Freitag, 30. September 2011

Von der Zivilisation

Von Stefan Sasse

Zarte Anfänge der Zivilisation
Der Begriff der Zivilisation ist ein merkwürdig undefinierter Begriff. Häufig spielt er auf einen bestimmten Stand kultureller Entwicklung an, meist vor allem, um ihn von den primitiven Agrar- und Stammesgesellschaften der menschlichen Frühgeschichte abzuheben. Eine ganz eigene, negative Definition erhielt er während der Zeit des deutschen Kaiserreichs, in dem er als pejorativer Begriff mit dem angelsächsischen Raum verbunden und dem eigenen Begriff der deutschen "Kultur" gegenübergestellt wurde. In diesem Bild, dessen Nachhall selbst heute spürbar bleibt, ist "Zivilisation" etwas kaltes, technisches, seelenloses. Man besitzt Maschinen und gewisse materielle Komforts, aber man ist gewissermaßen als Mensch zurückgeblieben. Diese Definition teile ich nicht. Zivilisation ist viel mehr etwas, das noch nicht lange existiert, das fragil und beständig gefährdet ist und das sich aus sechs Teilen zusammensetzt, die alle notwendig sind um eine echte Zivilisation zu konstituieren und zu erhalten. Gefährdet und fragil ist Zivilisation deswegen, weil bereits das Fehlen eines einzelnen dieser Teile reicht, um sie zu zerstören und etwas anderem, düstererem Platz zu machen. Wir werden dies im Folgenden im Detail beobachten können. 

Donnerstag, 29. September 2011

Mit Bloggerblumen gegen Medienpanzer - Replik von Jens Berger

Von Jens Berger

Wer denkt, die Massenmedien würden durch ihre Simulation von Meinungspluralität tatsächlich auf die Gegenöffentlichkeit eingehen, irrt gewaltig. Der Siegeszug des Internets und der sozialen Netzwerke ist am ehesten mit der Erfindung des Buchdrucks zu vergleichen. Vor Gutenbergs revolutionärer Entwicklung besaß die katholische Kirche de facto das Monopol für gedrucktes Wissen. Dank der Buchdrucktechnik konnte fortan jedermann, der genug Geld hatte, sein Wissen und seine Meinung verbreiten, um den kostenaufwändigen Druck eines Buches oder einer Zeitung zu finanzieren. Erst das Netz demokratisierte die Publizistik, in dem es wirklich jedermann die Möglichkeit verschaffte, andere Menschen an seinen Gedanken in schriftlicher oder audiovisueller Form teilhaben zu lassen. Dass die finanzstarken Massenmedien den Verlust ihres Meinungsmonopols nicht einfach so hinnehmen würden, war klar – sie hatten schließlich aus den Fehlern der katholischen Kirche gelernt.

Vernetzung und Information heute

Von Stefan Sasse

In seiner aktuellen Kolumne im Spiegel stellt Sascha Lobo eine bemerkenswerte Behauptung auf: Facebook sei nur das Symptom eines um sich greifenden Trends, die Privatsphäre neu zu definieren und Informationen aller Art zu verknüpfen und öffentlich zu machen. Er postuliert eine Umkehrung bisheriger Paradigmen: nicht mehr alles, was nicht öffentlich ist sei privat, sondern alles was sei öffentlich, was nicht explizit als privat markiert wird. Das bedeutet, dass wenn man Facebook einfach aus der Welt entfernte (meinetwegen mit einem Schwung von Gandalfs Zauberstab), sich an der Entwicklung selbst nichts ändern würde. Ich stimme dieser Ansicht zu, aber von ihr ausgehend erscheint mir etwas völlig anderes bedeutsam: Menschen verknüpfen mehr und mehr Informationen zu ihrem eigenen, individuellen und sehr persönlichen Netz. Die Funktion ist gerade auch das tägliche Zurechtfinden im Internet. Beispiel gefällig? Man liest einige Blogs regelmäßig, darunter die NachDenkSeiten, und nutzt deren Hinweise des Tages als Hauptquelle der Orientierung im Nachrichtendschungel.

