Die Wahlen in Großbritannien, Frankreich, den Niederlanden und bald Deutschland haben bei allen Unterschieden zwischen den Ländern, Parteien, Kandidaten und Programmen eine Gemeinsamkeit: die werden im europäischen Ausland mit weit größerem Interesse verfolgt als dies noch vor zehn Jahren der Fall war. Natürlich muss man hier gleich ein erstes Caveat einschieben: das heißt nicht, dass es sich um gigantische Medienereignisse handelt; die meisten Leute interessieren sich dafür nach wie vor nicht. Es handelt sich nur um einen relativen Anstieg. Aber der relative Anstieg ist entscheidend, denn was sich langsam herauszubilden scheint ist etwas, das lange gefordert wurde - eine europäische Medienöffentlichkeit.
Dies schafft neue Herausforderungen für Medien wie für Politik. Bislang konnte man das Ganze pflichtschuldig abhandeln: kurzer Bericht über die Kandidaten, Aussicht auf die Chancen, "Was bedeutet das für Deutschland", fertig ist die Medienseite. Höflich abwarten, sich im stillen Kämmerlein freuen oder nicht freuen, diplomatische Note an den Gewinner, fertig. Aber diese einfachen Regeln funktionieren nicht mehr, denn der Aufstieg der Rechtspopulisten hat dafür gesorgt, dass Wahlen in Frankreich oder Großbritannien weit über das Land hinaus starke Auswirkungen haben, weit stärker als dies bisher der Fall war. Wer dieser Einschätzung widersprechen möchte, sehe sich nur den Brexit an.
Exemplarisch lässt sich all das an der Wahl in Frankreich vergangenen Sonntag beobachten. In der deutschen Presse war das Narrativ relativ klar: Emmanuel Macron war der einzige Kandidat, der ohne Wenn und Aber hinter der EU steht (wenngleich er einige Reformideen hat, die nach dem Ende der Wahl für deutliche Ernüchterung in deutschen Pressehäusern sorgen dürften). Fillion, Mélenchon und natürlich Le Pen waren in unterschiedlichen Graden gegen die EU in ihrer aktuellen Form. Weder für die deutsche Regierung noch für die meisten Medien konnte daher eine ernsthafte Frage geben, welcher dieser Kandidaten Hoffnungsträger Deutschlands in diesem Wettbewerb war. Dies schließt im Übrigen jegliche aktive Anteilnahme noch aus. Es ist nicht gerade so, als ob Le Pen sich nicht ausrechnen könnte dass Merkel ihr den elektoralen Untergang wünscht, genauso wie Obama wusste, dass Merkel lieber McCain und Romney hätte siegen sehen. Die Frage ist daher nur, ob die Regierung (und, in geringerem Maße, die Medien) dies offen aussprechen sollten.
Es ist diese Diskussion, die Tilo Jung von "Jung&Naiv" auf einer Bundespressekonferenz losgebrochen hat:
Technisch gesehen hat die Regierung natürlich Recht. Sie haben Macron nicht gratuliert, sie freuen sich nur über seinen Sieg. Für den beiläufigen Beobachter erschließt sich der Unterschied nicht, und er zählt auch nur für Feinheiten im diplomatischen Protokoll (an das man sich in Europa, anders als in den USA, noch hält). Erneut, die Bundesregierung sagte nichts, was irgendjemanden überraschen dürfte. Die Frage bleibt daher die, die Tilo aufwirft: sollte die Bundesregierung mit dem Jubeln warten bis nach der Wahl, weil ihre Freude in Frankreich als Anlass genommen werden könnte, "jetzt erst Recht" Le Pen zu wählen und den aufdringlichen Deutschen eins auszuwischen?
Als sicher dürfte jedenfalls gelten, dass die Meinung des Bundeskanzleramts keinen Le Pen-Wähler davon abbringen wird, der Frontdame (haha) der Front National die Stimme zu geben. Gleichzeitig glaube ich auch nicht, dass schwankende Fillion- oder Mélenchon-Freunde sich von Merkels oder Seiberts Meinung zu Macron werden schwingen lassen. Der Effekt der Statements dürfte sich daher in Frankreich in Grenzen halten. Warum also nicht, wie Tilo vorschlägt, einfach die Klappe halten und bis nach der Wahl warten?
