Von Stefan Sasse
Heribert Prantl ist ja normalerweise ein wirklich guter, nachdenklicher und informierter Journalist, dessen Nicht-Berufung auf den Posten des Spiegel-Chefredakteurs ein echter Verlust war. Aber auch die Besten haben mal Aussetzer. In seinem aktuellen Leitartikel "Politiker-Kritk als kleinliche Beckmesserei" beschwert er sich darüber, dass Abgeordnetenwatch derzeit mit seiner Kritik an Steinbrücks Nebeneinkünften soweit durchgedrungen ist, dass sich inzwischen auch der "Qualitätsjournalismus" damit beschäftigt. Zur Erinnerung: Steinbrück ist praktisch nie im Parlament, selbst bei wichtigen Abstimmungen nicht, weil er beständig bezahlte Vorträge hält (der Spiegelfechter berichtete). Damit dürfte er inzwischen locker Nebeneinkünftemillionär geworden sein.
Steinbrück hat, so Prantl, "etwas zu sagen". Ganz sicher sogar. Seine schon fast legendäre freie Schnauze bringt Spaß in jede noch so langweilige Diskussion. Prantl muss sich aber schwere Naivität vorwerfen lassen wenn er glaubt, dass Finanzdienstleister 25.000 Euro und mehr für einen Vortrag von Peer Steinbrück ausgeben, weil sie seine Ansichten zur aktuellen Politikverdrossenheit so interessant finden. Diese Idee ist hanebüchen. Sie entspringt vermutlich zweier Ursachen: zum einen der Wirkungsmächtigkeit der populären Legende vom fähigen Finanzminister Steinbrück, zum anderen von der mittlerweile leider üblichen Borniertheit des "Qualitätsjournalismus" gegenüber allem, was aus dem Internet kommt.
Letzteres zeigt sich in Prantls ätzender Seitenbemerkung gegen Abgeordnetenwatch. Das Portal macht nicht nur auf die Nebeneinkünfte Steinbrücks aufmerksam, sondern auch darauf, dass Steinbrück zu denen gehört die Anfragen nicht beantworten. Natürlich gibt es dazu keine Pflicht, aber auch wenn Abgeordnetenwatch nur ein Internetportal ist, in dem jeder Bürger seinen Repräsentanten eine Frage stellen kann und nicht aus akkreditierten Qualitätsjournalisten besteht, die sich nur allzugerne in das Netz von Macht und Mauscheleien in Berlin einbinden lassen - es zeugt von einem weitgehenden Desinteresse Steinbrücks.
Das andere ist schwerwiegender. Die Legende vom komptenten Krisenmanager Peer Steinbrück hält sich mit einer enervierenden Hartknäckigkeit. Dieser Legende nach war es Steinbrück, der 2008 einen kühlen Kopf bewahrte und zusammen mit der Kanzlerin die Finanzkrise managte. Es ist eine Art Wiederholung des alten Schmidt-Mythos vom fähigen Krisenmanager, der von seiner Partei ungeliebt eigentlich klassisch konservative Tugenden vertritt. Es ist heute wie damals Unsinn. Schmidt war noch Sozialdemokrat, Steinbrück ist es nicht. Während Schmidt wirtschaftlich von dem was er tat durchaus eine Vorstellung und Erfolg hatte, kann man das von Steinbrück nicht behaupten.
Es war Steinbrück, der aggressiv leugnete, dass es überhaupt so etwas wie eine weltweite Finanzkrise gab, bevor es fast zu spät war. Er erklärte, es handle sich um ein rein amerikanisches Problem, unter dem die solide wirtschaftenden deutschen Banken nicht leiden würden. Er behauptete das auch noch, als die Finanzkrise offenkundig immer mehr Länder packte. Als dann die Hiobsbotschaften der HRE sich auftürmten, würde eine hastige und schlecht koordinierte und durchdachte Rettungsaktion eingeleitet und einfach Milliarden ohne Sinn und Verstand ins Finanzwesen gepumpt. Vermutlich hat Steinbrück damit tatsächlich Schlimmeres verhindert (Guido Westerwelle hätte an seiner Stelle wohl deutlich weniger getan), jedoch waren die Kollateralschäden deutlich höher als sie hätten sein müssen.
