Dienstag, 27. Oktober 2009

Der kranke Mann Deutschlands - Deutschlands Bildungssystem, Teil 5: Lehrerbildung

Teil 1: Auftakt
Teil 2: Welche Wurzeln hat unser Bildungssystem?
Teil 3: Schulformen
Teil 4: Infrastruktur
Teil 5: Lehrerbildung
Teil 6: Die Universitäten

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Heute wollen wir uns in der Serie zum Bildungssystem der Lehrerbildung widmen. Dies besteht aus zwei Teilen, einem Großen und einem Kleinen. Der große Teil befasst sich mit der universitären Ausbildung und dem anschließenden Referendariat, der zweite kleine Teil mit der Lehrerfortbildung während des Berufs. Dies hängt nicht mit Prioritäten zusammen, etwa dass die spätere Fortbildung einfach unwichtig wäre, sondern damit, dass es mir hier an persönlichen Erfahrungen mangelt und dass ich mich auf einige wenige Erzählungen befreundeter, fertiger Lehrer verlassen muss. Die Lehrerausbildung an Universität und Referendariat wird sich aus naheliegenden Gründen auf das Lehramt für Gymnasien in Baden-Württemberg beschränken müssen, was die konkreten Beispiele anbelangt. Für alles andere fehlen mir die Erfahrungen.

Um Lehrer zu werden, muss man hierzulande – sofern man kein Quereinsteiger ist – ein Studium mit dem ersten Staatsexamen abschließen (wobei man eine zugelassene Fächerkombination braucht), danach das Referendariat absolvieren und danach das zweite Staatsexamen bestehen. Aus erstem und zweitem Staatsexamen ergibt sich die Endnote, mit der man sich an den Schulen bewerben kann. Das erste Staatsexamen bewertet dabei die wissenschaftlich-fachliche Eignung des angehenden Lehrers, das zweite Staatsexamen die pädagogisch-fachdidaktische Eignung. Um das Studium anzutreten, benötigt man das Abitur (und je nach Fach den richtigen Schnitt).

Während des Studiums muss man eine Reihe von fachwissenschaftlichen Seminaren, Vorlesungen und Übungen absolvieren, die deutlich über den Schulstoff, der später gelehrt wird hinausgeht und die Befähigung vermitteln sollen, wissenschaftlich zu arbeiten – sie sind also keine Ausbildung für Lehrer, sondern angehende Wissenschaftler. Über Sinn und Unsinn dieser Aufteilung kommen wir später noch zu sprechen; in der Kritik ist sie dauerhaft, weswegen die Struktur auch beständig reformiert wird. Nach aktuellem Stand müssen deswegen für jedes Fach ein fachdidaktisches Seminar, insgesamt zwei Seminare zu pädagogischen Studien und je eine Vorlesung zur Einführung in die Pädagogik und die pädagogische Psychologie absolviert werden. Außerdem müssen die Lehramtsstudenten zwei Scheine (Qualifikationen) für EPG (Ethisch-Philosophische Grundbildung) erwerben, mit denen den Lehrern das Handwerkszeug für ethische Entscheidungen an die Hand geben soll. Die pädagogischen Studien und EPG-Seminare gehen außerdem zu insgesamt 10% in die Note des ersten Staatsexamens ein. In Baden-Württemberg müssen die Studenten inzwischen auch ein Praxissemester absolvieren, das während des Studiums eingeschoben wird und helfen soll, Untaugliche bereits während des Studiums auszusieben.

So weit die Formalien. Die Realität sieht natürlich nicht ganz so rosig aus. Da ist zum Beispiel der drohlich im Hintergrund dräuende Bologna-Prozess, der eigentlich eine Umstellung aller Studiengänge auf das Bachelor-Master-System vorsieht – auch für das Lehramt, das bisher über Staatsexamen geregelt wird. Erste zärtliche Versuche, einen „Bachelor of Education“ zu schaffen, sind im Sande verlaufen – die Kultusbürokratie erklärte, keine Lehrer mit Bachelor einstellen zu wollen. Da aber im Schnitt nur ein Drittel aller Bachelorstudenten auch einen Master machen, der nicht garantiert ist, kann das nicht funktionieren. 2010 müsste die Umstellung laut Bologna erfolgt sein – dass das nicht passieren wird ist jedem klar, und sieht man sich die Zustände in den ehemaligen Magister- und Diplomstudiengängen an kann man nur drei Kreuze machen und sich darüber freuen. Ein Kommilitone von mir studiert im sechsten Semester auf Bachelor – einen Bachelor, den es schon lange nicht mehr gibt und für den kaum jemand die richtigen Scheine ausstellen kann, weil er schon drei- oder viermal geändert wurde.

