Samstag, 15. Mai 2010

Was wir aus dem Ersten Weltkrieg lernen können

Von Stefan Sasse

Der Erste Weltkrieg darf wohl unbestritten als eine der größten Krisen gelten, die Europa in der jüngeren Geschichte heimgesucht haben. Jenseits all des verursachten menschlichen Leids brachte er gigantische Kosten mit sich, die von den beteiligten Staaten selbst unmöglich zu stemmen waren. Das Wirtschaftsleben kam praktisch zum Erliegen, die Rüstung musste bezahlt werden, die Bevölkerung versorgt und die Soldaten besoldet. Die meisten Staaten wählten dazu den Weg der Kriegsanleihen, indem sie Papiere an die breite Bevölkerung verkauften, deren Verzinsungsversprechen nach dem Sieg durch vom Gegner eingetriebene Reparationen beglichen werden sollten. Die Rüstungskonzerne machten dabei herausragende Gewinne. 

Wie das ganze ausging, wissen wir. Deutschland verlor den Krieg und erlitt bald eine gigantische Inflation, da man die inneren Kriegsschulden mit der Druckerpresse beglich. Die Mittelschicht zerbrach dadurch praktisch vollständig; nur ein drastischer Währungsschnitt im Herbst 1923 rettete die Republik vor dem Untergang, ließ jedoch weite Teile des Volkes völlig verarmt und der Demokratie entfremdet zurück. Die deutsche Wirtschaftsleistung reichte nicht, um die erhofften Reparationen besonders an Frankreich und England zu bezahlen, so dass diese bald am Geldtopf der USA hingen, ebenso wie die Weimarer Republik - was bereits 1929 zu einer katastrophalen Kettenreaktion führte, als die wirtschaftlichen Verwerfungen an der Wall Street den Kontinent innerhalb kürzester Zeit erreichten. Die Welt rutschte daraufhin in Protektionismus und gegenseitiges Misstrauen und ein ökonomisch verlorenes Jahrzehnt.

Interessieren soll uns aber die Kriegsfinanzierung selbst. Da die Männer größtenteils an der Front waren und die Ersatzleistungen an deren Frauen kaum ausreichend waren und zudem hoher Arbeitskräftebedarf bestand, arbeiteten viele junge Menschen und Frauen in der Rüstungsindustrie. Diese drückte die Löhne und fuhr exorbitante Gewinne ein. In dieser Situation traten die Gewerkschaften auf den Plan, traditionell besonders in Deutschland und England stark (in Frankreich ersetzte sie teilweise das sozialistisch geführte Kriegsministerium). Sie führten harte Lohnverhandlungen und sicherten Mindeststandards. In Deutschland gelang ihnen außerdem die Anerkennung als Tarifpartner, die nach dem Krieg im Stinnes-Legien-Abkommen verinstitutionalisiert wurde. Dadurch hielten die Löhne wenigstens halbwegs mit der brutalen Inflationsrate mit.

In England jedoch geschah darüber hinaus etwas bemerkenswertes: die Gewerkschaften besaßen dort eine Verhandlungsmacht, die aus heutiger Perspektive kaum zu glauben ist und zu Beginn der 1980er Jahre von Maggie Thatcher in den wohl brutalsten Arbeitskämpfen des späten 20. Jahrhunderts gebrochen wurde. Die englischen Gewerkschaften verlangten von der Regierung, hohe Sondersteuern auf die Gewinne der Rüstungsfirmen zu legen - und kamen damit durch. Im Gegensatz zu allen anderen am Krieg beteiligten Staaten finanzierte England ihn größtenteils aus dem Steueraufkommen und musste weniger auf das Mittel der Kriegsanleihe und Druckerpresse zurückgreifen. 

Was lehrt uns das für die heutige Krise? Wären Entscheider und Berater von dem Schlag, an dem wir uns heute erfreuen, auch damals an den Schalthebeln gesessen, dann wäre das Geschrei groß gewesen. Man hätte erklärt, dass in einer solchen Krisensituation der Gürtel enger geschnallt und Opfer erbracht werden müssen. Mindestlöhne, Lohnsteigerungen, Steuern auf Rüstungsgewinne (an der Stelle ersetze man "Rüstungs-" durch "Banken") - all das wäre in der Krise ganz und gar nicht statthaft gewesen. Das Beispiel dieses allumfassenden Krieges zeigt aber, dass gerade eine Krise genutzt werden kann, um auch solche radikalen Maßnahmen zu ergreifen.

Legt die falsche Furcht vor den Banken ab! England brauchte die Rüstungsindustrie 1914 genauso wie wir die Banken 2010, und systemrelevant waren sie für die Insel damals ohne Zweifel. Trotzdem beteiligte man sie selbstverständlich an den Kosten. Das sollten wir heute ebenfalls tun. Die Banken wurden unter großen Opfern gerettet, es ist Zeit, dass sie ihren Teil leisten. Die Leistungsfähigkeit dafür ist angesichts der ausgewiesenen Reingewinne und Bonuszahlungen offensichtlich vorhanden. An die Arbeit!

5 Kommentare:

  1. Nun, lieber Stefan, die Leute waren nicht nur dank der Inflation "der Demokratie" entfremdet. Die rückwärts gewandte Sehnsucht nach dem Kaiserreich, die Wühlarbeit der monarchistischen und nationalistischen Presse, die Unruhen infolge der Konterrevolution - all das spielte eine Rolle.

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  2. Nun, lieber Fank, das ist mir durchaus klar, spielt aber für die Thematik keine Rolle :)

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  3. "junge Menschen und Frauen..." , na wenn das Frau Schwarzer liest ;)

    Zum Inhalt: Sicherlich kann die Besteuerung der Rüstungsindustrie ein Vorbild für heute sein, doch welche gesellschaftliche Gruppe hat vergleichbare Macht wie die damaligen englischen Gewerkschaften? Der DGB? Der kuschelt doch lieber mit der Wirthschaft, um einen mageren Inflationsausgleich und eine Beschäftigungsgarantie für die nächsten vier Jahre zu bekommen.... die Linke? Die fordert das ja schon seit die Milliarden für die Banken geflossen sind. Die Volksparteien? Da können wir froh sein, wenn wir eine homöopathische Transaktionssteuer bekommen, wenn überhaupt.
    Also ich sehe da schwarz, leider :(

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  4. Dazu müsste jedoch Stefan wissen , was der derzeitigen Inflation vorausgegangen ist? (ich sehe du näherst sich dem Thema... Lob dafür)

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  5. Ein Video noch dazu (ein von den wenigen) ? http://www.youtube.com/watch?v=w9a5tPJNf8Q&playnext_from=TL&videos=WSOva6Ay3PI

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