Freitag, 31. Oktober 2008

Mantel oder Kürbis? Eine Replik.

Roberto J. de Lapuente hat auf ad sinistram einen Artikel zum Verschwinden des St.-Martins-Tags zugunsten von Halloween geschrieben. In Kürze: der Artikel betrauert das Verschwinden des St.-Martins-Tages und geißelt Halloween, das keine Tradition hierzulande besitzt und materialistisch ist und dabei gleichzeitig die Kinder verzieht, weil sie Fordern anstatt zu teilen. Ich empfehle, de Lapuentes Artikel zu lesen, bevor ihr diese Replik lest.

Mantel oder Kürbis? Eine Replik.

Ich möchte Roberte J. de Lapuente entschieden in seiner Kritik an Halloween widersprechen. Nicht in allen Punkten, sicherlich, aber zumindest in den hauptsächlichen. Es beginnt bereits bei der Einleitung de Lapuentes. Halloween hat keine Tradition in Deutschland. Nun, das mag sicher richtig sein. Aber wenn ich mich richtig erinnere, haben die christlichen Gebräuche und Feiertage auch die heidnischen verdrängt, die früher einmal hier gelebt und gefeiert wurden - oder wer, außer einigen ewiggestrigen Glatzen, begeht den Wotanstag? Nur weil etwas schon eine ganze Weile da ist ist es nicht per se schützenswert.
Ein zweiter Kritikpunkt de Lapuentes bezieht sich auf die Intention der beiden Feiertage.
Man könnte es auch philosophischer zur Auswahl bereiten: Es ist der Widerstreit zwischen plumpen Materialismus und zwischenmenschlichem Idealismus. Oder wenn wir die Terminologie Erich Fromms heranziehen: Eine Auseinandersetzung zwischen der Charakterstruktur des Habens und des Seins. Dass der kindliche Egoismus, der in dieser Phase des Lebens freilich notwendig ist, sich für das Haben entscheiden wird, d.h. für Süßigkeiten und Freude durch Verkleidung, ist nicht weiter verwunderlich.
- de Lapuente
Konsultiert man Wikipedia, findet man in Tradition und Bedeutung des Martinstags einige interessante Punkte:
Die verschiedenen Bräuche wurzeln in zwei wohl zusammenhängenden Umständen. In der von Byzanz beeinflussten Christenheit lag der Martinstag zunächst am Beginn der 40-tägigen Fastenzeit ab dem 11. November, die vom Mittelalter bis in die Neuzeit hinein – in den Orthodoxen Kirchen teilweise bis heute – vor Weihnachten begangen wurde. Am letzten Tag vor Beginn dieser Fastenzeit konnten die Menschen - analog zur Fastnacht – noch einmal schlemmen. So wird noch heute beim rheinischen Karneval die neue „Session“ am 11. November ausgerufen. Daneben war der Martinstag auch der traditionelle Tag des Zehnten. Die Steuern wurden früher in Naturalien bezahlt, auch in Gänsen, da die bevorstehende Winterzeit das Durchfüttern der Tiere nur in einer eingeschränkten Zahl möglich machte. An diesem Tag begannen und endeten auch Dienstverhältnisse, Pacht-, Zins- und Besoldungsfristen. Der Martinstag wurde deshalb auch Zinstag genannt.
- Wikipedia
An eine rein idealistische Ausrichtung des Feiertags brauchen wir nicht zu glauben, diese Vorstellung können wir getrost abschütteln (und sehen anbei auch gleich noch, dass die Tradition aus Byzanz stammt und damit kaum als genuin deutsch zu beschreiben ist). Auch der Martinstag entbehrt damit nicht gerade einer sehr materialstischen Grundlage, nämlich dem Schlemmen vor der Fastenzeit und dem sehr pragmatischen Schlachten der Tiere, die man ohnehin nicht durch den Winter bringen kann.
De Lapuente kritisiert außerdem, dass die Kinder - die heute in beiden Fällen die hauptsächlichen Ausführenden des Feiertages sind - im Falle des St.-Martins-Tages das Beisammensein lernen (durch das Basteln der Laternen und den gemeinsamen Umzug). Das ist bei Halloween aber genauso der Fall. Hier werden vorher gemeinsam die Häuser geschmückt (was bei dem Feiertag eigentlich ein ebenso wichtiger Punkt ist!), die Kostüme hergestellt und alles vorbereitet. Nach dem Durch-die-Straßen-ziehen stehen dann gemeinsame familiäre Rituale (wie das berühmte Äpfelfischen) im Vordergrund. Also auch hier keine reine Gierveranstaltung. Im übrigen:
Im Anschluss an den Martinszug oder auch an einem leicht abweichenden Termin wird vielerorts auch das Martinssingen (auch "Martinilieder") praktiziert, bei dem die Kinder mit ihren Laternen bzw. Lampions von Haus zu Haus ziehen und mit Gesang Süßigkeiten, Gebäck, Obst und andere Gaben erbitten.
- Wikipedia
Also auch hier keine Freiheit vom Materialismus.
Der letzte Kritikpunkt de Lapuentes, mit dem ich mich auseinandersetzen will, ist das erpresserische Verhältnis beim Halloween im Vergleich zu St.-Martin, was ja durch obige Quelle vordergründig noch bestätigt wird (auf der einen Seite die Erpressung, auf der anderen Seite das Bitten). Doch diese Darstellung greift zu kurz und wird von de Lapuente auch unzulässig auf das politische Feld ausgedehnt (Kriegsdrohungen etc.). Denn beim "Trick or Treat" des Halloween handelt es sich ja um eine sehr ritualisierte Form der Erpressung, die sich vor einem Zug laternenschwinkender Kinder oder den Sternsingern kaum unterscheidet - wer könnte hier ernsthaft Süßigkeiten verweigern? Die süßen Kinder erpressen den Adressaten so oder so, ob sie lieb bitten und Laterne schwenken oder singen oder ob sie mit kindlichen Stimmen "Süßes oder Saures!" rufen.
In meinen Augen übersieht de Lapuente hier schlichtweg, dass "Halloween" kein deutscher Feiertag ist - trotz seinem einleitenden Hinweis auf diesen Sachverhalt nur auf den ersten Blick ein Paradoxon. Ich bin kein Kirchenhistoriker, aber ich würde mich zu der Behauptung versteigern, dass bei "Einführung" des St.-Martins-Tags für die entsprechenden Ausführenden ebenfalls weniger das Gedenken an einen obskuren römischen Zenturio als vielmehr das Schlachten, Zubereiten und vor allem Verspeisen der zugehörigen Gans im Vordergrund stand. Gleiches gilt für Halloween. Bislang ist dieser Feiertag hierzulande hauptsächlich als weitere Begründung für dämliche Parties mit hohem Alkoholpegel oder schrottige Verkleidungen von der Stange bekannt, an denen sich die Industrie gutes Geld verdient. Dem Feiertag selbst aber wird damit kein Recht getan.
Denn Halloween hat eigentlich durchaus Berechtigung, in Deutschland ebenfalls Teil des Kulturguts zu werden. Denn wer weiß hierzulande schon, was eigentlich hinter diesem Feiertag steht? Scott Stevenson erklärt dies hervorragend in seinem Blog "USA erklärt". Halloween besitzt überhaupt keine traditionelle Grundlage oder Legitimation. Gerade das macht ja den Charme aus. Es ist ein Feiertag für Kinder, der einzige, im übrigen, denn obwohl Weihnachten inzwischen auch ein reines materialistisches Beschenkungsfest wurde, hat es ja auch einen anderen gewachsenen Hintergrund. Halloween ist einfach nur für die Kinder da, die hier ihren Spaß haben dürfen. Deswegen gehört das Schnitzen der Kürbisse, das Dekorieren der Häuser, das Schneidern der Kostüme und schlussendlich das Erringen von Süßigkeiten (für die der Amerikaner statistisch 18,72 Dollar ausgibt - kein Vergleich zu Weihnachten) ja auch nicht zur Industrie und entbehrt so materialistischer Wurzeln. Halloween ist ein Tag, an dem die Kinder das Vergnügen haben, wildfremde Erwachsene anzusprechen und an leckere Süßigkeiten zu kommen. Das "Streiche spielen" ist dabei keine echte Erpressung, wie bereits erwähnt. Für mich gibt es nicht auch nur den geringsten Grund, Halloween nicht in den Kanon der auch hier in Deutschland begangenen Feiertage aufzunehmen - da schließe ich mich voll Stevensons Meinung an. Man müsste ihn nur denen entreißen, die ihn vollkommen falsch interpretieren, der Wirtschaft, den Jugendlichen (denen er auch nicht gehört, er ist dezidiert für Kinder) und in diesem Fall auch de Lapuente.

Donnerstag, 30. Oktober 2008

Fundstücke 30.10.2008

Bewahrt uns vor Helden und Heldentaten!
Freitag - Nicht unbedingt wichtiger, wohl aber interessanter und gefährlicher ist etwas anderes: die öffentliche und von politischer Seite aus geführte Diskussion, wie man in diesen Kriegen zu Tode gekommene (ich vermeide das schreckliche Wort "gefallene") deutsche Soldaten ehren und auszeichnen soll. Da ist von neuen Orden, Ehrenzeichen und selbst Ehrenmalen die Rede. In diesen neuen Opferdiskurs eingestreut sind die alten Begriffe "Helden" und "Heldentaten". Beispiele sind zahlreich und werden mehr. Das letzte und problematische ist der diesjährige "Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten", der von der Körber-Stiftung veranstaltet wird. Sein Thema: Helden: verehrt - verkannt - vergessen. Die zum Mitmachen aufgeforderten Schüler sollen nach den Worten von Horst Köhler lernen, dass "Helden Symbolfiguren sind, die durch ihre Haltung und ihr Tun Orientierung vermitteln können".
Anmerkung: Eine wahrlich bedenkliche Entwicklung. Die immer rasanter fortschreitende semantische Umdeutung der deutschen Auslandseinsätze dürfte recht bald abgeschlossen sein, wenn das so weitergeht.
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Der Aktien-Mythos
FR -In den späten neunziger Jahren scherzte Börsenchef Seifert, dass "mehr Deutsche an Ufos glauben als an das Aktiensparen zur Altersvorsorge." Die Implikation war klar - nur Ignoranten meiden Aktien. An den Märkten geht es gerade in jüngster Zeit oft kräftig hoch oder runter. Doch auf lange Frist, so hoffen Anleger, sind stattliche Renditen fast garantiert. Neuere empirische Analysen zeigen, dass viele Anleger zu lange auf hohe Erträge warten müssen. Die Wunderrenditen, die angeblich an den Aktienmärkten winken, sind nur in wenigen Ländern erwirtschaftet worden. Und die wirtschaftliche und politische Konstellation, die zu den hohen Kursgewinnen beigetragen hat, ist wahrscheinlich historisch einmalig.
Anmerkung: Wieder einmal zeigt sich, dass ein Grundpfeiler der Politik der letzten Jahre auf reiner Ideologie ohne jegliche Grundlage beruht. Wann endlich sehen die Leute ein, dass es nur eine sichere Rente geben kann - die staatlich garantierte?
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Ein Fall für den Chef - wäre es gewesen
FTD - Man muss sich das Ganze so vorstellen: Da steht eine Sitzung des Bahn-Aufsichtsrats an, in der es um die heikle Detailfrage Bonuszahlungen an das Management in der noch viel heikleren Angelegenheit Börsengang geht. Und der Verkehrsstaatssekretär spricht weder vor dem Treffen mit seinem Minister ab, wie er als Vertreter des Eigentümers Bund im Kontrollgremium stimmen soll, noch informiert er seinen Vorgesetzten nach der Sitzung.
Anmerkung: Tiefensee ist fast noch inkompetenter als Steinbrück. Die SPD hat fast nur Nasen auf die Ministerposten gesetzt. Steinbrück, Tiefensee, Schmidt, Zypries, Gabriel - sie alle sind in letzter Zeit eigentlich nur durch Fehler und Versäumnisse aufgefallen.
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Hartz-IV verstößt gegen das Grundgesetz

