung der Geschehnisse am Kapitalmarkt durch Sahra Wagenknecht reichen dazu nicht aus, zumal sie von einer Person stammen, deren argumentative Schärfe, gegen sich selbst gerichtet, genau den Ma-kel nicht erfolgter Vergangenheitsbewältigung und Unbelehrbarkeit in sich trägt, der oben angesprochen wurde.
Als den Linken an sich zugetaner Wähler fragt man sich, wie viel Vorlagen der Neoliberalismus der Linken eigentlich noch liefern muss, um endlich in der Öffentlichkeit im Sinne von Hans-Christian Andersen bloß gestellt zu werden. Dies ist bis heute nicht geschehen, mehr noch: Die neoliberale Seite verfügt immer noch über die die sog. semantische Hegemonie in allen Medien, oder auch; Hüther und Sinn auf allen Kanälen.

Um ein Beispiel zu nennen: Es muss ja nicht immer gleich die große Systemfrage sein Es geht auch eine Nummer kleiner. Alle (sonstigen) Parteien, der gesamte Me-dienapparat, viele (daran gut verdienende) Professoren empfehlen seit nunmehr 20 Jahren – und waren gesetzgeberisch erfolgreich – eine kapitalgedeckte Altersvorsorge, mehr noch: eine Kapitaldeckung des gesamten sozialen Sicherungssystems. Angesichts der Zustände auf den Kapitalmärkten, die seit Jahren unter einem Anlagenotstand leiden, ein geradezu verwegene Forderung. Nun brechen in immer kürzeren Abständen die Kapitalmärkte zusammen bzw. treiben sie die Nationalstaaten mit ihren obskuren Anlagestrategien von einer wagemutigen Rettungsaktion in die nächste. Auf diesen Märkten soll meine Altersversorgung sicher sein? Diese Zocker- und Casinomärkte sollen der geburtenstarken Generation das notwendige Kapitalpolster für Krankheit, Alter und Pflege bieten? Hieße ich Miegel, könnte ich nicht mehr schlafen. Nie ist eine Mainstreamlüge durch die Wirklichkeit schneller und härter bestraft worden. Doch wo ist die Linke, die dieses Desaster mit einer glaubwürdigen Alternative für sich nutzt?

Fazit: Jede politische Partei benötigt für ihren Erfolg neben einem attraktiven Pro-gramm und einem funktionierenden organisatorischen Apparat auch eine große Portion intellektueller Substanz, die sich aus Rede und Gegenrede, aus Argumenten und Kritiken, vor allem aber aus dem Zweifel speist. Jede Dogmatisierung (ein altes Problem der Linken), aber erst recht jede Tabuisierung von Themen aus Vergangenheit und Gegenwart schwächen eine Partei und machen sie unnötig angreifbar. Sich selbst und seine Vergangenheit in Zweifel zu ziehen und sich Ihr zu stellen, ist nicht nur das Merkmal der intellektuellen Redlichkeit einer Person, sondern auch für eine politische Partei unerlässlich.


7 Kommentare:

  1. Ich dachte dass eigentliche Problem der Linken sei:

    Ich bin jung und arm und ich gehe nicht wählen.

    Die Miegels profitieren von unserem schlechten Bildungssystem.

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  2. Wie waere es denn damit:
    "Grosse Teile der LINKEN schleppen den Ballast einer voellig unkritischen Einstellung gegenueber dem Kapitalismus mit sich. Mit Begriffen wie Kapitalismus verbinden Millionen Menschen grauenhafte Erfahrungen und Erinnerungen. Da helfen auch tausend Beteuerungen nicht, dass es sich um soziale Marktwirtschaft handele."

    - Das, was Sie den angeblich unbelehrbaren Linken unterstellen, tun Sie genau selbst. Sie schreiben von einer Position der Ueberheblichkeit, der Kalter-Krieg-Dogmatik und einem voelligen Fehlen selbstkritischer Reflexion der eigenen Axiomatik aus.

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  3. "Einer Einstellung, die jedem politisch wachen Bürger in Erinnerung geblieben ist und deshalb nicht einfach ausgelöscht werden kann."

    Nach diesem Satz hab ich aufgehört den Artikel weiter zu lesen. 'SO ein geschwurbel hör ich den ganzen Tag im Radio oder sehe es im Fernsehen.

    P,S. Ich bin gewiss kein Linker!

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  4. An Programmatik der PDL und auch an manchen öffentlichen Auftritten von einigen Mitgliedern kann man durchaus Kritik üben.
    Diese Partei ist ein sehr heteogener Verein, da tummeln alle möglichen Leute mit mehr oder wenigen ausgegorenen sozialistischen und kommunistischen Vorstellungen.
    SIe ist zur Zeit die bunteste, in vieler Hinsicht auch interessanteste Partei in Deutschland.
    Wohin sie letztlich gehen wird, vermag heute aber noch niemand zu sagen.
    Dennoch wäre es das Dümmste, Dämlichste, was Mitgieder oder Symphatisanten der PDL tun könnten, wenn sie ausgerechnet vor allen möglichen Nato-Kriegsverbrechern und Hartz 4 Verbrechern, vor all den verlogenen Politikern von CDU oder SPD, von FDP und Grünen anfingen, öffentliche Hetze Und Diffamierung der DDR zu betreiben.
    Wem nutzt denn diese Hetze?
    Doch wohl nur denen, die heute die Macht haben!