Für mich liegt der Grund dafür weniger in Paris als in Berlin. Dadurch, dass die Wahlen in Frankreich tatsächlich eine kleine, aber nicht mehr völlig unbedeutende europäische Medienöffentlichkeit interessieren, von der sich ein guter Teil auch in Deutschland befindet, scheint die Regierung der Überzeugung zu sein, dass sie ihrem eigenen Publikum (und ihren eigenen Wählern) zuhause keine zwei Wochen Stille zumuten kann. Frankreich spielt da eher eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist die Botschaft nach Hause: wir unterstützen die EU, wir wollen weiter mit Frankreich arbeiten, und wir sind zumindest rhetorisch auch offen gegenüber Macrons Reformvorschlägen. Die Regierung scheint sich zu erwarten, dass der (kleine) positive Effekt auf die Unterstützer deutschen EU-Engagements zuhause den (noch kleineren) möglichen negativen Effekt in Frankreich mehr als aufwiegt. Ich bin geneigt, ihr zuzustimmen, und ich gehe davon aus, dass wir in Zukunft wesentlich mehr solche verschränkten innereuropäischen Wahlkämpfe sehen werden. Es wird lohnenswert sein, die Reaktionen der britischen und französischen Presse auf das Auf und Ab der AfD in den Umfragen zu sehen, und natürlich auf das finale Ergebnis im September.
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Montag, 24. April 2017
Donnerstag, 13. April 2017
Die Grünen, bundespolitische Pechvögel
Die Grünen sind bei den letzten Bundestagswahlen schon ein bisschen vom Pech verfolgt. 2009 gingen die Proteststimmen gegen die Große Koalition an die FDP (viele) und die LINKE (einige), 2013 wurde die LINKE mit Minimal-Abstand Träger des Trostpreises am Goldenen Band ("Oppositionsführer") und 2017 wurde man vom Schulzzug kalt erwischt. Für all diese Entwicklungen kann die Partei selbst vergleichsweise wenig. So oder so ist ihr Wählerpotenzial nur in guten Zeiten knapp zweistellig und wird sonst wohl am besten mit "8%+X" umschrieben, aber was ihr in der Bundespolitik aktuell völlig abgeht ist eine realistische Machtoption. In der Parteigeschichte ist das nicht gerade ein Novum - zwischen 1983 und 1994 hatte die Partei auch keine, und seit 2005 konsistent ebenfalls nicht - aber seit die Grünen-Führung in der Rot-Grünen Koalition Blut geleckt hat, möchte sie schon echt gerne mal wieder regieren. Also, woran hängt's?
An und für sich ist die Partei ziemlich flexibel, was die Koalitionsoptionen angeht: Rot-Grün, Schwarz-Grün, Rot-Rot-Grün (R2G), Schwarz-Gelb-Grün (Jamaika) und Rot-Gelb-Grün (Ampel) sind für die Grünen allesamt vorstellbar. Die meisten dieser Optionen wurden auch bereits in den Ländern ausprobiert. Die natürlichste dieser Optionen bleibt Rot-Grün. Dass es dazu seit 2005 nicht mehr gekommen ist, war 12 Jahre lang vor allem das Verschulden des größeren Partners, der SPD. Während die Grünen sich in ihrem traditionellen Wählerstimmenanteil bewegten, verlor die SPD rund ein Drittel ihrer Wähler und machte die Koalition zu einer arithmetischen Unmöglichkeit.
Bis 2013 stellte sich die Frage nach einer R2G-Koalition gar nicht, weil die SPD und LINKE als Partner völlig undenkbar waren - das ersparte den Grünen eine detaillierte Auseinandersetzung mit der LINKEn, hatte aber den Nachteil, dass sie immer als natürlicher Partner in diese Koalition hineingerechnet werden, was es der CDU/CSU erlaubt, die tendenziell abwanderwillige eigene Klientel von den Grünen abzuschrecken. Die große Ausnahme von der Regel ist, natürlich, Baden-Württemberg. Hier gibt es keine LINKE, die in irgendeiner Art und Weise an der Regierung beteiligt werden könnte, und die BW-Grünen sind effektiv eine CDU mit grünem Anstrich. Wenn Merkel Schwäbin wäre, wäre sie Grüne.