FR - Die Hartz-IV-Regelleistungen decken laut einem Urteil nicht das soziokulturelle Existenzminimum von Familien und verstoßen gegen das Grundgesetz. Dies stellte das Hessische Landessozialgericht in Darmstadt in einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil fest (Az.: L 6 AS 336/07). Nach mündlicher Verhandlung beschloss der 6. Senat, ein entsprechendes Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.
Geklagt hatte eine Familie aus dem Werra-Meisner-Kreis, die als Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II bezieht. Für die Eltern wurde jeweils der Regelsatz in Höhe von 311 Euro bewilligt, für die 1994 geborene Tochter der Satz von 207 Euro. Nach Ansicht der Kläger ist damit ihr minimaler Bedarf nicht gedeckt. Mit ihrem Antrag auf weitere 133 Euro für jedes Elternteil und 89 Euro für die Tochter blieben sie im Verwaltungsverfahren sowie vor dem Sozialgericht erfolglos.
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Herrsche und schweige
Tagesspiegel - Die Bundesregierung, vertreten durch den Parlamentarischen Staatssekretär Achim Großmann (SPD), verhielt sich einsilbig. Die Frage des Grünen-Kollegen Winfried Hermann werde das Verkehrsministerium nicht beantworten, beschied Großmann, denn sie betreffe „Sachverhalte, die in die unternehmerische Zuständigkeit der DB AG bzw. der DB AG Energie GmbH fallen“. Hermann hatte wissen wollen, wie viel Strom die Kraftwerke der Bahn erzeugen können und was sie wert sind – eine Information, die im Sommer 2007, als die Teilprivatisierung des Unternehmens anstand, für die Entscheidung des Parlaments nicht ganz nebensächlich war. Doch der Bund bestand auf Unterscheidung zwischen sich selbst als Eigentümer und sich selbst als Regierung – und schwieg.
Anmerkung: Beständige Verstöße gegen parlamentarische Grundrechte sind in der Großen Koalition offensichtlich ebenso normal wie Verstöße gegen das Grundgesetz.
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Hilfe für Piroschka
Weissgarnix - Eine interessante Aussage. Das “Vertrauen der Investoren” ist erschüttert - nicht das Vertrauen in die Investoren wie es wohl angesichts dieser weltweiten Katastrophe die richtige Aussage wäre. Vor allem müsste man fragen: Welche Investoren wohl noch in Ungarn investieren können? Die Hedgefonds, die gerade bei VW ihr Waterloo erlebt haben? Außer Staaten und internationalen Organisationen kann niemand Ungarn helfen. Zudem ist der IWF geprägt von den Irrwegen seiner jüngeren Geschichte. In den 90er Jahren war er nämlich zu einer Art Ersatzregierung geworden. Seine Kredite waren gebunden an massiven Auflagen, die die politische Handlungsfähigkeit der betroffenen Regierungen praktisch außer Kraft setzten. Es galt der Washington Consensus. Der IWF agierte unter einer Prämisse: Marktöffnung. Nach innen durch Privatisierung und Abbau staatlicher Subventionen. Nach außen durch Öffnung für ausländische Investoren und rigide Weltmarktorientierung. Der IWF degenerierte zu einer Filiale der Wall Street. Er sollte jeden Winkel der Erde dem Finanzkapitalismus zugänglich machen - und getreu diesem Motto hinterließ er ökonomische Schneisen der Verwüstung.
Anmerkung: Dass der IWF sich bislang euphemistisch ausgedrückt nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat ist glaube ich allseits bekannt.
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Verkehrte Welt
Freitag - Nun muss man die Banker wirklich nicht in Schutz nehmen, die Kritik an ihnen ist berechtigt. Aber wenn Politiker sie so heftig kritisieren, wollen sie damit nur den eigenen Anteil an der Krise verschleiern. Die ausschließliche Beschäftigung mit der Krise und den Rettungsaktionen, deren Notwendigkeit von niemand grundsätzlich bestritten wird, greift viel zu kurz. Nicht die Krise ist das eigentliche Problem, sondern das "ganz normale Funktionieren" der Finanzmärkte. Die Schäden für Millionen von Menschen richten sie gerade dann an, wenn sie "normal" funktionieren. Und die Voraussetzungen dafür, dass das kapitalistische System, in dem wir leben, immer mehr von den Finanzmärkten getrieben wird, sind von der Politik gesetzt. Den jetzt von ihnen beklagten Raubtierkapitalismus haben Politiker trotz vielfältiger Warnungen erst herbeigeführt. Wir dürfen es nicht zulassen, dass sie sich mittels kräftiger Banker-Schelte aus der Verantwortung stehlen.
Anmerkung: Man kann es gar nicht oft genug sagen.
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Mittwoch, 29. Oktober 2008

Schirrmachers 1929

In der FAZ hat Frank Schirrmacher, bekannter Scharfmacher der neoliberalen Rechten und sowohl Deregulierungs- als auch Irakkriegsbefürworter, Autor von der Methusalemkomplex und Lobbyist für die Versicherungswirtschaft, einen Artikel zu den Analogien von 1929 geschrieben. Bereits in den ersten Sätzen ziehen dunkle Wolken am Horizont auf:
Wird jetzt eine neue Regierung in Hessen, wird dann auch eine in Thüringen von der Linkspartei „geduldet“, so entsteht eine neue Situation. Aufgrund der Abstimmungsanomalie im Bundesrat, wo Enthaltungen als „Nein“ gewertet werden, kann die Linkspartei dann über von ihr erzwungene Enthaltungen als Mitspieler in vier Landtagen den Bund in erstaunlichem Umfang kontrollieren.
Das linke Schreckgespenst geistert durch die Republik! Hamstert Vorräte, der Untergang ist nah. Mit dem Rest seines Artikels hat diese Einleitung denn auch konsequenterweise nichts zu tun, aber ganz gut, dass wir einmal darüber gesprochen haben. Immerhin gelingt es Schirrmacher, irgendwo zwischendrin noch Lafontaine zu erwähnen und so dem unvorsichtigen Leser eine Assoziation mit 1933 zu ermöglichen, denn darauf läuft alles hinaus. 1929 führt zu 1933, 1933 zu 1942, 1942 zu 1945. Aber heute wissen wir, dass es 1929 gab. Und dass 2008 nicht 1929 ist. Und damit hat sich der Artikel auch inhaltlich schon.
Nicht dass Schirrmachers Beitrag zur Vermeidung einer Panik nicht prinzipiell richtig wäre, auch wenn es eine solche bislang nicht gibt (Gottseidank!). Viel mehr ist es zwar ganz nett, dass er artig Hans-Werner Sinns "Manager sind die Juden von heute"-Vergleich verurteilt, aber bei ihm ist Sinn so in Panik wegen der Krise, dass das schon fast wieder liebenswürdig herüberkommt. Und dass schon 1929 niemand die Finanzprodukte erklären konnte mag richtig sein, dass wir vergangene Krisen zwar analysieren aber künftige nicht vorhersagen können dagegen ist falsch. Laut Schirrmacher ist der IWF dazu nicht in der Lage, und wenn es der IWF nicht ist, dann ist es niemand. Aber das ist Quatsch. Attac, die LINKE und die NachDenkSeiten (nehmt sie als pars pro toto) warnen seit Jahren unermüdlich vor den Gefahren des Casino-Kapitalismus und der Krisengefahr der Finanzmärkte und haben auch die aktuelle Krise ziemlich genau vorhergesagt. Klar, das erwähnt ein Herr Schirrmacher natürlich nicht gerne, der vor wenigen Wochen noch der Meinung war, dass alles toll sei, wie es ist und nun plötzlich ebenfalls gelehrte Worte schwingt.
Aber so oder so ist auch die historische Analogie falsch. Die Finanzkrise von 1929 kam genausowenig aus dem Nichts wie die heutige. Was Frank Schirrmacher hier versucht, ist Geschichtsklitterung, um die eigenen Fehler zu vertuschen. Auch 1929 gab es Stimmen, die vorher warnten, und auch 1929 gab es Anzeichen, dass es nicht ewig so weitergehen konnte. Vor 1929 gab es ein 1928 und ein 1927, und vor 2008 gab es ein 2007 und ein 2006. In diesen Jahren vorher wurden die unsicheren Finanzpakete verkauft, bejubelt von der Presse und den Aktionären, den Politikern und den Wirtschaftlern, und wehe dem, der etwas dagegen sagte! Jetzt wollen sie plötzlich alle klüger sein und tun so, als ob die Krise mit einem Schlag dagewesen sei, unvorhersehbar und gewissermaßen ohne Grundlage. Aber die Grundlagen wurden gelegt, damals wie heute, von einem falsch verstandenen radikalen Wirtschaftsliberalismus, der alles Heil in den ungehindert waltenden Marktkräften sah. Damals wie heute wurde unangenehm gezeigt, dass dem nicht so ist. Die Analogie zu 1929 ist also nicht so weit hergeholt, wie Herr Schirrmacher das gerne hätte.

Fundstücke 29.10.2008

"Die Hartz-Reformen sind links"
taz - Ohne die Agenda 2010, betont der SPD-Linke Lauterbach, stünde Deutschland vor einer Arbeitsmarkt-Katastrophe mit einer Million mehr Arbeitslosen.
Anmerkung: Es ist unglaublich, was für logische salti mortale Karl Lauterbach schlägt, um nur ja die Hartz-Gesetze zu verteidigen. Da werden simple Hoffnungen zu Tatsachen aufgebauscht, sich gegenseitig widersprechende Aussagen einfach durch Wiederholen im Raum gehalten und auch ansonsten einfach Unsinn behauptet. Wahnsinn.
NACHTRAG: Siehe auch Feynsinn.
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Volles Programm für die Konjunktur

FTD - Es geht nicht mehr um die Frage, ob es eine Rezession in Deutschland gibt – sondern nur noch darum, wie schwer diese ausfällt. Um die gefährliche Eigendynamik des Absturzes zu brechen, muss die Regierung schnell und effektiv gegensteuern.
Anmerkung: Vor drei Monaten wäre das noch Häresie gewesen. Bald erklärt Merkel, dass sie schon immer für Konjunkturprogramme war. Ich sehe es kommen.
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Weisheit in der Krise

FTD - Die Finanzkrise wirft sicher geglaubte Sätze über den Haufen. Wie diesen: Eigentlich verstehen Politiker nichts von Banken, mit einem Mal aber sehr wohl. Ein Wunder ist geschehen!
Anmerkung: Grandiose Satire gegen das aktuelle dumme Geschwätz, das man allenthalben zu lesen bekommt und eine ätzende Abrechnung mit den Bankern.
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Der Deregulierungsrat
FR - Sechs Männer, ein Bekenntnis: Der freie Markt wird es schon richten. Das war zwar gestern, bevor der unregulierte Kapitalmarkt seine wahre Zerstörungskraft gezeigt hat. Doch so richtig Vertrauen erweckend ist die durch und durch wirtschaftsliberale Truppe nicht, die die Regierung zusammengestellt hat. Keines der Mitglieder kann sich rühmen, in den vergangenen Jahren den ungezügelten Finanzkapitalismus hörbar kritisiert zu haben.
Anmerkung: Formidabler Hintergrundartikel.
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In den Klauen des Bären

