Was wird über die Politik nicht alles gemeckert! Korrupte Politiker, machtgeile Egomanen, Strippenzieher im Hinterzimmer und inkompetente Karrieristen – das sind die Bilder, die einem einfallen und mit denen man tagtäglich in den Medien bombardiert wird. Da nimmt es nicht wunder, dass „Politiker“ in der Beliebtheitsskala der Berufe regelmäßig mit Journalisten und Lehrern um die untersten Plätze wetteifert. Tatsächlich bietet ein Ausschnitt aus dem aktuellen Tagesgeschehen genug Anlass zum Ärger: Westerwelles Ausfälle gegen Hartz-IV-Empfänger oder Röslers Brachialgesundheitsreform mit der Brechstange stehen nur pars pro toto.
In seinem „Schwarzbuch Politik“ stellt Heinz Verfürth mehrere Fälle zusammen, die exemplarisch für den „Ausverkauf politischer Kultur“ (Untertitel) stehen sollen. Gleich zu Beginn des Buches beklagt der Autor den angeblichen Verlust politischer Kultur. So beklagt er sich darüber, dass Politiker ständig lügen und damit auch noch ungestraft durchkommen würden und dass dem Bürger immer mehr Entscheidungsprozesse aus der Hand genommen werden. Danach geht es um spezifische Probleme, die er anhand eines Fallbeispiels bespricht. Den Beginn macht die „Merkel-Strategie“, also das orientierungslose Umherirren im Meer der Beliebigkeit, danach der „Lafontaine-Effekt“, nämlich das Fischen von Stimmen an den „Rändern der Gesellschaft“, gefolgt vom „Schäuble-Gesetz“, das die Bürger wieder „unter den Leviathan zwingen“ will, das „Ypsilanti-Syndrom“, dem Verlust von Glaubwürdigkeit, die „Tiefensee-Wahrheit“, die Unterwanderung von Ministerien durch Lobbyisten dank dem absichtlich blinden Auge des Ministers, das „Seehofer-Phänomen“ als Beispiel für das Wuchern des „Parteienstaats“, die „Ackermann-Bilanz“ als Beispiel für „Strippen ziehen auf Kosten der Gesellschaft“ und die „Diekmann-Masche“ als Medienschelte am Beispiel der BILD.
Man merkt es den Kapitelüberschriften bereits an: Verfürth ist Journalist, und als solcher schreibt er auch. Das Buch nimmt stellenweise Züge eines besonders ausufernden Leitartikels an. Leider leidet insgesamt die Substanz. Verfürth reißt zwar Thema um Thema an, jedoch geht er darüber hinaus nicht besonders in die Tiefe, was seiner Kritik viel von ihrer Schärfe nimmt. Eine Tiefenanalyse findet praktisch überhaupt nicht statt, und die Rolle des Souveräns ist vollkommen außerhalb Verfürths Blickfeld. So ist zum Beispiel durchaus die Frage erlaubt, warum man sich zwar gebetsmühlenhaft über Lügen von Politikern beschwert, aber auf der anderen Seite unter den Tisch fallen lässt dass Politiker, die die Wahrheit sagen, schlicht nicht gewählt werden? Man denke nur an die Wahl 2005 – dort standen relative Lüge und relative Wahrheit nebeneinander, und das Volk hat klar entschieden – es will beschissen werden. Der Wohlfühl-Wahlkampf von 2009 war die direkte Konsequenz aus dieser Nachhilfestunde, die der Souverän seinen Repräsentanten da aufgegeben hat, und sie haben gelernt. Das ist auch das Problem mit Merkel: mit ihrem Beliebigkeitskurs hat sie lange Jahre lang die komplette Journaille, nicht nur die mit den großen Buchstaben, in Begeisterungsstürme versetzt. Kein Wunder bleibt davon viel beim Wähler hängen. Über diese Zusammenhänge – kein Wort.
Auch über die Auswahl einiger der Fallbeispiele kann man sich wundern. Lafontaine ist hier besonders schlecht gewählt: das Fischen am Rand bezieht sich auf seine einzige Rede, in der er den Begriff „Fremdarbeiter“ verwendete. Es gibt vorher wie nachher keine Indizien auf eine besonders national-chauvinistische Gesinnung, anders als bei zahlreichen CDU-Provinzfürsten, die dieses Fischen am rechten Rand sogar zur offiziellen Parteilinie erhoben haben! Obgleich das Beispiel Ypsilanti sicher plakativ ist, kann auch Verfürth nicht glaubhaft erklären, warum ihr „Wortbruch“ so viel schlimmer sein soll als alle anderen; er flüchtet sich stattdessen ins Ominöse. In der Wolkenwelt, in die seine Argumentation kurzfristig entschwindet, ist so plötzlich die Koalitionsaussage Ypsilantis deutlich gewichtiger als die von Beusts.
Es sind solche dünnen Stellen in dem Buch, gepaart mit einer allgemeinen Oberflächlichkeit der Analyse, die es eher zum Teil des Problems als der Lösung werden lassen. Billige Politikerschelte ist allzu opportun und weiß stets zu gefallen, jedoch sollte gerade ein Journalist sich einer größeren Verantwortung bewusst sein und auch selbstkritischer der eigenen Rolle gegenüber auftreten. So ist das Buch leider kein ernstzunehmender Debattenbeitrag, sondern bestätigt lediglich alte Vorurteile.
Stefan Sasse
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