Steinbrück hat dem Finanzsektor in der Krise praktisch jeden Wunsch erfüllt. Er rettete die HRE und sprach sich vehement gegen die Möglichkeit aus, von den Banken einen substantiellen Teil der in ihre Rettung investierten Beträge in besseren Zeiten zurückverlangen zu können. Man muss wirklich blind sein um nicht zu sehen, dass solch treues Verhalten natürlich belohnt wird - etwa, indem man Vorträge für geradezu absurde Summen hält. Dies ist, genauso wie "Beraterverträge" und "Vorstandsposten" eine gängige Methode, Politiker zu bezahlen, die in ihrer Amtszeit brav die Außenstelle der jeweiligen Branche im Bundestag waren - Wolfgang Clement lässt grüßen.
Herr Steinbrück ist genau der Typus Politiker, den dieses Land am wenigsten braucht.
AntwortenLöschenKleinliche Beckmesserei, wenn ein Nebeneinkünftemillionär die Rentengarantie für falsch hält, wenn er 12,5 Milliarden Euro jährlich als Subventionen, Riester, an die Versicherungswirtschaft ausschüttet, wenn er gegen einen Mindestlohn ist, lieber gibt er 11 Milliarden Euro jährlich als Subventionen an Unternehmer für Kombilöhne, der die Erhöhung der Mehrwertsteuer für sozial gerecht hält, von dem nicht ein einziger eigenständiger sozialer Gedanke bekannt ist, usw.
AntwortenLöschenAntonie Maria Costa, stellvertretender Generaldirektor der Vereinten Nationen und Direktor des United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) in Wien: "Die politische und wirtschaftliche Elite ist inzwischen kompromittiert, die Parlamente haben Angst, und das weltweite finanzielle System ist von kriminellen Strukturen durchdrungen." Und zwar deshalb, weil "Investmentbanker, Fondsmanager, Rohstoffhändler und Makler zusammen mit Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Rechtsanwälten kriminelle Syndikate unterstützt haben, um deren Geld zu waschen."
Gerhard Schröder ging rechtlich gegen das Buch 'Der Deutschland-Clan: Das skrupellose Netzwerk aus Politikern, Top-Managern und Justiz', in dem unter anderem auch der ehemalige Bundeskanzler thematisiert wird, vor. Er erreichte vor Gericht, dass eine Passage, in der Roth ohne Beweise eine Reise von Schröder in die Vereinigten Arabischen Emirate in Verbindung mit seiner Gazprom-Tätigkeit sah, umgeschrieben werden musste. Jedoch versuchten die Anwälte von Gerhard Schröder auch den Verkauf der neuen, unbeanstandeten, Ausgabe durch Abmahnung der Buchhändler zu unterbinden.
http://www.ndrinfo.de/kultur/buch-tipp/juergenroth100.html
ein kleiner vergleich: für einen vortrag über kafka an der uni bekam herr s. 150.-- euro. erarbeitungszeit zirka 14 tage.
AntwortenLöschenIch bin empört. Ich habe mich beim hiesigen Rathaus als Pförtner beworben für 1080 Euro brutto. So kann ich meine Wohnung behalten und muß nicht in das Zeltlager am Stadtrand ziehen. Die Stadt ist nicht bereit den jetzigen Pförtner 4 Kinder 2400 Euro Brutto plus Kindergeld zu entlassen.
AntwortenLöschenSchröder, Steinmeier ,Steinbrück, Poss , Wiefelspütz, Struck, Müntefering sind die Politiker des SGB2.
Und der Sinn und Zweck des SGB2 ist die Entsolidarisierung der Gesellschaft.
Sehr schöne Erläuterung, lieber Freidenker. Eine gute Ergänzung zu Jens' Artikel.
AntwortenLöschenOff topic: Seit einigen Tagen wird der Oeffinger Freidenker (und ausschließlich dieser) bei mir nur noch sehr langsam und zögerlich (man könnte geradezu sagen: lahmarschig) geladen. Hat sich an der Seitenarchitektur etwas verändert? Und haben andere dasselbe Problem?
@ Frank
AntwortenLöschenScheint an der Flattr-Einbindung in ihrer derzeitigen Form zu liegen.