TP - Die ersten Auswirkungen auf die Realwirtschaft sind bereits zu verzeichnen und auch in Russland hat sich eine Immobilienblase gebildet, die nun zu platzen droht. Noch ist Russland mit Devisenreserven in Höhe von 515 Mrd. Dollar in der komfortablen Lage, gegensteuern zu können. Die Reserven schrumpfen allerdings rapide und wenn sich die gegenwärtige Lage fortsetzt, sind sie im Juni 2009 aufgezehrt. Wenn die Ölpreise in nächster Zeit nicht wieder steigen, ist der russische Traum ausgeträumt.
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Nacht der langen Messer in der Finanzindustrie

Fefe - Und, ein Detail ist noch wichtig: Porsche hat nicht nur gesagt, sie wollen 75% von VW kaufen, sie haben gesagt, sie hätten sich die Rechte schon per Derivaten gesichert. Ich vermute mal, es handelt sich um Kaufoptionen. Solche Optionsscheine sind ein Kaufrecht einer bestimmten Aktie zu einem bestimmten Termin zu einem bestimmten Wert. Der Wert ist festgeschrieben auf dem Optionsschein. D.h. wenn der Preis der Aktie jetzt explodiert, kostet Porsche der Deal keinen Cent mehr. Der Optionsschein kostet dann ungefähr so viel wie die Differenz zwischen aktuellem Aktienkurs der Basisaktie und dem festgeschriebenen Kaufpreis. Die Herausgeber von Optionsscheinen hat aber normalerweise nicht die Basisaktie solange im Keller liegen, sondern kauft die dann halt beim Eintreffen des Termins, bzw vorher, wenn sie annehmen, dass der Preis bis dahin hoch gehen wird. Davon geht aber bei Automobilwerten niemand aus, das sind klassische zyklische Aktien, die gehen wie ne Sinuswelle zyklisch hoch und runter.
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Schwerin will Rechtsextreme von Kommunalwahlen ausschließen

Welt - Als erstes Bundesland will Mecklenburg-Vorpommern Rechtsextremisten an Kandidaturen bei Bürgermeister- und Landratswahlen hindern. Dazu soll das Kommunalwahlgesetz geändert werden, teilte Innenminister Lorenz Caffier (CDU) am Donnerstag mit. Wahlausschüsse sollen künftig bei begründeten Zweifeln an der Verfassungstreue von Bewerbern Auskünfte vom Verfassungsschutz anfordern können. Sollten sich die Zweifel bestätigen, fehle die Voraussetzung für ein Wahlamt und damit auch für die Zulassung zur Wahl. Eine Regelanfrage für alle Bewerber werde es nicht geben.
Anmerkung: Was habe ich gesagt? Es fängt schon an. Michael Schöfer schreibt auch dazu.
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Dienstag, 28. Oktober 2008

Video gegen Leiharbeitausbeutung

Fundstücke 28.10.2008

Aus Zeitmangel wieder einmal eine Sammlung Fundstücke rund um Finanzkrise und Wirtschaftssystem, die ich gerade nicht in einen Beitrag gegossen bekomme:

Sind das die Botschafter des neoliberalen Terrors?
Das zumindest sehe ich in den Leuten, die als Botschafter der Initiative neue Soziale Marktwirtschft (INSM) mit wissenschaftlicher Unterstützung des Instituts für Wirtschaft (IW) in Köln tätig sind.
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"Antikapitalist" Blüm schätzt Sodanns Mut

Welt - Peter Sodann soll nach dem Wunsch der Linken 2009 Bundespräsident werden. Doch seit der Schauspieler für das Amt kandidiert, fällt er mit bizarren Äußerungen auf. Ex-Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) kennt Sodann gut, schätzt dessen Humor und Widerstandskraft – und outet sich selbst als Antikapitalist.
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Von Sinnen
Tagesspiegel - Manager als Juden von heute: Die Banker wollen sich ihr Fehlverhalten nicht eingestehen. Wenn sie sich nicht schämen, müssen sie sich aber zumindest kritisch befragen lassen. Nicht von den Gesellschaftern, sondern von der ganzen Gesellschaft.
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Wer sich schämen muss
SZ - Ackermann hat sich seit Ausbruch der Krise immer wieder als Vorzeige-Banker inszeniert. Zwar räumte er früh auch Fehler ein, zuletzt sprach er jedoch vor allem über seine Rolle als Krisenmanager. Dabei ist es selbstverständlich, dass er als Chef des internationalen Bankenverbandes für eine Selbstregulierung der Branche eintritt. Sein via Bild-Zeitung verbreiteter Bonus-Verzicht wirkt vor allem populistisch. Der Bonus dürfte in diesem Jahr ohnehin weitaus niedriger ausfallen, außerdem kommt das Geld Mitarbeitern der Deutschen Bank zugute, nicht etwa geschädigten Steuerzahlern. Das muss auch nicht sein. Aber muss es sein, diesen Verzicht so zu inszenieren?
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"Gier ist das Wesen des Systems"

FR - Die Schriftstellerin Daniela Dahn über falsche Sündenböcke und unsere Schuld an der Krise.
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Privatisierung als Ursache der Finanzkatastrophe
TP -Cross Border Leasing wurde lange Zeit als sicheres und einfaches Mittel zur kommunalen Haushaltssanierung empfohlen. In der Krise entpuppt es sich als hochspekulatives Finanzsystem, welches die Städte nun teuer zu stehen kommt. Ein Gespräch mit dem [extern] Privatisierungsexperten Werner Rügemer.
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Helmut Schmidts Konjunkturprogramme waren besser als ihr Ruf

FTD - Der Verweis auf die 70er-Jahre fällt in der Diskussion um Konjunkturprogramme fast zwangsläufig. Angeblich seien die Versuche damals gescheitert, heißt es oft. Tatsächlich hatte es antizyklische Finanzpolitik in Deutschland traditionell immer schwer.
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Mehr Greenspan für Europa

FTD - Wo ist die Europäische Zentralbank? Die Staaten Europas engagieren sich mit unglaublichen Summen bei der Rettung der Banken, aber die oberste europäische Bankeninstanz ist auf Tauchstation. Zwar hat die (EZB) einmal die Zinsen gesenkt und damit den gravierenden Fehler der Zinserhöhung vom Sommer korrigiert, ansonsten aber gibt sie nur Liquiditätsspritzen und ruft die Staaten zu Hilfe, weil sie anderes nicht als ihre Aufgabe ansieht.
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Mercedes verdient nichts mehr

FAZ - Wenn noch Beweise gefehlt hätten, dass das Desaster der Banken auf die Fabriken durchschlägt, dann hat Daimler-Chef Dieter Zetsche die vorigen Donnerstag geliefert: „Die Finanzkrise entwickelt sich zur Wirtschaftskrise“, hat er gesagt und die Börse – zum zweiten Mal binnen weniger Monate – mit einer Gewinnwarnung schockiert. Mercedes verdient mit Autos kein Geld mehr. Im vorigen Quartal ist der Gewinn um 92 Prozent eingebrochen, die Umsatzrendite streift die Nulllinie.
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Montag, 27. Oktober 2008

Selektive Bürgerrechte?

Ich kann keine Sympathie für Rechtsextreme aufbringen und sehe es auch als meine Aufgabe an, gegen deren Gedankengut zu kämpfen. Trotzdem habe ich schon oft Position gegen ein Verbot der NPD und ähnlich gelagerte juristische Initiativen bezogen. Einige aktuelle Fälle zwingen mich aber geradezu dazu, noch einmal etwas zum Thema zu sagen.
Fall 1:
Die Post weigerte sich, 300.000 Zeitungen der rechtsextremen Gruppierung "Pro Köln" auszulieferen, die bekanntlich in Köln eine recht große Rolle spielt und als exemplarisch für die Verbügerlichung der Rechtsextremen zählen kann, die auf offenkundig rechtsextreme Symbolik bewusst verzichtet. Begründet wurde das mit "möglicherweise strafrechtlich relevanten" Behauptungen über den Kölner Bürgermeister Fritz Schramma, die in der Zeitung aufgestellt wurden.
Fall 2:
Die Initiative Nazis auslachen fordert unter anderem mit entsprechenden Videos auf, rechtsextremer Propaganda auf dem Schulhof mit Hohn und Spott zu begegnen. Man will verhindern, dass Jugendliche den Rechtsextremen zuneigen, indem man sie dadurch der Gefahr der Ausgrenzung und des Spottes aussetzt.

Ich halte von beiden Fällen ausnehmend wenig. In Fall 1 hat die Post klar ihre Befugnisse überschritten, denn es ist nicht an ihr das zu entscheiden. Gäbe es eine einstweilige Verfügung Schrammas sähe das anders aus, aber eine solche gibt es nicht, und ein "möglicher strafrechtlich relevanter" Inhalt reicht nicht. Damit kann die Post sich generell als Zensor aufspielen, mit unabsehbaren Folgen. Wehret den Anfängen!
Fall 2 ist einfach nur ein Absinken der Gegner der Rechtsextremen auf das Niveau der Rechtsextremen. Ausgrenzung und Verspottung als pädagogische Mittel? Das kann ja wohl nicht ernst gemeint sein.

In beiden Fällen werden die Bürgerrechte und Freiheiten von Mitmenschen schwerwiegend verletzt. Sie sind Rechtsextreme, ja. Aber das ist kein Grund, mit bestenfalls halblegalen Methode gegen sie vorzugehen. Wenn sie Straftaten begehen muss man sie bestrafen, derweil kann man nur mit aufegeklärten Gegenmaßnahmen vorgehen und nicht mit illegalen Zensurmaßnahmen oder Verletzungen der Menschenwürde. Dadurch macht man sich mit dem gleich, das man bekämpfen will - und was lohnt dann den Kampf noch?

Links:
Notizblog - Post verwehrt Zustellung wegen strafrechtlich relevanter Inhalte?
Lawblog - bundestag-planieren.de

Donnerstag, 23. Oktober 2008

Wer hat's erfunden? [UPDATE]

Nicht erst seit Marcel Reich-Ranickis Kritik wissen wir, dass das Fernsehen Volksverdummung ist. Sogar Oettinger hat das erkannt, als er auf das "Scheiß Privatfernsehen" geschimpft hat, und Oettinger ist nun wirklich nicht gerade der Intelligenz allzu verdächtig. Big Brother, Dschungelcamp und Co haben gezeigt, wo es hingeht mit dem Niveau der Fernsehlandschaft. Interessant ist aber, einmal nach den historischen Wurzeln dieses Schwachsinns zu suchen.
Und die findet man nicht bei den Schweizern, sondern bei den Nazis. Himmler, Goebbels und Hitler hatten für die Zeit nach dem Krieg Reality-TV geplant, um das Volk dumm zu halten, wenn man dem "Telegraph" glauben darf. Das klingt nicht unrealistisch und ist auch nicht von der Hand zu weißen, denn ich denke auch nicht dass es Zufall ist, dass das Fernsehen ein zentrales Element der Orwell'schen Diktatur aus "1984" ist.
Was könnte auch geeigneter sein, ein gesamtes Volk ruhig zu halten und von den wichtigen Fragen abzulenken, als Fernsehen? Die Nazis planten neben Einblicken in das Privatleben von Volksgenossen ("Ein Abend mit Hans und Gelli") auch Live-Streams von Hinrichtungen. Hitler wollte wohl auch direkt neben den Wäschereien Fernseher installieren lassen, damit Frauen sich berieseln lassen konnten.

