Im mittlerweile vierten Monat der Corona-Pandemie weigert sich der amerikanische Präsident Donald J. Trump immer noch beharrlich, eine Maske zu tragen, ob im Weißen Haus oder auf Wahlkampfveranstaltungen. Stattdessen beleidigt er über sein Lieblingsmedium Twitter seinen Herausforderer Joe Biden als unmännlich, weil der eine Maske trägt, was von seinen Anhängern begeistert aufgenommen wird. Die Reaktion der meisten Beobachtenden ist völliges Unverständnis. Warum besteht Trump auf einem so offenkundig gefährlichen Verhalten, wo doch praktisch alle ExpertInnen die Bedeutung des Maskentragens hervorheben? Ist er zu dumm, das zu verstehen? Zu arrogant? Ist es eine brillante politische Strategie? Dieses Unverständnis gegenüber dem Präsidenten zieht sich auf im letzten Jahr seiner Amtszeit durch sämtliche Berichterstattung, mal mit Verblüffung, mal mit Belustigung, mal mit Entsetzen. Es ist Ausdruck eines tiefen Unverständnisses, auch nach mittlerweile vier Jahren intensivster Beschäftigung mit Trump. Es ist Beleg einer Oberflächlichkeit, eines Mangels an Analyse, die jeden Erkenntnisgewinn über Nummer 45 verhindert.
Es wird eng im Teflon
Sascha Lobo hat sich
in seiner jüngsten Spiegel-Kolumne an diesem Phänomen abgearbeitet und nur für die Formulierung "Es wird eng für Trump" Dutzende Beispiele herausgesucht, die in Medienüberschriften zwischen dem Oktober 2016 und dem Juni 2020 veröffentlicht wurden. Wie so viele andere nutzt er diese Erkenntnis für ein sich Abarbeiten an medialen Strukturen, an dem Drang zur Aktualität ebenso wie dem Drang, immer Recht zu behalten. Das ist sicherlich nicht falsch. Aber zum Verständnis des Phänomens Trump leistet es nur wenig. Denn Lobo übersieht bei dieser Aufstellung zwei zentrale Wahrheiten:
Erstens wurde es in den meisten Fällen eng für Trump, er entkam nur dieser Falle.
Zweitens hätten die meisten dieser Skandale jeder anderen politischen Person das Genick gebrochen.
Das stellt die Frage: Warum wird es für Trump zwar oft eng, aber nie so sehr, dass er erledigt wäre? Warum gehen Beobachtende angesichts anhaltender Umfragewerte für einen Amtsinhaber, die so schlecht in der Geschichte moderner Präsidentschaften noch nicht gesehen wurden, immer noch davon aus, dass Trump der Favorit im November ist?
Ein Teil davon ist sicherlich der Nimbus der Wahl von 2016. Aber es ist auch ein Unverständnis dieses Präsidenten, ein unbekannt Bleiben der Person, und der Ersatzhandlung, ihm quasi magische Fähigkeiten zuzuschreiben. Gerne verweisen Beobachtende dann auf die brillanten Taktiken Trumps oder auf seine teflonhafte Natur. Jeder Skandal scheint an ihm abzuprallen. Nichts, was er tut, scheint seine Anhänger zu stören. Sein Beliebtheitslevel bleibt beharrlich an der 40%-Marke hängen.
Dabei ist das alles nicht sonderlich schwer zu verstehen, wenn man es denn verstehen will. Aber dieser Wille scheint weithin zu fehlen. Wir können das schon im Ursprung des ganzen Schlamassels betrachten, dem Wahlkampf von 2016.
Das Trauma von 2016
Das Ergebnis vom November 2016 kam für die überwiegende Mehrheit der Beobachter überraschend. Diese Überraschung, die in weiten Kreisen auch mit Fug und Recht als Schock bezeichnet werden kann, erforderte ihre Rationalisierung. Bis heute ist es praktisch unmöglich, es einfach nur als Verkettung von verschiedenen Zufallsfaktoren zu sehen, als unwahrscheinlichen Betriebsunfall. Wie für Bauern im Mittelalter der Wetterumschwung zwingend einen anderen Grund haben muss als "ist halt so", so müssen politische Beobachtende unbedingt größere Bedeutung in dieses Ereignis legen.
