Mittwoch, 25. März 2009

Der Kampf gegen Kinderpornos, ohne Rücksicht auf Verluste [UPDATE3]

Manchmal verzweifelt man echt an den Menschen. Nachdem jahrelang Terrorgefahr prognostiziert und damit Grundrechtseingriffe legitimiert werden sollten, ist das Thema durch die Dauerbeschallung inzwischen vollkommen abgegriffen. Es ist wie im Märchen mit dem Hirten, der spaßeshalber um Hilfe vor dem Wolf ruft, und als der Wolf dann tatsächlich kommt hilft niemand. Da das Alte also nicht mehr tut, hat man in den Ministerien inzwischen die Kinderpornographie entdeckt, die es zu bekämpfen gilt und für die alle Mittel recht sind. Tatsächlich ist das Thema wunderbar, weil kaum jemand offen gegen Maßnahmen gegen Kinderpornographie sein kann.
Beispielhaft sieht man das in der neuesten Ausgabe des WDR5-Magazins "Politikum", in der einfach der Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo" als bei Kinderporno-Verdacht auszuschalten gilt, oder in einem Artikel in der SZ von Stefan Braun, der mir wirklich die Hutschnur schwellen ließ. In dem papiergewordenen Unfug, den beispielsweise von der Leyens Familienministerium stets leyenhaft inszeniert, um von der eigenen Bedeutungslosigkeit ob der Misserfolge einer ideologisch motivierten Familienpolitik abzulenken sieht er einen Beweis für die Handlungsfähigkeit der Großen Koalition, den Kampf als solchen sieht er als unabwendbar richtig an. Der Abschuss ist dabei folgende Behauptung:
"Das Hauptziel aber ist es, jene 80 Prozent, die nach Erfahrungen der Sicherheitsbehörden durch Zufall oder kleine Lockmechanismen in die Kinderpornoszene rutschen, frühzeitig abzuschrecken. Sie sollen durch die Blockade des Zugangs abgeschreckt werden. Dagegen gibt es keine guten Argumente."
Es gibt ungefähr zwanzigtausend gute Argumente dagegen. Woher nimmt Stefan Braun überhaupt diese Phantasiezahl 80%? In einem bekanntlich grenzüberschreitenden Kriminalbereich, in dem die Gesetzes(ver)hüter schon oft genug durch schiere Inkompetenz aufgefallen sind, als sie Rasterfahnungen durchführten und Zahlen vorstellten (man erinnere sich nur an die riesige Rasterfahndung mit Kreditkartencheck, die zu hunderten von Hausdurchsuchungen und damit zerstörten bürgerlichen Existenzen führte, ohne dass EINE EINZIGE ANKLAGE nachher Bestand hatte!) gibt es überhaupt keine Zahlen und noch viel weniger Untersuchungen, so dass die 80% zufällig herumsurfende User, die dann Kinderporno-Fans werden vielleicht ein wenig aus der Luft gegriffen sind. Ich bin bisher nie zufällig beim Surfen auf einer Kinderpornoseite gelandet und ich wäre echt erstaunt wenn irgendeiner meiner Leser hier berichten könnte, dass ihm das passiert wäre. Ich lande ja nicht mal zufällig auf Pornoseiten. Auf solchen Seiten landet man mit Absicht.
Und überhaupt: die Polizei hat schon gebetsmühlenartig betont, dass die Server in Timbuktu stehen, aber sich nicht in irgendeinem Land, gegen das man irgendwie mit der deutschen Polizei vorgehen könnte. Netze, die das Zeug tatsächlich untereinander austauschen kriegt man nicht mit solchen Sperren klein. Das ganze ist eine gigantische Farce, die vor allem zwei Ziele verfolgt:
Zum Einen wird der Anschein von Handlungsfähigkeit erweckt. Hier kann sich jeder vorher blamable gescheiterte Law&Order-Politiker noch einmal markig hinstellen, ohne Kritik ertragen zu müssen, denn die ist ja gewissermaßen von oben als unmoralisch definiert. Sobald man das absurde Vorgehen kritisiert, wird man automatisch als Sympathisant verurteilt - ähnlich wie auf dem Höhepunkt der Terrorhysterie.
Zum Zweiten ist das Ganze eine bequeme Möglichkeit, endlich in die Internetzensur einzusteigen. Wie oft hat Schäuble gefordert, das Internet dürfe kein rechtsfreier Raum sein und man müsse es zensieren, damit keine Bombenbauer irgendwelche Flugzeuge kapern? Das hat ihm nie einer abgenommen, aber Kinderpornographie ist gewissermaßen ein genuines Internetverbrechen geworden und eignet sich hervorragend, um hier zu mobilisieren. Ähnlich wie in China werden also bald die Provider, von denen die meisten bereits eingeknickt sind (was Stefan Braun in seinem dämlichen Artikel auch noch toll findet) irgendwelche von der Regierung vorgelegten Listen sperren. Denn wer definiert denn, was hier irgendwie Kinderporno-Seiten sind? Das ist die Exekutive. Die wird Listen vorlegen, und die Provider werden die sperren, begleitet von einem Feuerwerk von Hetzartikeln wie dem neulich aus dem ehemaligen Nachrichtenmagazin in Hamburg. Dabei kann alles auf den Listen stehen, besonders irgendwelche regimekritischen Seiten. Ich sage euch, wir bewegen uns im Eiltempo weg vom liberalen, demokratischen Staat, und ausgerechnet die FDP ist häufig auf breitester Front dabei, siehe Bayern oder NRW. In die brauchen wir keine Hoffnungen zu setzen.