Die Ampel-Koalition stellte sich als Option nicht, weil die FDP sich einseitig auf Schwarz-Gelb festgelegt hatte und sowohl gegen SPD als auch Grüne austeilte - eine Strategie, die 2009 hervorragend und 2013 überhaupt nicht funktionierte. Gleiches galt stets für Jamaika (mit Ausnahme des Saarlands, aber der Erfolg hier ist auch eher dürftig).
Somit blieb den Gründen auf Bundesebene eigentlich nur eine halbwegs realistische Machtoption, Schwarz-Grün. Solange die FDP genügend Stimmen bereitstellen konnte war diese der natürliche Partner, aber mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 waren die Grünen neben der SPD plötzlich der einzige Partner für die CDU, der überhaupt in Betracht kam. Das baden-württembergische Pilotprojekt schien da ebenfalls zu passen, und angesichts der SPD-Umfragezahlen und letzten beiden Bundestagswahlen schien Rot-Grün ohnehin auszuscheiden.
In just dem Moment also, in dem die Grünen sich als Spitze die wohl konservativsten Figuren gaben, die vorstellbar waren (Göring-Eckardt und Özdemir), änderte Martin Schulz quasi um Alleingang die Diskussion und belebte die SPD wieder, die zumindest in Umfragen an das Ende der Schröder-Zeit heranreicht. Schulz ist außerdem der erste SPD-Kandidat, der glaubhaft die LINKE einbinden könnte, die zudem keinen Gysi oder Lafontaine mehr an der Spitze hat. Ideale Bedingungen hier, miserable im grünen Lager. Das ist eine Entwicklung, die niemand vorhersehen konnte und vorhergesehen hat - schlichtweg Pech.
Auch 2013 war das vergleichsweise schlechte Abschneiden der Grünen Pech gewesen. Nach vier desaströs-atrophierten Jahren unter Schwarz-Gelb schien die Gelegenheit günstig, den Bedarf nach einer Alternative zu bedienen. Die SPD schlingerte unter Peer Steinbrück sinnlos durch die Gegend, und die LINKE fand zog ihr übliches Ding durch, was angesichts der ausgebliebenen Katastrophe und vielbeschworenen sozialen Unruhen unter Schwarz-Gelb eher ermattet klang als mobilisieren konnte. Die Grünen beanspruchten aggressiv die Führerschaft im linken Lager, indem sie etwa Steuererhöhungen für Millionäre forderten - nichts, was ihnen die bürgerliche Klientel zutreiben würde, aber die interessierte sich für die Bundesgrünen ohnehin nur sehr eingeschränkt. Das Pech der Partei in diesem Jahr war, dass die Springerpresse im Sommerloch eine obskure Forderung aus den hintersten Seiten des Programmwälzers hervorzog und wochenlang die Schlagzeilen bestimmen ließ. Der "Veggie-Day" passte hervorragend ins Narrativ und erinnerte jeden daran, was man eigentlich an den Grünen instinktiv nicht mochte, diese Verkörperung des eigenen schlechten Gewissens. Dagegen anzukommen ist praktisch aussichtslos - und dass ein so obskures Thema zum Wahlkampfhit werden würde, war ebenfalls kaum vorherzusehen.
Was also fehlt der Partei, um im Bund oder in den Ländern besser voranzukommen? Das Hauptproblem scheint mir das Fehlen einer breiten Wählergruppe zu sein, die sich mit den Themen der Grünen identifiziert. Rein programmatisch ähneln sie stark den amerikanischen Democrats: Positionen wie LGTB-Rechte, Unisex-Toiletten, Klimaschutz und Frauenrechte sind im Parteiprogramm dominant; wirtschaftlich regiert eine Bejahung des Kapitalismus bei gleichzeitig progressiv besteuerndem und aktiv regulierendem Staat. Aber wie die Democrats mit dem Thema Unisextoiletten den schon sicher republikanisch geglaubten Gouverneurswahlkampf in North Carolina gewannen, müssen die Grünen selbstkritisch einsehen, dass diese Themen "nicht der heiße Scheiß der BRD" sind (Zitat Göring-Eckardt).