Es widerstrebt allen Menschen grundsätzlich, Zufall und Pech anzunehmen. Wir fühlen uns besser, wenn wir es uns erklären können. Die Erklärungen variieren denn auch, teilweise sind richtige Moden auszumachen. Von der Ignoranz gegenüber der amerikanischen Landbevölkerung (gerne mit dem klassischistischen Argument verkleidet, nur Wähler von
Republicans seien echte Amerikaner) über die Nutzung sozialer Netzwerke, von der angeblichen bodenlosen Unfähigkeit des Clinton-Wahlkampfs zu einer generellen Unzuverlässigkeit der Umfragen und vielem mehr - an Erklärungen mangelt es nicht.
Ich habe
ausführlich darüber geschrieben, was 2016 tatsächlich schief gelaufen ist und warum Hillary verlor. Wir müssen diese Argumentation nicht wiederholen. Relevant ist viel mehr, warum bis heute, vier Jahre später, eine tief verwurzelte Unwilligkeit besteht, diese Erkenntnisse zu akzeptieren. Stattdessen wird immer noch auf Erklärungen rekurriert, die eher dem Bereich des Aberglaubens entstammen. Aber sie geben, absurderweise, mehr Sicherheit als die schlichte Wahrheit. Trump gewann, wie manche Menschen im Lotto gewinnen: Weil eine lange Reihe von Variablen in einer unwahrscheinlichen, aber möglichen Häufung zu seinen Gunsten eintraten.
Eine einzige Variable hätte ausgereicht, um seine Niederlage zu besiegeln. ALLE mussten für ihn ausschlagen. Das war unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Der Unterschied zwischen diesen beiden Worten ist den meisten Beobachtenden bis heute verborgen geblieben. Deswegen versuchen sie bis heute, es zum einzig möglichen Ergebnis zu rationalisieren, Erklärungen zu finden, warum es so kommen MUSSTE. Es ist eine Falle, in die sogar studierte Historiker gerne tappen. Auch sie ist menschlich. Dem Erkenntnisgewinn steht sie aber im Wege.
Eine Frage der Intelligenz?
Es ist wohl auch das schlechte Gewissen, das die Frage der Intelligenz immer wieder verschämt auf das Tablett bringt. Nachdem es in aufgeklärten Kreisen zwischen 2000 und 2008 geradezu ein Volkssport war, die Intelligenz George W. Bushs in Zweifel zu ziehen (man denke nur daran, wie Michael Moores "
Stupid White Men" zum Hit wurde), fühlt man sich inzwischen geradezu gezwungen, ihn neben Trump als Intellektuellen zu betrachten.
Dabei ist die Debatte müßig. Weder Bush noch Trump sind dumm. Jemand, der dumm ist, wird nicht Präsident. Moores bohrende Frage, ob George W. Bush Lesen und Schreiben kann, war aus der Warte von 2004 sicherlich von beißendem Spott gekennzeichnet, aber letztlich nicht mehr als das. Selbstverständlich kann er. Auch Trump kann, wenn er will, in ganzen, intelligenten Sätzen reden. Als er etwa
vor Gericht wegen seiner Unternehmensentscheidungen aussagen musste, war ein völlig anderer Mensch zu sehen. Ein Mensch, der komplexe Wörter verwenden kann, in leisem Ton reden und in vollständigen Sätzen. Nur, normalerweise will er nicht.
Trumps Rede-Mechanismen sind
eine bewusste Strategie. Wie jede Strategie politischer Kommunikation hat sie ihre Adressaten, ihre Vor- und Nachteile. Die richtige Frage wäre weniger, ob Trump blöd ist, sondern ob er davon ausgeht, dass seine WählerInnen es sind. Merkwürdigerweise wird diese Frage nicht gestellt.