Solange das Staatsexamen weiter existiert, und dafür spricht dieser Tage einiges, wird also die bisherige Struktur weiter existieren. Unwahrscheinlich ist, dass es große Änderungen am fachwissenschaftlichen Teil geben wird. Die Universitäten geben viel auf die wissenschaftliche Ausbildung und sind nicht geneigt, hier Abstriche zu machen – im Vergleich zu von vor zehn oder gar zwanzig Jahren ist eine rapide Steigerung an Pflichtveranstaltungen und damit eine stärkere Formalisierung des Studiums auszumachen. Diese Tendenz ist besonders stark in den pädagogisch-fachdidaktischen Veranstaltungen, die durch die verschiedenen Reformen (vor allem die Lehramtsreform von 2001) aufgepropft wurden, um dem ewigen Vorwurf, die Studenten würden erst im Referendariat mit der schulischen Wirklichkeit konfrontiert entgegenzuwirken. In den viereinhalb Jahren, die ich mittlerweile studiere, wurden die Anforderungen für diese Veranstaltungen immer weiter verschärft; durchschnittlich ändern sich die Prüfungsordnungen alle zwei Semester verbindlich für alle Studierenden. Als ich anfing, waren die beiden Vorlesungen noch Sitzscheine – das heißt, sie wurden erfolgreich bestanden, indem man sich jede Vorlesung in eine Liste eintrug. Danach konnte man im Prinzip auch wieder gehen, ein Angebot, von dem viele Gebrauch machen. Dies hängt damit zusammen, dass die Prüfungsordnung vorsieht, dass die Scheine für diese beiden Vorlesungen unbenotet sind und für die „erfolgreiche Teilnahme“ ausgestellt werden.

Nun gab es für die Professoren, die vor fast leeren Vorlesungssälen lehrten, sobald die Anwesenheitslisten durch waren, zwei Möglichkeiten. Sie konnten die Situation einerseits akzeptieren und sagen, dass die Studenten erwachsen waren und ihre eigene Entscheidung treffen konnten, wie das eigentlich dem Selbstbild der universitären Ausbildung entspricht. Oder aber sie verschärfen die Bedingungen. Genau das ist passiert, was interessant ist. Zuerst wurden Klausuren eingeführt, die statt der ständigen Anwesenheit die selbige dokumentieren sollten. Dies führte dazu, dass erst recht niemand die Vorlesungen besuchte sondern stattdessen einfach nur die Klausur schrieb, die relativ einfach zu bestehen war – angesichts von 400 bis 500 Studenten, die diese Vorlesungen pro Semester besuchen, ist etwas anderes als Multiple-Choice kaum möglich. Letztes Semester (Sommersemester 2009) wurden die Bedingungen deshalb erneut verschärft: nun wird die Anwesenheit durch während der Vorlesung abzugebende und nach der Vorlesung online zu lösende Aufgaben kontrolliert. Gleichzeitig werden die Seminare zu den „Pädagogischen Studien“ standardisiert. Früher gab es zahllose Themen in diesen Seminaren, von der Leistungsbewertung im offenen Unterricht zu der Sinnhaftigkeit von Hausaufgaben über Formen offenen Unterrichts. Inzwischen gibt es fast nur noch die standardisierten Module „Lehrer, Lernen, Unterricht“ (LLU), die ab nächstem Jahr verpflichtend sein werden.

Diese Entwicklung ist sowohl interessant als auch paradox. Offensichtlich gelingt es den Veranstaltern der pädagogisch-fachdidaktischen Kurse nicht, die Studenten dafür zu interessieren, so dass diese freiwillig teilnehmen würden – was den fachlich-wissenschaftlichen Veranstaltungen problemlos gelingt, wo man je nach Veranlagung aus einem bestimmten Fachbereich seine Veranstaltungen wählt. Die Wahlfreiheit wird zugunsten standardisierter Module sogar immer mehr abgeschafft, der Prüfungsdruck jedes Semester erhöht. Dies ist besonders widersinnig, als dass das allen Erkenntnissen der modernen Pädagogik zuwiderläuft, denenzufolge die besten Lernergebnisse bei Freiwilligkeit erzielt werden – was beispielsweise in der letzten Woche in der Vorlesung „Pädagogische Psychologie“ vom Professor Trautwein ausführlich erklärt wurde, nur um diesen zwei Sätze später betonen zu lassen, dass es mehr Druck, Zwang und Pflichtveranstaltungen geben werde, da die Studenten sonst nicht teilnehmen würden. Am heutigen Morgen begrüßte er die Studenten ohne jede Ironie mit der Feststellung, dass er sich darüber freue dass sich immer noch so viele für die Vorlesung interessieren würden. So viele Kapazitäten zur Selbsttäuschung finden sich sonst nur bei Spitzenpolitikern der SPD.