Und hier liegt der Hase im Pfeffer begraben. Was die Grünen brauchen ist eine klare, überzeugte Klientel. Die Versuche, sich als Volkspartei auszuweiten, sind vorerst gescheitert (sieht man einmal von Baden-Württemberg ab, aber die LINKE in Thüringen ist für den Bund auch kaum exemplarisch). Was daher nötig scheint ist eine Mobilisierung einer Kernwählerschaft. Und dafür braucht es eine stärkere Identifizierung mit den eigenen Themen, statt diese als Anhängsel einer schwarz-grünen Machtperspektive zu begreifen.
An und für sich ist die Partei ziemlich flexibel, was die Koalitionsoptionen angeht: Rot-Grün, Schwarz-Grün, Rot-Rot-Grün (R2G), Schwarz-Gelb-Grün (Jamaika) und Rot-Gelb-Grün (Ampel) sind für die Grünen allesamt vorstellbar. Die meisten dieser Optionen wurden auch bereits in den Ländern ausprobiert. Die natürlichste dieser Optionen bleibt Rot-Grün. Dass es dazu seit 2005 nicht mehr gekommen ist, war 12 Jahre lang vor allem das Verschulden des größeren Partners, der SPD. Während die Grünen sich in ihrem traditionellen Wählerstimmenanteil bewegten, verlor die SPD rund ein Drittel ihrer Wähler und machte die Koalition zu einer arithmetischen Unmöglichkeit.
Bis 2013 stellte sich die Frage nach einer R2G-Koalition gar nicht, weil die SPD und LINKE als Partner völlig undenkbar waren - das ersparte den Grünen eine detaillierte Auseinandersetzung mit der LINKEn, hatte aber den Nachteil, dass sie immer als natürlicher Partner in diese Koalition hineingerechnet werden, was es der CDU/CSU erlaubt, die tendenziell abwanderwillige eigene Klientel von den Grünen abzuschrecken. Die große Ausnahme von der Regel ist, natürlich, Baden-Württemberg. Hier gibt es keine LINKE, die in irgendeiner Art und Weise an der Regierung beteiligt werden könnte, und die BW-Grünen sind effektiv eine CDU mit grünem Anstrich. Wenn Merkel Schwäbin wäre, wäre sie Grüne.
Die Ampel-Koalition stellte sich als Option nicht, weil die FDP sich einseitig auf Schwarz-Gelb festgelegt hatte und sowohl gegen SPD als auch Grüne austeilte - eine Strategie, die 2009 hervorragend und 2013 überhaupt nicht funktionierte. Gleiches galt stets für Jamaika (mit Ausnahme des Saarlands, aber der Erfolg hier ist auch eher dürftig).
Somit blieb den Gründen auf Bundesebene eigentlich nur eine halbwegs realistische Machtoption, Schwarz-Grün. Solange die FDP genügend Stimmen bereitstellen konnte war diese der natürliche Partner, aber mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 waren die Grünen neben der SPD plötzlich der einzige Partner für die CDU, der überhaupt in Betracht kam. Das baden-württembergische Pilotprojekt schien da ebenfalls zu passen, und angesichts der SPD-Umfragezahlen und letzten beiden Bundestagswahlen schien Rot-Grün ohnehin auszuscheiden.
In just dem Moment also, in dem die Grünen sich als Spitze die wohl konservativsten Figuren gaben, die vorstellbar waren (Göring-Eckardt und Özdemir), änderte Martin Schulz quasi um Alleingang die Diskussion und belebte die SPD wieder, die zumindest in Umfragen an das Ende der Schröder-Zeit heranreicht. Schulz ist außerdem der erste SPD-Kandidat, der glaubhaft die LINKE einbinden könnte, die zudem keinen Gysi oder Lafontaine mehr an der Spitze hat. Ideale Bedingungen hier, miserable im grünen Lager. Das ist eine Entwicklung, die niemand vorhersehen konnte und vorhergesehen hat - schlichtweg Pech.