Dabei wäre sie entscheidend. Denn zwar wird den
Democrats gerne unterstellt, sie verachteten die typisch republikanischen WählerInnen. Das ist sicherlich nicht einmal falsch. Man denke nur an Obamas Kommentar seinerzeit, von wegen "
cling to guns and religion", wegen dem ihm (unter anderem von Hillary Clinton, oh Ironie!) Elitismus vorgeworfen wurde. Aber niemand kann diese WählerInnen so sehr verachten wie republikanische PolitikerInnen.
Blasen
Die Antwort auf diese Frage - sind Trumps WählerInnen blöd? - ist natürlich auch nein. Zwar sind republikanische WählerInnen im Schnitt wesentlich ungebildeter als demokratische (zumindest, wenn man formale Bildungsabschlüsse als Grundlage nimmt), aber das gilt auch für die Wählerschaft der Grünen im Vergleich zur CDU, ohne dass deswegen jemand CDU-WählerInnen als dumm bezeichnen würde.
Relevant ist vielmehr die erfolgreiche Medienblase, in die die republikanische Kernwählerschaft eingefangen ist. Die doppelgleisige Etablierung eines eigenen Propaganda-Sektors durch FOX News, das im Fernsehen eine Parallelrealität schafft, und das Talk Radio, das dasselbe für das die langen Autofahrten gerade im ländlichen Bereich leistet, hat hier ganze Arbeit geleistet.
Trump ist auch deswegen scheinbar immun gegen die ganzen Skandale, weil diese Skandale in der Parallelrealität praktisch nicht vorkommen. Das ist für
Democrats komplett anders. Die neutralen Quellen, die sie überwiegend konsumieren - CNN, die New York Times, etc. - und selbst die eher parteiisch gefärbten Medien - etwa MSNBC - diskutieren ihre Fehltritte ausführlich. Hillary Clinton wurde ja nicht zum Verhängnis, dass FOX News über ihre Mails berichtete, sondern dass es die angeblich ja so parteiische New York Times tat.
Diese asymmetrische Blase schirmt Trump ab, aber das ist nichts, was Trump-spezifisch wäre. Mittlerweile dürfte das auch für andere republikanische SpitzenkandidatInnen gelten. Die permanente Weigerung der Beobachtenden der Politik aber, solche strukturellen Merkmale in ihre Überlegungen mit einzubeziehen, trägt massiv dazu bei, dass Trump nicht verstanden wird.
Mephisto im Senat
Und wo wir bei strukturellen Faktoren sind: Keine Betrachtung Donald Trumps und seiner großen Beharrungskraft kann ohne die Figur Mitch McConnels auskommen. Für die ungeheure Bedeutung, die dieser Mann für die US-Politik der vergangenen Dekade hat, wird er immer noch viel zu wenig beachtet. Fragt man sich, warum es in dieser Partei nicht eine einzige Person gibt, ob in Senat oder Repräsentantenhaus, die genug moralisches Rückgrat hat, sich Trump in den Weg zu stellen, so führt kein Weg an Mitch McConnell vorbei.
Der Mehrheitsführer der republikanischen Senatsfraktion hat seine Partei eisern im Griff. Dies liegt wohl an seinem Talent zum Eintreiben von Wahlkampfspenden, quasi das Zuckerbrot, mit dem er seine ParteifreundInnen lockt. Aber er ist auch ein effizienter Mehrheitsführer und hält seinen
caucus zusammen - in dieser Beziehung kann ihm wohl nur die Grande Dame des Kongresses, Nancy Pelosi, das Wasser reichen.
Mitch McConnell schützt Trump seit dessen Amtsantritt zuverlässig gegenüber jeder Kritik. Er blockiert alles, was die Integrität der amerikanischen Demokratie bewahren könnte. Dafür bekommt er von Trump, was er will. Konkret: Steuergeschenke für die Superreichen (2018 verabschiedet) und rechtsextremistische Kandidaten auf lebenslangen Richterposten (mittlerweile eine vierstellige Zahl im ganzen Land). Mitch McConnells Agenda ist es, die republikanische Minderheitenregierung auf mehrere Jahrzehnte festzuschreiben - und er ist kurz davor, das zu schaffen.