Die pädagogische Ausbildung an den Universitäten disavouiert sich so selbst. Dazu kommt, dass der Stoff extrem dröge ist und mit den späteren Tätigkeiten an der Schule nichts zu tun hat. In der pädagogischen Psychologie, der unter den Studenten mit Abstand verhasstesten Veranstaltung dieser Art, lernen wir beispielsweise die korrekte Auswertung von wissenschaftlichen Studien. Albern? Aber ja.

Nicht viel besser sind die EPG-Veranstaltungen. Der erste Kurs soll dabei Grundlagen bilden. Hierzu werden meist verschiedene Philosphen von Aristoteles über Kant zu Heidegger besprochen und in einer Klausur abgefragt. Praktischer Nutzen für den Lehrberuf: null. Als Feigenblatt wird diskutiert, wie man Kant auf schulische Alltagsprobleme anwenden kann. Das hat in etwa den gleichen Unterhaltungswert wie in der pädagogischen Psychologie, wo Professor Trautwein voller Ernsthaftigkeit erklärte, dass es kein schlimmeres Problem gäbe als wenn man bei einem im Unterricht störenden Schüler nicht die richtige pädagogische Theorie gelernt habe. Die zweite EPG-Veranstaltung soll das Ganze mit dem eigenen Fach in Bezug bringen, was dazu führt, dass das Dekanat der jeweiligen Fakultät einige Veranstaltungen gleichzeitig zu EPG-II-Veranstaltungen erklärt, ohne dass die Professoren auch nur wüssten wie man einen Schein dafür ausstellt, geschweige denn, was das für Anforderungen an sie stellen könnte. Ich bin aber zuversichtlich, dass hier ebenfalls bald eine nervtötende wie überflüssige Pflichtveranstaltung generiert wird.

Die Fachdidaktik, also die Lehre vom Lehren des Fachstoffs, wird je nach Fach unterschiedlich gehandhabt. Meist erlernt man das Erstellen von Unterrichtsentwürfen und damit etwas Praxisnahes. Das ist das Positive, das sich über die Veranstaltungen sagen lässt. Das Dumme ist nur, dass das, was man in einer semesterlangen fachdidaktischen Veranstaltung an der Schule macht, in zwei Tagen im Praxissemester ebenso erlernt wird. Trotzdem sind die fachdidaktischen Veranstaltungen noch das sinnvollste des gesamten universitären Komplexes.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die pädagogisch-fachdidaktischen Veranstaltungen kaum ein Feigenblatt gegen Kritiker des Systems der Lehrerausbildung sind. Sie multiplizieren genau die Fehler des Systems, die sie zu beheben vorgeben und haben inzwischen das oben beschriebene Eigenleben entwickelt, das sie in eine stetige Spirale des Desinteresses seitens der Studenten und der Erhöhung des Drucks treibt.

Was aber ist mit der fachlichen Ausbildung? Wie bereits eingangs erwähnt sind die meisten Veranstaltungsthemen weit entfernt vom Schulstoff. Spätrömische Kaiser und ihr Verhältnis zur Christianisierung, Linguistik des Deutschen, Der Vordere Orient in den Internationalen Beziehungen – das alles sind keine Themen, die in der Schule behandelt werden. Sind sie deswegen fehl am Platze? Ich sage nein. Der Lehrer muss über ein deutlich größeres Fachwissen verfügen als seine Schüler, sonst kann er nicht effizient unterrichten. Dazu kommt, dass diese Themen häufig nicht nur Wissen über einen solchen Detailbereich vermitteln, sondern vor allem die Kenntnis darüber, wie man sich solches Wissen zulegt und sich wissenschaftlich – und damit durchaus kritisch – damit beschäftigt. Eigenständiges Denken, etwas, das im pädagogischen Teil geradezu systematisch ausgetrieben wird (und nebenbei bemerkt auch in den Bachelor-Studiengängen) wird hier noch hoch geschrieben. Auch hier bin ich aber zuversichtlich, dass im Rahmen des Bolognaprozesses diese letzte vom Humboldt’schen Ideal beseelte Bastion geschleift wird.

