Montag, 8. Februar 2010

Rundumschlag

Heute möchte ich anhand von vier Artikeln, die mir bei der heutigen Lektüre besonders aufgefallen sind, einige Themenbereiche abdecken.

1) Charlotte Knobloch wird dieses Jahr als Zentralratspräsidentin abgelöst, die SZ widmet ihr ein kurzes Porträt und klärt wichtige Fragen um ihre Person. Diejenigen, die wohl nach ihr kommen werden, kann man mit Fug und Recht als Hardliner bezeichnen, da sie Knobloch ständig für ihre relative Zurückhaltung aus tagespolitischen Fragen und ihren Versöhnungskurs kritisierten. Ich ging mit Knobloch in der Vergangenheit wahrlich nicht oft d'accord - der Zentralrat leidet an dem gleichen Problem, das sämtliche Religionsinstitutionen haben, nämlich dass er sich verselbstständigt und bald nur noch selbstreferentiell denkt und handelt -, aber wenn ich höre, dass ihre potentiellen Nachfolger Knobloch etwa dafür kritisieren, dass sie Westerwelle umarmte, der sich noch nicht für Möllemanns antisemitischen Wahlkampf von 2002 entschuldigt habe - du meine Güte, euer Marsch in die politische Bedeutungslosigkeit gehört noch beschleunigt, und man sollte solches Gerede genauso belächeln und verwerfen wie das Gerede irgendwelcher katholischer Bischöfe, die wieder einmal erklären warum das Einernährermodell Gottes Wille ist. Der Zentralrat ist eigentlich nur ein Quell des ständigen Ärgers, und ich habe schon von genügend Juden gehört, dass sie ebenso empfinden. Eigentlich sollte es nicht notwendig sein zusätzlich zu erklären, dass das alles natürlich nicht antisemitisch gemeint ist, aber die ganze Debatte ist ohnehin vergiftet.

2) Im Interview mit der Wirtschaftswoche erklärt der Wirtschaftsweise Franz, dass Hartz-IV deutlich zu hoch sei und gekürzt gehört, oder zumindest in Form von Sachleistungen ausbezahlt gehört. Es ist immer wieder interessant, solches Gedankengut - also die totale Entmündigung von Menschen - bei Vertretern der so genannten "liberalen" Lehre zu finden. Argumentatorisch stützt sich Franz natürlich auf das blödeste aller Argumente: dass es sich nicht lohne, arbeiten zu gehen, da der Abstand zum Lohn von Vollzeitniedriglohnjobs nicht groß genug sei. Dass das von vorne bis hinten unlogisch ist, erklärt weißgarnix deutlich besser als ich, aber nur so viel: dass niemand das logische Paradoxon bemerkt, wenn der eine "Wirtschaftswaise" konstatiert, dass die Spreizung zu gering sei und der andere erklärt, Hartz-IV wirke als impliziter Mindestlohn ist mir völlig unverständlich. Aber Jahre Sabine Christiansen und Anne Will fordern wohl ihren Tribut, fürchte ich.

3) Die Grünen in NRW haben ihr Wahlprogramm beschlossen. Sie schließen Jamaika aus, nicht aber schwarz-grün, und außerdem eine rot-grüne Minderheitenregierung. Man kann ihnen genug Realitätssinn attestieren, denn das lässt ihnen die Möglichkeiten schwarz-grün und rot-rot-grün zur Regierungsbeteiligung und damit genügend Optionen. Völlig närrisch verhält sich natürlich die SPD, die eine Koalition mit der LINKEn ausschließt und in einem Anfall illusorischer Wahnvorstellungen auf den rot-grünen Wahlsieg setzt. Man sollte echt meinen, dass sie es irgendwann einmal lernen werden, aber es scheint als ob die Partei noch nicht oft genug mit dem Kopf gegen die gleiche Wand gerannt sei.

4) In der Zeit findet sich ein Interview mit dem neuen LINKE-Chef Klaus Ernst. Abgesehen davon, dass die Interviewenden gegenüber Ernst genau die Respektlosigkeit an den Tag legen, die gegenüber dem Spitzenpersonal von CDU und FDP auch einmal angebracht wäre, ist es interessant wie Ernst die üblichen Vorwürfe abblockt: er lässt nicht zu, dass die Interviewer einen Gegensatz zwischen "Pragmatikern" und "Fundamentalisten" konstruieren und zeigt doch eine recht klare Kante. Auch auf eine Debatte über Lafontaine lässt er sich gar nicht ein, und er weicht auch recht geschickt den Fragestellungen des LINKE-NRW-Programms aus. Ich fürchte allerdings, die scharfe Anti-SPD-Rhetorik, die in der LINKE-Führungsriege gerade so en vogue ist hilft der Partei genausowenig wie die ständige Ablehnerei der SPD. Ich fürchte, die LINKE wird früher oder später auf die SPD zugehen müssen, denn die wird niemals, wie von der LINKEn gefordert, Hartz-IV in Bausch und Bogen verdammen. Die beiden Parteien werden vor einer Zusammenarbeit im Bund oder im Westen hier eine gemeinsame Sprachregelung finden, die zwischen der Lobhudelei der SPD und der Totalverdammung der LINKEn liegt, oder sie clashen ständig dabei aneinander. - Ich schweife ab, das war eigentlich gar nicht der Punkt, den ich machen wollte. Viel wichtiger halte ich die Forderung, hinter die sich auch Ernst stellt, durch Staatsbeteiligung mehr Demokratie in die Betriebe zu bringen, die sich dann dem Ziel des Arbeitsplatzerhalts und anderer sozialverträglicher Maßnahmen verschreiben sollen. Das halte ich, mit Verlaub, für Blödsinn. Ein Betrieb, der Arbeiter nicht entlässt wenn er sie absehbar nicht mehr braucht und stattdessen als Kostenfaktoren ohne Ausgleich mitschleppt geht unter, wenn nicht die ganze Welt so handelte, und das passiert nicht. Er müsste vom Staat durchgeschleppt werden, was teuer und sinnlos ist. Es widerspricht elementar allen Marktprinzipien. Wer sich jetzt wundert, warum ich für den Markt in die Bresche springe: der Markt regelt viele Sachen sicherlich besser als dies irgendeine Institution könnte. Nur, wer glaubt, das Geschwätz der so genannten Wirtschaftsweisen, der FDP-, CDU- und SPD-Spitzenpolitiker und der ganzen Anne-Will-Dauergästeriege habe auch nur einen Funken mit Markt zu tun, der ist echt schief gewickelt. Die Massenentlassungen für das goldene Renditekalb der letzten 20 Jahre haben nichts mit einem funktionierenden, sondern einem zutiefst dysfunktionalen Markt zu tun, der aufgrund der Einflüsterungen solcher intellektueller Tiefflieger entstanden ist. So, steinigt mich in den Kommentaren.