Keine Analyse von Trumps Beharrungskraft kann ohne den Faktor Mitch McConnell auskommen. Doch gerade im Rahmen des Impeachment, für dessen Scheitern er vor allen anderen verantwortlich war - und vor allem für die geeinte Front der republikanischen Senatoren - war in der Berichterstattung kaum vorhanden. Stattdessen wurden Erklärungen in der Person Trumps, seinen kommunikativen Fähigkeiten, der Schwäche der demokratischen Strategie und vielen weiteren Nebenkriegsschauplätzen gesucht. Als ob das Ergebnis jemals in Zweifel gestanden hätte! Aber es ist vielen Beobachtenden unmöglich, diese Unausweichlichkeit des Ergebnisses auf die korrekte Ursache zurückzuführen.
Blindheit für Asymmetrie
Und das liegt an der absoluten Unwilligkeit dieser Beobachtenden, die grundsätzliche Asymmetrie der Polarisierung und Radikalisierung in der amerikanischen Politik anzuerkennen. Stattdessen frönt man dem Bothsiderismus. Es ist eine der zentralen Lehren aus 2016, die nicht gelernt wurde:
both sides are not doing it. Die Skandale Trumps, die Radikalisierung der GOP, die zynische Machtpolitik McConnells, sie alle haben keine Entsprechung auf der anderen Seite.
Und doch bestehen die Beobachtenden allzu oft darauf, eine solche Gleichwertigkeit festzustellen. Dieser Drang hat eine leicht erkennbare Ursache. Wirft man beide Seiten in denselben Topf, so steht man selbst umso cleverer da. Die Versuchung ist beinahe unwiderstehlich. Ohne etwas dafür leisten zu müssen, ohne irgendwelche besonders brillanten Analysen abgeben zu müssen - oder auch nur mittelmäßige - sind die Bothsideristen automatisch klüger und besser, weil sie sich ostentativ über das Spiel der Politik erheben.
Diese künstliche Distanz führt dann zu einer Normalisierung und Relativierung Trumps. Wenn der Präsident, noch im Wahlkampf 2015, ankündigt, er könne auf der Fifth Avenue in Manhattan jemanden erschießen ohne eine Stimme zu verlieren, so findet das nicht mehr Entrüstung und Aufmerksamkeit als seine Behauptung, die Anbringung eines "Black Lives Matter"-Schriftzugs auf derselben Straße sei "linker Faschismus" - beides wird ernsthaft diskutiert, gravitätisch abgewogen, mit einem Kopfschütteln über den ach so ermüdenden Parteienstreit quittiert. Als ob es irgendwie vergleichbar wäre!
Ein Charakterkopf
Obwohl Trump mittlerweile seit vier Jahren im grellen Licht der Weltöffentlichkeit steht, ist auch sein Charakter, seine Persönlichkeit, merkwürdig unverstanden. Als hätte man inzwischen nicht genügend Zeit gehabt, ihn kennenzulernen! Man muss wohl dankbar dafür sein, dass das Genre, hinter jedem halbwegs normalen Satz des Präsidenten seine Wandlung zu vermuten ("
the day Trump became President" wurde unter Progressiven zu einem bitteren, aber leider wahren Meme), seit Ende 2018 endlich der Vergangenheit angehört.
Aber unter Beobachtenden besteht ein ungeheurer Widerwille, den Charakter dieses Menschen anzuerkennen. Trump ist nicht blöd, aber kompliziert ist er auch nicht.
What you see is what you get. Händeringend haben mittlerweile hunderte von Beobachtenden sich gefragt, warum Trump die Dinge sagt, die er sagt. Dabei ist die Antwort einfach. Er sagt sie, weil er sie glaubt.