Dienstag, 27. September 2011

Großexperiment Athen

Von Stefan Sasse

Ein ständiges Problem der Geschichtswissenschaft ist es, dass keine Experimente durchgeführt werden können, dass Situationen nicht wiederhergestellt und erneut durchgespielt werden können. Aktuell können wir allerdings ein großangelegtes solches Experiment in Griechenland betrachten: war Heinrich Brühnings Politik wirklich falsch? Oder funktioniert sie vielleicht doch? Mir sieht es so aus, als würden die Ergebnisse von 1930 bis 1932 bestätigt werden.

Donnerstag, 22. September 2011

Frauenfeinde voraus?

Von Stefan Sasse

Zu den abstrusesten Vorwürfen, die der Piratenpartei derzeit auf allen möglichen Kanälen gemacht werden gehört, dass sie frauenfeindlich seien. Unter 15 Kandidaten für das Abgeordnetenhaus sei schließlich nur eine Frau! Shocking, truly. Aber ernsthaft, wundert das jemanden bei einer Partei, die sich effektiv aus Techniknerds zusammensetzt? Auch die Wähler dieser Partei waren mehrheitlich männlich. Die Piraten selbst erklären lediglich, den klassischen Gender-Begriff abzulehnen und die Unterteilung in Männer und Frauen für überholt zu erklären, weil sie weitere Identitäten in der heutigen Gesellschaft ausschließe. Das ist richtig. Die Partei sollte das als Mantra vor sich hertragen und auf die Vorwürfe der Frauenfeindlichkeit gar nicht erst eingehen. Sie sind schlicht haltlos und hysterisch. 

Dienstag, 20. September 2011

Grundgesetz 2.0?

Von Stefan Sasse

Im Verfassungblog schlägt Maximilian Steinbeis vor, das Urteil des BVerfG positiv zu nehmen und einfach nach Artikel 146 eine Volksabstimmung zu veranstalten. Dafür müsse gar nicht viel vom Grundgesetz geändert werden; man könnte stattdessen die kritischen 23 und 79III ändern, so dass eine Kompetenzübertragung an Europa in größerem Maße möglich würde und den Rest stehen lassen. Voila, eine neue Verfassung - die dann sogar so heißen könnte - und das Problem wäre gelöst, richtig demokratisch sogar. Einer solchen Abstimmung räumt er große Chancen ein. Ich stimme dieser Einschätzung zu, und es lohnt sich, einen Augenblick darüber nachzudenken.

Montag, 19. September 2011

Flip-Flop zum Guten

Von Stefan Sasse

Die FDP hat sich offiziell von ihrem rechtspopulistischen Anti-Euro-Kurs verabschiedet. Nachdem bereits am Sonntag bei Günther Jauch Absetzbewegungen veranstaltet wurden, ist es nun offiziell: Philip Rößler hat niemals, nie, antieuropäische Ressentiments abgelassen. Der Artikel in der Welt war ein Produkt eines anderen FDP-Vorsitzenden gleichen Namens. Schuld ist allein der Berliner Landesverband, der ohne Absprache mit der Bundespartei mit europafeindlichen Parolen auf Wählerfang ging. Man reibt sich verwundert die Augen über diese neuerliche Kehrtwende der Liberalen, aber man sollte sie nicht für ihre Wankelmütigkeit schelten: besser sie finden zum Guten zurück, als dass sie aus falsch verstandener Prinzipientreue ständig im rechtspopulistischen Nirvana herumgurken. Das war letzte Woche noch eine realistischere Vorstellung, als sie es sich heute eingestehen will. 

Sonntag, 18. September 2011

Zur Wahl in Berlin

Von Stefan Sasse

Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Irgendwas sollte man doch eigentlich zu der Wahl zu sagen haben, aber was? Die FDP hat, erwartungsgemäß, die 5%-Hürde verfehlt. Dass sie es so eindeutig tun würde - bei knapp 2% - ist eine Überraschung, zugegeben, aber ernsthaft verwunderlich ist es nicht. Es ist eher ein "ach, wieder ein paar Zehntelprozent Wahlberechtige zu klarem Verstand gekommen?" als dass man sich lange mit der Suche nach Ursachen aufhalten würde. Kubicki hatte Recht, die FDP hat als Marke verschissen. Und zwar absolut zu Recht. Natürlich werden wir bald hören, dass das auf gar keinen Fall so gesagt werden kann, dass Berlin eine besondere Situation war und dass die Piraten Schuld haben. Ja, die Piraten. Die sind die große Überraschung des Abends. Dass sie die 5%-Hürde knapp nehmen würden, gut, das war vorauszusehen. Aber 9%?