5 Kommentare:

  1. Moin!

    Zu 2)
    Im Brechblatt Focus,empfiehlt der Oberweise Franz "Brötchen holen und Schuhe putzen".Mehr brauch ich nicht zu schreiben.

    Zu 3)
    Die Grünen halten sich nur die Option Schwarz - Grün offen.Da die SPD sich ja RRG verweigert,haben auch die Grünen keine solche Option.
    Wenn eine andere Regierung als SGelb wil, muß er ja Grün wählen.
    Und genau das passiert.NRW wird SGr.Der Atomaussteiger Röttgen wirbt ja implizit dafür.

    Zu 4)
    Mein Lieblingsvomitivum Focus hat recherchiert.
    Klaus Ernst trug in den 70igern Plateausohlen.Den Ernst kannn ja keiner Ernst nehmen.E. ist Salonsozialist,fährt nen Oldtimerporsche und wohnt auf nem Alpenhof.
    Und der BR weiß über den Ernst: Ein Bayer splatet die Roten!

    Noch Fragen?

    Grüße
    Hagnum

    AntwortenLöschen
  2. ad 4) Hier wird keiner gesteinigt, du siehst das ganz richtig. Ich sehe mich selbst als (gemäßigt) marktliberal, und bevor ich f.d.p. wähle, soll mir die Hand abfaulen.

    AntwortenLöschen
  3. GIbt es den "MARKT" wirklich???...und wenn ja....kann mir einer aber auch nur einer beweisen das dieser MARKT nicht manipuliert wird??
    Ich dachte ich hab es hier mit einigermasen gescheiten Leuten zu tun...!!!

    Der einzige MARKT der funktioniert ist der MARKT der Manipulation ,Desinformation und der Gehirnwäsche!!!

    AntwortenLöschen
  4. Traurig, dass auch Du dem Kapitalismus hinterher rennst - ich hatte Deine Blogeinträge stets auch als moderat antikapitalistisch empfunden :(
    Der Kapitalismus, der sich bei DIr Marktwirtschaft nennt, wird immer weiter Hunger, Elend, Ausbeutung und Umweltzerstörung zeitigen, wenn wir dem "Markt" nicht endlich ein Ende setzen! Schließlich beruht der Profit einzig und allein auf Ausbeutung, Knappheit der Produkte usw. Außerdem, allein das Geld an sich, das es darauf anlegt, ständig mehr zu werden, zwingt die Wirtschaft zum Wachstum, das für die Bedürfnisbefridigung der Menschen hier nicht ausführlicher werden, sondern nur empfehlen, Marx zu lesen - und sich einige Vorträge des "Forums GegenStandpunkt" auf Radio X aus Frankfurt am Main anzuhören (www.farberot.de/index_archiv.html)- die betreiben dort seit vielen Jahren brillante, tiefschürfende und ebern marxistische Gegenwartsanalyse. Da gehen einem wirklich die Augen auf! Ich bin zwar Mitglied in der LINKEN (schon seit 2001 in der PDS), aber inzwischen habe ich Zweifel, ob auf diesem Weg ein Systemwechsel erreicht werden... ich hoffe immer noch, dass die LINKE sich eindeutig antikapitalistisch positionieren wird - denn nur in der Kooperation kan die Zukunft liegen, die Konkurrenz führt uns ins Verderben!

    AntwortenLöschen
  5. Insgesamt kurz und knapp auf den Punkt gebracht.

    Zu 1: Mir ist es relativ schnuppe, wer den ZdJ anführt. Mir ist aber auch Frau Knobloch wohltuend unaufgeregt dahergekommen.

    Zu 2: Ohne Worte, das hast Du schon richtig gesagt. Nicht beachten und ernst nehmen sowas. Aber es gibt nicht wenige Menschen in meinem Bekanntenkreis die auch dafür wären, ALG 2-Beziehern die Miete nicht zu überweisen, sondern sie direkt an den Vermieter zu bezahlen.

    Aber eine Wette möchte ich anbieten:
    Wetten, dass die Grünen in NRW nach der Wahl auch einer schwarz-gelb-grünen-Regierung zustimmen würden? Es täte mich wundern, wenn sie sich da anders verhalten würden, als ihre Genossen in Hamburg oder im Saarland.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.