Dienstag, 16. Januar 2007

Schafft doch endlich diese doofe Meinungsfreiheit ab!

In seltener Offenheit wendet sich der "Journalist" Henryk M. Broder (ja, der mit den Henryk M. Broder-Mordbrigaden) an das Volk und verkündet, dass es gefälligst seine Klappe zu halten hätte. Meinungsfreiheit sei ein Privileg der Elite, und wo kämen wir denn da hin, wenn jeder es ausübt! Als Profi malt er das in seinem Artikel auch gleich in den düstersten Farben:
Heute meldet er eine „domaine“ an und nimmt an den Debatten im „global village“ teil. Die Folgen sind entsprechend. Wenn die „New York Times“ denselben Zugang zur Öffentlichkeit hat wie eine Kannibalen-Selbsthilfegruppe, wird sich die Öffentlichkeit auf Dauer nicht auf dem Niveau der „New York Times“ einpegeln, sondern auf dem der Kannibalen-Selbsthilfegruppe.
Nun, das wäre wohl eher das Problem der New York Times als das der Kannibalenselbsthilfegruppe. Einmal davon abgesehen dass auch die Kannibalen möglicherweise auf hohem intellektuellen Niveau debattieren können.

Mit dem Recht, eine Meinung verbreiten zu können, verhält es sich so wie mit den meisten Rechten, die auf einer unausgesprochenen Vereinbarung beruhen: Wenn sie von allen wahrgenommen werden, schaffen sie sich selbst ab. Wenn alle Menschen zur gleichen Zeit in ihre Autos steigen würden, käme der Verkehr zum totalen Stillstand. Wenn alle Menschen zur selben Zeit ihre Guthaben bei der Bank abheben wollten, würde das Finanzsystem kollabieren. Es gäbe nicht genug Platz auf der Straße und nicht genug Geld bei den Banken, um eine „Selbstverwirklichung“ aller zu garantieren.
Mit diesem Druckerschwärze gewordenen Unfug an unzulässigen Vergleichen versucht Broder, mit scheinbar rationellen Argumenten Front zu machen. Dabei ist das totaler Unfug: wenn alle ihre Meinung sagen, wird weder die Luft verpestet noch bricht irgendein System zusammen (außer natürlich dem Meinungskartell der Leitmedien, dem Broder rein zufällig angehört). Deswegen dienen diese Vergleiche nur der Panikmache und liefern konservativen Stubenhockern und BWLern ein Argument mehr, nicht nachzudenken.

Und genau das ist die Verheißung des Internets. Die wichtigste Erfindung seit dem Buchdruck schafft nicht nur eine universale Zeit in einem universalen Raum, im dem sich jeder ausbreiten kann. Das WWW ist auch maßgeblich für die Infantilisierung und Idiotisierung der Öffentlichkeit verantwortlich. Es bestätigt die banale Erkenntnis, dass es keinen Vorteil ohne Nachteil gibt, keinen Fortschritt ohne Rückschritt und keine Revolution ohne Reaktion.
Nun, Broder hat sicherlich Recht wenn er sagt, dass im Internet Vollidioten ebenso ihre Meinung publizieren wie intelligente Menschen; mancher Besucher-Kommentar auf diesem Blog legt davon beredtes Zeugnis ab. Wer aber will - und ich unterstelle, dass das abgesehen von Broder die meisten Internetuser sind - der kann sich schnell die Spreu vom Weizen trennen.

Wenn jeder Mensch jederzeit seine Meinung äußern kann, ohne einen Fuß vor seine Küche setzen zu müssen, dann löst sich die Meinungsfreiheit in Kakophonie auf. Kam es in einer vertikal organisierten Gesellschaft früher darauf an, Durchlässigkeit und ein Ende der Privilegien zu fordern, geht es heute in einer horizontal verfassten Gesellschaft darum, wieder Grenzen zu ziehen, auf Abständen zu bestehen und qualitative Unterschiede zu betonen.
Jetzt wird Broder richtig deutlich: das durch das Internet in Gefahr geratene Meinungsmonopol der Eliten mit Geld ("qualitative Unterschiede") muss schnellstens wieder gestützt werden, und das am besten wenn man die Leute freiwillig dazu bringt, ihre Klappte zu halten, Broder zu lesen und endlich wieder gesunde Feindschaft zu Ausländern aller Art zu hegen.

Dass eine psychotische Nervensäge im Rahmen einer Talentshow zum „Superstar“ avancieren kann, zeugt nicht von einer Demokratisierung der Gesellschaft, sondern von ihrer Entkernung. Und es kommt nicht darauf an, ob der Clown des Tages Daniel Küblböck oder Henrico Frank heißt, ob der eine so tut, als ob er singen könnte und der andere so, als ob er arbeiten möchte. Das Einzige, was zählt, ist die Homogenisierung der Gesellschaft auf einem Niveau, das möglichst vielen die Teilnahme ermöglicht. Niemand soll sich ausgeschlossen fühlen.

