Nun ist auch der Spiegel
auf den Zug aufgesprungen und berichtet in schon fast hysterisch-euphorischem Ton von Phelps INSM-Propagandatour, Überschrift: "Mehr Kreativität, weg mit der Arbeitslosenversicherung!". Teilweise klingt es, als würde Jesus auf Erden wandeln, die Frage nach dem Sinn des Lebens beantworten und Wein in Wasser verwandeln. In begeistertem Tonfall lässt sich der Autor, Jochen Schönmann, in typischer Spiegel-Manier über Phelps' Auslassungen aus.
Mannheim - Besonders viel Freizeit hatte er noch nie. Aber seitdem Edmund Phelps im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Wirtschaft gewann, ist er so gut wie gar nicht mehr zu Hause. Gerade kommt er aus Korea, davor war er bereits in Deutschland, jetzt nochmals, morgen geht es weiter nach Mexiko, dann Venezuela. Seine Vorträge sind begehrt.
Sonderlich gestresst sieht der 74-Jährige trotz aller Reisestrapazen trotzdem nicht aus. Entspannt sitzt er da, bei seinem Vortrag an der Universität Mannheim. Er nimmt sich viel Zeit zum Nachdenken. Man merkt ihm die innere Ruhe an, die Ruhe eines Mannes, der es niemandem mehr beweisen muss.
Wow. Stilistische Mittelchen dieser Art gehören zum neuen guten Ton bei Spiegel-BILD, aber selten wird man derart offensiv gleich zu Beginn des Titels darauf gestoßen: Der-Mann-ist-toll-und-was-er-sagt-richtig-du-Nase.
"Ich verstehe nicht, wie Sie in Deutschland jetzt daran denken können, mit
Reformen aufzuhören", ereifert er sich, "jetzt, wo es doch eigentlich überhaupt
erst Sinn macht, richtig anzufangen." Auf der anderen Seite des Atlantiks
blickt man häufig spöttisch auf den europäischen Sozialstaat. Phelps hingegen
ist ein Befürworter des europäischen Modells - zumindest prinzipiell. Die
staatliche Krankenversicherung zum Beispiel hält er für vorbildlich. "So, wie
wir es in den USA machen, funktioniert es einfach nicht", gibt er zu. "Die
Honorare der Ärzte sind schlichtweg absurd."
Ah, Reformen! Das Stichwort, bei dem das Herz des Spiegelianers sofort höher schlägt. Klasse Pfundskerl, der Mann! Damit er nicht gar so unsympathisch daherkommt, darf er noch ein bisschen die Idee vom Sozialstaat loben - zumindest prinzipiell.
Phelps könne sich auch für die deutschen Gewerkschafter begeistern, wäre
allerdings falsch - im Gegenteil: "Eine absolute Horrorvorstellung ist für mich
die Tatsache, dass man in Deutschland seinen Job kündigen und sich anschließend
hinstellen und Arbeitslosengeld verlangen kann. Und man bekommt es auch noch!",
erklärt er. Das sei ein geradezu unfassbarer Zustand. "Verstehen Sie mich nicht
falsch, aber man kann in Deutschland überleben, ohne etwas zu tun - das ist doch
nicht normal."
Ja, besser ins Bild der neoliberalen Heilslehre passt natürlich, dass unnütze Esser (woher kenn ich den Terminus nur...?) einfach auf der Straße verrecken. Mit einem Schild um den Hals. "Ich bin im Ort das größte Schwein, ich lass nur mit ALG mich ein" oder so ähnlich.
Die Folgen seien in Deutschland an jeder Ecke zu besichtigen, sagt der Gelehrte. Fehlende Motivation und Anspruchsdenken würden jede Eigeninitiative ersticken. Nicht nur Deutschland, ganz Europa fehle es an Dynamik, an Mut, an Veränderungswillen, an der Freude am Problemlösen, überhaupt an Ehrgeiz. Deutschland? Er zieht die Brauen nach oben. "Mal sehen, wie es mit dem sozialen Ausgleich in 20 Jahren aussieht." Phelps sieht das Land aufgrund der demografischen Entwicklung vor einem "riesigen Problemberg". "Umso mehr wäre es Zeit, jetzt mal richtig durchzustarten und die Dinge anzugehen", findet er.
Er zieht die Augenbraue hoch. Tammtamm. Ehrgeiz? Lächerlich. Gibt es hier nicht. Exportweltmeister geht auch ohne. Das kommt von alleine.
Seine Rezepte sind bekannt: Weg mit dem öffentlichen Bankensektor, weg mit den Gewerkschaften, die notwendige gesellschaftliche Änderungen blockieren, weg mit Kündigungsschutz und Arbeitslosenversicherung, hin zu einem freien Arbeitsmarkt, der den Preis für Arbeit selbst bestimmt. "Die Extreme kann der Staat dann durch ein Kombilohnmodell ausgleichen. Das ist sozial, weil es Arbeit schafft."
Jetzt zeigt Phelps, dass er das Geld der INSM wert wahr: "notwendig" sind die Reformen natürlich, das stellt der Spiegel keine Sekunde in Frage. Ein "freier Arbeitsmarkt", Hausaufgaben gut gemacht, gleich zwei tolle Schlagworte verpackt ("frei" und "Markt").
Für europäische Ohren klingt das ziemlich brutal. Phelps scheint schlichtweg mehr Vertrauen in die Fähigkeiten des Einzelnen zu haben, als man es in Europa gewohnt ist. In Mannheim breitet er seine schöne neue Wirtschaftwelt aus. Mit einer Strickleiter aus den Begriffen Wissen, Glück, Freiheit, Wille und Begeisterung, führt er die Zuhörer zu seinem Lieblingsziel: zu einer funktionierenden Wirtschaft, deren Prozesse im Einklang mit den arbeitenden Menschen ablaufen.
Man kann die Spiegelianer beruhigen, so brutal klingt das europäischen Ohren gar nicht mehr. Immerhin 1+ mit Sternchen für Schönmann, er hat richtig gut verpackt: "Vertrauen in die Fähigkeiten des Einzelnen", das hört sich viel besser an als "gewinnorientierter, asozialer Egoismus". Dazu noch ein paar andere wahllos dazu geworfene Begriffe, denen sich niemand klaren Verstandes verweigern kann und die keinen Zusammenhang besitzen, und fertig.
Es ist ein flammendes Plädoyer für Offenheit, Neugierde und für die Freude an der Herausforderung. "Unsere Welt besteht aus Kreativität und Abenteuer", sagt Phelps begeistert. Gerade hier in Europa wirbt er für mehr Vitalität, für Mut zum Risiko, Spaß am Versuchen und am Unternehmen. "Auf der Basis einer Versicherung werden sie nicht glücklich."
Mitgerissen von seinem eigenen Schwadronieren wird es jetzt völlig abstrus: Verhungern auf offener Straße - das Abenteuer! Arbeitslos mit vierköpfiger Familie voll vor Hunger schreeinder Kinder - Mut zum Risiko! Jeden Tag zittern, ob man am Abend genug Geld zum Leben hat - mehr Vitalität!
Phelps präsentiert sich als hirn- und herzloses, nobelpreisbehangenes Sprachrohr der neoliberalen Propagandamaschine, und Schönmann redet spiegeltypisch nach dem Mund. Ekelhaft.