Auch 2013 war das vergleichsweise schlechte Abschneiden der Grünen Pech gewesen. Nach vier desaströs-atrophierten Jahren unter Schwarz-Gelb schien die Gelegenheit günstig, den Bedarf nach einer Alternative zu bedienen. Die SPD schlingerte unter Peer Steinbrück sinnlos durch die Gegend, und die LINKE fand zog ihr übliches Ding durch, was angesichts der ausgebliebenen Katastrophe und vielbeschworenen sozialen Unruhen unter Schwarz-Gelb eher ermattet klang als mobilisieren konnte. Die Grünen beanspruchten aggressiv die Führerschaft im linken Lager, indem sie etwa Steuererhöhungen für Millionäre forderten - nichts, was ihnen die bürgerliche Klientel zutreiben würde, aber die interessierte sich für die Bundesgrünen ohnehin nur sehr eingeschränkt. Das Pech der Partei in diesem Jahr war, dass die Springerpresse im Sommerloch eine obskure Forderung aus den hintersten Seiten des Programmwälzers hervorzog und wochenlang die Schlagzeilen bestimmen ließ. Der "Veggie-Day" passte hervorragend ins Narrativ und erinnerte jeden daran, was man eigentlich an den Grünen instinktiv nicht mochte, diese Verkörperung des eigenen schlechten Gewissens. Dagegen anzukommen ist praktisch aussichtslos - und dass ein so obskures Thema zum Wahlkampfhit werden würde, war ebenfalls kaum vorherzusehen.
Was also fehlt der Partei, um im Bund oder in den Ländern besser voranzukommen? Das Hauptproblem scheint mir das Fehlen einer breiten Wählergruppe zu sein, die sich mit den Themen der Grünen identifiziert. Rein programmatisch ähneln sie stark den amerikanischen Democrats: Positionen wie LGTB-Rechte, Unisex-Toiletten, Klimaschutz und Frauenrechte sind im Parteiprogramm dominant; wirtschaftlich regiert eine Bejahung des Kapitalismus bei gleichzeitig progressiv besteuerndem und aktiv regulierendem Staat. Aber wie die Democrats mit dem Thema Unisextoiletten den schon sicher republikanisch geglaubten Gouverneurswahlkampf in North Carolina gewannen, müssen die Grünen selbstkritisch einsehen, dass diese Themen "nicht der heiße Scheiß der BRD" sind (Zitat Göring-Eckardt).
Und hier liegt der Hase im Pfeffer begraben. Was die Grünen brauchen ist eine klare, überzeugte Klientel. Die Versuche, sich als Volkspartei auszuweiten, sind vorerst gescheitert (sieht man einmal von Baden-Württemberg ab, aber die LINKE in Thüringen ist für den Bund auch kaum exemplarisch). Was daher nötig scheint ist eine Mobilisierung einer Kernwählerschaft. Und dafür braucht es eine stärkere Identifizierung mit den eigenen Themen, statt diese als Anhängsel einer schwarz-grünen Machtperspektive zu begreifen.
Donnerstag, 6. April 2017
Wenn du vergisst dass du eigentlich konservativ sein wolltest
Es gibt Momente im Leben einer Partei, die sind erhellend, weil sie sowohl sich selbst als auch der Außenwelt zeigen, wer man wirklich ist. Die Verabschiedung von Obamacare war so ein Moment, weil die Democrats in sicherer Erwartung von großen Sitzverlusten bei den Midterms für eine Reform stimmten, die sie für richtig hielten. Die Eliminierung des Filibuster im US-Senat von heute ist ein anderer solcher Moment. Er zeigt uns, dass die Republicans (wieder einmal) einen großen Teil ihrer Überzeugungen und angeblicher Ideale und Prinzipien über Bord warfen. Denn konservativ ist an dieser Partei schon lange nichts mehr.