According to the programme Joseph Goebbels, leader of the Nazi Party's propaganda unit, realised the potential of the visual image: "The advantage of a visual image over the audible broadcast is the audible becomes a visual image with the help of an individual's imagination, which can't be kept under control. Regardless, each will always see his own."

Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Ich weiß nicht, ob an der Story wirklich etwas dran ist - die britische Presse gräbt ja wirklich jeden Hitler-Schund aus -, aber die Parallelen sind zu offensichtlich.

Nachtrag:

Bahn-Methoden

Die Bahn hat wieder einmal einen Skandal am Hals. Passiert so selten, da kann man sich ja mal wieder einen erlauben. Dieses Mal geht es um eine Zwölfjährige, die ihr Jahresticket vergessen hatte und mit ihrem Cello fünf Kilometer durch unbeleuchtete Pampa nach Hause gehen musste, weil die Schaffnerin sie trotz des Angebots eines Mitreisenden, sie zu übernehmen, aus dem Zug geworfen hatte.
Die Bahn findet das natürlich grauenhaft und betont, dass ihr das korrekte Verhalten des Zugpersonals (das nach den internen Vorschriften Kinder nicht der Bahn verweisen darf) wichtig ist. Auch einen Blumenstrauß und ein Länderticket will man noch geben, um die Kindertränen zu trocknen. Das ist lieb. Auf welt.de läuft eine Umfrage, wie nun verfahren werden solle, mit den folgenden Auswahlmöglichkeiten:

Wie sollte die Bahn mit der Zugbegleiterin verfahren?


Eine Auswahlmöglichkeit fehlt aber. "Sie sollte ihre internen Bestimmungen verändern." Denn seit einigen Monaten bekommt das Zugpersonal Prämien für "gefangene" Schwarzfahrer, und die wäre der Schaffnerin entgangen, hätte der Rentner für das Kind übernommen. Die Prämien sind übrigens der Ersatz für die Provision beim Verkauf von Tickets im Zug, was die Bahn ja im Zuge der Offensive für Kundenfreundlichkeit nicht mehr macht. Und da Bahn-Mitarbeiter bekanntlich umwerfend gut bezahlt werden, müssen die eben solche Möglichkeiten ausnutzen. Der Mitarbeiter als eigenverantwortlicher Unternehmer, gewissermaßen.


Gefunden bei ZAF.

Dienstag, 21. Oktober 2008

Zitat des Tages

Im Moment in der Vorlesung gehört:

"Das Kaiserreich hatte mehr Meinungsfreiheit als wir heute. Mommsen konnte einen Prozess gegen Bismarck führen und gewinnen, und wenn man sich die Literatur des späten 19. Jahrhunderts ansieht erkennt man, dass die Leute damals gesagt haben was sie wollten und gestritten haben für was sie wollten. Das ging deshalb, weil es damals keine politische Korrektheit gab. Das ist heute nicht mehr möglich."
- Prof. Kolb

Gedanken zur Finanzkrise

Nach einiger Zeit der Blogpause hier hat sich vieles angesammelt. Es bietet sich an, das zu sammeln. Das mache ich hier, aufgeteilt in einige Unterpunkte. Diese behandeln den Umgang mit den verantwortlichen Politikern der Linkspartei, das Versagen der Medien, die Auswirkungen der Krise besonders auf die Demokratie und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

1) Umgang mit der Linkspartei

Sehr interessant ist der Umgang mit der Linkspartei im Zusammenhang mit der Finanzkrise. Reaktionen auf dieselbe gibt es vorrangig von Politikern anderer Parteien und aus den Medien; die wirtschaftliche Elite äußerte sich bisher überhaupt nicht zu diesem Thema, und auch gänzlich fachfremde Personen wie Günter Grass hielten zumindest bislang dankenswerterweise die Klappe. Die Reaktionen der Medien auf andere Parteien und deren Personal will ich in einem späteren Unterpunkt behandeln.

Die Linkspartei ist die einzige der fünf im Bundestag vertretenen Parteien, die bereits lange vor einer solchen Krise gewarnt und entsprechende Korrekturen vorgeschlagen hat. Sie erlitt dabei ein Kassandra-Schicksal und darf sich nun bestätigt fühlen. Doppelt gilt das für die Person Oskar Lafontaines, sowohl was die vorausgegangenen Anfeindungen angeht als auch die Positionen, denn in seinem halben Jahr als Finanzminister 1998/99 hat Lafontaine versucht, solche Regeln durchzusetzen und wurde dafür massiv angefeindet, auch und gerade aus den eigenen Reihen. Schließlich gab er auf.

Nun ist der worst case eingetreten, denn seine Befürchtungen haben sich bestätigt, seine Mahnungen sind legitimiert. Interessanterweise wird er weiterhin, von wenigen lobenswerten unten verlinkten Ausnahmen abgesehen, angefeindet, teilweise sogar heftiger als zuvor. Kaum jemand besitzt die Charakterstärke, den Irrtum einzugestehen und sich zu entschuldigen. Bei den Politikern ist das zu entschuldigen, denn sie konkurrieren mit Lafontaine um Wählerstimmen und können ihn schlecht in den Himmel loben. Aber im Fall der Medien ist das absolut nicht akzeptabel.

2) Das Versagen der Medien

Das Versagen der Medien, zumindest der großen Medien wie der FAZ oder Süddeutschen Zeitung, der BILD sowieso, bezieht sich hauptsächlich auf die opportunistische Berichterstattung. Es ist der frappanteste Punkt, und es ist auch der, der mich derzeit wirklich am wütendsten macht. Das bezieht sich nicht einmal auf den oben beschriebenen Umgang mit der Linkspartei, wo die Medien nicht die, ja, Eier haben, ihren Fehler einzugestehen (von unten verlinkten, lobenswerten Ausnahmen abgesehen). Was mich derzeit wirklich aufregt, ist das offensichtlich zutage tretende Versagen der Medien in ihrer Funktion als Vierter Gewalt, als Kontrollorgan der Regierung. Dieses spezifische Versagen hat eine lange Geschichte, doch dieser Tage fällt es so extrem auf. Vollkommen unwidersprochen können Steinbrück, Merkel und Kollegen lügen dass sich die Balken biegen, Worthülsen abgeben und Pläne vorstellen, ohne dass die Medien auch nur im Geringsten hinterfragen oder kritisch bleiben. Dazu kommt, dass auch jede Selbstkritik der Medien ausbleibt (wieder exklusiv weniger Ausnahmen).

Spezifisch sieht man das beispielsweise an der Berichterstattung über Peer Steinbrück. Er gehört wohl auf einen Spitzenplatz der Reihe der inkompetenten Finanzminister; dort darf er sich mit Hans Eichel streiten. In den Medien allerdings wird er ständig als kompetenter Krisenmanager dargestellt, der kühlen Kopf bewahrt und pragmatische Lösungen fährt. Zuvor wurde seine völlig verfehlte Finanzpolitik in den Himmel gelobt, die mit für die Krise verantwortlich war. Auch seine Rolle als Bankenkontrolleur wird nie erwähnt, hier hört man immer nur, dass Lafontaine im KfW-Verwaltungsrat saß. Für Merkel gilt dasselbe. Sie fiel bisher überhaupt nicht durch irgendwelche Pläne, Aussagen oder irgendetwas anders mit Inhalt auf, und ihre Interviews zur Krise sind gespickt von offensichtlich auswendig gelernten Allgemeinplätzen und sich widersprechenden Aussagen. Hinterfragt wird das von den Interviewern nie. Dazu kommt, dass Steinbrück und Merkel gerade ständig unwidersprochen die Mär verbreiten dürfen, dass sie schon immer für mehr Kontrolle und Regulierung waren und nur die bösen, dummen Amerikaner dagegen waren. Das ist Quatsch, und jeder Journalist müsste das wissen. Lafontaine wurden bei Anne Will Wahlkampfreden von 1994 (!) um die Ohren geklatscht, denen er heute widerspricht, Merkel und Steinbrück dürfen eine konträre Position zu ihren Aussagen von sechs Wochen als ihre genuine ausgeben, und die Journalisten bedanken sich noch brav.

Dass die Medien selbst genau das gleiche taten macht die Sache nicht besser. Noch vor kurzem waren sie alle voll auf der neoliberalen Schiene, jetzt plötzlich wussten sie es schon alle immer. Keine Spur von Selbstkritik. Man kann gar nicht so viel fressen wie man kotzen möchte.

Wer ein Beispiel sehen will für das totale Versagen der Medien kann sich die unten verlinkte Anne-Will-Sendung ansehen. So parteiisch wie hier war Anne Will selten, und die Sendung ist nicht gerade arm an parteiischen Skandalen. Alle, die etwas interessantes zu sagen haben, kommen kaum zu Wort, stattdessen darf Volker Kauder unterstützt von Roland Berger und Anne Will Propaganda betreiben. Furchtbar.

3) Auswirkungen der Krise auf die Demokratie

Dass das Versagen der Medien bereits schlimme Auswirkungen auf die Demokratie hat, dürfte klar sein. Doch das ist nicht das einzige. Die Regierung hat beispielsweise mit ihrem Rettungspaket – anders als die amerikanische, die auf entschiedenen Widerstand stieß – demokratische Regeln mir nicht, dir nichts außer Kraft gesetzt, bejubelt von der Presse. Das Gesetz wurde an Bundestag, Bundesrat und Volk einfach vorbeigepeitscht. In den Medien heißt es, die Regierung sei so pragmatisch, so effizient, warum könne sie das nicht öfter – man freut sich darüber, dass die Regierung einfach ihre Kontrollinstanzen außer Kraft setzt. Kein Problem, schließlich hat sich die Kontrollinstanz der „Vierten Gewalt“ bereits freiwillig selbst außer Kraft gesetzt.

Doch das ist nur das eine. Die Krise zeigt auch wieder einmal, welche Macht eigentlich die Finanzelite auf das ganze Land hat. Offen wird die Bundesrepublik von einem kleinen Kreis von Bankern erpresst, deren Banken sich so heftig verspekuliert haben, dass man sie die Kosten ihrer Spielsucht nicht alleine tragen lassen kann. Geld, das anderweitig viel bessere Effekte haben könnte, muss nun diesem – man kann es nicht anders sagen – raffgierigen Pack in den Rachen geworfen werden, damit nicht alles zusammenbricht. Aber keine Bange, im gleichen Atemzug, wie staatliche Hilfen in Anspruch genommen werden, warnt man auch gleich wieder vor staatlicher Überregulierung und will am liebsten alles halten wie zuvor. Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren – und niemand leistet Widerstand. Wie auch, alle die es tun können sind ausgeschaltet, bejubelt von den Medien. Die Demokratie ist faktisch abgeschafft.

4) Wirtschaftliche Rahmenbedingungen

Seit Jahren warnen wir Linksliberale (Sozialmarktwirtschaftliche) vor der ungezügelten Macht der Finanzmärkte, reden von Tobin-Steuer und Bankenaufsicht. Wir wurden beschimpft und belächelt. Nun ist die Krise da, und das ist kein Wunder. Krisen sind im Kapitalismus systemisch. Nur plötzlich ist die Idee des sich selbst heilenden Marktes passé. Der Staat soll es richten, teilverstaatlichen und Stützkäufe durchführen. Das ist vernünftig, gewiss. Das Renditedenken hat die Welt an den Rand des Abgrunds geführt, und es ist Zeit, dass man sich wieder auf die Realwirtschaft konzentriert und die wuchernde Finanzwirtschaft in ihren Dienst zu stellen statt umgekehrt. Vorschläge dazu gibt es genug, man muss sie nur umsetzen.