Weitere Links:

Hofberichterstattung vom Spiegel über von der Leyen.
Zypries macht auch mit, keien Hoffnung von dieser Seite.
Die Betreiber von Wikileaks haben Hausdurchsuchen am Hals wegen Verbreitung der Zensurlisten.
Noch mal Zypries.
[UPPDATE]
Von Fefe kommt noch mehr Material:
Die Zahlen sind alle gelogen, wie ich bereits gesagt hatte.
Die EU-Kommission fordert vollkommen drakonische Strafen bereits für die Kontaktaufnahme mit unter 16jährigen. Wieder mal total praxisfern, weil sich das Alter über das Internet nicht ohne Weiteres überprüfen lässt...
[UPDATE2]
Auch Spiegelfechter hat sich des Themas angenommen und gleich noch zwei Artikel nachgeliefert:
- in der taz wird die Untauglichkeit der Maßnahmen thematisiert
- in der FAZ wird dargestellt, dass von der Leyen letztlich eine intrigante Stümperin ist
[UPDATE3]
Und noch eine Meinung von einem Profi, der es wissen sollte.

5 Kommentare:

  1. Und das alles merkt Ihr erst jetzt?
    Ich hoffe, dem Autor geht es nicht so wie mir.
    Ich habe auch jahrelang solche Artikel verfaßt, von wenigen bemerkt, aber doch von einigen Zeitschriften zitiert ...
    Am Ende hat man mir ein Jahr Haft aufgebrummt und die Auflage, weiter gegen die BRD zu hetzen durchgesetzt...
    Habe daraufhin schon vor Jahren das Land verlassen!

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  2. Ups ... natürlich muß es heißen "die Auflage, NICHT weiter gegen die BRD zu hetzen, durchgesetzt..."
    Hatte vorher statt "die Auflage" "das Verbot" im Satz
    Fehlt halt eine Edit-Funktion oder besser, man sollte sich jeden Text 2 mal durchlesen bevor man ihn sendet ...

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  3. Nanananana, ich behandle das Thema seit spätestens 2007. Ich hab keine Lust mich durch die Archive zu graben, aber gegen das Thema finden sich schon lange Sachen.

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  4. Ja, es ist schon erschreckend, wohin sich Deutschland mit riesigen Schritten bewegt.

    Und dieses Land der Nazis und Stasis ist wohl noch nie so kollektiv hirnwaschbar gewesen wie im Zeitalter medialer Gleichschaltung. Ein riesiger LCD-Fernseher knallt einfach definitiv mehr als ein verrauschter Volksempfänger.

    Zudem sind alle rechts von der CDU Neonazis, alle links von der SPD Kommunisten, und demnach alle Kritiker entmachtet. Und mit Terror, Porno und Finanzkrise wird jeder noch so antidemokratische Schwachsinn legitimiert.

    Jetzt fehlt nur noch ein starker Mann der 'Mitte', kantig, mit Profil und heissem Herz, und die Suche nach den Schuldigen kann losgehen. Gierige Manager werden es sicherlich nicht sein, die daran glauben müssen, denn sie bezahlen den starken Mann ja. Eher bedroht sind da echte Minderheiten und Regimekritiker.

    Und nachher ist es wieder keiner gewesen.

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  5. ard verkuendet, das 80% durch eine blokade abgeschreckt werden. 80% von was und wieso sagte keiner!

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