Von Stefan Sasse
Roland Koch kann für sich das gleiche Verdienst in Anspruch nehmen wie Guido Westerwelle: er hat einen Missstand frei jeglicher Sachkenntnis kritisiert und dabei die völlig falschen Schlussfolgerungen gezogen. Konsequenterweise dreht sich die öffentliche Diskussion auch mehr um die Person und ihre intellektuellen Unterkapazitäten als um den Gegenstand an sich. Streichungen von bis zu 30% am Bildungssystem sind wie das Streichen der Essensrationen eines durchschnittlichen Sahelzonenbewohners. Das Problem löst sich irgendwann automatisch nach dem Stalin'schen Motto "Kein Mann, kein Problem". Wenn man den Bildungsssektor noch ein paar Jahre weiter austrocknet und am besten mit dem Rasenmäher noch in der Gegend herumkürzt, die Filetstücke privatisiert und den Rest vor die Hunde gehen lässt, haben wir tatsächlich keine Bildungsdebatte mehr. Die ist dann überflüssig.
Aber was will man auch tun? Bildung ist seit einigen Jahren das Leib- und Magenthema jedes Politikers. Es hat sogar zeitweise den absoluten Quotenhit "Wachstum" verdrängt, am liebsten aber taucht es in Konjunktion mit diesem auf. Wir brauchen dann Bildung für Wachstum, oder Wachstum in der Bildung für Wachstum anderswo oder wie auch immer. "Bildung" ist inzwischen etwas, das man mit der gleichen Vehemenz und ungeteilten Zustimmung fordern kann wie "Wachstum", und wirklich sexy ist, dass man ja nichts machen kann. Im Bund hat man keine Kompetenz und in den Ländern kein Geld. So kann man den Schwarzen Peter immer munter weiterschieben. Echte Profis wettern aus der Landtagsopposition entweder über das dreigliedrige Schulsystem oder die Ganztagsschule, je nach Couleur. Richtig pfiffig ist es auch, Skandinavienvergleiche anzustellen, am besten, wenn sich das Wissen über deren Bildungsstand auf ihre Pisa-Platzierung beschränkt.
Was aber ist denn eigentlich das Problem? Warum passiert nichts nach der Ausrufung der "Bildungsrepublik Deutschland" (echt gute Wortschöpfung, dafür darf sich die CDU selbst auf die Schulter klopfen)? Warum bringen all die Sonntagsreden keine politischen Aktionen hervor? Politisch einigermaßen informierte Zeitgenossen werden auf den deutschen Bildungsföderalismus verweisen und damit, obwohl es wirklich eine furchtbar platte Erklärung ist, auch noch Recht haben. Der Bund darf seit der Föderalismusreform II im Bildungsbereich der Länder praktisch gar nicht mehr aktiv werden, was schon damals stark kritisiert wurde und absehbar auch eine dumme Entscheidung war, wenn auch vor dem Hintergrund Annette Schavans als Bundesministerin einigermaßen verständlich. Die Länder gleichzeitig wurden aber durch die letzten Steuerreformen derart stark ausgeblutet, dass es keinerlei Spielraum mehr gibt, dürfen aber dank dieser Reform nicht einmal Geld vom Bund nehmen, wenn der es ihnen anbieten würde.
Vertrackte Situation, das. Nach Lage der Dinge müssten CDU und SPD sich tatsächlich zusammentun, die Föderalismusreform hernehmen, dank der aktuellen Schwäche der SPD noch einen dritten Partner finden und dann mit der 2/3-Mehrheit einmal mehr am Grundgesetz herumfuhrwerken und endlich die erste tragfähige Schulreform fabrizieren, die von den Amerikanern bereits bei den Beratungen zum Grundgesetz 1949 gefordert und schon damals verweigert wurde. Doch selbst wenn dieser äußerst unwahrscheinliche Kooperationswille gegeben sein sollte, steht gleich das nächste Problem im Weg: die CDU und die FDP stehen bildungspolitisch voll hinter dem dreigliederigen Schulsystem, während SPD, Grüne und LINKE für integrierte Schulformen wie die Gesamtschule zumindest mit gemeinsamen Lernen bis zur sechsten Klasse stehen.
