Von Frank Benedikt
Syrien hat angeblich “Scud”-Raketen an die Hisbollah geliefert – droht ein neuer Waffengang in der Region?
Gerade einmal vier Jahre ist es her, dass Israel mit Luftschlägen und schließlich auch Bodentruppen im Libanon einfiel, um die radikal-islamische Hisbollah-Miliz zu zerschlagen. Weit über tausend Tote, mindestens eine halbe Million Flüchtlinge und eine breitflächig zerstörte Infrastruktur waren die Folge. Nun mehren sich in der internationalen Presse und auch bei den Bloggern die Stimmen, die auf die Möglichkeit einer Neuauflage dieses Konfliktes hindeuten. Neben “den üblichen Querelen” kommt nun ein schärferer Ton ins Spiel, denn israelischen und amerikanischen Quellen zufolge wurde die schiitische Miliz von Syrien mit ballistischen Flugkörpern vom Typ “Scud-D” ausgerüstet und Israels Regierungsoffizielle greifen zu massiven Drohungen. Geht es aber wirklich nur um Raketen?
Seit 1943 unabhängig, ist der Libanon stets von einer Vielzahl ethnischer und religiöser Gruppen geprägt gewesen, darunter auch von den Schiiten, die etwa ein Drittel der Bevölkerung stellen. Diese explosive Mischung führte 1975 zu einem Bürgerkrieg, der bis 1990 andauerte und unter anderem beinahe 100.000 Tote forderte. Im Gefolge der islamischen Revolution im Iran und des israelischen Eingreifens in den andauernden libanesischen Bürgerkrieg, vereinigten sich verschiedene schiitische Gruppierungen zur “Hizbu ‘llāh”, um den Israelis Widerstand zu leisten. Sie waren dabei direkt von Ayatollah Ruhollah Chomenei inspiriert, der eine Fatwa zugunsten der schiitischen Milizen erlassen hatte, die nicht zuletzt durch rund 2.000 Pasdaran, iranische “Revolutionswächter” also, die zudem vor Ort standen, gestützt wurde. Ursprünglich vor allem von Iran unterstützt, änderte sich das Bild aber über die Jahre, da auch Syrien, einer der “Erzfeinde” Israels, versuchte, den Libanon als vorgeschobenes Glacis gegenüber Israel in Stellung zu bringen und sich dabei gerne auch der Hisbollah bediente und bedient.
In der Folge standen sich im “33-Tage-Krieg” 2006 nicht nur Israelis und libanesische Hisbollah-Milizen gegenüber, sondern es handelte sich auch um einen Stellvertreterkrieg zwischen Israel, Iran und Syrien. Die Kämpfe im Libanon, die im Juli 2006 ihren Anfang nahmen und gut einen Monat andauerten, führten – trotz hoher Verluste an aktiven Kämpfern – nicht nur nicht zu einer Entwaffnung und Schwächung der Hisbollah, sie stärkten sie sogar. Diese Gruppierung, die nicht nur einen militärischen Arm besitzt, sondern als legale Partei auch mit ihren Vertretern im libanesischen Parlament sitzt, hat einem Angriff der stärksten Armee in der Region trotz hoher Verluste “standgehalten” und ist nicht darunter zerbrochen, sondern gibt sich heute stärker denn je. Mittlerweile soll die Hisbollah über rund 35 – 40.000 Raketen verfügen, was in etwa eine Zahl von gut 10 Raketen pro bewaffnetem Kämpfer ergeben würde. Unter diesen finden sich überwiegend BM-21-Systeme, die Nachfolger der “Katjuscha” bzw. “Stalinorgel” aus dem Zweiten Weltkrieg, also kleinkalibrige, ungelenkte Raketen von relativ geringer Reichweite, die noch aus sowjetischer Entwicklung stammen, aber die schiitischen Paramilitärs verfügen sowohl laut eigenen wie auch fremden Angaben auch über weitreichendere Systeme. So haben die von Iran hergestellten und gelieferten Flugkörper der Typen “Zelzal-2″ und “Fateh-110″ eine Reichweite von über 200 Kilometern und könnten damit weite Teile Israels erreichen. Faktisch alle größeren Städte und vermutlich sogar die Nuklearanlage in Dimona sind somit seit Jahren potenziell bedroht.
Qualitativ würde eine Ausrüstung mit “Scud-D”-Raketen nach Ansicht mancher Fachleute der Hisbollah keine Vorteile bringen. So meint der britische Verteidigungsexperte Charles Heyman, dass dies der bisher sehr mobilen Guerillakampfweise der Schiitenmiliz zuwider laufen würde und auch der renommierte libanesische Blogger Elias Muhanna verweist auf die mangelnde Plausibilität eines Strategiewechsels. Abgesehen von der größeren Reichweite (zwischen 500 und 700 km) und einer geringfügig höheren Nutzlast, haben die Scud-Raketen gegenüber den “Fateh-110″ Nachteile: Sie sind zu groß und deshalb leicht aufzuspüren und auch abzuschießen, benötigen ein spezielles Startfahrzeug und haben eine längere Startvorbereitungszeit, da sie mit Flüssigtreibstoff betankt werden. Die “Fateh” hingegen kann von einem normalen Lastwagen aus gestartet werden, hat eine höhere Treffgenauigkeit, da sie mit GPS ausgerüstet werden kann, und wird mit Festtreibstoff betrieben – alles Punkte, die für die Verwendung durch eine Miliz, die sich der Guerillataktik verschrieben hat, sprechen. Eine Lieferung von “Scud-D” an die Hisbollah würde also keine wesentliche Veränderung im Kräfteverhältnis in der Region herbeiführen und den Vorgang von israelischer Seite aus als “game-changing” zu bezeichnen, mutet überzogen an.