Links

Die Neunmalklugen - was bleibt von der Ideologie?

Wann kommt die Bankrotterklärung der Vierten Gewalt?

Die 70-Milliarden-Boni-Bonanza

Demokratie in der Krise

Der Kapitalismus besiegt den Staat

Sicherheitsrisisko Bundesbank

Mehr Kapitalismus

Interview mit Heiner Geißler

Nach der Krise ist vor der Rezession

Die Welt neu zusammensetzen

Anne Will 12.10.2008

Schulden für alle

Steinbrücks Banker-Drohung zum Scheitern verurteilt

Sonntag, 19. Oktober 2008

Fundstücke 20.10.2008, 11.16 Uhr

Studiengebühren schrecken ab
Tagesschau - Studiengebühren schrecken einer Untersuchung zufolge viele junge Menschen vom Studium ab. Laut der Studie, die vom Bundesbildungsministerium in Auftrag gegeben worden war, haben allein vom Abiturienten-Jahrgang 2006 bis zu 18.000 junge Menschen wegen der neuen Gebühren kein Studium aufgenommen. Das Papier wird vom Ministerium unter Verschluss gehalten, liegt nun aber nach eigenen Angaben der Deutschen Presse-Agentur dpa vor.
Anmerkung: Nein, wie überraschend.
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Was bleibt von der Ideologie?
ZEIT - Nach so viel Gehirnwäsche können wir uns glücklich schätzen, dass es uns noch möglich ist, eine echte Krise zu erkennen, wenn wir sie vor der Nase haben. Und wir können lernen von all denen, die in den vergangenen, effizienzbesoffenen Jahren besonders out waren: Von den Schülern altsprachlicher Gymnasien zum Beispiel, die ihren marktgetrimmten Altersgenossen immer schlechter erklären konnten, wozu Latein und Griechisch denn gut seien. Von den AOK-Versicherten, die darauf beharrten, durch ihren hohen Krankenkassenbeitrag ärmere, ältere, kränkere Patienten mitzufinanzieren. Von den Leuten, die sagen: Bei aller Liebe, ein Museum kann nicht nur ein Profitcenter sein. Von denen, die bis heute nicht verstanden haben, warum es eine marktwirtschaftliche Pflicht sein soll, die Stadtwerke deutscher Großstädte an chinesische Investoren zu verkaufen. Von Lehrern, die nicht glauben, dass sie ein Produkt herstellen – sondern, dass sie Kinder erziehen. Von all diesen Menschen könnten auch die Marktradikalen etwas lernen: dass eine Gesellschaft andere Kraftquellen hat und andere Kraftquellen braucht als nur den Profit. Wenn sie es lernen würden, ließe sich einfacher darüber diskutieren, wie der Kapitalismus aussieht, den wir haben wollen.
Anmerkung: Lesebefehl!
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Wenn sich der Bock zum Gärtner macht
TP - Das Rettungspaket für die Finanzbranche steht und trat dieses Wochenende in Kraft. Was von der Politik rhetorisch als Rückkehr des starken Staates kommentiert wird, ist jedoch ein intransparentes Werk, das so auch aus der Feder der Finanzwirtschaft stammen könnte. Kein Wunder, der federführende Autor des Gesetzes gilt als Mann der Finanzbranche.
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Die 70-Milliarden-Boni-Bonanza
FTD - Trotz des Finanzchaos an der Wall Street streichen die Banker nach einem Zeitungsbericht noch immer milliardenschwere Bonus-Zahlungen ein. Bei Morgan Stanley könnten sich die Mitarbeiter für ihr Gehalt sogar die ganze Bank kaufen.
Anmerkung: Wie viele Beweise braucht es noch, dass dieses System verrottet ist?
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Wann kommt die Bankrott-Erklärung der Vierten Gewalt?
TP - Der ehemalige Stern-Chefredakteur Michael Jürgs kritisierte in der [extern] FAZ "das Regime der Flanellmännchen", also der Controller. Doch dies greift zu kurz. Wir haben nämlich oftmals nicht penibel aufgeschrieben, wie viele Stunden es uns gekostet hat, Studien und Fachaufsätze zu lesen. Aber: nur, wer mehr weiß, als der Konzernvertreter/Politiker und sein PR-Mann, der kann auf Augenhöhe mit Experten sprechen und wirklich Missstände aufdecken oder Schönfärberei als solche entlarven. Die alten Doyens des "Spiegel", die inzwischen leider in Rente sind, haben so gearbeitet. Das klingt nur nicht so sexy, und so hat mancher Kollege deshalb mehr mit "Geheimpapieren" angegeben als mit der eigentlichen Arbeit: stundenlangem Lesen. Kämen heute die Reporter, die den Watergate-Skandal aufdeckten, mit ihren Analysen aus der Library of Congress in die Redaktion eines deutschen TV-Magazins, sie bekämen zu hören: Wer soll denn das alles lesen?
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Demokratie in der Krise
Tagesspiegel - Die deutsche Politik darf sich von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann verhöhnt fühlen. Und ein Bürger, der herausfinden will, welche Bank wie viel Hilfen bekommt, ebenfalls.
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Der Kapitalismus besiegt den Staat

taz - Ob Commerzbank oder Deutsche Bank - sie werden jetzt behandelt wie Spione des Bundesnachrichtendienstes. Höchste Geheimhaltung! Das Volk soll zwar für Milliardensummen bürgen, aber welche Bank konkret profitiert, das soll nicht einmal das ganze Parlament erfahren dürfen. Warum diese Scheu? Andere Länder sind viel auskunftsfreudiger. In der Schweiz weiß man bis ins letzte Detail, wie die UBS gerettet wurde. In den USA ist genau bekannt, welchen Großbanken staatliches Eigenkapital aufgenötigt wurde. Und transparent ist auch die Teilverstaatlichung in Großbritannien. Nur in Deutschland wird so getan, als wäre der geheiligte Standort bedroht, falls sich herausstellen sollte, dass die Deutsche Bank oder die Commerzbank nicht ohne Staatshilfe überleben kann.
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Sicherheitsrisiko Bundesbank

FTD - Die Unabhängigkeit der EZB ist nur geliehen. Sie wurde ihr von den EU-Staaten und dem EU-Parlament durch den Maastricht-Vertrag gegeben. Dieser Vertrag kann durch den Souverän jeder Zeit geändert werden. Den Pakt im Krisenfall mal eben außer Kraft zu setzen, wie jetzt geschehen, kann jedenfalls nicht europäische Praxis werden. So wenig wie die Goldreserven der Bundesbank dieser selbst gehören, sondern dem deutschen Volk, genauso wenig können sich die selbstverliebten Notenbanker der EZB mit ihrer Geldpolitik auf Dauer abseits der vom Souverän legitimierten Politik stellen.
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Mehr Kapitalismus wagen

FTD - Der Versuch der US-Regierung, im letzten Moment doch einmal Nein zu sagen, hat deshalb erst recht wie ein Brandbeschleuniger gewirkt: Seit Washington sich am 15. September entschloss, eine Pleite der großen Investmentbank Lehman Brothers sehenden Auges hinzunehmen, eskalierte im Finanzsystem eine Vertrauenskrise, die uns an den Rand einer Wirtschaftskatastrophe getrieben hat. Den Regierungen bleibt nun erst einmal gar nichts anderes übrig, als billionenschwere Katastrophenabwehr zu leisten. Trotzdem muss jedem klar sein, dass damit auf Dauer noch viel größere Risiken heraufbeschworen werden.
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"Lafontaine wird unterschätzt"

FAZ - Heiner Geißler war Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit, Generalsekretär der CDU und gilt als „linkes Gewissen“ in der Union. Im Gespräch mit FAZ.NET erläutert der 78-Jährige, warum der Kapitalismus am Ende ist, welche Schlussfolgerungen die Politik aus der Finanzkrise ziehen muss - und warum man an der Linkspartei nicht mehr vorbeikommt.
Anmerkung: Lesebefehl!
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Nach der Krise ist vor der Rezession

FTD - Auf den drohenden Bankenkollaps hat die Bundesregierung mit atemberaubenden Entscheidungen reagiert. Die Frage ist, ob das reicht, um den zweiten drohenden Kollaps zu verhindern: den Absturz der realen Wirtschaft. Und ob die Regierung darauf vorbereitet ist, was auf den Rest der Republik derzeit zukommt. Noch orakelt die Kanzlerin, dass es "nicht zu einem "dauerhaften Konjunktureinbruch" komme. Oder dass die "Unternehmen krisenfest aufgestellt" seien. Das lässt befürchten, dass Angela Merkel das Debakel unterschätzt, das da derzeit naht. Alle Erfahrungen und aktuellen Krisensignale lassen darauf schließen, dass dem Rettungspaket für die Banken möglichst rasch ein Rettungspaket für den Rest des Landes folgen sollte. Sonst kann aus dem Abschwung schon in ein paar Wochen ein wirklich verheerender Absturz werden.
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Die Welt neu zusammenzusetzen
Tagesspiegel - Das Geschäft der Banken ist im Grundsatz seit jeher krisenanfällig. Denn sie borgen sich Geld bei Sparern und Anlegern und verleihen dieses weiter in Form von Krediten für Unternehmen und Haushalte. Oder sie investieren es in Wertpapiere aller Art, die ihrerseits zur Finanzierung von Unternehmen dienen. Aus der Differenz zwischen dem Zins für das aufgenommene Geld und dem für die vergebenen Kredite erzielen sie ihren Gewinn. Geraten aber die Kreditnehmer einer Bank in Zahlungsnot oder werden ihre Wertpapiere unverkäuflich, kann auch das Geldhaus selbst schnell in Schieflage geraten, wenn es seinen Kunden deren Geld nicht zurückzahlen kann. Weil die Kredite zumeist auf lange Frist vergeben werden, während die aufgenommenen Spargelder eher kurzfristig abrufbar sind, muss jede Bank unbedingt vermeiden, dass ihre Einleger an der Sicherheit ihrer Spareinlagen zweifeln. Wenn alle gleichzeitig ihr Geld zurückfordern, ist jede Bank sofort pleite.
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"Wir sind nicht der Kanzlerwahlverein"

Tagesspiegel - SPD-Vize Andrea Nahles im Interview über den personellen Neustart der SPD mitten in der Finanzkrise.
Anmerkung: Was Nahles Wendehals von sich gibt, ist einfach unglaublich.
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Montag, 13. Oktober 2008

Fundstücke 13.10.2008

Abbitte
FR - Das heutige Feuilleton beschäftigt sich mit nichts anderem als mit der Krise. Das muss auch mal sein. Fanden wir. Auch aus moralischen Gründen. Ich habe noch im Ohr, wie Gerhard Schröder über Oskar Lafontaine höhnte, der bilde sich ein, er könne dem internationalen Finanzkapital Fesseln anlegen. Ich habe es auch deshalb im Ohr, weil ich fand, dass Schröder recht hatte. Lafontaine erschien mir als ein kleiner Mann, der seine Fäustchen ballte und sie gegen Leute erhob, die mit dem Bruchteil ihres Jahreseinkommens die ganze SPD hätten aufkaufen können. Sein Fäusterecken hatte etwas Lächerliches. Aber Lafontaine hatte Recht. Er hatte Recht nicht nur in der Analyse. Der Weg in die Katastrophe hatte begonnen mit der Entfesselung des Finanzkapitals. Jetzt aber rufen die Banker selbst nach dem Staat. Sie wünschen ihn sich groß und stark mit kräftigen Zähnen, damit er sie retten möge aus den Schlünden der drohenden Depression. Oskar Lafontaine aber hassen sie jetzt auch noch dafür, dass er Recht hatte.
Anmerkung: Lesebefehl!
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Freitag, 10. Oktober 2008