Die ideologischen Gräben hier sind sehr tief und ziehen sich im Gegensatz zu anderen Themenfeldern auch quer durch die Gesellschaft. CDU und Grüne mussten in Hamburg nicht als erste erfahren, was der Widerstand der Gymnasialeltern bedeutet, die mit einer Schulreform, die irgendwie das Gymnasium berührt, in Kontakt kommen. Tatsächlich ist der Widerstand dieser bürgerlichen Eltern, die ihren Nachwuchs vor allzu engem schulischen Kontakt mit der Unterschicht bewahren und das Ticket für den späteren beruflichen Aufstieg nicht verpassen wollen, eines der Haupthindernisse einer echten Bildungsreform, das auch die SPD immer wieder zurückschrecken lässt (Grüne und LINKE sind da als kleine Parteien freier, sie können fordern, was sie wollen, weil es eh die SPD zur Umsetzung bräuchte). Besonders die CDU geriert sich gern und mit Erfolg als Schutzmacht dieser besorgten Eltern, ein Feld, auf dem ihnen die FDP in letzter Zeit Konkurrenz gemacht hat - kein Wunder, wenn man nach Hamburg oder ins Saarland blickt, wo der grüne Gott-sei-bei-uns mit den Christdemokraten regiert und weitgehende Zugeständnisse in der Bildungspolitik erwirkt hat.
Solange also kein gesamtgesellschaftlicher Konsens über die Notwendigkeit einer Schulreform hergestellt ist, wird diese auch nur schlecht möglich sein. Dieser Konsens besteht bezüglich der Hauptschule, die durch eine Abstimmung mit den Füßen in den letzten 20 Jahren systematisch ruiniert wurde. Sie heute kaum mehr als eine Resteschule für die, die wirklich nirgends anders hinkönnen oder wollen. Konsequenterweise ist ihr Ende auch deutlich absehbar, und sei es auch nur in der kosmetischen Umbenennung in "Werkrealschule". Es ist ein Narr wer glaubt, solche Umetikettierungen schüfen keine Eigendynamiken.
Es ist also nicht damit zu rechnen, dass in näherer Zukunft irgendwo, selbst unter rot-rot-grüner Herrschaft, eine durchgreifende Schulreform stattfinden würde, die dem alten dreigliedrigen - oder bald zweigliedrigen - System den Todesstoß versetzt und durch eine Gesamtschule mit aufbauender freiwilliger Oberstufe ersetzt. Dafür sind die Widerstände in der Elternschaft und im konservativen Teil des Parteienspektrums - quer durch alle Parteien - zu hoch. Dummerweise wird jedoch wohl auch die finanzielle Notlage des Systems sich nicht bald bessern. Die Einnahmequellen der Länder sind katastrophal, die Bildungspolitiker immer noch vom Geist von Bologna und den privatisierten Elitenbildungsanstalten beseelt und der Bund komplett handlungsunfähig. Eine Bildungsoffensive, wie sie Ende der 1960er Jahre durchgeführt wurde, ist also vorerst nicht zu erwarten. Dies liegt tatsächlich an der fehlenden gesamtgesellschaftlichen Relevanz des Themas. Zwar stimmt jeder der Forderung zu, dass das Bildungssystem verbessert werden müsse, doch an die eigenen Pfründe will sich niemand gehen lassen. Als durch die damalige Bildungsoffensive der Anteil der Gymnasiasten von rund 2%, die er noch in den 1950er Jahren hatte, auf heute deutlich über 40% anstieg, gingen auch viele Pfründe verloren. Aber damals lag dieser Wechsel in der Luft, maßgeblich befeuert durch "Die Bildungskatastrophe" und das entsprechende Problembewusstsein. Von einer Wechselstimmung ist aber heute nichts zu spüren, stattdessen versuchen alle, sich mit aller Macht an das zu klammern, was sie derzeit haben, so wenig es auch sein mag.
Düstere Aussichten. Aber wahrscheinlich wahr. Das heißt, erst wenn uns ein bildungsfernes "Proletariat" durch steigende Kriminalität die Hölle heiß macht, und in der BRD tatsächlich ein Fachkräftemangel herrscht (den aktuellen halte ich für einen urban myth), herrscht vielleicht eventuell ein Konsens Geld in das Bildungssystem zu pumpen. Aber vielleicht hat die Bildungsmisere auch System, wie Georg Schramm vermutet...