Wenn er sich derzeit nicht für sein politisches Mandat interessiert, kann es doch sein, dass es vorher auch schon so war, oder? Er offenbart somit, dass er es persönlich besser findet, sich für reiche und wohlhabende Unternehmenslenker zu prostituieren. Hat er das nicht schon immer getan? Dienlich ist ihm dabei das politische Amt, sowie alle ihn umgebenden Speichellecker. Was treibt dieser Mann da nur, für ein schäbiges Spielchen, auf unser aller Kosten?
AntwortenLöschen@ Frank Powers
Nein, alles funktioniert bei mir innerhalb normaler Parameter.
Steinbrück hat VWL studiert.
AntwortenLöschenDa lernt man ein neues Verhältnis zur Moral.
Nur leider.
Die Theorie, daß egoistisches,
selbstbezogenes Handeln altruistisch wirke,
weil auf diese Weise angeblich die Wohlfahrt
der gesamten Ökonomie maximiert wird, ist nur ein mathematischer Ableitungsfehler.
http://www.rheinahrcampus.de/fileadmin/prof_seiten/kremer/masterkeeneconomics.PDF
Ist Steinbrück noch jung genug um umzuschulen und seine Seele zu bilden?
Ich dachte bei dem SZ-Artikel auch: Oh oh, der Prantl, der wird alt, der baut ab. Für mich ist Steinbrück eine Liga über Olaf Scholz, ok, das ist vielleicht etwas hart, aber auf jeden Fall war er nie ein Visionär, sondern ein Lobbyistenlauscher und hat das in der sogenannten Finanzkrise, die ja Gott sei Dank überstanden ist, auch immer wieder gezeigt.
AntwortenLöschenDie Politik macht es vor:
AntwortenLöschen"Profiteuren der Armutsindustrie geht es prächtig, so hat sich der Chef der Treberhilfe in Berlin ein monatliches Gehalt von 30000 Euro im Monat gezahlt, auf Kosten der schlecht bezahlten Mitarbeiter."
http://www.sozonline.de/2010/04/arbeitsdienst/#more-715
@ oefinger:
AntwortenLöschen"Es war Steinbrück, der aggressiv leugnete, dass es überhaupt so etwas wie eine weltweite Finanzkrise gab, bevor es fast zu spät war."
- er hat eine überzeugende darstellung geboten. der pr-typ von schroeder nannte sowas "fiktionale glaubwürdigkeit". (ich fand ja, er hat immer ein wenig zu dick aufgetragen. so mit anklang von ohnesorg- theater ohne humor. hat mich immer an die legendäre bundesratsperformance von koch erinnert)
"Vermutlich hat Steinbrück damit tatsächlich Schlimmeres verhindert/Guido Westerwelle hätte an seiner Stelle wohl deutlich weniger getan"
- eine gewagte these! kein mensch kann erahnen was in westerwelles gehirn so vorgeht. ich will mir das nicht vorstellen müssen. der mann hat aber ein derart destruktives potential, dass er glatt mal einen homer bauen könnte. ganz aus versehen
"jedoch waren die Kollateralschäden deutlich höher als sie hätten sein müssen"
- auch eine gewagte these. hat denn wer mal nachgerechnet, ob sich an der ästhetik der kurve der vermögensverteilung groß was geändert hat?
oder meinst du jetzt das vertrauen in die märkte?
hatte der typ mit dem rauschebart aus trier nicht in seinem verfluchten buch nicht durchgerechnet, dass es in unserem system gerne mal zu verwerfungen kommt? hey der marx war selbst spielsüchtig. der hatte eine ahnung wovon er schrieb. mal gewinnt man, mal verliert man. wer anfängt glücksspiel zu einem system zu verklären, hat schon ein problem! wer sich bei der krise verzockt hat, hat einfach nicht weit genug gestreut! das vertrauen in die märkte lässt sich ja offensichtlich mit ein paar steuermiliarden wiederherstellen!
oder dass barrouso den gewerkschaftlern der pigstaaten mit diktatorischen maßnahmen drohen darf? der will auch nur spielen.
kollateralschäden?
ich behaupte einfach mal, das ist billigend in kauf genommen worden oder abstichtlich, wie letzteres
und jetzt bekommt steinbrück seine gage als talkmaster von denen, bei den immer champus fließt!
@ anonym:
"Ist Steinbrück noch jung genug um umzuschulen und seine Seele zu bilden?"
die hoffnung stirbt zuletzt :-)