Mittwoch, 31. Januar 2007

Gesetzesinitiative für REITs im Bundestag, Nachtrag II

Wieder eine wenig überzeugende Antwort, dieses Mal FDP:

Sehr geehrter Herr Sasse,

Ihre Befürchtungen bezüglich der Einführung von REITS teile ich nicht. Im Gegenteil: teure Wohnungsbaugesellschaften erwirtschaften seit Jahren bei verfallender Bausubstanz große Verluste. Diese werden durch die kommunalen Haushalte aufgefangen.

Der Gesetzesentwurf meiner Fraktion zur Einführung von REITS gestaltet sich Haushaltskostenneutral. Die letzten Jahre – ich weise hier auf das Musterbeispiel Dresden hin – haben gezeigt, daß die Privatisierung von Wohneigentum grundsätzlich kein Problem für den Baubestand, die Rechte der Mieter oder die öffentlichen Haushalte darstellt. Die Organisationsform "REITS" ändert daran nichts.

Darüber hinaus geben REITS den Bewohnern die Möglichkeit, Anteile an Ihrem Wohnungsbauunternehmen und so auch mehr Gestaltungsmöglichkeiten zu erwerben.

Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Hartfrid Wolff

Was ist falsch am Neoliberalismus?

Was ist falsch am Neoliberalismus?

Inhalt und Ergebnisse der „Cambridge-Cambridge-Kontroverse“


Ein Gastbeitrag von Hans-Peter Büttner

Die herrschende neoklassische Wirtschaftstheorie – als theoretisches Paradigma wird sie „Neoklassik“ genannt, in der politischen Praxis einfach „Neoliberalismus“ - arbeitet im Bereich der Verteilungstheorie wesentlich mit Grenzproduktivitäten, z.B. im Gegensatz zur Marxschen Werttheorie oder Sraffas Neoricardianismus. Jedem Produktionsfaktor (das sind in der Regel „Kapital“ und „Arbeit“) wird also ein marginaler Beitrag zur Produktion des Endproduktes zugeordnet. Laut Grenzproduktivitätstheorie der Verteilung wird im Wettbewerbsgleichgewicht jeder „Produktionsfaktor“ gemäß seinem Grenzprodukt entlohnt. Der Arbeitslohn entspricht so dem „Grenzprodukt der Arbeit“ und der Kapitalprofit dem „Grenzprodukt des Kapitals“. Das Problem hierbei ist, daß die Grenzproduktivitäts-Theorie rein produktionstechnisch angelegt ist, daß aber bei ihrer Überführung auf die monetäre Preisebene unauflösbare Anomalien auftreten, die das ganze Konzept zum Zusammenbruch bringen. In der „Cambridge-Cambridge-Kontroverse“ der sechziger Jahre wurde dieser schwere Defekt der neoklassischen Preis- und Verteilungstheorie von einer Gruppe angelsächsischer Ökonomen, die der Schule des Cambridge-Ökonomen Piero Sraffa zuzurechnen sind, ins Zentrum ihrer Kritik gestellt. In der Folge dieser Debatte wurden im Prinzip alle bis heute relevanten Argumente vorgebracht und die Niederlage selbst von Seiten der Verteidiger der Neoklassik eingestanden. Praktisch durchgesetzt hat sich die Erkenntnis der logischen Widerlegung der Neoklassik bis heute freilich nicht, auch wenn die gängigen Verteidigungsstrategien zwischen Ignoranz und offenem Irrationalismus anzusiedeln sind.