Blogpause bis Montag

Hallo Freunde,
ab 16 Uhr heute bis Sonntag abend/Montag früh werde ich nicht einmal ansatzweise in der Nähe eines Internetzugangs sein. Ich empfehle euch bis dahin wie üblich die Kollegen in der Blogroll, und weil ich partout nicht dazukomme diese endlich einmal zu aktualisieren, macht doch ein wenig Blogsurfing und folgt den Querlinks von Blog zu Blog - da findet ihr immer die eine oder andere Perle.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
euer Oeffinger Freidenker

Fundstücke 10.10.2008, 12.04 Uhr

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Anwalt für Hartz-IV-Empfänger soll deutlich teurer werden
Welt - Die Rechtsberatung für Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger soll eingeschränkt werden. Bisher übernahmen Anwaltskosten meist die Länder. Nur eine geringe Eigenbeteiligung war fällig. Die soll erhöht werden, außerdem will man Einzelfälle stärker prüfen. Der Grund: Seit die Hartz-IV-Gesetze eingeführt wurden, ist die Zahl der Klagen von Hartz-IV-Empfängern stark gestiegen.
Anmerkung: Zwei Dinge. Erstens: seit der Einführung von Hartz-IV sind die Klagen dagegen stark gestiegen. Wow. Nach der Einführung des Autos wurde vermutlich auch mehr Auto gefahren als davor. Danke. Zweitens: Diejenigen, die solche Gesetze verbrechen, gehören endlich aus ihren Ämtern entfernt, angeklagt und bestraft. Abgesehen davon, dass es einfach nur absolut widerlich und unmenschlich ist (mir fehlen wirklich die Worte dafür), werden hier die Folgen eigener Fehler auf die Opfer abgewältzt. Wer hat denn eine nutzlose, schädliche und handwerklich fehlerhafte Reform verbrochen, die Leute in Armut stürzt? Waren das vielleicht diejenigen, die arm geworden sind? Müssen sie bestraft werden? Wie wäre es mit einem alternativen Gesetzesvorschlag: alle Politiker, die 2004 für die Einführung der Hartz-IV-Gesetze gestimmt haben, müssen die Anwaltskosten für erfolgreiche Klagen selbst übernehmen. Da würden Ursache und Wirkung endlich mal zusammenpassen. Manager-Bashing ist ja grade groß in Mode, aber vielleicht sollte man auch einmal diejenigen zur Verantwortung ziehen, die sich haben bestechen und einlullen lassen und das Parlament zu dem moralisch verkommensten Haufen der ganzen Republik gemacht haben.
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Hartz-IV für blöde Banker!
FTD - Aber dann müssen die Verantwortlichen mit ins Risiko. Zwar entsprechen selbst die riesigen Vermögen derjenigen, die sich in den vergangenen fünf Jahren in "verantwortlicher" Position die Taschen vollgemacht haben, bei weitem nicht den Verlusten, die sie verursacht haben. Aber was hätten sie gemacht, hätten sie gewusst, dass sie in einer Situation, wie wir sie nun erleben, alles verlieren würden? Sie hätten ihre bisherige Haltung nicht mehr als rational verstanden. Sondern als persönlich brennend gefährlich. Für sich selbst, ihre Familien, ihre Erben.
Es braucht wieder echte Rationalität im System. Und eine entsprechende Regulierung. Die kann nur lauten: Wer sich so verhält, wie es viele Bankmanager in den vergangenen fünf Jahren getan haben, muss mit dem Risiko einer persönlichen Totalpleite konfrontiert sein. Nur so entsteht eine Logik, die das Wohl der Bank und das Wohl der Allgemeinheit vereint. Deshalb kann das Ziel einer künftigen Regulierung nur lauten: Macht logisches Verhalten sozial kompatibel - per persönlicher Haftung. Oder einfach ausgedrückt: Hartz IV für blöde Banker!

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Krieg dem Pöbel! Die neuen Unterschichten in der Soziologie deutscher Professoren
NDS - Die Entdeckung der „neuen Unterschicht(en)“ zu Beginn des neuen Jahrtausends ist kein so­ziologisches, kein wissenschaftliches Datum, sondern das Produkt einer der politischen Pro­paganda dienenden „öffentlichen Soziologie“, in der einige Wissenschaft­ler - vor allem Paul Nolte und Heinz Bude - als professorale Autoritäten, aber auch als akti­ver Teil einer publizistischen Welle fungieren. Diese hat in Deutschland nicht zufällig im Jahr 2004 einen Höhepunkt erreicht: Sie begleitete und legitimierte die Einführung von „Hartz IV“: die Abkehr vom bis dahin dominierenden sozialstaatliche Ziel der Statussicherung hin zum Ziel der Existenzsicherung.
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"Die Politik hat eine strengere Managerhaftung verhindert"
Handelsblatt - In Deutschland gibt es einen großen Unterschied zwischen der Binnen- und der Außenhaftung. Manager in Deutschland haften lediglich gegenüber ihres Unternehmens, nicht gegenüber Dritten - anders als in den USA. Aus Sicht der Manager ist die Binnenhaftung ein zahnloser Tiger. Und ein Gesetz zur Außenhaftung kam bis heute nicht zustande.“
HH: Warum nicht?
„Die offizielle Begründung lautete 2004: Grundlichkeit geht vor Schnelligkeit. Auf diese Gründlichkeit warten wir bis jetzt. Daher ist es durchaus interessant, wenn sich vor allem SPD-Politiker über das Verhalten von Managern beschweren und strengere Gesetze fordern, sie haben das damals verschleppt. Zum Hintergrund: Damals war Heinrich von Pierer Berater der Regierung und es ist kein Geheimnis, dass er sich gegen ein Gesetz zur Außenhaftung ausgesprochen hat. Aus gutem Grund, wie wir heute wissen.“

Anmerkung: Es ist wirklich dermaßen ärgerlich! Vor vier Wochen hätte das Handelsblatt über derartige Kritik noch ätzend über Linksromantik gelästert und betont, wie wichtig die fehlende Haftung ist und wie richtig. Einsicht in die eigenen Fehler wäre wirklich wünschenswert.
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Aus der Not gewuchert
Handelsblatt - Gerade übernimmt ein neuer Bischof feierlich das Amt in der evangelischen Kirche Oldenburg. Da platzt die schlechte Nachricht herein: Das Vermögen, das die Landeskirche zum großen Teil aus Grundstücksgeschenken der Bauern angesammelt hat, war teilweise in Bonds und Derivate der pleitegegangenen US-Investmentbank Lehman Brothers investiert. Die Landeskirche mit ihren 123 Kirchengemeinden von Cloppenburg über Vechta bis Wilhelmshaven muss rund 4,5 Millionen Euro abschreiben.
Anmerkung: Noch vor zwei Monaten erschien in der SZ ein euphorischer Artikel über einen Mönch, der ein Kloster zum rentablen Unternehmen gemacht hat und das Geld in Aktien anlegt, auch in hochspekulative Fonds. Wie mutig, wie fortschrittlich! Abgesehen davon, dass die Kirche damit ihr eigenes karikatives Werk ad absurdum führt - man verdient mit Heuschrecken das Geld für Suppenküchen um die Opfer der Heuschrecken zu nähren - war das wohl wirklich der größte Quatsch aller Zeiten. Und überall tun die Herren und Damen Journalisten so, als hätten sie es immer schon gesagt, getreu dem Motto: Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an.
"Bundesregierung hat Krise verschärft"
taz - Aber es ist ein Treppenwitz des Geschichte, dass in der Wall Street, der Hochburg des Kapitalismus, die Verstaatlichung der letzte Rettungsanker ist. Man darf das aber nicht mit Sozialismus verwechseln. Sozialismus ist nicht die Verstaatlichung bankrotter Banken, sondern eher die Organisation des Geldkreislaufs in öffentlicher Verantwortung. Wir können ja wirklich froh sein, dass wenigstens ein Teil der Kreditwirtschaft noch in öffentlicher Hand ist. Vor ein, zwei Jahren war ja die Linkspartei die einzige, die die Privatisierung der Sparkassen abgelehnt hat. Heute sehen wir mit Heiterkeit, wie die anderen die Sparkassen loben.
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"Die Philosophien der Deregulierung und des Neoliberalismus in den westlichen Ländern sind tot"
Tagesspiegel - Eines ist sicher, die Philosophie der Deregulierung ist tot. Die Amerikaner werden sagen: okay, wenn wir die Banken und das Finanzsystem retten, dann wollen wir in Zukunft eine Aufsicht haben, damit das nicht wieder passiert. Halten Sie sich einmal vor Augen: das hat sich nun alle paar Jahre wiederholt - denken Sie an die Krise der Sparkassen Ende der 80er, die Aktienblase der 90er, Enron, Long Term Capital Management und so weiter und so fort. Diese Leute haben uns doch jedes Mal die Pistole an den Kopf gesetzt, das ist schlicht Erpressung. Die Steuerzahler werden fordern, dass damit Schluss ist. Aber ich kann diese Leute jetzt schon hören, wie sie dem Kongress einflüstern, er möge nicht überreagieren, Innovation müsse auch in Zukunft möglich sein, damit sie weiter handeln können wie bisher. Eine Zeit lang werden die Banken konservativer sein, die Kreditvergabe weniger lax. Dann kommt eine neue Generation von Bankern, die wieder "dynamischer" sein will und nach höheren Gewinnen strebt. Das Ganze beginnt dann wieder von vorn, wenn wir nicht Schluss machen damit.
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Serientäter Bundesbank
FTD - Das Drama ist: Zur Zinserhöhung vom Juli haben im Rat der Euro-Bank die Deutschen gedrängt. Und: Keine andere Währungsbehörde hat einen so erschreckenden Hang, in Finanzkrisen danebenzuliegen, wie die Bundesbank - mit stets weitreichenden Folgen. Vielleicht wäre es an der Zeit, auch (deutsche) Währungshüter künftig stärker zu kontrollieren.
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Sozialismus im Grundgesetz
SZ - Kein Überbleibsel aus der DDR: Im Grundgesetz befasst sich ein Artikel mit Vergesellschaftung - und verdeutlicht das wirtschaftliche Spektrum, das in Deutschland möglich wäre.
Anmerkung: Sehr schöner Hintergrundartikel.
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Heikle Verspätung
FTD - Es wird nicht lange dauern, bis auch Vertreter der Regierungsparteien der Versuchung erliegen, den Börsengang infrage zu stellen. Dann droht ein bizarres Bündnis aus panischen Märkten und Mahnern. Und ein großer Fehler.
Ohnehin sollen nur 24,9 Prozent der Transport- und Dienstleistungssparte verkauft werden. Potenzielle Investoren haben daher keine Möglichkeit, wichtige Entscheidungen zu blockieren. Bräche jetzt erneut eine Grundsatzdebatte aus, würde das wohl viele Interessenten dauerhaft verscheuchen. Zu deutlich wäre das Signal, dass der Konzern ein Spielball politischer Interessen ist und bleibt.