Das alles stellt dem universitären Teil der Lehrerausbildung ein vernichtendes Zeugnis aus. Wie aber sieht es mit dem Praxissemester, das für Studenten, die sich nach 2001 immatrikuliert haben verpflichtend ist? Diese Reform wurde zu einem Gutteil aus Kostenersparnisgründen durchgeführt, da das Praxissemester unbezahlt ist und das (bezahlte) Referendariat um ein Jahr auf anderthalb Jahre verkürzt. Das spart dem Haushalt mehrere Millionen jährlich. Dieses niedere Motiv müssen wird jedoch in der Anerkennung beiseite schieben, denn diese Reform gehört zu den wohl sinnvollsten überhaupt. Das Praxissemester muss irgendwann vor Ablegen des ersten Staatsexamens absolviert werden; die meisten Studenten absolvieren es aber irgendwann zwischen dem 3. und dem 7. Semester. Dies ist auch sinnvoll; direkt vor dem Staatsexamen kann man es sich auch schenken. Die meisten Pläne für die Bologna-Reform sehen vor, das Praxissemester zwischen Bachelor- und Masterstudiengang einzuschieben, was zur Abwechslung einmal eine gute Idee wäre.

Im Praxissemester, das nebenbei bemerkt aus unerfindlichen Gründen nur drei Monate dauert (von September bis Dezember oder von September bis Oktober und Februar bis April), kann in zwei Formen absolviert werden: der Blockform oder der Modulform. In der Blockform verliert der Student ein Semester, weil er das Praxissemester en bloc von September bis Oktober absolviert. Diese wird allgemein empfohlen, weil man in der Materie bleibt, eine Klasse über längere Zeit begleiten kann und generell einen höheren Lerneffekt davon hat, was ich nur bestätigen kann. Die andere Variante ist die Modulform, in der der Student nur in den Semesterferien an der Schule ist und dadurch das reguläre Semester mitmachen kann. Beide Formen sind organisatorisch äußerst unausgegoren, was der größte Kritikpunkt an dieser sonst so guten Einrichtung ist.

In der Blockform verliert der Student ein Semester, das aber dennoch voll angerechnet wird (ich bin offiziell im neunten Semester, war aber nur acht an der Uni, was mir Nachteile für die Regelstudienzeit verschafft), in der Blockform hat er ein dreiviertel Jahr bösartigen Stress und kann nebenher praktisch nicht arbeiten, einmal davon abgesehen dass der Lerneffekt geringer ist. Generell existiert eine soziale Schieflage. Während der Einführungen ins Praxissemester wurde uns eingebläut, es sei unmöglich, nebenher zu arbeiten, und wir sollten dies keinesfalls auch nur versuchen. Wie Studenten, die auf Nebenverdienst angewiesen sind dies stemmen sollen ist den Verantwortlichen dabei egal.

Im Praxissemester selbst muss der Student 100 Stunden hospitieren (im Unterricht hinten sitzen und beobachten) und 30 Stunden selbst unterrichten. Dies ist ein moderates Kontingent und überraschend wirklichkeitsnah. Gut zu schaffen, nicht zu viel, nicht zu wenig. Einmal in der Woche gibt es außerdem einen Theorienachmittag am Seminar zur Lehrerausbildung. Da es davon nur vier im ganzen Land gibt, hat man je nach Schulstandort bisweilen bis zu drei Stunden Anfahrtsweg in Kauf zu nehmen. Das Praxissemester wird (derzeit) nicht benotet und man erhält eine schriftliche Beurteilung, die niemand anderes bekommt und die geheim gehalten werden darf. Auch hier gibt es aber bereits Pläne, für mehr Verbindlichkeit und Prüfungen während des Semesters zu sorgen; im Falle der Nachmittagstheorie ist das bereits der Fall.

Damit schließen wir den Komplex Lehrerausbildung an Universitäten ab. Mit dem Ablegen des ersten Staatsexamens, bei dem Pädagogik übrigens keine Rolle spielt – einzig die Fachkenntnisse der Hauptfächer werden hierfür geprüft – kann sich der angehende Lehrer für das Referendariat bewerben, wofür derzeit noch eine Stelle garantiert wird. Diese ist mit etwa 1000 Euro brutto im Monat nicht fürstlich, aber akzeptabel dotiert, sofern die Schule infrastrukturtechnisch halbwegs vernünftig ausgestattet ist (siehe letzter Beitrag). Da ich noch nicht im Referendariat bin, kann ich hier nur auf Schilderungen zurückgreifen. Ich werde daher in Zukunft nicht mehr so ausführlich sein.