Zur Erinnerung: der Filibuster ist effektiv unbeschränkte Redezeit im Senat, die nur mit einer 60-Stimmen-Mehrheit unterbrochen werden darf. Damit kann eine wichtige Abstimmung verzögert oder sogar völlig torpediert werden. Der Filibuster ist Teil einer langen Liste arkaner Regeln im US-Senat, die aus dem 19. Jahrhundert übrig geblieben sind. Ursprünglich war er ein Verteidigungsmittel der Sklavenhalter gegen die Abolitionisten, wie die Existenz des gesamten US-Senats. Aber ich schweife ab. Der Filibuster wurde von den Republicans unter Obama exzessiv genutzt, so dass die Democrats ihn 2013 für eine Reihe von präsidentiellen Ernennungen (Chefs von Behörden und Bundesrichter etwa) abschafften. Für Supreme-Court-Nominierungen blieb er, hauptsächlich aus Furcht vor dem Odium ein so alt-ehrwürdiges Instrument abzuschaffen, in Kraft.
Als 2016 der Supreme-Court-Richter Antonin Scalia überraschend verstarb, erkannte der moralisch äußerst flexible Vorsitzende des Senats, Mitch McConnel, die Chance für seine Partei und blockierte jegliche Anhörung von Obamas Nominierten, Merrick Garland. Obama hatte, als der Zentrist der er nun einmal ist, einen älteren Moderaten nominiert, der für Republicans auch akzeptabel war (der Vorsitzende des Justizausschuss' des Senats, Chuck Grassley, hatte sogar peinlicherweise Tage vor Obamas Nominierung noch verkündet, wie gerne er "für einen Kandidaten wie Garland" stimmen würde, aber den würde Obama ja nie nominieren - seine 180-Grad-Wende, Garland danach nicht einmal eine Anhörung zu geben, wurde von den Wählern leider nicht bestraft). Dadurch konnte Trump einen extremen Rechten, Neil Gorsuch, nominieren.
Effektiv hatten die Republicans den Sitz gestohlen. Das Manöver ist natürlich legal, brach aber sämtliche bis dahin existierenden Normen. Konservativen ist so etwas eigentlich ein Graus, aber alle 52 GOP-Senatoren haben sich nun für die komplette Abschaffung des Filibuster für Supreme-Court-Nominierungen ausgesprochen (wofür eine einfache Mehrheit ausreicht), so dass sie morgen ihren Kandidaten planmäßig durchwinken können, dessen Anhörungen sie auch auf das absolute Minimum verkürzt haben, damit auch ja nichts dazwischenkommt, etwa die Vorwürfe an Gorsuch, bei einigen Arbeiten plagiiert zu haben.
Dieser Diebstahl eines Sitzes ist nichts, was man von einer völlig amoralischen GOP nicht erwarten würde. Wer sich wertekonservativ nennt und einen Serien-Sextäter zum Präsidenten nennt, überrascht diesbezüglich keinen Beobachter mehr, der halbwegs bei klarem Verstand ist. Es zeigt aber abgesehen von diesem Aspekt auch eine kuriose Amnesie über das, was eigentlich "konservativ" ist.
Die Grundidee des Konservatismus ist das Bewahren des Bestehenden. Ordnung und Tradition sind Luft und Wasser für Konservative. Sie wollen die überkommene Gesellschaftsordnung erhalten, den Gesetzeskatalog, die Rollenverteilung, kurz: sie wollen Stabilität. Das heißt nicht dass Konservative jeglichen Fortschritt verhindern oder gar zurückrollen wollen; das wollen Reaktionäre. Entlang dieser Linie verläuft der Unterschied zwischen CDU und AfD. Aber die Republicans im Kongress sind nicht konservativ. Sie akzeptieren keine Veränderung, egal wie lange sie schon etabliert ist. Der CDU würde nicht in den Sinn kommen, soziale Fortschritte der 1970er Jahre zurückzurollen. Die GOP und die AfD haben genau das explizit in ihren Wahlprogrammen.
