Donnerstag, 4. Januar 2007

Plastikphrase: Hitler

Nicht nur, dass der Führer eine Witzfigur geworden ist und der Rechtsextremismus "in der Mitte der Gesellschaft" angekommen ist, nein, er ist schon ein armes Schwein: jeder Provinzbösewicht wird mit ihm verglichen. Und das schon seit geraumer Zeit, und inzwischen hat das Phänomen sogar bei den Deutschen seinen Platz gefunden, ob es nun Bush, Ahmadinedschad oder sonst irgendjemand ist, den man gerade nicht leiden kann und öffentlich als Bösewicht brandmarken will: nichts eignet sich so gut wie die Schlagzeile "Y verglich X mit Hitler", um markig darzulegen, wie richtig gemein diese Person ist. Das treibt inzwischen so wirre Blüten, dass in den USA nicht nur nach "Kitlers" (Katzen, die so aussehen wie Hitler) gefahndet wird, sondern die Seite "Beautiful Atrocities" auch das Statement abgab: "In the future, everyone will be Hitler for 15 minutes" und als Beweis eine Linkliste zum Thema gab, in der Hitlervergleiche nur im englischsprachigen Nachrichtenraum aufgelistet wurden.
Das führt zu zweierlei: zum einen zu einer propagandistischen Allzweckwaffe, die jeder gerne und ausdauernd verwenden kann, um keine sachlichen Argumente verwenden zu müssen (ungefähr so wie Antisemitismus oder Kommunismus oder auch Faschismus). Und zum anderen, und das ist beunruhigender, erfolgt eine Abwertung der Nazis und ihrer Verbrechen und ihr Transport in den Alltagsdiskurs. Hitler, wer war das gleich? Ach ja, der Gemüsehändler um die Ecke, der die Preise aufgeschlagen hat. Der Sog des Bösen, den allein der Name entfaltet, geht Stück um Stück verloren; Hitler wird zu einer Marke der Beliebigkeit. Dies wird sich eines Tages rächen, wenn eine Renaissance der Rechten tatsächlich "in der Mitte der Gesellschaft" angekommen ist und es wieder an den Linken ist, die Demokratie zu verteidigen.

EDIT: Der neueste Hitler-Vergleich übrigens, gerade frisch entdeckt: der muslimische Abgeordnete Ellison (der erste in den USA) wird bei seiner Amtseinführung auf den Koran statt die Bibel schwören. Abgesehen davon, dass das Schwören auf irgendein Buch überhaupt nicht in der Verfassung festgeschrieben ist warnen die Ultrarechten vor einer "Gefahr für die amerikanische Zivilisation" und vergleichen Ellisons Schwur mit dem "eines Rassisten, der auf "Mein Kampf" schwört".

1 Kommentar:

  1. Sie halten es für beunruhigender, die Nazis, ihre Verbrechen in den Alltagsdiskurs zu transportieren.

    Nun, das kann man so sehen. Doch zeigt sich m. E. in dieser Befürchtung die Wirkung genau jener Droge, die unserer Nation
    -von welcher Seite auch immer, aus welchen Gründen auch immer- seit gut zwei Generationen unablässig verabreicht wird: Haß auf sich selbst.

    Daraus hat sich mittlerweile eine gut funktionierende Industrie entwickelt. Fragt sich nur, ob das auf Dauer wirklich gut gehen kann?

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