Früher dauerte das Referendariat in BaWü zwei Jahre, die an zwei unterschiedlichen Schulen verbracht wurden. Das erste Jahr dient dabei dem Erlernen der Theorie und ersten Gehversuchen, im zweiten Jahr erhalten die Referendare bereits eigene Klassen zum unbeaufsichtigten Unterricht. Durch die Praxissemesterreform wurde die erste Phase um ein halbes Jahr verkürzt, die Schule wird nicht mehr gewechselt. Das hat den Vorteil einer größeren Kontinuität, jedoch kann man dadurch nicht mehr Anfängerfehler ausbügeln, die einem unter Umständen einen schlechten Ruf bei den Schülern eingebracht haben könnten – bekanntlich zählt der erste Eindruck, das ist an der Schule fast noch evidenter als im wirklichen Leben. Vorurteile auszuräumen ist äußerst schwierig.

Im Gegensatz zum Praxissemester steigt das Pensum deutlich: bis zu drei Nachmittage oder sogar ganze Tage in der Woche werden am Seminar beim Theorieunterricht verbracht, wo pädagogische und fachdidaktische Konzepte erlernt werden. Überflüssig zu erwähnen, dass hier der Praxisbezug deutlich höher ist als an den Universitäten. Außerdem muss mehr hospitiert und selbst unterrichtet werden.

Zu der Arbeitsbelastung durch die nominellen Stunden kommen die ausufernden Unterrichtsvorbereitungen, die mangels einschlägiger Erfahrungen und vorhandener Materialquellen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen. Als Faustformel kann man für jede Schulstunde zwei Zeitstunden Vorbereitung nehmen; häufig jedoch wird es deutlich mehr. Zusätzlich zu den Theoriesitzungen am Seminar hat ein Referendar damit locker mehr als eine 40-Stunden-Woche.

Wenn dann die eigenen Klassen übernommen werden, rückt auch gleichzeitig die Zeit für das zweite Staatsexamen heran. Hierfür muss eine (wissenschaftlichen Ansprüchen genügende) pädagogische Arbeit verfasst werden, schriftliches Stundenmaterial abgebeben und, vor allem, drei Lehrproben bestanden werden. Dabei muss der Referendar eine Stunde vorbereiten, das Konzept zur Bewertung abgeben und sich dann nach Möglichkeit peinlich genau daran halten. In der Schule äußert sich dies für die Schüler in einer steigenden Nervosität des Referendars, der die Schüler ständig auf Disziplin einschwört, sie zu bestechen versucht und subtil darauf vorbereitet, denn einstudiert darf das Ganze ja auch nicht wirken. Mit einer echten Unterrichtsstunde hat diese Lehrprobe denn auch wenig zu tun, wie alle Beteiligten wissen. Der Referendar muss eine Bandbreite pädagogischer Methoden vorführen (ein echtes Kunststück in nicht ganz 45 Minuten) und dabei erraten, welcher Richtung der Prüfer anhängt, denn davon hängt die Note zu einem guten Teil ab. Manöver wie das Nachfragen, ob es bei einer angeblich in der letzten auf die folgende Stunde aufgegeben Recherche-Hausaufgabe Probleme gäbe (wobei die Hausaufgabe natürlich nicht existiert und die Schüler vorher gedrillt wurden, brav mit „Nein“ zu antworten) gehören dabei zum Ritual, das die Realitätsferne der Übung nur umso breiter zu unterstreichen weiß.

Ist es dem Referendar gelungen, all diese Prüfungen hinter sich zu bringen, erhält er die Note zum zweiten Staatsexamen. Obwohl diese Note deutlich mehr über seine Eignung zum Lehrer aussagen sollte als das Erste, wird häufig Letzteres zur Bewertung der Person herangezogen. Woran liegt das, eine schnoddrige Arroganz gegenüber der „weichen“ Pädagogik einmal beseite gelassen?