Das bringt uns zu dem eingangs erwähnten Maskenbeispiel zurück. Ist Trump zu blöd, die Bedeutung einer Maske in der Corona-Pandemie zu verstehen? Nein, ist er nicht. Vielmehr hat er sehr gut verstanden, wie Masken funktionieren. Er hat, im Gegensatz übrigens zu viel zu vielen anderen Menschen, verstanden, dass Masken nicht den Träger schützen, sondern die Menschen, mit denen er in Kontakt kommt. Und ein fließend in den Narzismus übergehender Egoismus ist der Kern von Trumps Wesenheit. Viel komplizierter ist es nicht.
Gleiches gilt für seinen offenkundigen Rassismus. Trump war schon immer ein Rassist. Darüber muss überhaupt nicht diskutiert werden. Von den Central Park Five, für deren Hinrichtung trotz fehlender Beweise er eine ganzseitige Annonce in der New York Times schaltete, zu seinen Hasstiraden gegen die Konkurrenz aus Japan in den 1980er Jahren (die er praktisch unverändert auf China übertragen hat), zu zahllosen verbürgten Äußerungen in den vergangenen Jahrzehnten - auch hier ist Trump nicht kompliziert.
What you see is what you get. Von seiner tiefen Misogynie müssen wir gar nicht erst anfangen.
Es ist auch aberwitzig, wie die offenkundige Sympathie Trumps für White Supremacists oder gar den Ku-Klux-Klan angestrengt ignoriert wird. Dafür schreibt man dann jedes Mal, wenn er sie wieder als "
very fine people" bezeichnet, entsetzte Kolumnen und kratzt sich am Kopf, was er sich dabei wohl gedacht hat. Dabei ist die Lage ziemlich offensichtlich. Trump hatte schon immer einen Draht zum KKK und ähnlichen Gruppen. Er hat ihn, genauso wie sein Vermögen, von seinem Vater Fred Trump geerbt. Im Immobiliengeschäft waren die Verbindungen zu gewaltbereiten Schlägertrupps immer praktisch.
The Art of the Deal
Und wo wir gerade bei den von dem Vater geerbten unschönen Verbindungen sind: Auch Trumps Leidenschaft dafür, in Begriffen von Schutzgelderpressung und Dominanz zu denken, kommt nicht von ungefähr. Kein Präsident seit John F. Kennedy hatte so enge Verbindungen zum organisierten Verbrechen wie Donald Trump, vor allem zur Mafia. Vater Fred Trumps Verbindungen zur Cosa Nostra sind gut dokumentiert, und auch der Sohn ist mit nebulösen Immobiliendeals in New York City nicht ohne einen guten Draht zu
la familia zum Milliardär geworden.
Trump verhält sich auch gerne wie ein Mafia-Boss. Ich halte es für eine Fehleinschätzung, ihn für einen verkappten Diktator zu halten. Seine Instinkte sind die eines Paten, nicht die eines
caudillo. Die Grenzen sind natürlich fließend; Mussolini war für die Cosa Nostra auch nicht unbedingt ein Fremder. Seit den 1990er Jahren sind auch noch mehr als halbseidene Verbindungen zur Welt des russischen organisierten Verbrechens hinzugekommen, das ja seinerseits eng mit der dortigen finanziellen und politischen Elite verbandelt ist. Das ist die Welt, in der sich Trump bewegt wie ein Fisch im Wasser.
Die Neigung, die Welt und ihre Probleme durch diese Brille der Dominanzbestrebungen zu sehen, findet sich zuletzt auch in Trumps Natur als "business man". Gerne wird dieses Argument vorgebracht, und es erklärt tatsächlich viel. Nur schauen sich die wenigsten Beobachtenden an, wie Trump seine Geschäfte betrieben hat.
Wenn der Präsident etwas liebt, dann seine Gegner vor Gericht zu zerren. Betrachtet man die lange Geschichte seiner vielen fehlgeschlagenen Unternehmen, so ist es ein Muster, dass er seine Geschäftspartner betrügt und dann auf seine überlegenen Ressourcen vor Gericht setzt. Wann immer The Donald auf ein größeres Problem stieß, ließ er die Unternehmung einfach fallen; seine diversen Bankrotte zeugen von dieser Politik der verbrannten Erde. Gerade auf diesem Feld gilt:
what you see is what you get.