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  5. Ich muss in wesentlichen Teilen widersprechen. Auch wenn die West-Linken sich zum Teil aus der DKP rekrutierten, ein wesentlicher Teil kam aus der WASG, die für sich genommen zumeist enttäuschte SPD-ler vereinte. Es ist schlichtweg Unsinn, wenn behauptet wird, oder auch nur der Eindruck erweckt wird, der Hauptteil der West-Linken sei ein Haufen Kommunisten.

    Gleichwohl würde es den Linken sehr wohl gut tun, sich ausgiebig mit dem Thema DDR und auch Stasi zu befassen, selbst wenn sie selbst keine DDR-Vergangenheit haben. Nur so können peinliche und sehr medienwirksame Beißreflexe unterbunden werden.

    Ebenso schadet auch das verbale Muskelgeprotze dem öffentlichen Ansehen. Dennoch sind die Pläne zur Verstaatlichung von Energiekonzernen nicht zu umschreiben mit "mehr Kontrolle". Das Geschwurbel von mehr Kontrolle und Aufsicht bekommt man schon 24/7 von etablierten Parteien reingedrückt - ein Zurückfahren der Kritik auf bloße "Kontrolle" und "Aufsicht" würde der Linken sogar Stimmanteile abnehmen, eben weil Protestwähler (nicht notwendigerweise negativ konnotiert) fehlen, aus denen die Linken ihre Wähler zu einem nicht unwesentlichen Teil gewinnen. Darüber hinaus wäre eine bessere Aufsicht über Stromkonzerne in der Sache etwas anderes als eine Verstaatlichung oder Vergesellschaftung in irgendeiner Form. Verfassungsrechtlich stünde das, wie ja schon bemerkt, auch auf sicherem Fundament.

    Ich bin sicher mit dem Autor einer Meinung, wenn es um die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit geht, vor allem als Rechtsnachfolger der PDS und damit auch der SED. Ich glaube aber nicht, dass die Linke inhaltlich an Schärfe zurückstecken sollte. Das Säbelrasseln kann man gern lassen, aber wo radikale Gegenkonzepte möglich und denkbar sind, warum nicht doch mal anbringen? Schlimmer als mit dem jetzigen zuhauf neoliberal eingefärbten Mainstream inklusive Linkenbashing kann's doch kaum werden, oder?

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  6. Ich glaube man darf das mit der öffentlichen Wahrnehmung auch nicht ganz so überbewerten. Auch die SPD tritt für den demokratischen Sozialismus ein, die Jusos sind die Jungsozialisten usw. Soll sich die Linke dem neoliberalen Neusprech anschließen? Soll sie versuchen, sich der Springer-Presse anzubiedern, und irgendwann das Wort "links" vermeiden? Nein, über diesen Weg wird die Linke als Partei und auch die politische Linke insgesamt ihre Ziele nicht umsetzen können.
    Und statt Verstaatlichung steht eigentlich Vergesellschaftung im Programm, was ja nicht dasselbe ist. Das Problem ist die öffentliche Darstellung. Aber hier wäre ein Beispiel, wo die Linke gerade die Verdrehungen der Mainstream-Presse aufzeigen könnte.

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  7. "Einer Einstellung, die jedem politisch wachen Bürger in Erinnerung geblieben ist und deshalb nicht einfach ausgelöscht werden kann."

    Ja, ja. War schon schlimm in der BRD unter dem Realsozialistischen Terrorregime. Gott sei Dank sind Schmerz und Entbehrungen dieser schlimmen Zeit noch fest im Gedaechtnis der Menschen Eingebrannt, so dass ein Wiederaufleben des Sozialismus im Westen nicht zu befuerchten ist.

    Dass die SED-Nachfolgepartei im Osten vergleichsweise gut darsteht, erklaert sich natuerlich hauptsaechlich dadurch, dass die neuen Bundesbuerger all diese schlimmen Erfahrungen nicht machen mussten, und daher den Kommunisten voellig unkritisch gegenueberstehen.


    Und auch das:
    "Es muss ja nicht immer gleich die große Systemfrage sein "

    Vollkommen richtig. Wenn man mit dem Dampfer in ein Minenfeld gefahren ist, waere auch sicher niemand so dumm, zu versuchen dort wieder rauszukommen. Ein waches Auge und das geschmeidige Umfahren erkannter Seeminen reicht schliesslich vollkomen aus.

    Wuensche noch einen guten Tiefschlaf!

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