Mantel oder Kürbis? Eine Replik.
Ich möchte Roberte J. de Lapuente entschieden in seiner Kritik an Halloween widersprechen. Nicht in allen Punkten, sicherlich, aber zumindest in den hauptsächlichen. Es beginnt bereits bei der Einleitung de Lapuentes. Halloween hat keine Tradition in Deutschland. Nun, das mag sicher richtig sein. Aber wenn ich mich richtig erinnere, haben die christlichen Gebräuche und Feiertage auch die heidnischen verdrängt, die früher einmal hier gelebt und gefeiert wurden - oder wer, außer einigen ewiggestrigen Glatzen, begeht den Wotanstag? Nur weil etwas schon eine ganze Weile da ist ist es nicht per se schützenswert.
Ein zweiter Kritikpunkt de Lapuentes bezieht sich auf die Intention der beiden Feiertage.
Man könnte es auch philosophischer zur Auswahl bereiten: Es ist der Widerstreit zwischen plumpen Materialismus und zwischenmenschlichem Idealismus. Oder wenn wir die Terminologie Erich Fromms heranziehen: Eine Auseinandersetzung zwischen der Charakterstruktur des Habens und des Seins. Dass der kindliche Egoismus, der in dieser Phase des Lebens freilich notwendig ist, sich für das Haben entscheiden wird, d.h. für Süßigkeiten und Freude durch Verkleidung, ist nicht weiter verwunderlich.Konsultiert man Wikipedia, findet man in Tradition und Bedeutung des Martinstags einige interessante Punkte:
- de Lapuente
Die verschiedenen Bräuche wurzeln in zwei wohl zusammenhängenden Umständen. In der von Byzanz beeinflussten Christenheit lag der Martinstag zunächst am Beginn der 40-tägigen Fastenzeit ab dem 11. November, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein – in den Orthodoxen Kirchen teilweise bis heute – vor Weihnachten begangen wurde. Am letzten Tag vor Beginn dieser Fastenzeit konnten die Menschen - analog zur Fastnacht – noch einmal schlemmen. So wird noch heute beim rheinischen Karneval die neue „Session“ am 11. November ausgerufen. Daneben war der Martinstag auch der traditionelle Tag des Zehnten. Die Steuern wurden früher in Naturalien bezahlt, auch in Gänsen, da die bevorstehende Winterzeit das Durchfüttern der Tiere nur in einer eingeschränkten Zahl möglich machte. An diesem Tag begannen und endeten auch Dienstverhältnisse, Pacht-, Zins- und Besoldungsfristen. Der Martinstag wurde deshalb auch Zinstag genannt.An eine rein idealistische Ausrichtung des Feiertags brauchen wir nicht zu glauben, diese Vorstellung können wir getrost abschütteln (und sehen anbei auch gleich noch, dass die Tradition aus Byzanz stammt und damit kaum als genuin deutsch zu beschreiben ist). Auch der Martinstag entbehrt damit nicht gerade einer sehr materialstischen Grundlage, nämlich dem Schlemmen vor der Fastenzeit und dem sehr pragmatischen Schlachten der Tiere, die man ohnehin nicht durch den Winter bringen kann.
- Wikipedia
De Lapuente kritisiert außerdem, dass die Kinder - die heute in beiden Fällen die hauptsächlichen Ausführenden des Feiertages sind - im Falle des St.-Martins-Tages das Beisammensein lernen (durch das Basteln der Laternen und den gemeinsamen Umzug). Das ist bei Halloween aber genauso der Fall. Hier werden vorher gemeinsam die Häuser geschmückt (was bei dem Feiertag eigentlich ein ebenso wichtiger Punkt ist!), die Kostüme hergestellt und alles vorbereitet. Nach dem Durch-die-Straßen-ziehen stehen dann gemeinsame familiäre Rituale (wie das berühmte Äpfelfischen) im Vordergrund. Also auch hier keine reine Gierveranstaltung. Im übrigen:
Im Anschluss an den Martinszug oder auch an einem leicht abweichenden Termin wird vielerorts auch das Martinssingen (auch "Martinilieder") praktiziert, bei dem die Kinder mit ihren Laternen bzw. Lampions von Haus zu Haus ziehen und mit Gesang Süßigkeiten, Gebäck, Obst und andere Gaben erbitten.Also auch hier keine Freiheit vom Materialismus.