Wieso nun also die Ankündigung, Syrien “in die Steinzeit zurückzubomben” und den Assad-Clan zu stürzen, falls die Hisbollah Israel mit “Scud”-Raketen angreifen sollte? Warum die Warnung des jordanischen Königs vor einem neuen Krieg in Nahost?
Mit dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses im Jahre 2000 und der folgenden zweiten “Intifada” nahmen die Spannungen in der Region wieder zu, nachdem es in den 1990er Jahren noch danach aussah, als wäre eine Verhandlungslösung in greifbare Nähe gerückt. Raketen- und Granatüberfälle von Hamas und Hisbollah einerseits, und Militärschläge durch Israel andererseits sowie die vielfach als völkerrechtswidrig angesehene Besiedelung der besetzten Gebiete führten zu einer Verschärfung der Lage, die nicht zuletzt durch den israelischen Einmarsch in Libanon 2006 und in den Gaza-Streifen 2009 wieder in das Bewußtsein der Weltöffentlichkeit geriet. Wiederholte Raketenangriffe und Verschleppungen israelischer Soldaten, vor allem durch die Hisbollah, sowie deren Weigerung, sich gemäß den UN-Sicherheitsrats-Resolutionen 1559, 1680 und 1701 zu entwaffnen, bergen nach Ansicht von Analysten durchaus das Potenzial für einen neuen Konflikt. Es melden sich allerdings auch Stimmen, die in der aktuellen israelischen Warnung nur ein Ablenkungsmanöver sehen.
Doch nicht nur Israels Angst davor, von den USA zu einem Abkommen mit den Palästinensern genötigt zu werden, könnte der Anlaß zu einem solchen Manöver sein, denn der Zeitpunkt, zu dem dies geschieht, ist bemerkenswert: Washington unternimmt seit kurzer Zeit Schritte hinsichtlich eines Annäherungskurses an Damaskus, nicht zuletzt auch durch Senator John Kerry gefördert, den stärksten Fürsprecher Syriens im US-Senat. Nachdem die USA nach der Ermordung Rafik Hariris 2005 ihren Botschafter aus Damaskus abgezogen hatten, blieb als einziger direkter diplomatischer Kanal nur noch der syrische Botschafter in Washington, Imad Mustapha, der als nicht sehr kompetent gilt und dies durch sein Versagen, seiner Regierung die US-Sanktionen gegen Syrien zu erklären, auch unter Beweis gestellt hat. In diesen Wochen nun, da die “Scud”-Meldung durch die Weltpresse ging, wurde in Washington der erfahrene Diplomat Robert Ford zum neuen Botschafter in Damaskus ernannt – in der Hoffnung, durch einen “direkten Draht” zu Bashar al-Assads Regime einer friedlichen Lösung in Nahost wieder einen Schritt näher zu kommen. Wäre aber Jerusalem daran gelegen, diese Politik der Wiederannäherung zu konterkarieren, hätten die “Scuds”, deren Lieferung an die Hisbollah weiterhin unbewiesen ist, zu keinem günstigeren Zeitpunkt in der Diskussion auftauchen können. Mit Namen wie “Fateh-110″ oder auch “Zelzal-2″ weiß die Weltöffentlichkeit nicht viel anzufangen, während der Name “Scud” noch aus dem Zweiten Golfkrieg 1991 einem breiteren Publikum geläufig und eher dazu geeignet ist, alte Ängste zu wecken.
Nachdem die Wiederaufnahme der israelisch-syrischen Verhandlungen, die einst sehr vielversprechend waren, bis auf Weiteres gescheitert ist und ein generelles Scheitern durchaus auch im Interesse Jerusalems lag, scheint es nicht auszuschließen, dass Israel den US-Bemühungen um eine Verständigung mit Syrien mehr als nur skeptisch gegenübersteht. Die Spannungen zwischen Israel und Syrien wachsen wieder und dass Syrien sein Nuklearprogramm weiterzuführen scheint und auch seine Chemiewaffenkapazität ausbaut, wird sicher nicht zu einer Entspannung zwischen den beiden “Erzfeinden” beitragen und ohne neue Gespräche ist ein weiterer Konflikt mit hoher Wahrscheinlichkeit vorprogrammiert. Das primäre Schlachtfeld dürfte dabei aber wohl wieder der Libanon werden.
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