1. In der neoklassischen Standardtheorie (welche für die neoliberalen Konzepte zentral ist) wird der Arbeitsmarkt wie jeder andere Markt behandelt. Das Angebot von Arbeit (durch die Haushalte) steigt mit dem Lohnsatz in der bekannten Kurvenform an (sh. Abb. 1), während die Nachfrage nach Arbeit (durch die Unternehmen) mit steigendem Lohnsatz abnimmt. Die Haushalte haben als Alternative zur Arbeit Freizeit (welche mit sinkendem Lohnsatz natürlich attraktiver wird), die Unternehmen haben „Kapital“ als produktionstechnische Alternative (deshalb steigt die „Kapitalintensität“ mit sinkendem Zinssatz und steigenden Löhnen). Betrachten wir kurz die graphische Darstellung des neoklassischen Arbeitsmarktes in Abbildung 1:

Die Arbeits-Angebotskurve (AA) trifft sich mit der Arbeits-Nachfragekurve (AN) im Gleichgewichtspunkt Ag, dem das Lohnniveau wr0 entspricht. Der Arbeitsmarkt funktioniert in der Neoklassik also vollkommen analog zum Bohnen- oder Schweinemarkt oder jedem anderen[1]. Wird nun der Preis der Ware Arbeitskraft z.B. durch einen Mindestlohn auf wr1 erhöht, ergibt sich nach neoklassischer Vorstellung Arbeitslosigkeit durch die Differenz zwischen wr1 und wr0, denn es entsteht eine Angebots-Nachfrage-Schere zwischen A1 und A3. Die Differenz zwischen beiden markiert dann die Arbeitslosigkeit. Zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit müsste hingegen der Lohnsatz auf w0 sinken, so daß im Idealpunkt A2 ein markträumender Gleichgewichtslohn allen arbeitswilligen Menschen Arbeit garantiert.

2. Wenn wir nun die Arbeits-Angebotsfunktion betrachten können wir leicht feststellen, daß die neoklassische Idealkurve einige sehr restriktive Annahmen erhält. So wird im Prinzip unterstellt, daß die Arbeiter-Haushalte Arbeit nicht anbieten, weil sie notwendig darauf angewiesen sind, sondern weil sie die Arbeit ab einem bestimmten Lohnniveau einfach der Freizeit vorziehen. Ein Arbeitnehmer im unteren Lohnbereich wird aber sein Arbeits-Angebot ausweiten statt einschränken ab einem bestimmten Punkt, denn sonst gerät er in offene Existentnot. „Freizeit“ ist für „working poor“ eben ein delikates Gut, denn wer sehr wenig Geld für seine Arbeit bekommt, muß mehr Freizeit opfern um nicht in existentielle Nöte zu kommen. Umgekehrt kann ab einem bestimmten Lohn im obersten Bereich die Lust, noch mehr Freizeit für noch mehr Geld zu opfern, rapide abnehmen. Dies alles kann übrigens ganz einfach im Rahmen der neoklassischen Theorie formuliert werden, z.B. im Falle der oberen Lohngruppen mit der Abnahme der Grenznutzens des weiteren Lohnzuwachses. Im Falle der unteren Lohngruppen nimmt das „Grenzleid“ mit sinkendem Lohn zu und somit besteht Anreiz zur Ausweitung des Arbeitseinsatzes. Betrachten wir nun zur graphischen Darstellung dieser alternativen und realistischeren Arbeits-Angebotskurve Abbildung 2:


Die Arbeits-Nachfragekurve ist gleich wie in Abb. 1. Allerdings nimmt das Arbeits-Angebot nun aufgrund des Armutseffektes im unteren Lohnbereich zu. Im oberen Lohnbereich nimmt der Grenznutzen weiterer Einkommenszuwächse ab und der Grenznutzen der Freizeit zu, so daß hier das Arbeits-Angebot wieder reduziert wird. Bei gegebener Arbeits-Nachragekurve ergeben sich nun vier Berührungspunkte von Angebots- und Nachfragekurve und folglich vier Gleichgewichte. Beim Gleichgewicht mit maximaler Beschäftigung, Punkt A4, arbeiten sich die Arbeitnehmer für Hungerlöhne „zu Tode“, deshalb ist aus ihrer Sicht dieser Punkt sicherlich nicht sehr attraktiv. Der Mindestlohn verhindert allerdings ein solches Absinken, das sich bei umfassender Flexibilisierung vermutlich dem Punkt A4 annähern würde. Bei geringerer Arbeitszeit und Existenz eines Mindestlohnes in Höhe von wr2 könnte sich das Gleichgewicht z.B. in Punkt A3 einstellen. Um eine solche Gleichgewichtslösung zu erreichen muß allerdings in den Marktmechanismus interveniert und ein entsprechender Mindestlohn (einschl. entsprechender Arbeitszeitregelungen) vorgeschrieben werden.

