Mittwoch, 18. August 2010

Google und der Untergang des kleinbürgerlichen Abendlands

Von Stefan Sasse

Man muss vermutlich dankbar sein, dass noch niemand vorgeschlagen hat Mallorca zu kaufen und zum 17. Bundesland zu machen. Das Sommerloch ist immer eine gefährliche Zeit, wenn der politische Betrieb ruht und keine akuten Katastrophen zu berichten sind (Pakistan ist zu weit weg um wirklich als Füller zu taugen). Zu unserem Glück müssen die Hinterbänkler, die es sonst im Sommerloch mit absurden Vorschlägen nach vorne schaffen dieses Mal ruhen, denn Google hat sich eine Zielscheibe auf die Brust gemalt, ohne es zu merken. Der Dienst "Google Street View", eigentlich nur eine logische Konsequenz aus "Google Earth" und zudem bereits vom Prinzip her von anderen Diensten bekannt, erregt derzeit die Deutschen wie kein anderes Internetthema. Mit sicherer Intuition haben sowohl Politik als auch Medien es als ein Profilierungsthema erkannt.


Worum geht es eigentlich? Google fährt mit Autos die deutschen Städte ab und fotographiert Straßenzüge, wobei Autokennzeichen u.ä. verpixelt werden sollen. Letztlich wird man also, wie schon bei Google Earth, nicht sonderlich hochauflösende Bilder von Straßenzügen haben können, also Informationen, für die man ansonsten persönlich in die entsprechende Straße fahren müsste. Eigentlich brutal praktisch, etwa wenn man jemanden besuchen möchte, bei dem man noch nie war - man kann das Haus vorher schon mal ansehen, oder komplizierte Abzweigungen, und sie auf die Art dann problemlos durchfahren. Warum aber eignet sich das Thema so sehr für eine Datenschutzpanik, während sich niemand um Payback-Karten oder ELENA kümmert?

Da ist zum einen Google. Google ist groß, mächtig und böse. Weißgarnix hat bereits unvergleichlich formuliert, warum wir große Konzerne als Bösewichte brauchen. Street View ist eine gute Geschichte, die jeder sofort versteht. Hier der böse Großkonzern, der fies in die Privatsphäre eindringen will, dort die armen Bürger, die nicht einmal gefragt werden (wie auch!). Zum anderen fühlt sich jeder persönlich betroffen. Waaaaaas, mein Haus kann man im I-n-t-e-r-n-e-t stehen? Vom Internet wissen viele Leute auch nicht viel mehr als dass man da an jeder Ecke Kinderpornos kaufen kann. Das trägt ebenfalls dazu bei, dass es eine gute Geschichte ist. Für Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner ist es eine tolle Gelegenheit, sich in Pose zu werfen und quasi kostenlos den Robin Hood der einfachen Leute zu spielen. Der Ausgang ist ohnehin vorhersehbar, aber es scheint, als ob die Politik mal richtig gehandelt hat. Hat sie zwar nicht - das blieb dem ELENA-Projekt vorbehalten -, aber für die Geschichte ist das unerheblich.

Offensichtlich fehlt es einer Mehrheit immer noch an einer grundlegenden Internetkompetenz, einem Verständnis dafür, was wichtig, bedenklich, gefährlich ist. Allgemein zugängliche Informationen wie das Aussehen meiner Häuserwand, das andere Leute nur dann mit mir verbinden können wenn sie meine Adresse bereits kennen sind unbedenklich. Bedenklich ist es, die intimen Informationen - eben meine Adresse, Kaufverhalten, Vorlieben, Urlaubsbilder - öffentlich zugänglich zu machen. Da gibt es allerdings keinen Aufstand, weil die dahinterstehende Geschichte nicht so simpel ist. Arbeitnehmerdaten in einer Zentraldatei - die daraus entstehenden Implikationen erfordern etwas Denkaufwand. Da ist es leichter, dumpfe Ressentiments gegen Google Street View zu aktivieren und sich informiert und kritisch zu fühlen. Dann geht das nächste echte Problem nur umso leichter durch. 

Links: 
FR-Interview mit Thomas de Maiziere

9 Kommentare:

  1. Na ja ich weiß nicht, den Nutzen ziehe ich doch arg in Zweifel. Es soll ja nicht aktualisiert werden und somit kann man das ganze spätestens in einem Jahr wenn nicht sogar jetzt schon in die Tonne treten. Wird deshalb ja auch immer gern von Befürwortern als datenschutzrechtlich unbedenklich eingestuft. Wenn ich mir mal das Google Earth Bild von dem Haus, der Gegend hier anschaue....da stimmt ja nichts mehr.
    In meinen Augen ist der ganze Bohai darum ein riesen Sommerlochfüller, in dem Punkt ganz Deiner Meinung.
    Das dadurch, dass gegen Google Streetview jetzt solch ein Alarm gemacht wird aber darauf zu schließen, dass das nächste datenschutzrechtlich wirklich bedenkliche Projekt leichter durchgeht kann ich mir allerdings nicht vorstellen. Wenn sich irgendjemand einen schnellen populistischen Erfolg verspricht und genug mitziehen ist der Bohai wieder groß, wenn nicht wird sich keiner drum scheren. Google Earth hat keine Sau interessiert, mit Google Streetview wollten sich halt welche profilieren. Hätte mit der richtigen Stimmung allerdings auch mit Google Earth passieren können.