Wie so viele Noten hat auch die Note des zweiten Staatsexamens nur wenig Aussagekraft. Es ist ein offenes Geheimnis, dass das Kultusministerium Quoten entsprechend seines Lehrerbedarfs vorgibt. Wenn Lateinlehrer fehlen, werden Lateinreferendare sehr gute Noten erhalten, gibt es ein Überangebot an Deutsch-Referendaren, kann man die Note 1 mit der Lupe suchen. Diese Quoten sind außerdem tagesformmäßig bedingt; wenn also ein Prüfer an einem Vormittag viele gute Noten vergeben hat, muss er nachmittags noch ein paar schlechte vergeben – ob die Prüflinge vielleicht sogar besser sind als die am Vormittag hin oder her.

Ist es dem Referendar trotz all dieser Widrigkeiten gelungen, an einer Schule angestellt zu werden, muss er nur noch die Hürde zur Verbeamtung nehmen. Je nach Bundesland ist dies unterschiedlich schwierig, und die Länder unternehmen immer wieder Tricks, um die Verbeamtung zu vermeiden und die Lehrer im Angestelltenverhältnis zu belassen und deutlich schlechter zu bezahlen als ihre verbeamteten Kollegen. Absurde Gesundheitskritierien sind dabei nur ein Teil der Übung.

Ist der Lehrer dann aber Lehrer, ob verbeamtet oder nicht, ist seine Ausbildung zu Ende – doch fortgebildet wird sich immer. Einmal im Jahr gibt es den obligatorischen „pädagogischen Tag“, den Schüler vor allem als freien Tag wahrnehmen, der für die Lehrer jedoch viel Arbeit bedeutet. Dazu kommen eventuell weitere derartige Termine. Außerdem sind für Lehrer in BaWü zwei Fortbildungen jährlich verpflichtend. Welche Fortbildungen das sind ist dabei egal – so beispielsweise ist der Nutzen einer Fortbildung zu Smartboards, die sich keine öffentliche Schule je wird leisten können, zwar möglich, aber eher nutzneutral. Es hängt hier also vom persönlichen Einsatz ab, ob der Lehrer sinnvolle Fortbildungsangebote nutzt oder nicht.

4 Kommentare:

  1. ganz interessant... nur warum kommst du darauf das im Bachelor/ Master System das eigentsändige Denken abgeschafft werden soll?

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  2. Du kannst das nicht wissen *knuff* aber das Bachelor/Master-System ist deutlich verschulter als die alten Studiengänge. Durch die Module etc. hast du viel weniger Auswahl, was du wann machen willst, die Wissenschaftlichkeit der Ausbildung und damit ihre Selbstständigkeit nimmt zugunsten des Lernens von mehr Stoff ab etc. Allein die Testirits von Bachelor/Master zeigt das deutlich.

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  3. Sicher, das stimmt vollkommen. Dieses verschultere System hat seine Nachteile... allerdings sehe ich nicht was das mit eigenständigem Denken zu tun haben soll. Der Anspruch der Aufgaben wird doch dadurch nicht geringer.
    Das mit weniger Auswahl stimmt ja nur in soweit das du Eingeschränkter bist im Sinne deiner Kursverteilung... die Auswahl der Kurse bleibt ja grundsätzlich die gleiche.
    Die Wissenschaftlichkeit der Ausbildung nimmt an mancher Stelle sicherlich ab, wobei das im Bachelor/Master System in den USA über den Ph.D. gelöst war der ja rein wissenschaftlich orientiert ist (anders als unser Doktor).
    Die vielen Tests sind nicht von Nachteil. Die Eigenmotivation steigt, auch wenn man natürlich dann auch in uninteressanten Fächern Klausuren schreibt welche zählen, was ein klarer Nachteil ist.
    Ich gehe dadurch gerne in die Vorlesung weil es mir da leichter fällt zu lernen als alleine daheim. Andere lernen den Stoff lieber für sich ohne in die VL zu gehen. Ich sehe da kein Problem. Durch den Zwang Klausuren zu schreiben bleibt einfach mehr hängen.
    Es gibt aber sicherlich Fächer welche mehr und andere die weniger für ein solches System geeignet sind.

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  4. Es ist ein Unterschied, ob du irgendwelchen Stoff lernen musst, der dann abgefragt wird (wie dies ja hier oder in der Schule der Fall ist) oder ob du das ganze Zeug erst eigenständig suchen musst, um es danach in einer wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Arbeit zu analyiseren. Beim einen Mal nimmst du etwas passiv auf, lernst es, und gibst es wieder. Das braucht Gedächtnisleistung und zur Anwendung auch sicher entsprechend anderes, aber ist nicht das gleiche. Vergleichen wird aber so oder so schwer, weil du BWL und ich Geisteswissenschaften mache - die unterscheiden sich schon ohne Bachelor massiv voneinander.

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