Freitag, 16. September 2011

Die ganz große Koalition?

Von Stefan Sasse

In der ZEIT wird der Gedanke formuliert, dass Angela Merkel sich von CSU und FDP trennen und stattdessen mit SPD und Grünen zusammenarbeiten sollte. 
Auch hier gibt es große Unterschiede in der Bewertung der angebotenen Lösungsansätze. Doch nehmen führende Sozialdemokraten und Grüne ebenso wie entsprechende Christdemokraten – allen voran Finanzminister Wolfgang Schäuble – die Herausforderung in ihrer ganzen Größe an.
Mit der Einschätzung hat die ZEIT sicherlich Recht; FDP und CSU sind irgendwo zwischen Heinrich Brüning und Franz Josef Strauß stecken geblieben. Natürlich ist diese ganz große Koalition nur schwer vorstellbar. SPD, Grüne und CDU in einer Koalition? Auch die Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft mit der CSU ist, gelinde gesagt, unwahrscheinlich. Das wissen sicherlich auch die Journalisten bei der ZEIT, keine Frage. Es geht auch weniger um den Realitätsgehalt dieses Szenarios, sondern vielmehr um die Tatsache an sich: in der größten Krise der Bundesrepublik - und ich habe keinen Zweifel daran, dass wir uns in dieser befinden - sind zwei von drei Regierungsparteien anderer Meinung als die Hauptregierungspartei und sabotieren sie nach Kräften, während zwei von drei Oppositionsparteien sich an staatstragendem Gebaren überbieten.

Donnerstag, 15. September 2011

Tritt nicht zur Dunklen Seite über!

Von Lt. Col. Dan Ward, USAF
Aus dem Englischen übersetzt von Stefan Sasse

Beschaffungslektionen aus einer weit entfernten Galaxis
Nachdem sie die Endschlachtszene in "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" zum ersten Mal gesehen hatte, erklärte meine achtjährige Tochter: "Die sollten diese Todessterne nicht mehr bauen. Die werden jedes Mal in die Luft gejagt." Sie ist vielleicht noch etwas zu klein für die Sturmtruppen, aber sie hat Recht. 

Ja, das Imperium sollte damit aufhören, Todessterne zu bauen. Es zeigt sich, dass das Verteidigungsministerium sie auch nicht bauen sollte, metaphorisch gesprochen. Welche Art von Waffensystem passt überhaupt in diese Kategorie? Ich werde der Versuchung widerstehen, explizite Beispiele zu geben und stattdessen einfach behaupten, dass jedes gewaltige Projekt, das gehirnschmelzend komplex ist, unersättlich Ressourcen verschlingt und darauf abzielt, eine unbesiegbare Waffe zu werden, auf dem besten Weg ist, ein Todesstern zu sein - und das ist keine gute Sache. 

Warum sind Todessterne eine dumme Idee? Der Hauptkritikpunkt erstreckt sich auf zwei Kategorien: eine operative und eine der programmatischen Ausrichtung. Die operativen Mängel der todgeweihten Kampfstationen des Imperiums sind allgemein bekannt und weithin verspottet. Ihre programmatischen Mängel sind weniger bekannt, aber der Erörterung wert. Wir werden uns im Folgenden beides ansehen. 

Mittwoch, 14. September 2011

Vom Wert der Uneinigkeit

Von Stefan Sasse

Wirtschaftsminister Rößler und FDP-Generalsekretär Lindner spekulieren über den Zahlungsausfall Griechenlands und eine "geordnete Insolvenz" des Staates. CSU-Chef Seehofer springt ihnen bei, während Finanzminister Schäuble sich dagegen stemmt und versucht, eine allgemeine Nachrichtensperre zum Thema durchzusetzen. Kanzlerin Merkel legt sich nicht wirklich fest. Der baden-württembergische Finanzminister Schmid arbeitet mit der oppositionellen CDU zusammen, um Werbung gegen den Abbruch der Arbeiten an Stuttgart 21 gegen den eigenen Ministerpräsidenten Kretschmann zu machen. Ist das jetzt Ausdruck eines neuen, undogmatischen Ansatzes in der Politik, der weniger von Fraktionszwang und Parteiprogrammen als von persönlichen Überzeugungen bestimmt ist, oder ist es vielmehr prinzipienloses Chaos? Um ehrlich zu sein bin ich mir nicht vollständig sicher, was davon zu halten ist.