AntwortenLöschenPS: Könntest du genauer erläutern, warum du den Vergleich der BRD mit Skandinavien für falsch hältst?
Ich halte keinen Vergleich für falsch; ich sage nur dass die meisten dieser Vergleiche ohne Sachkenntnis geführt werden.
AntwortenLöschenNützlich ist der Skandinavien-Vergleich schon, wenn man auf die mangelhafte Finanzierung hinweisen will, siehe auch Programm der Linken in NRW. Denn es ist ja nun unbestreitbar, dass wer doppelt so viel Geld bereitstellt, auch erheblich mehr Lehrer, Professoren etc. bezahlen könnte und damit die Betreuungsverhältnisse deutlich verändern könnte. Insofern ist ein Vergleich wie der mit Schweden gar nicht so schlecht. Allerdings muss man, wie du richtig bemerkst, sich vor dem Fehler hüten, Pisa als alleinigen Indikator für Bildungserfolge zu verwenden, auch wenn meines Wissens keine anderen Test in dieser Breite durchgeführt wurden. Dass in Skandinavien aber auch nicht alles toll ist, und dass finnische Schüler nicht von Geburt an und unabänderlich schlauer sind, braucht man ja nicht mehr diskutieren...
AntwortenLöschenVermutlich ist der Vorstoß von Koch doch abgesprochen: der böse Roland wird von der guten Mutti zurückgepfiffen. Allgemeine Erleichterung, dass an der Bildung doch nicht gespart wird. Um so leichter werden andere Kürzungen durchzusetzen sein, bei den Renten, Löhnen usw.
AntwortenLöschenWenn's denn so wäre. In Hessen hat Koch schon den Rotstift angesetzt. Der Hochschulpakt ist unterschrieben und das Demonstrieren war wieder mal umsonst...
AntwortenLöschenEin "Window of Opportunity" ist nach dem Multiple-Streams-Ansatz abhängig von den Entwicklungen in 3 politischen Strömen: Problem-Strom, policy-Strom und politics-Strom.
AntwortenLöschenDer policy-Strom bietet genug sinnvolle Ansätze, die anderen beiden sind aber wohl noch nicht so weit, auf das Gelegenheits-Fenster müssen wir noch warten. Und wenn es soweit ist, braucht es fähige und willige "politische Intrepreneure" die die Gelegenheit nutzen und es durchsetzen.
Düstere Aussichten, aber das gilt immer und überall für jede Reform.
Georg Schramm hat es einmal auf den Punkt gebracht: "Wir brauchen Idioten, sonst frisst keiner das Gammelfleisch!".
AntwortenLöschenInsofern ist und bleibt Bildung ein Sonntags-Thema. Wer Bildung auf breiter Ebene finanzieren möchte, für mehr Chancengleichheit sorgen will, der rüttelt doch am feudalistischen Bildungssystem in Deutschland!
Sehr viele sind daran interessiert, die Klassengesellschaft in Deutschland aufrecht zu erhalten.
Insofern kann ich das Thema Bildung als Slogan nicht mehr hören. Denn seit über 10 Jahren wird im Bildungsbereich nur gekürzt und gestrichen.
Ich würde mal über folgenden Satz nachdenken:
AntwortenLöschenGymnasiasten von rund 2%, die er noch in den 1950er Jahren hatte, auf heute deutlich über 40%
Sind die Leute WIRKLICH 20mal schlauer, oder das Gymnasium 20mal abgewertet worden.
Diese hat wohl erst die "Abstimmung mit den Füßen" möglich gemacht.
Die Leute sind nicht zwanzig mal schlauer. Die Einführung der Lehrmittelfreiheit hat hier eine entscheidende Rolle gespielt: wenn erst mal jeder auf das Gymnasium KANN, der KÖNNTE, ist viel gewonnen.
AntwortenLöschenIrgendwie bin ich zu blöd, warum kann nicht jeder aufs Gymi, der könnte? Wäre das nicht der Anfang der Revolution, wenn sich die, die es angeblich nicht können, aufraffen, um es doch zu schaffen?
AntwortenLöschenNun, Studien haben beispielsweise ergeben, dass Migrantenkinder 600 Punkte brauchen, um aufs Gymnasium zu kommen, Akademikerkinder nur 420.
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