Sonntag, 4. Oktober 2009

Buchbesprechung: Klaus-Dietmar Henke (Hrsg) - Revolution und Vereinigung 1989/90

Es ist zwanzig Jahre her, dass die Mauer gefallen ist. Im November ist der offizielle Jahrestag, aber auch, wenn der Mauerfall als solcher ein singuläres, bestimmbares Ereignis war, so hat er sich doch bereits Wochen zuvor vorbereitet. Denn seit 1988 spätestens gärte es in der DDR, und es war klar, dass etwas passieren würde. Was aber genau geschehen würde, das wusste niemand. An eine Maueröffnung wurde kaum geglaubt, viel wahrscheinlicher erschien allen die „chinesische Lösung“, als friedliche Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens von der bewaffneten Staatsmacht brutal niedergeschossen wurden. Dieses Szenario, wir wissen es heute, war auch das wahrscheinlichere.

Wie zur Feier des Ereignisses, der fast einzigen wirklich friedlichen Revolution der jüngeren Menschheitsgeschichte, hat dtv einen Sammelband diverser Essays unter Leitung von Klaus-Dietmar Henke herausgegeben. In diesem Band finden sich auf 736 Seiten insgesamt 37 Essays. Abgesehen von zwei einführenden Texten sind diese dabei thematisch zwei größeren Blöcken zugeordnet: der eine, erste Block befasst sich gewissermaßen mit der Innenperspektive. „Krise und Aufbruch in der Deutschen Demokratischen Republik“ ist er überschrieben. Darin werden die Ursachen der Krise untersucht, in der sich die DDR ab 1988 befand, und die Natur dieser Krise mit der Frage verknüpft, warum sie die DDR, ein an Krisen nicht armes Gebilde, denn letztendlich zu stürzen vermochte. Dabei wird der DDR-Wirtschaftspolitik ein ebensogroßer Raum eingeräumt wie der entstehenden Bürgerrechtsbewegung, die ja ein sehr heterogenes Gebilde war. Stück für Stück entstand diese Bewegung und artikulierte ihre Forderungen, sofern sie sich nicht – was eigentlich ein großer Teil war – auf artikulierten Missmut beschränkte. An Untergang der DDR und Vereinigung mit der BRD dachte damals niemand.

Doch im Verlauf dieser Proteste, die immer mehr an eigener Dynamik gewannen, der die morsche DDR-Führung wenig entgegenzusetzen hatte, entglitt es den Verantwortlichen immer mehr. Tausende gingen auf die Straße und verlangten Reformen, und so führte eines zum anderen, Gebete in der Nicolai-Kirche, Montagsdemos, Mauerfall – keine zwingende Ereigniskette, bei weitem nicht. Die Führung war eigentlich entschlossen, den Aufstand notfalls zusammenschießen zu lassen, nur wagte sie es nicht. Die Volkspolizei blieb in den Kasernen. Andernfalls hätte der Herbst 1989 wohl einen blutigeren Verlauf genommen.

Die DDR-Führung war der Ereignisse offensichtlich nicht mehr Herr, und die Protestbewegung war von ihrem eigenen Erfolg überrascht und immer noch so heterogen und unsicher in ihren Forderungen als ehedem. In dieser Situation kam ein beherzt zugreifender Kohl, der die Weichen schnell und entschlossen, auch gegen den Willen der Bürgerrechtsbewegungen in der DDR, auf Einheit stellte. Wie dies innerhalb der DDR vonstatten ging wird hier beschrieben.

Der zweite Teil widmet sich dann der außenpolitischen Dimension. Deutschland war kein Staat wie jeder andere, noch galten alliierte Vorbehaltsrechte. Die Zustimmung der vier Sieger von 1945 war nötig, um die Vereinigung vollziehen zu können. In einem diplomatischen Meisterstück versicherte sich Kohl ihrer; das ist sein historischer Verdienst. Ebenfalls seine Verantwortung ist es, wie die Vereinigung denn vollzogen wurde. Viel böse Worte sind dafür gefunden worden; Anschluss, Annexion, Ausverkauf – sie sind wohl wahr. So erfolgreich die Einigung außenpolitisch inszeniert wurde, so kläglich scheiterte sie im Inneren. Die blühenden Landschaften Kohls wurden nie Wirklichkeit, stattdessen bereicherten sich westdeutsche Banken unter tatkräftiger Hilfe einer Riege von Staatssekretären und anderen Männern der zweiten Reihe, die heute die erste spielen – Horst Köhler und Hans Tietmayer stehen hier nur pars pro toto.

Diesem Teil widmet der Band leider nicht viel Aufmerksamkeit. Obgleich der wissenschaftliche Anspruch hoch und die Beiträge angenehm ideologiefrei sind, kann man sich des Eindrucks manchmal nicht erwehren, dass allzu kritische Töne vermieden werden und stattdessen das Loblied auf die deutsche Einigung gesungen werden sollte. Auch mehr Mut bei der Benennung der Verantwortlichen wäre wünschenswert gewesen. Dies ist schade, aber es ist letztlich nur ein kleiner Wermutstropfen in einem insgesamt sehr interessanten und empfehlenswerten Werk.

3 Kommentare:

  1. Hallo Herr Freidenker,
    Glückwunsch zum 1000. Leser. Ich war es nicht, ich bin schon länger dabei.
    Zum Thema: Es muss etwas Besseres geben als das vorgestellte Buch.
    Schau mal nach Daniela Dahn und ihrem letzten Buch "Wehe dem Sieger".
    Das Buch ist in der Mitteldeutschen Zeitung verrissen worden - ergo, es muss gut sein. Leider kann ich es mir nicht kaufen und unsere Bibliothek hat es auch noch nicht.
    http://www.danieladahn.de

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  2. Schon interessant, wenn der Deutsche mal eine "Revolution" beginnt. Und ganz besonders, wenn er dann mittendrin plötzlich abkackt. Praecox! Dumm gelaufen.
    http://societe-electronique.org/articles/2009/10/3/autoritaerer-charakter-und-deutsche-freiheit

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