- Wikipedia
Der letzte Kritikpunkt de Lapuentes, mit dem ich mich auseinandersetzen will, ist das erpresserische Verhältnis beim Halloween im Vergleich zu St.-Martin, was ja durch obige Quelle vordergründig noch bestätigt wird (auf der einen Seite die Erpressung, auf der anderen Seite das Bitten). Doch diese Darstellung greift zu kurz und wird von de Lapuente auch unzulässig auf das politische Feld ausgedehnt (Kriegsdrohungen etc.). Denn beim "Trick or Treat" des Halloween handelt es sich ja um eine sehr ritualisierte Form der Erpressung, die sich vor einem Zug laternenschwinkender Kinder oder den Sternsingern kaum unterscheidet - wer könnte hier ernsthaft Süßigkeiten verweigern? Die süßen Kinder erpressen den Adressaten so oder so, ob sie lieb bitten und Laterne schwenken oder singen oder ob sie mit kindlichen Stimmen "Süßes oder Saures!" rufen.
In meinen Augen übersieht de Lapuente hier schlichtweg, dass "Halloween" kein deutscher Feiertag ist - trotz seinem einleitenden Hinweis auf diesen Sachverhalt nur auf den ersten Blick ein Paradoxon. Ich bin kein Kirchenhistoriker, aber ich würde mich zu der Behauptung versteigern, dass bei "Einführung" des St.-Martins-Tags für die entsprechenden Ausführenden ebenfalls weniger das Gedenken an einen obskuren römischen Zenturio als vielmehr das Schlachten, Zubereiten und vor allem Verspeisen der zugehörigen Gans im Vordergrund stand. Gleiches gilt für Halloween. Bislang ist dieser Feiertag hierzulande hauptsächlich als weitere Begründung für dämliche Parties mit hohem Alkoholpegel oder schrottige Verkleidungen von der Stange bekannt, an denen sich die Industrie gutes Geld verdient. Dem Feiertag selbst aber wird damit kein Recht getan.
Denn Halloween hat eigentlich durchaus Berechtigung, in Deutschland ebenfalls Teil des Kulturguts zu werden. Denn wer weiß hierzulande schon, was eigentlich hinter diesem Feiertag steht? Scott Stevenson erklärt dies hervorragend in seinem Blog "USA erklärt". Halloween besitzt überhaupt keine traditionelle Grundlage oder Legitimation. Gerade das macht ja den Charme aus. Es ist ein Feiertag für Kinder, der einzige, im übrigen, denn obwohl Weihnachten inzwischen auch ein reines materialistisches Beschenkungsfest wurde, hat es ja auch einen anderen gewachsenen Hintergrund. Halloween ist einfach nur für die Kinder da, die hier ihren Spaß haben dürfen. Deswegen gehört das Schnitzen der Kürbisse, das Dekorieren der Häuser, das Schneidern der Kostüme und schlussendlich das Erringen von Süßigkeiten (für die der Amerikaner statistisch 18,72 Dollar ausgibt - kein Vergleich zu Weihnachten) ja auch nicht zur Industrie und entbehrt so materialistischer Wurzeln. Halloween ist ein Tag, an dem die Kinder das Vergnügen haben, wildfremde Erwachsene anzusprechen und an leckere Süßigkeiten zu kommen. Das "Streiche spielen" ist dabei keine echte Erpressung, wie bereits erwähnt. Für mich gibt es nicht auch nur den geringsten Grund, Halloween nicht in den Kanon der auch hier in Deutschland begangenen Feiertage aufzunehmen - da schließe ich mich voll Stevensons Meinung an. Man müsste ihn nur denen entreißen, die ihn vollkommen falsch interpretieren, der Wirtschaft, den Jugendlichen (denen er auch nicht gehört, er ist dezidiert für Kinder) und in diesem Fall auch de Lapuente.