Man erkennt das Ablegen der konservativen Elemente bei den Republicans an eben solchen legislativen Manövern. Die Abschaffung des Filibuster ist eigentlich eine Idee, die Progressiven gefällt (und die auch seit Jahren dafür argumentieren, wie etwa Matt Yglesias), weil er es ermöglicht, leichter Änderungen durch das Parlament zu bringen - entweder komplett neue Strukturen oder die Überholung von alten. Der Filibuster ist ein Veto-Punkt innerhalb des an Veto-Punkten nicht gerade armen amerikanischen Systems, genauso wie die Bundesrichter, wie das präsidentielle Veto oder der Vermittlungsausschuss im Kongress.
Ein Konservativer aber will Veränderungen im Allgemeinen aufhalten, nicht befördern. Den Filibuster abzuschaffen hilft den Reaktionären der GOP daher, den Supreme Court illegitim an sich zu reißen, so wie sie illegitim eine Mehrheit im Kongress besitzen (die sich nur wegen massiver Wahlbehinderungen und kreativer Wahlkreiszuschnitte überhaupt halten lässt). Aber sie vergessen dabei eine elementare Grundregel jeder Demokratie: niemand ist für immer an der Macht. Und man kann nur hoffen, dass mit einem solchen Pfeifenkopf wie Trump im Weißen Haus bereits 2018 Ende der Fahnenstange des unified government ist. Das nächste Mal wenn die Democrats an die Macht kommen, gibt es für sie keinerlei Gründe mehr, moderate Positionen zu beziehen.
Die Übernahme republikanischer Ideen für die Gesundheitsreform? Fuck it, Singleplayer. Ein moderater Zentrist im Supreme Court? Fuck it, ein progressiver Held. Die Nominierung von Republicans in Kabinettsposten? Fuck it, never again. Wenn 2021 wieder ein Democrat ins Weiße Haus einziehen sollte, werden die Republicans sehr, sehr schnell ihre Liebe für den moderaten, zentristischen Präsidenten entdecken, der 2008 bis 2016 so vernünftig und emotionslos regiert hat. Aber bis dahin haben sie auf dem Boden der politischen Normen viel verbrannte Erde hinterlassen. Und die ist ja bekanntlich einige Zeit später besonders fruchtbar, wenn man Neues schaffen will.
Zur Erinnerung: der Filibuster ist effektiv unbeschränkte Redezeit im Senat, die nur mit einer 60-Stimmen-Mehrheit unterbrochen werden darf. Damit kann eine wichtige Abstimmung verzögert oder sogar völlig torpediert werden. Der Filibuster ist Teil einer langen Liste arkaner Regeln im US-Senat, die aus dem 19. Jahrhundert übrig geblieben sind. Ursprünglich war er ein Verteidigungsmittel der Sklavenhalter gegen die Abolitionisten, wie die Existenz des gesamten US-Senats. Aber ich schweife ab. Der Filibuster wurde von den Republicans unter Obama exzessiv genutzt, so dass die Democrats ihn 2013 für eine Reihe von präsidentiellen Ernennungen (Chefs von Behörden und Bundesrichter etwa) abschafften. Für Supreme-Court-Nominierungen blieb er, hauptsächlich aus Furcht vor dem Odium ein so alt-ehrwürdiges Instrument abzuschaffen, in Kraft.
Als 2016 der Supreme-Court-Richter Antonin Scalia überraschend verstarb, erkannte der moralisch äußerst flexible Vorsitzende des Senats, Mitch McConnel, die Chance für seine Partei und blockierte jegliche Anhörung von Obamas Nominierten, Merrick Garland. Obama hatte, als der Zentrist der er nun einmal ist, einen älteren Moderaten nominiert, der für Republicans auch akzeptabel war (der Vorsitzende des Justizausschuss' des Senats, Chuck Grassley, hatte sogar peinlicherweise Tage vor Obamas Nominierung noch verkündet, wie gerne er "für einen Kandidaten wie Garland" stimmen würde, aber den würde Obama ja nie nominieren - seine 180-Grad-Wende, Garland danach nicht einmal eine Anhörung zu geben, wurde von den Wählern leider nicht bestraft). Dadurch konnte Trump einen extremen Rechten, Neil Gorsuch, nominieren.