Anmerkung: Halte ich für falsch. Die Privatisierung voranzutreiben, das wäre ein schlimmer Fehler. Die Bahn als börsennotiertes, privatisiertes Unternehmen macht überhaupt keinen Sinn. Man sollte stattdessen Mehdorns Logistikkonzern vom Bahngeschäft trennen und dort wieder darauf achten, dass die Bahn ihrem Daseinszweck nachkommt. Davon abgesehen sind die "nur 24,9%" eine Nebelkerze. Siehe auch:
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Auf schlichten Gleisen
FR - Welcome back to reality, Herr Mehdorn. Die Finanzkrise und der nun verschobene Börsengang der Deutschen Bahn bergen eine Chance zur Rückbesinnung auf die banale Frage: Was verlangt die Gesellschaft eigentlich von der Bahn? Und nicht: Wie scheffle ich den größten Gewinn? Auf diese Frage hat die Politik keine Antwort, die meisten Politiker haben sie sich nicht einmal gestellt. Sie haben den Bahnmanager einfach machen und sich von schönen Bilanzen einlullen lassen. Es wird Zeit, dass die Bahn einen anderen Stellenwert bekommt: Sie soll möglichst viele Menschen transportieren, sie soll das Auto so überflüssig wie möglich machen und nicht zum Ersatzflugzeug werden.
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Verleger rüsten gegen Amazon auf
FTD - Die Verleger geben sich optimistisch - und schließen ein Ende des gedruckten Buches aus: Die "schmerzhaften Erfahrungen der Musikindustrie" ließen sich auf die Buchbranche nicht "eins zu eins übertragen", sagt Stefan Lübbe: Zwar müssten sich die Verleger "auf neue Trägermedien einstellen". Dennoch gelte: Wer ein Lied oder einen Film herunterlade, müsse seine Konsumgewohnheiten nicht ändern, so der Verleger: "Jemand, der 1200 Seiten ,Krieg und Frieden‘ auf dem Bildschirm liest", hingegen schon.
Anmerkung: Der Datenschutz ist, wie üblich, bei dem ganzen technologischen Hokuspokus nicht geklärt.
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Donnerstag, 9. Oktober 2008

Fundstücke 09.10.08, 20.14 Uhr

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Die Wacht am Rubikon
Spiegelfechter - Zum Glück haben die GröKaZ ihre absolute Macht durch Niederlagen der sogenannten Volksparteien bereits eingebüßt. Für eine Verfassungsänderung benötigen sie nicht nur die 2/3 Mehrheit des Bundestages, sondern auch die 2/3 Mehrheit des Bundesrates – dies wären 46 der insgesamt 69 Stimmen. Die Bundesländer, in denen die GröKaZ entweder alleine oder gemeinsam regieren, bringen es jedoch zusammen nur auf 41 Stimmen. Die Zustimmung mindestens eines Bundeslandes mit Regierungsbeteiligung einer Oppositionspartei wäre also nötig, um das Gesetz durch den Bundesrat zu bringen. Die GRÜNEN sind im Senat der Hansestädte Bremen und Hamburg vertreten, die zusammen sechs Stimmen im Bundesrat haben. Leitende Politiker der GRÜNEN haben aber eine Zustimmung zur Gesetzesänderung im Bundesrat bereits ausgeschlossen. Die vier Stimmen des Landes Berlin werden laut Äußerungen des SPD-Innensenators Körting sogar gegen die Gesetzesänderung stimmen. Auch in der SPD ist der Verfassungsbruch umstritten. Die Entscheidung liegt somit bei den Ländern, in denen die FDP mit an der Regierung beteiligt ist. Dies sind Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit jeweils sechs Stimmen im Bundesrat. Die FDP-Vorsitzenden dieser Länder haben sich allerdings bereits öffentlich gegen eine Zustimmung ausgesprochen. Wenn keines der genannten Bundesländer umkippt, wird das Gesetz am Widerstand des Bundesrates scheitern und das ist gut so. Mit der Wahlschlappe in Bayern und der möglichen Rot-Rot-Grün Koalition in Hessen droht die Große Koalition sogar die einfache Mehrheit im Bundesrat zu verlieren. Dies ist ein Sieg der Demokratie. Es kommt zwar selten vor, dass LINKE, GRÜNE und FDP sich in einer Frage einig sind, aber gerade beim Thema Bürgerrechte eint diese Parteien doch mehr, als sie trennt. Auch unter diesem Gesichtspunkt kommt der Diskussion um eine Links-Tolerierung in Hessen eine besondere Rolle zu. Hessen wäre das entscheidende Mosaiksteinchen, um die gesetzgebende Mehrheit der Großen Koalition im Bundesrat zu torpedieren.
Anmerkung: Lesebefehl!
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"Konsum lenkt die Menschen ab"
SpOn - Der amerikanische Linksintellektuelle Noam Chomsky über die Krise des Kapitalismus, die Rhetorik Barack Obamas und die Rolle der Religion in der US-Politik.
Anmerkung: Lesebefehl!
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Amtshilfe per Schützenpanzer
Freitag - Neben verfassungsrechtlichen Bedenken sprechen auch praktische Erwägungen gegen dieses Vorhaben. Unverkennbar leistet es der Militarisierung der inneren Sicherheit Vorschub. Schleichend, Schritt für Schritt, droht das Militär das Zivile zu usurpieren. Statt einer dringend gebotenen "Verpolizeilichung" des Militärs kommt es zu einer fortschreitenden Militarisierung der Polizei. Tendenziell verdrängt wird die bislang geltende strikt zivile Logik des Polizeieinsatzes durch die Bedingungen, die ein militärischer Einsatz notgedrungen mit sich bringt. Dies ist vor allem deshalb ein Grund zur Sorge, weil der Gebrauch polizeilicher Gewalt ausnahmslos dem Prinzip der Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegt, während das Militär gemeinhin einen eigentümlichen Hang zu exzessiver Gewalt aufweist.
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Profite mit Krediten
jW - Weil Hedgefonds auf risikoreiche, exotische und gegen den Haupttrend gerichtete Anlagen setzen, sind sie als Anlagen für Witwen und Waisen nicht zugelassen. Versicherungen dürfen in Hedgefonds auch heute nur mit kleinen Quoten investieren. Diese Art Anlage ist also nicht für das breite Publikum gedacht, sondern richtet sich an Personen und Institutionen, die große Beträge übrig haben. Sie sind fast immer als geschlossene Fonds konzipiert. Es werden, anders als bei offenen Publikumsfonds, nach dem Einsammeln der Gelder keine weiteren Investments in den Fonds zugelassen. Wichtiger ist noch, daß das in den Fonds gesteckte Geld in der Regel auch für einen längeren Zeitraum festgelegt ist und nicht vorfristig wieder zurückgegeben werden kann. Die Regeln ermöglichen es den Hedgefonds-Managern, viel flexibler mit den ihnen anvertrauten Mitteln umzugehen. Sie treten am Kapitalmarkt wie Raubritter überraschend auf und verschwinden auch ebenso plötzlich.
Anmerkung: Sehr interessanter Hintergrundartikel.
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Wenn's ums Geld geht
FTD - Zocken war gestern, heute zählt Sicherheit. Die ersten Investmentbanker retten ihre Ersparnisse - ausgerechnet auf Konten der Sparkassen.
Anmerkung: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff.
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Die langen Schatten des Schwarzen Freitag
Freitag - Ohne aus der 1929 in den USA einsetzenden Finanzkrise, der eine Krise der realen Wirtschaft folgte, unmittelbare Schlüsse für die heutige (Noch-)Finanzkrise ziehen zu wollen, lässt sich aus Hoovers vergeblichen Bemühungen doch resümieren, dass staatliche Intervention in Form von Finanzspritzen an Banken und Unternehmen allein nicht ausreicht, die Krise zu bewältigen. Statt Hoovers Spontanhilfen waren es die Aufsicht und Kontrolle besonders betroffener Wirtschaftsbereiche und die mittelfristige Abkehr von der neoliberalen Wirtschaftspolitik, die Roosevelt den Erfolg brachten. "Wunder" im Sinne der Wiederherstellung der ökonomischen Prosperität, wie sie die USA in den neunziger Jahren erlebte, sind allerdings auch davon nicht zu erwarten.
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Bundesregierung glaubt noch an Markt
taz - Das schlimme Werkzeug aus der Folterkammer des Kommunismus erfreut sich neuerdings großer Beliebtheit. Viele Politiker, denen man es nie zugetraut hätte, können mittlerweile der Verstaatlichung von Banken etwas abgewinnen. Selbst EU-Kommissar Günter Verheugen, der einst der liberalen FDP angehörte, schließt diese Möglichkeit nicht mehr aus. In den USA, in Island und in Großbritannien haben die Regierungen bereits Banken sozialisiert.
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Domino mit Steinbrück
Freitag - Die gegenwärtige Krise bringt nicht nur Banken an den Rand des Einsturzes. Das finanzkapitalistische Beben rüttelt auch am wirtschaftsliberalen Glauben. Beherzt wird nach dem Staat gerufen, Regulierung und Kontrolle gehören zum neuen Standardrepertoire einer politischen Szene, deren Gebetsmühle eben noch in die Gegenrichtung lief. Das ist die gute Nachricht der Krise. Die schlechte: Die Politik stolpert den Ereignissen hinterher, kaum in der Lage, den Märkten tatsächlich Paroli zu bieten.
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Anlagetipps von Glos und Steinbrück
TP - Vor allem in Zeiten von Börsencrashs kann es hochinteressant sein, sich die Wirtschaftsteile der Zeitungen aus den letzten Wochen noch einmal durchzulesen. Zum Beispiel den Artikel "Blutige Anfänger" in der Wochenzeitung Die Zeit. Dort versammelten Christoph Hus und Olaf Wittrock mahnende Äußerungen von Politikern und Wirtschaftsführern, die betonten, wie wichtig der massenhafte Aktienkauf sei.
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Gedrängt und getrieben
Freitag - Der Tatbestand der Erpressung ist unübersehbar, erst betreiben die Banken ihre Geschäfte ohne staatliche Kontrolle, und wenn dann durch eine Mischung aus Missmanagement und Spekulation der Zusammenbruch droht, ist der Staat gefragt. Man hat den Eindruck, dass diejenigen, die so handeln, eines genau wissen: Wenn ihnen der Kollaps droht, müssen sie gerettet werden, weil sie strategisch einen derartigen Stellenwert besitzen.
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Die Tabubrüche der Retter
FTD - Mehr als ein Jahr dauert die Finanzkrise nun schon an, und sie wird immer heftiger. FTD.de gibt einen Überblick über die Kuriositäten der Krise.
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Schwarzer Montag, schwarzer Dienstag, ...
TP - Eine europäische Lösung lehnte Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) weiter ab. "Wir wollen in Deutschland die Kontrolle und Zugriffsmöglichkeiten haben, wenn wir mit Haushaltsmitteln, also auch mit Steuergeldern, in einer Bürgschaftsposition stehen", stellte der Finanzminister klar. Dem pflichtete auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Regierungserklärung bei. Sie betonte die Notwendigkeit eines gemeinsamen und kohärenten Vorgehens in der Europäischen Union. Doch mit dem Alleingang mit der Komplettgarantie für private Spareinlagen hatte sie den Mitgliedsländern erst am Sonntag massiv vor den Kopf gestoßen (Auch Europa versucht, seine Banken zu retten). In einem europäischen Binnenmarkt stelle sich in dieser Situation die Frage, wie nationale Aktionen mit europäischen zu verzahnen seien, sagte Merkel. "Darauf müssen wir uns in Europa verlassen können", sagte sie, nachdem sich Europa gerade auf die Deutschen nicht verlassen konnte.
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Nach der CSU verliert auch die CDU an Rückhalt
Heise - Das Wahldebakel in Bayern offenbarte nicht nur die Krise der CSU. Nach einer Forsa-Umfrage für den Stern und RTL bröckelt nun nach der SPD auch die CDU. Danach würden jetzt nur noch 33 Prozent der deutschen Wahlberechtigten CDU oder CSU wählen, 4 Prozent weniger als letzte Woche.
Die SPD kann einen Prozentpunkt gewinnen und liegt bei 27 Prozent. Gewinner sind die FDP, die mit jetzt 13 Prozent zwei Punkte mehr erzielen und zu der vor allem müde CDU-Wähler überwechseln, die Grünen kommen auf 9 Prozent (+1), die Linken halten sich bei 13 Prozent.