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  2. Was mich stört...
    ...ist, daß jeder, der gegen Google Streetview ist, gleich in der Ecke Internet-Ausdrucker, nicht-kompetenter Ewiggestriger etc. landet.
    Ich bemühe mich nach Kräften, meine Datenspuren im Internet so gering wie möglich zuhalten, verwende Anonymisierer etc., weil ich glaube, daß keiner von uns sich wirklich vorstellen kann, wie das mal sein wird in einigen Jahren, wenn jeder von uns mit Tausenden privatester Details online verfügbar ist (Nur mal eine Frage: Wer weiß noch, welchen Themen er die letzten drei Jahre ergoogelt hat???). Aus diesem Grund werde ich auch bei Google Streetview Widerspruch einlegen (und dabei meinen Namen und meine Adresse hinterlassen), einfach weil ich finde, daß die Anwendungsmöglichkeiten von Streetview ziemlich belanglos sind, daß es aber ein weiterer Baustein zur Daten-Rundumerffassung eines jeden ist. Und ja, ich finde Elena ein Unding, ich finde es katastrophal, welche Daten Leute ständig mit ihren Payback-Karten freigeben und und und - aber all das macht doch Streetview nicht bedeutsamer oder sinnvoller!

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  3. Kein Stück. Es macht es aber auch nicht böse. Es ist schlicht banal.

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  4. Mir fällt auf, dass immer nur die Themen Daten und Privatspäre thematisiert wir. Und ich glaube, dass diese Ablenkungsmanöver auch so gewollt sind. Ich persönlich sehe die weitaus größere Gefahr in den entstehenden Vernetzungen. So sehe ich z.B. durchaus einen Zusammenhang zwischen Street View und dem mega EU-Überwachungsprojekt INDECT, das in ca. 4 Jahren stehen soll. Leider wird das bisher noch nirgends thematisiert. Bis auf eine Pressemeldung aus Österreich konnte ich nichts finden. Siehe hier, letzter Absatz:

    http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20100818_OTS0159/fpoe-kurzmann-lueckenloser-ueberwachung-wird-tuer-und-tor-geoeffnet

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  5. Lieber Stefan,

    ich bin ein regelmäßiger Leser Deines Blogs, und als solcher muß ich leider anmerken, daß dieser Beitrag mE
    hinter der gewohnten Qualität zurückbleibt. Damit meine ich durchaus nicht Deine - durchaus berechtigte - Kritik an der überzogenen, teilweise auch inszenierten und politisch instrumentalisierten Streetview-Kritik, sondern die nonchalante Art, mit der Du daraus implizit jegliche Kritik an Google als einer irrationalen Anti-Konzern-Hysterie geschuldet darstellst.

    Wenn man einen Konzern wie Google kritisiert, sollte man es natürlich - wie es Sebastian Haffner in anderem Zusammenhang so schön bemerkt hat - aus den richtigen Gründen tun (derer es mehr als genug gibt, siehe z.B. aktuell die Debatte um die Netzneutralität). Aber aus der Tatsache, daß es unbegründete Kritik an einer Institution gibt, zu schließen, daß jegliche Kritik an dieser Institution unbegründet (bzw. überzogen, hysterisch, unobjektiv etc.) wäre, ist billig.

    "Weißgarnix hat bereits unvergleichlich formuliert, warum wir große Konzerne als Bösewichte brauchen"

    Einer der schwächeren Beiträge von Weißgarnix. Man könnte fast vermuten, er möchte sich bei Josef Joffe als Ko-Autor von "Schöner Denken II" bewerben, denn genau auf diesem Niveau liegt seine Argumentation ("Eigentlich sind wir ja alle schuld" -> und somit keiner).

    Im übrigen hat Joel Bakan unvergleichlich formuliert, warum große Konzerne tatsächlich Bösewichte sind:
    http://en.wikipedia.org/wiki/The_Corporation

    Liebe Grüße
    Der_Kreter

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  6. Ich sage ja auch nicht, dass man Google nicht kritisieren darf. Ich sage nur, dass es in dem Fall doof ist und halt einfach nur ne tolle Story ist.

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  7. Gebe dir völlig Recht. Warum geht es denn auch nur um Google Streetview? Immerhin gibt es andere ähnliche Dieste schon längst im Internet. Sommerloch und der bekannte Name Google, mehr nicht....

    Und wer schon einmal virtuell durch einige deutsche Städte wandern will:
    http://sightwalk.de

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  8. Leider , Leider bist Du kein ausgebildeter Journalist.

    Dieser Beitrag der Zeit zum Thema ist dagegen wirklich ausgezeichnet.

    http://www.zeit.de/2010/34/Silicon-Valley?page=3

    "Die Zahl der Fälle, in denen Menschen gegen ihren Willen in Datenbanken geraten, nimmt absehbar zu.

    Im Januar schrieb das Nachrichtenmagazin Spiegel über eine Software, die Gesichter erfassen und ihnen in wenigen Sekunden einen Namen sowie alle Informationen zuordnen könne, die frei im Internet zu finden sind. Das Programm heißt Goggles, entwickelt von Google, bisher ist es bloß noch nicht freigegeben. Gesichtserkennung plus persönliche Akte: Das ist nicht mehr fern."

    Um was geht es wirklich.

    Sieh dir Minority Report an, die Industrie und der Staat wollen die totale Kontrolle.

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