Amateur am Steuer
Wir können in Trumps Vorgehen bei politischen Fragen genau diese Dynamik finden. War die Verwunderung bei den Beobachtenden groß, wie der Präsident auf die Idee kommen könnte, die Lösung im Handelsstreit mit China vor Gericht suchen zu wollen, erklärt sich das mit obiger Kenntnis problemlos.
It is what he does. Auch seine permanenten Drohungen, die Presse zu verklagen, sind weniger Ausdruck eines geheimen Wunsches, Adolf Hitler nachzueifern, als vielmehr seine gängige Geschäftspraxis. Nur hat er auch in vier Jahren im Oval Office nicht wirklich eingesehen, dass Politik nun einmal nach anderen Regeln verläuft als die Wirtschaft. In einer Demokratie kann man unliebsame Konkurrenten nicht so einfach mundtot machen; hier gelten Regeln und Standards, hier muss er sich dem offenen Wettbewerb stellen.
Es ist daher auch nicht überraschend, dass er genauso wie im Geschäftsleben den offenen Wettbewerb so weit wie möglich umgehen will. Genauso wie er in seinem Business das Gesetz bog und versuchte, gegnerische Parteien einzuschüchtern, so wirft er sein ganzes Gewicht hinter die republikanischen Versuche der Wahlunterdrückung. Die Strategie der GOP und sein Id gehen zusammen wie Magnete.
Auch das penetrante Streben nach Dominanz, nach dem letzten Wort, nach dem Schaffen seiner eigenen Wirklichkeit ist problemlos aus seinem bisherigen Geschäftsgebaren erklärbar. Trump hat immer ein Image von sich selbst aufgebaut; von "
The Art of the Deal" bis zu "
The Apprentice" zeigt es ihn als hypererfolgreichen Macher, dessen Kompetenz sich nicht im Erobern von Märkten zeigt, sondern in seiner Fähigkeit, seinen Willen durchzusetzen - ob er nun ein unrentables Kasino in Atlantic City kauft oder mit großer Geste Teilnehmer einer abgehalfterten Reality-TV-Show "entlässt".
Trump ist ein politischer Amateur. Er ist die logische Konsequenz der fixen Idee, dass eine Geschäftsperson am besten geeignet wäre, ein Land zu führen. Aber Politik und Wirtschaft sind unterschiedliche Sphären, die unterschiedliche Fähigkeiten erfordern. Die Neigung vieler CEOs, alleine zu entscheiden und abgeschottete Herrschaft auszuüben, sorgt in der demokratischen Politik für ein schnelles Scheitern. Die Idee, Erfolge vor Gericht erzwingen zu können, scheitert spätestens in der Außenpolitik. Und die praktisch nicht vorhandene Rechenschaftspflicht gegenüber dem Großteil der Beschäftigten, wo eine ostentative Missachtung bei den eigentlich entscheidenden Großaktionären vielleicht sogar hilft, ist in einem System des "
one person, one vote" auch nur bedingt tragfähig.
Aber gerade diese massiven Hypotheken, die Trump mitbringt, machen es erforderlich, auch die strukturellen Dynamiken im Blick zu behalten, die es ihm erlaubt haben, vier Jahre lang das Land zu ruinieren und die ihm eine gute Chance geben, das noch einmal vier Jahre zu tun. Trump kann weder begriffen werden, wenn man seine grundsätzlichen Charakterzüge ignoriert, noch, wenn man die Rolle Mitch McConnells und der republikanischen Partei sowie der mit ihnen affiliierten Propagandaorgane und Wirtschaftsinteressen nicht begreift.
Ohne diese Faktoren wird man immer von seiner nächsten Grenzüberschreitung überrascht, bleibt Trump ewig ein unverstandener Präsident.