„Jekami“, jeder kann mitmachen, so hießen die vielen Amateurshows, als es noch kein Internet gab und 200 Leute die Freiheit hatten, ihre Meinung zu verbreiten. – Waren das schöne Zeiten.
Mit diesen rotzdummen Beispielen rundet Broder seine "Argumentation" ab. Als ob DSDS irgendetwas mit Meinungsfreiheit zu tun habe! Schließlich sitzen dort Leute mit "qualitativem Unterschied" hinter Schneidepulten und in Intendentensesseln. Aber Broder ist ein Meister des Polemischen, und das macht er hier wieder deutlich.
Insgesamt ist der Artikel bedenklich. Broder muss als der Straßenkämpfer gelten, das Angriffstier, von dem die Neoliberalen so wenige haben. Er polarisiert, er pöbelt, er beleidigt, und das mit einer Herzenslust. Und die Leitmedien geben ihm jedes Mal erneut ein Forum. Gut, dass es das Internet gibt. Denn hier kann jeder Trottel seine Meinung sagen, auch und gerade wenn das einem Henryk M. Broder nicht gefällt. Es gibt in dieser Zeit genügend Blogs, die deutlich mehr Qualität in ihrer Berichterstattung und Analyse aufweisen, als dies die schrille ewige Wiederholung von ideologischen Schlagsätzen tut, die die Leitmedien beständig auf die halb betäubten Bürger niederprasseln lassen. So gesehen bietet das Netz einen angenehmen Gegenpol und "Marktplatz der Meinungen", wie Arne Hoffmann seine Blogroll nannte.

Der komplette Artikel hier, mit Dank an Politblog.net für den Link.

11 Kommentare:

  1. Es zeugt von einer gewissen Ironie, wenn jemand, der allerorten verbreiten läßt, dass der Westen im Karikaturenstreit vor dem bösen, bösen Islam eingeknickt sei, während er und seine braunen Jubelperser angeblich die Meinungsfreiheit verteidigt hätten, sich jetzt offenbar daran stößt, dass wir hier im Westen so etwas wie Meinungsfreiheit haben. Immer nach dem Motto "Jeder hat die Freiheit, meine Meinung zu haben!"

    Es ist wie mit allen "Eliten" derzeit: sie definieren sich selbst so, meist über Macht, Medienaufmerksamkeit und Geld, nicht über Leistung oder herausragendem Intellekt. Es scheint, als hätte Broder nur noch 2 Themen:

    1. Alle Moslems sind Nazis! Bringt sie um!

    2. Antisemitismuskeulen gegen Kritiker seiner ach so "elitären" Meinungen zu verteilen.

    Stefan Niggemeier hat sich dem scheinbar Hilfebedürftigen auch schon angenommen: http://www.stefan-niggemeier.de/blog/doof-wie-broder/

    Broder versteht die Welt nicht mehr, wenn sie nicht mehr in sein Schwarzweiß-Schema passt. Vielleicht sollte man ihm ein paar Bücher schenken, z.B. einen Atlas oder ein Lexikon. Allen voran aber ein Wörterbuch Deutsch - Englisch: http://arnehoffmann.blogspot.com/2006/12/zeitvertreib-zu-weihnachten-wir.html

    Gruß

    Alex

    AntwortenLöschen
  2. Es ist keine große Überraschung, dass Broder der Meinungsfreiheit im Internet gern den Kampf erklären würde. In den etablierten Medien hält man ihm unterwürfig ein Mikro vor, damit er erklären darf, wie Deutschland von Ausländern „vergewaltigt“ wird, aber hier im Netz stellen Artikel wie deiner seine Geisteshaltung ebenso erbarmungslos bloß wie Broders offensichtlichste journalistischen Schnitzer (Übersetzung von „against“ als „für“, um so einen Menschen zu verleumden; Füllen eines SPIEGEL-Artikels mit ausländerfeindlicher Propaganda wie „Muslime lehnen Pluszeichen beim Rechnen ab“ etc.). Natürlich plädiert Broder dann dafür, dass die Meinungsfreiheit nur noch einer „Elite“ vorbehalten zu sein hat, die mit ihm erkennt, dass Deutschland schon total vermoslemt ist und uns nur Folter und Krieg vor der islamischen Weltverschwörung schützen können. Dumm für Broder, dass er keine Chance hat, die offene Gesellschaft einfach so wieder abzuschaffen.

    AntwortenLöschen
  3. Eigentlich wollte ich HMB schon recht geben, ich dachte er hätte über sich selbst geschrieben :)

    AntwortenLöschen
  4. Naja, das Problem ist doch nur das die Meinung aller eine große Vielzahl ungebildeter einschließt. "Anti-Demokratie Lied" sag ich nur...
    In jedem Fall hat er in gewisser Weiße recht. Es sind doch gerade die "Eliten" die sich bilden und Gedanken machen und nicht versuchen Stammtischpolemik auszuleben...

    AntwortenLöschen
  5. Das Anti-Demokratie-Lied ist einer der besten Beiträge zum Thema Meinungsfreiheit, die ich kenne. Genauso wie das Anti-Friedens-Lied eines der besten Lieder zum Thema Weltfrieden ist.

    AntwortenLöschen
  6. FYI:
    http://www.jungewelt.de/2007/01-17/020.php

    Ohne weiteren Kommentar, spricht für sich.

    Gruß

    Alex

    AntwortenLöschen
  7. "Das Anti-Demokratie-Lied ist einer der besten Beiträge zum Thema Meinungsfreiheit, die ich kenne." Hach ist das doch wieder toll hier... ich weiß warum ich länger nicht hier war...

    Hab mir das Buch von Broder rausgelassen, mal sehen was er schreibt.

    AntwortenLöschen
  8. Und du weißt, dass es in Broders Buch um Rassenhetze geht und dieses Meinungsfreiheitsdings auf diesen Artikel beschränkt ist?

    AntwortenLöschen
  9. Ja, weiß ich. Trotzdem interessant zu lesen, da ich genau dieses Geühl habe. Wie das im einzelnen dort im Buch beschrieben ist... mal sehen.

    Das Anti-Demokratie Lied ist mMn eines der besten Argumente gegen die Meinungsfreiheit. Genauso wie Dieter Nuhr zur Demokratie schon sagte...

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.