Dienstag, 13. September 2011

In der Sackgasse

Von Stefan Sasse

Derzeit stecken die Regierungen dieser Welt praktisch alle in derselben Sackgasse. Überall knirscht und kracht es im Gebälk der Finanzsysteme, wie sie auch beschaffen sein mögen, aber sie sind nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. Dabei macht es kaum einen Unterschied, ob das Cameron in Großbritannien, Obama in den USA, Merkel in Deutschland, Sarkozy in Frankreich oder Berlusconi in Italien ist. Sie alle sehen sich dem gleichen Problem gegenüber. Manche können immerhin den mildernden Umstand in Anspruch nehmen, dass sie das Problem überhaupt als solches erkennen. Die meisten führen derzeit Schattengefechte durch und versuchen etwa, Inflation zu verhindern und "das Vertrauen der Finanzmärkte zu gewinnen", als ob das irgendetwas mit der Realität zu tun hätte. Ursache hierfür ist das fatale Verrennen in die angebotsorientierte Monetarismustheorie in den letzten 20 Dekaden und die völlige Ausblendung von Alternativen. Schlimmer noch, man folgte lediglich einer Vulgärversion des radikalen Neoliberalismus Friedman'scher Prägung.

Sonntag, 11. September 2011

Lang lebe die Seilschaft


Nun verlässt also der zweite Deutsche die EZB, weil seine Ideologie mit der Realität nicht mehr kompatibel ist. Im Grunde würde ich dem keine Träne nachweinen, würde es nicht so aussehen, als würde Jörg Asmussen ihn ersetzen. Ja, der Asmussen von der neoliberalen Asmussen-Weidmann-Weber Seilschaft. Das hätte nun wirklich nicht sein müssen.

Aber wenden wir uns den Inhalten zu. Der große Streit geht um die Tatsache, dass die EZB Anleihen einiger Euro-Mitgliedsstaaten kauft. Folglich steigt der Preis dieser Papiere, und ihre Rendite sinkt. Dadurch gelingt es einerseits den jetzigen Inhabern dieser Anleihen diese zu verkaufen, umgangssprachlich: los zu werden. Andererseits wird es den Staaten ermöglicht, neue Anleihen zu niedrigeren Zinssätzen auszugeben (der Zins, den die Staaten auf bereits ausgegebene Anleihen bezahlen, ändert sich natürlich nicht).

Samstag, 10. September 2011

Obamas Job-Rede: Wiedergeburt eines Polit-Zombies

Von Stefan Sasse

In den vergangenen Wochen und Monaten war Obama ein Polit-Zombie: getrieben von der Tea-Party-Totalopposition, geplagt von schlechten Umfragewerten und mit einem veritablen ökonomischen Desaster an der Backe schien es vielen Beobachtern, als ob er seine Wiederwahl schon beerdigen könnte. Die Berichterstattung fokussiere sich folgerichtig auch auf das republikanische Kandidatenfeld, das sich als Kabinett des Grauens positioniert: die ultrarechten Aushängeschilder Bachmann oder Perry oder aber der moderate Milliardärsliebling Romney sind derzeit die Favoriten. Man kann zu Obama stehen, wie man will, aber besser als die Alternative ist er allemal. Nun hat er am 8. September seine lang erwartete "job speech" gehalten, also die Rede, in der er ankündigen sollte wie Jobs geschaffen werden sollte. Nach den rhetorischen Desastern, die er im letzten Jahr abgeliefert hat, und der allgemeinen Schwäche des Weißen Hauses hatte kaum jemand etwas Besonderes erwartet. Das Resultat aber ist überraschend. 

