Seit einigen Jahren steht Venezuela auf der Liste der Schurkenstaaten in den USA an reichlich prominenter Stelle, gleich hinter Kuba. Dabei ist das Land nicht einmal islamistisch, sondern streng, geradezu fanatisch katholisch, und dazu eines der demokratischsten Länder der Welt, zumindest aber Lateinamerikas. Böse Zungen mögen behaupten, dass gerade letzteres der Grund ist, warum die selbst ernannte „zivilisierte Welt“ Chávez und sein bolivarisches Venezuela hasst. Aber der Reihe nach.
In mehreren Kapiteln empfindet der Autor die jüngste Geschichte Venezuelas, genauer, die Geschichte der bolivarischen Revolution unter Hugo Chávez, deren Strukturen, Auswirkungen und Probleme nach. Dabei fällt auf, dass insbesondere die erste Hälfte des Buchs, in der die Geschichte der Revolution und der Aufbau des Staates und seiner Verfassung dargestellt sind, sehr idealistisch und ungemein positiv berichtet. Es scheint, als wolle der Autor Venezuela als eine Art identifikationsstiftende Figur stilisieren, als ein gewaltiges Vorbild im Konzert der demokratischen und pseudodemokratischen Staaten. Dass dem nicht so ist, wird erst im etwa letzten Drittel zur Gänze klar, wenn der Autor sich den Problemen widmet, die in Venezuela noch immer ungelöst sind. Aber zur Sache.
Prinzipiell gibt es nur ein Merkmal, das Venezuela von den meisten anderen lateinamerikanischen Staaten unterscheidet: seine gewaltigen Ölvorräte. Diese werden von der PVdSA abgebaut und vermarktet, die bis 2002 ein rein privater Betrieb waren – einer der korruptesten in der Region, und das will etwas heißen. Das Öl wurde zu Schleuderpreisen an die Industriemächte verkauft, und die Vorstände sammelten Reichtum an. Als 1998 Chávez an die Macht kam, änderte sich die gesamte Landespolitik abrupt. Neben einer neuen Verfassung, die ernst macht mit demokratischer Beteiligung und Gewaltenteilung und an der sich die Regierung trotz aller Putschversuche und Attacken der Gegner geradezu sklavisch hält, wurden viele Wohlfahrtprogramme ebenso wie ein Bildungsprogramm gestartet, so dass Venezuela heute der zweite lateinamerikanische Staat ist, der den Analphabetismus ausgerottet hat und in dem der Hunger kaum mehr eine Bedrohung ist – der erste ist Kuba.
Allgemein hebt der Autor die auffällige Bezugnahme Chávez nach Kuba und dessen mittlerweile kranken Herrscher Castro hervor. Die Hilfe Kubas war auch nicht unbedeutend beim Aufbau beispielsweise eines organisierten Gesundheitswesens.
Venezuela gehört zu den erbittertsten Feinden der USA und der neoliberalen Welt, besonders wegen des Erfolgs, den es hat: konsequent alle „Ratschläge“ des IWF ignorierend, hat das Land seine Wirtschaft stabilisiert, macht Überschüsse und steckt Milliarden in Wohlfahrts- und Aufbauprogramme.
Selbstverständlich gibt es Probleme, und der Autor hält mit diesen nicht hinter dem Berg: eine gravierende Umweltverschmutzung durch Chávez’ Wirtschaftspolitik, die noch immer ungelösten Fragen bei der Gleichstellung der Geschlechter und einheimischen Gruppen, die lähmende Oppositionsbewegung, nur um einige zu nennen.
Letzten Endes bietet das Buch einen fundierten Überblick über das Venezuela der Revolution, kann jedoch leider keine Höchstwertung einfahren: zu einschlägig ideologisch äußert sich der Autor bisweilen (besonders in Passagen, die die angebliche Höherwertigkeit des weiblichen Geschlechts zum Ausdruck bringen), zu indifferenziert ist er in manchen, wenn auch nur wenigen Punkten.
Mit freundlicher Genehmigung vom Roten Dorn.
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