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"Der Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung!"
TP - "Marktwirtschaft ist aus sich selbst heraus sozial!" oder "Der Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung!", verkündet Merz und will damit den weiteren Abbau von Regulierungen und gesellschaftlicher Solidarität legitimieren und durch das Prinzip Hoffnung ersetzen, das den rational Handelnden durch den gläubigen Raffer ersetzt, der sich für die moralische Avantgarde hält. Jeder ist für sich selbst verantwortlich, wer in der besten aller möglichen Welten des freien Kapitalismus keinen Erfolg hat, ist halt selbst schuld, darf aber nach den Kapitalismus-Priestern hoffen, dass es irgendwann schon anders werden wird, wenn man nur schön ruhig bleibt, keine Veränderung einklagt und die freie Marktwirtschaft nicht einschränkt. Man darf wohl annehmen, dass solche Erbauungsbücher nur für die eigene Klasse geschrieben werden. Die aber ruft nun nach dem Staat, um das Vertrauen herzustellen, das der wildgewordene Kapitalismus zerstört hat, und nach den staatlichen Geldern, die die Banken und das Finanzvermögen schützen sollen.
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SPD will aus Krise Kapital schlagen
FTD - Die SPD will die Finanzkrise zum Wahlkampfthema machen und damit die Gunst der Wähler zurückgewinnen. Der designierte Partei-Chef Franz Müntefering sieht in der Krise sogar die Chance für eine Renaissance der Sozialdemokratie.
Anmerkung: Und angesichts der Unterstützungskampagne der Medien dürfte das sogar gelingen. Zum Kotzen.
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Die Kunst des Schrumpfens
FTD - Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Flexibilität sind in der Rezession wichtiger als panisches Sparen
Anmerkung: Warum kommen all diese vernünftigen Artikel erst jetzt? Warum?
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Die sicherste Versuchung
FTD - Der neueste Coup aus dem Hause Schäuble soll Sicherheit in jeden PC bringen: Die Bundes-E-Mail. Doch es gibt ein kleines Problem.
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Das Spiel ist aus
FR - Sie müssen alle 30 oder 50 global systemrelevanten Banken teilverstaatlichen. Die Banken werden, ob sie wollen oder nicht, mit Staatsknete rekapitalisiert. Sprich, der Staat führt den meist viel zu hoch verschuldeten Banken Eigenkapital zu und erhöht somit den Puffer. Im Gegenzug erhält er Vorzugsaktien und weitgehende Eingriffsrechte. Gleichzeitig garantieren die Staaten für beispielsweise ein halbes Jahr alle Verbindlichkeiten dieser Banken. Um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen, sollten Banken und Börsen für ein paar Tage geschlossen bleiben.
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"Alles, was schießt"
FR - Bundesjustizministerin Zypries verteidigt den Bundeswehreinsatz im Innern - und will nicht nachbessern.
Anmerkung: Zypries ist wieder einmal ein Paradefall für den Verfall der SPD.
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Sternzeichen Google
FR - Basti mag Emails nicht besonders. Sie sind ihm zu langsam, weil man immer so lange warten muss, bis sie beantwortet werden. Mit seinen Freunden tauscht sich der 17-Jährige nur über den Instant Messenger ICQ aus. Was für Mittdreißiger zum zentralen Kommunikationsmittel geworden ist, sehen Jugendliche längst als veraltet an: Schon 2005 hat eine Studie des "Pew Internet & American Life Project" ergeben, dass Jugendliche nur noch Emails schreiben, wenn sie mit Erwachsenen kommunizieren.
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"Seehofer wird eine kurze Laufzeit haben"
FR - Der linke Urbayer über den kommenden Ministerpräsidenten, seine Sympathie für den netten Verlierertypen Beckstein und warum er schon lange davon träumt, den Superreichen das Handwerk zu legen.
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Mittwoch, 8. Oktober 2008

Fundstücke 08.10.08, 11.38 Uhr

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Neue Kapitalverbrechen
SZ - Dem Strafrecht ist seit jeher vorgeworfen worden, es sei ein Klassenstrafrecht, es strafe den Eierdieb, den Straßenräuber und den Heiratsschwindler, es sei ein Recht gegen Mikrokriminalität, aber keines, das sich der Makrokriminalität auch nur nähere. Das ist nicht falsch.
Das Wort Kapitalverbrechen ist üblicherweise ein anderes Wort für Mord und Totschlag. Der Experte sagt "Kapitaldelikte", wenn er über Straftaten gegen Leib und Leben redet. In diesen Tagen kriegen die Wörter "Kapitaldelikte" und "Kapitalverbrechen" eine neue Bedeutung. Wenn mit dubiosen Machenschaften erste ungeheuere Summen verdient werden, anschließend der Markt zusammenbricht, so dass der Staat mit ungeheueren Summen eingreifen muss – sind das nicht die wahren Kapitaldelikte?

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Zwischenbericht von der Glashauspary
FTD - Wer fehlt noch in der Glashausliste? Klar, unser Bundesfinanzminister. Der hat sich jahrelang dafür ins Zeug gelegt, den Finanzplatz Frankfurt zu fördern, indem die Deutschen möglichst eifrig den modernen Praktiken der großen Vorbilder aus London und New York folgten. Jetzt lernen wir, dass dort die bösen Buben sitzen - und der Finanzminister tut so, als hätte er es immer gewußt.
Anmerkung: Lesebefehl!
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Ein echtes Risikopapier
FAZ - Auch von Merz erscheint dieser Tage ein neues Buch, in dem der CDU-Politiker seine „Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ skizziert. Welches aber ist, gemäß Buchtitel, der Königsweg? „Mehr Kapitalismus wagen“. Damit, prophezeite der Piper-Verlag schon vor Wochen, werde sich Merz „gegen den Zeitgeist stellen“. Wie sehr sie hier ins Schwarze treffen, haben sie bei Piper nicht ahnen können: Bei seinem waghalsigen Kampf für mehr Kapitalismus hat Merz inzwischen ja sogar Josef Ackermann gegen sich.Geplant als gemäßigt provokante Streitschrift, scheint das Merz-Werk für den Verlag zum Risikopapier zu werden. Auf direktem Weg zur Resterampe, tauglich allenfalls als Scherzartikel unter entlassenen Bankern. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass von Merz zur Finanzkrise noch nichts zu hören war: Womöglich schreibt er gerade eilig sein Buch um. Mit einem neuen Titel freilich wird’s auf die Schnelle nichts mehr werden. Und welchen hätte er auch wählen sollen? „Mehr Politik wagen“ heißt schon ein Buch von Sigmar Gabriel. Und „Ein Christdemokrat“ klänge, jedenfalls im Fall von Merz, auch schon wieder arg vergänglich.
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Liberale zweifeln an der Freiheit
FTD - Mit Blick auf breitere Wählerschichten macht sich die FDP zudem auch für eine stärkere Bankenaufsicht stark - und damit für eine stärkere Rolle des Staates am Finanzplatz Frankfurt. Dies sei in keiner Weise eine neue Position, wird in der Berliner Parteizentrale versichert. Als Beleg verweist man dort auf eine Pressemitteilung aus dem Jahr 2000. Belege aus jüngerer Zeit seien gerade nicht zur Hand.
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Regierung unter der Reichstagskuppel: ratlos
NDS - Da sind wir mitten in einem weltweiten Finanzstrudel von historischem Ausmaß, da drohen Rezessionsgefahren, da sind Menschen in Angst um ihr Erspartes und um ihre Arbeitsplätze und unsere Bundeskanzlerin bietet eine der kürzesten und nichtssagendsten Regierungserklärungen. Da wurde vor dem Parlament eine Banalität nach der anderen aneinandergereiht. Da wurde so getan, als sei das Unglück von Amerika über uns gekommen wie eine Grippeepidemie. Da wurde nicht analysiert, was bei uns falsch gelaufen ist und stattdessen viel von „Vertrauen“ und „sozialer Marktwirtschaft“ geschwafelt. Da wurde so getan, als könne man mit ein paar kleinen Maßnahmen alles wieder in Ordnung bringen. Und da wurde vor allem die konsequente Fortsetzung des eingeschlagenen Reformkurses propagiert, gerade so als hätten nicht einige der Reformpakete, wie z.B. die Privatisierung der Rente oder die steuerliche Begünstigung der Verbriefung von Krediten zu Wertpapieren die Finanzspekulationen in Deutschland nicht wesentlich angeheizt.
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Retter in der Not
FTD - Steinbrück sagte ferner, er lehne ein EU-Paket ab, weil man Prozesse fürchte, auf die man keinen Einfluss hat. Mit anderen Worten: Die deutsche Regierung hat schlichtweg Angst, dass Europa strengere Regeln für die Rettung von Finanzinstitutionen auflegt. Europa hätte mit Sicherheit die IKB fallen gelassen. Diese Bank hatte nur für deutsche Politiker systemische Bedeutung. Auch die Rettung der Hypo Real Estate wäre in einem europäischen System sicher anders erfolgt. Deutschland verfolgte hier vorwiegend wettbewerbspolitische Absichten: Man will die Führung im Markt für Pfandbriefe nicht verlieren. Es sind vornehmlich Wettbewerbsfragen, für die der größte Sparminister aller Zeiten ein derart großes Rettungspaket auf die Beine stellt, dass Deutschland an seinen zukünftigen Schulden ersticken wird.
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Steinbrück in der Finanzkrise
FTD - Er gilt als einer der fähigsten Politiker der Regierung, doch nun mehrt sich die Kritik an Peer Steinbrück. FTD.de dokumentiert, wie der Finanzminister in drei Wochen vom Herrn des Haushalts zum Getriebenen der Finanzkrise wurde.
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Vielen Dank, Präsident Bush!
FR - Als vor ein paar Wochen herauskam, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau an die bereits in der Pleite befindliche Lehman-Bank 319 Millionen Euro überwies, da titelte Bild: "Deutschlands dümmste Bank". Im Augenblick macht die Hypo Real Estate der KfW den Rang streitig. Dennoch kommt einem, verfolgt man die Afghanistan-Debatte im Bundestag, sofort die Kreditanstalt für Wiederaufbau in den Sinn.
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Wer von der Krise profitiert
FTD - Die Turbulenzen an den Börsen erschüttern die Welt. Immer mehr Banken und Versicherer geraten in den Strudel, auch die Realwirtschaft bleibt nicht ungeschoren. Aber es gibt nicht nur Verlierer der Krise.
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