Mittwoch, 24. Januar 2007

Helmut Kohl in Tübingen

Gestern gab Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl in Tübingen eine Vorlesung mit dem Titel "Die Zukunft Europas", veranstaltet von der "Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft", einer arbeitgebernahen Univereinigung. Ich bin weniger deswegen hin, weil ich mir tiefgreifende Erkenntnisse über Europa erhoffte, sondern weil ich die Möglichkeit ergreifen wollte, diese Person der Zeitgeschichte persönlich und live zu sehen. Meine Einschätzung des Inhalts ("Europa ist toll, ich habe alles richtig gemacht, wählt CDU") sollte sich im Großen und Ganzen bestätigen; doch dazu später mehr.
Bereits zu Beginn zeigte sich, dass der Sicherheitswahn auch vor einer Vorlesung nicht Halt macht: keine Taschen (da könnte man ja Sprengstoff drin haben), keine Jacken (warum auch immer), keine Laptops (wahrscheinlich wegen der echt fiesen Strahlung). Einlass war um 19 Uhr, Beginn 20 Uhr angesetzt. In weiser Voraussicht war ich bereits um 18 Uhr da und deswegen auch einer der ersten in der langen Schlange, die sich bald durch das Foyer des Kupferbaus schlängelte. Um zu zeigen, dass man sich in Baden-Württemberg befindet, wurde nicht nur das CDU-interne Sicherheitspersonal aufgefahren - gewichtig-seriös in Anzug und VIP-Ausweis -, sondern auch zwei bewaffnete Bürger in grün abgestellt, die böse guckend zu verstehen gaben, dass sie echt keinen Spaß verstehen. Beim Einlass zeigte sich dann bereits, dass einige wie immer gleicher als andere sind: zwei Schlangen wurden gebildet, eine für Studenten und geladene Gäste, die andere für sonstige Besucher. Muss erwähnt werden, dass dadurch die sonstigen Besucher bessere Chancen hatten? Muss erwähnt werden, dass die geladenen Gäste selbstverständlich nicht anzustehen brauchten? Ich denke nicht.
Innen wartete man brav anderthalb Stunden auf das Eintreffen des sich verspätetenden Helmut Kohls, der allen Wetterberichten zum Trotz nicht mit Schneefall gerechnet hatte. Endlich allerdings trat er unter Klatschen mit gewichtig-staatsmännischem Gang ein, setzte sich und ließ erst einmal andere reden. Dabei zeigte sich, dass er körperlich nicht mehr ganz auf der Höhe war: mit zitternden Händen nahm er sein Glas, und Fragen verstand er nicht besonders gut, die Stimme war schleppend. Geistig jedoch war er noch rege, wie sich in seinem Vortrag zeigte, und sein Stand am Pult sicher. Da kam der Vollblutpolitiker durch.
Inhaltlich bot er wenig Neues, und es hatte auch kaum etwas mit dem angekündigten Titel zu tun: hauptsächlich Anekdoten aus seinem bewegten Leben wurden zum Besten gegeben, Bonmots über historische Gegenbenheiten und europäische Politiker verteilt. Interessant war es dennoch, ihn so reden zu hören, und charismatisch ist er immer noch. Die abschließende Fragerunde jedoch war weniger prickelnd; die Fragesteller allesamt handzahm und aus den ersten Reihen (denen der geladenen Gäste) ausgewählt. So konnte die Veranstaltung informationstechnisch wenig überzeugen, bot jedoch wenigstens die Gelegenheit Kohl live zu sehen.

1 Kommentar:

  1. Ich habe mir die Kohl Vorlesung auch angehört und ich muss sagen, dass es sehr bewegende Momente gab. Helmut Kohl ist der Kanzler meiner Kindheit und es mag vielleicht ein wenig sentimental klingen, aber der inzwischen alt gewordene Altbundeskanzler hat mich eine ganze Strecke vom Kinder- bis ins Jugendliche Alter begleitet und das prägt. Es war ein Erlebnis für sich diesem Mann zuzuhören, der zwar oftmals direkt wie indirekt betont hat, dass er alles richtig gemacht hat und aber ebenso versucht hat zu erklären warum er so ist wie er ist und was die Beweggründe für viele seiner Handlungen waren. Man kann sich darüber streiten, ob das Zittern in seiner Stimme bei manchen Anekdoten echt war, oder das Produkt eines erfahrenen Politikers und ob das, was er erzählt hat, inhaltlich etwas zu bieten hatte, oder nicht. Fakt ist, dass es auch einmal gut war seine (ja ich gebe zu, wohl verschönte, aber dennoch interessante) Sicht der Dinge zu hören und ich bereue es nicht dafür zwei Stunden gewartet zu haben.

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