Freitag, 9. September 2011

Keine Angst vor dem islamischen Gesetz in Amerika

Von Eliyahu Stern
Aus dem Englischen übersetzt von Stefan Sasse

Mehr als ein Dutzend amerikanischer Staaten diskutieren derzeit, Teile des islamischen Schariah-Gesetzes zu verbieten. Einige der angesprochenen Maßnahmen würden es Muslimen verbieten, bestimmte Streits über Essensgesetze oder Heirat durch religiöse Vermittlung zu regeln, während andere sogar komplette Teile des islamischen Lebens stigmatisieren würden: ein Gesetz, das kürzlich von der Tennessee General Assembly verabschiedet wurde, setzt die Schariah gar mit einem Regelwerk gleich, das "die Zerstörung der nationalen Existenz der Vereinigten Staaten" befördere.

Donnerstag, 8. September 2011

Zum BVerfG-Urteil

Von Stefan Sasse

Das Urteil des BVerfG hat vor allem zwei wichtige Ergebnisse. Erstens, die bisherigen Rettungsmaßnahmen sind verfassungskonform. Zweitens, jede weitere Integration in Europa - besonders also die Schaffung einer Wirtschaftsregierung - ist nicht im Rahmen der bestehenden Institutionen und Gesetze möglich. Der Fokus der Berichterstattung auf der Stärkung der Rechte des Parlaments dagegen ist meiner Meinung nach verfehlt. Es ist zwar richtig, dass das BVerfG betont hat, dass der Bundestag mehr Entscheidungsspielraum bei den Rettungspaketen bekommen sollte. Nur wird damit ein bereits größtenteils in der Vergangenheit liegendes Problem gewissermaßen nachträglich sanktioniert. Denn die Frage ist nicht mehr die nach dem nächsten Rettungspaket, sondern nach weiterer Integration, auch politischer Integration. Dafür aber, das hat das BVerfG letztlich selbst gesagt, ist die Bundestagszustimmung zu einzelnen Gesetzen irrelevant, weil er - dem Lissabon-Urteil folgend - ohnehin keinen weiteren Souveränitätsverlust beschließen darf.

Dienstag, 6. September 2011

„Die Oma ist schuld!“

Von Jürgen Voß

Zwei Beispiele aus dem unerschöpflichen Arsenal des neoliberalen Irrsinns

In den „Nachdenkseiten“ von heute (6. September) merkt Orlando Pascheit zu einem Artikel der Süddeutschen an: „Die SZ sollte sich schon entscheiden, ob genug Geld vorhanden ist, das allerdings zweckentfremdet der Spekulation dient, oder ob sie weiter das neoliberale Mantra wie ein Monstranz vor sich her trägt, dass „zu viele Staaten, Bürger und Banken inklusive, zu lange über ihre Verhältnisse gelebt“ hätten.

Als Pascheid diese Anmerkung schrieb, hatte er wohl noch nicht die SZ vom gleichen Tag gelesen, in der die neoliberale Propagandafront der SZ gleich zweimal – und das in geradezu primitivster Weise – das älteste Argument der neoliberalen Konterrevolution („zu wenig Kinder für zu viele alte Leute“!), bekannt aus unzähligen Christiansenrunden, wieder aufwärmt und damit anschaulich demonstriert, dass sie gar nicht daran denkt, mal reflektorisch tätig zu werden, welchen Unsinn sie in den vergangen 20 Jahren verbreitet und wie stark sie sich mitschuldig gemacht hat, an dem, was uns heute alle bedroht und letztlich, da hat Erhard Eppler, in der gleichen Ausgabe vertreten, vollkommen recht, das „Ende der Politik“ und damit das Ende der Demokratie überhaupt bedeutet:

Der Anfang vom Ende der Republik

Von Stefan Sasse

Gracchus vor der Volksversammlung
Im ersten Teil zum Thema Untergang der römischen Republik haben wir uns ihre genaue Funktionsweise angesehen. Mit den alten Vorstellungen des Volkes, das sich auf dem Forum versammelt und über irgendwelche Politikfelder abstimmt, hatte das reichlich wenig zu tun - die Republik diente letztlich hauptsächlich dem Austragen von Konkurrenz und Wettstreit unter der Aristokratie, bot einen Kanal, der dem Staatswesen half anstatt es zu erschüttern. Die überwiegende Mehrheit des Volkes, selbst reiche Händler und Amtsadelige, hatten im Allgemeinen wenig Mitspracherecht. Warum aber begann das Staatswesen am Ende des 2. Jahrhunderts vor Christus langsam zu bröckeln? Was führte in gewalttätigen Taumel von Bürgerkriegen, in denen die Republik versinken sollte? - Der Beginn lag bei den Gracchen. 
 