Effektiv hatten die Republicans den Sitz gestohlen. Das Manöver ist natürlich legal, brach aber sämtliche bis dahin existierenden Normen. Konservativen ist so etwas eigentlich ein Graus, aber alle 52 GOP-Senatoren haben sich nun für die komplette Abschaffung des Filibuster für Supreme-Court-Nominierungen ausgesprochen (wofür eine einfache Mehrheit ausreicht), so dass sie morgen ihren Kandidaten planmäßig durchwinken können, dessen Anhörungen sie auch auf das absolute Minimum verkürzt haben, damit auch ja nichts dazwischenkommt, etwa die Vorwürfe an Gorsuch, bei einigen Arbeiten plagiiert zu haben.
Dieser Diebstahl eines Sitzes ist nichts, was man von einer völlig amoralischen GOP nicht erwarten würde. Wer sich wertekonservativ nennt und einen Serien-Sextäter zum Präsidenten nennt, überrascht diesbezüglich keinen Beobachter mehr, der halbwegs bei klarem Verstand ist. Es zeigt aber abgesehen von diesem Aspekt auch eine kuriose Amnesie über das, was eigentlich "konservativ" ist.
Die Grundidee des Konservatismus ist das Bewahren des Bestehenden. Ordnung und Tradition sind Luft und Wasser für Konservative. Sie wollen die überkommene Gesellschaftsordnung erhalten, den Gesetzeskatalog, die Rollenverteilung, kurz: sie wollen Stabilität. Das heißt nicht dass Konservative jeglichen Fortschritt verhindern oder gar zurückrollen wollen; das wollen Reaktionäre. Entlang dieser Linie verläuft der Unterschied zwischen CDU und AfD. Aber die Republicans im Kongress sind nicht konservativ. Sie akzeptieren keine Veränderung, egal wie lange sie schon etabliert ist. Der CDU würde nicht in den Sinn kommen, soziale Fortschritte der 1970er Jahre zurückzurollen. Die GOP und die AfD haben genau das explizit in ihren Wahlprogrammen.
Man erkennt das Ablegen der konservativen Elemente bei den Republicans an eben solchen legislativen Manövern. Die Abschaffung des Filibuster ist eigentlich eine Idee, die Progressiven gefällt (und die auch seit Jahren dafür argumentieren, wie etwa Matt Yglesias), weil er es ermöglicht, leichter Änderungen durch das Parlament zu bringen - entweder komplett neue Strukturen oder die Überholung von alten. Der Filibuster ist ein Veto-Punkt innerhalb des an Veto-Punkten nicht gerade armen amerikanischen Systems, genauso wie die Bundesrichter, wie das präsidentielle Veto oder der Vermittlungsausschuss im Kongress.
Ein Konservativer aber will Veränderungen im Allgemeinen aufhalten, nicht befördern. Den Filibuster abzuschaffen hilft den Reaktionären der GOP daher, den Supreme Court illegitim an sich zu reißen, so wie sie illegitim eine Mehrheit im Kongress besitzen (die sich nur wegen massiver Wahlbehinderungen und kreativer Wahlkreiszuschnitte überhaupt halten lässt). Aber sie vergessen dabei eine elementare Grundregel jeder Demokratie: niemand ist für immer an der Macht. Und man kann nur hoffen, dass mit einem solchen Pfeifenkopf wie Trump im Weißen Haus bereits 2018 Ende der Fahnenstange des unified government ist. Das nächste Mal wenn die Democrats an die Macht kommen, gibt es für sie keinerlei Gründe mehr, moderate Positionen zu beziehen.
Die Übernahme republikanischer Ideen für die Gesundheitsreform? Fuck it, Singleplayer. Ein moderater Zentrist im Supreme Court? Fuck it, ein progressiver Held. Die Nominierung von Republicans in Kabinettsposten? Fuck it, never again. Wenn 2021 wieder ein Democrat ins Weiße Haus einziehen sollte, werden die Republicans sehr, sehr schnell ihre Liebe für den moderaten, zentristischen Präsidenten entdecken, der 2008 bis 2016 so vernünftig und emotionslos regiert hat. Aber bis dahin haben sie auf dem Boden der politischen Normen viel verbrannte Erde hinterlassen. Und die ist ja bekanntlich einige Zeit später besonders fruchtbar, wenn man Neues schaffen will.
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