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Lesebefehl

Von Stefan Sasse

Ein langjähriger Staffer der Republikaner im Kongress ist aus Frust über den Aufstieg der Tea-Party zurückgetreten und hat sich diesen Frust in einem langen Artikel von der Seele geschrieben. Absolut lesenswert!

Montag, 5. September 2011

Die geborgte Stärke der SPD

Die SPD kann derzeit vor Kraft kaum laufen. Über 35% in Mecklenburg-Vorpommern, quasi sicherer Wahlsieg in Berlin, die Demoskopenwerte für Bundestagswahlen ständig am Wachsen. Dazu die Dauerkrise von LINKEn und FDP, das Ende des grünen Aufstiegs und Streit in der CDU. In der derzeitigen Freude über die Entwicklungen häuten Gabriel, Steinmeier und Steinbrück aber nicht nur das Wild bevor es gefangen wurde. Sie jagen es nicht einmal; das erledigen andere. Die SPD profitiert derzeit einzig von der Schwäche der anderen; einen eigenen Kraftquell besitzt sie nach wie vor nicht. Das gilt insbesondere für den verbreiteten Irrtum, dass Steinbrück der Messias für die Wahlergebnisse der Partei wäre.

Samstag, 3. September 2011

S&P macht wieder Politik

Von Stefan Sasse

S&P hat angekündigt, dass wenn es zu Euro-Bonds komme, man diese dann nach dem schwächsten Mitgliedsland bewerten wolle. Offensichtlich macht die Agentur nur noch Politik in eigener Sache, denn Sinn ergibt das nicht. Deswegen gibt es eigentlich nur eine richtige Reaktion auf diese Ankündigung (nach dem Break):


Die Amnesie des Joseph F.

Von Jens Voeller

Bundesaußenminister a. D. Joseph Fischer hat dem Spiegel ein Interview gegeben. Das beherrschende Thema darin ist eine Fundamentalkritik an der Europa- und sonstigen Außenpolitik der Bundesregierung. In die gleiche Kerbe hatte auch schon Altkanzler Kohl gehauen, dessen Selbstinszenierung als Elder Statesman, der alles besser gemacht hätte, schon von Wolfgang Lieb auf den NachDenkSeiten detailreich widerlegt wurde.

Damit hier kein Missverständnis aufkommt: es soll nicht darum gehen, eine verfehlte Außen- und insbesondere Europapolitik der Bundesregierung gesundzubeten. An deren Konzeptlosigkeit, vor allem in Hinblick auf die Zukunft der Währungsunion, kann eigentlich kaum noch ein Zweifel bestehen. Das soll uns aber nicht davon abhalten, falsche und unglaubwürdige Kritik zurückzuweisen.

Freitag, 2. September 2011

Kurz kommentiert

Von Stefan Sasse

Heute mal wieder ein Post mit Links und kurzen Kommenaren dazu. Weiter nach dem Break.

Donnerstag, 1. September 2011

Raus aus der Defensive!

Von Stefan Sasse 

Zweifel daran, dass die Politik jemals die Oberhand über die Wirtschaft beziehungsweise den Finanzmarkt bekommt sind derzeit so en vogue wie angebracht. So wie sie vorgeht jedenfalls hat sie kaum eine Chance. Ob nun die Krise der Eurostaaten, der Banken, Griechenlands oder der USA - stets ist es das gleiche Bild. Die Politik agiert aus einer vorsichtigen Defensive heraus und überlässt das Feld vollständig den Akteuren der Gegenseite sowie den zwischen beiden Grenzen berichtenden Medien (deren Job-Performance in letzter Zeit allerdings deutlich besser wurde). Auf diese Art wird es sehr schwer werden, jemals eine substanzielle Änderung zu bewerkstelligen anstatt nur, wie bereits 2009/10, die Symptome zu behandeln und auf die nächste Krise zu warten. In Wirklichkeit ist das Problem der Kommunikation, das die Politik ergriffen hat, aber nicht die reine Komplexität des Stoffes. Es ist vielmehr das Fehlen eines Narrativs.