3. Die Arbeits-Nachfragefunktion der Neoklassik ist nun ganz besonders ins Visier der Kritik geraten. Entsprechend der neoklassischen Modell-Annahmen muß eigentlich der Preis der Arbeit fallen, damit neue Anreize für Unternehmen bestehen, Arbeitsplätze zu schaffen (also den Produktionsfaktor „Kapital“ durch „Arbeit“ zu ersetzen). Deshalb gerät ja das allgemeine Lohnniveau beständig unter Druck und es werden niedrigere Löhne gefordert. Um eine solche Aussage treffen zu können, müssen Neoklassiker eine „aggregierte Produktionsfunktion“ konstruieren, denn die Arbeits-Nachfragefunktion muß mit der Kapital-Nachfragefunktion ins Verhältnis gesetzt werden. Hierzu muß man wissen, daß „Produktionsfunktionen“ normalerweise technische (also nicht preisförmige!) Beziehungen mikroökonomischer Natur darstellen, nämlich den Einsatz von Input-Gütern („Produktionsmitteln“) zur stofflich möglichst effizienten Produktion des Output. Die Input-Güter werden hierbei nicht monetär bewertet, es handelt sich um rein technisch-gebrauchswertförmige Relationen, z.B. den Einsatz von Mehl, Salz, Wasser und Hefe zur Produktion von Brot. Zur Behandlung makroökonomischer Fragen konstruiert die Neoklassik nun eine aggregierte Produktionsfunktion, welche das Nettoinlandsprodukt aus der Kombination der Inputfaktoren Kapital und Arbeit ausdrückt. Sie formuliert somit das Einsatzverhältnis von Kapital und Arbeit der gesamten Wirtschaft, das Produktionsvolumen sowie die Verteilung (zwischen Kapital und Arbeit). Sie funktioniert vollkommen analog zu mikroökonomischen Produktionsfunktionen, obwohl sie nun vor der Schwierigkeit steht, die heterogenen Güter auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen (sonst müßten Mehl, Werkbänke, Rohöl etc. addiert werden zu einem physisch homogenen „Brei“). Dieser naive Schluß von der mikroökonomischen (produktionstechnischen, disaggregierten) Ebene auf die makroökonomische (preisförmig-aggregierte) sollte sich als fatal erweisen.
Es hat sich in Folge der „Cambridge-Cambridge-Debatte“ der sechziger Jahre gezeigt, daß die neoklassische Theorie für den Fall unhaltbar ist, daß mehrere Kapitalgüter berücksichtigt werden und somit der „Ein-Gut-Fall“ (Weizenökonomie) erweitert wird auf verschiedene Kapitalgüter. Der englische Cambridge-Ökonom Piero Sraffa hat mit seinem Buch „Warenproduktion mittels Waren“[2] die Grundlage für diese weitreichende Kritik der Neoklassik geschaffen. Ausformuliert haben diese Kritik direkt im Anschluß an seine Veröffentlichung seine Schüler - die sich nicht zweimal bitten ließen der Neoklassik das Fell über die Ohren zu ziehen. Allerdings war der entscheidende Punkt bereits sechs Jahre vor Sraffas Veröffentlichung seiner englischen Cambridge-Kollegin Joan Robinson aufgefallen[3] und 40 Jahre vor Robinson hat es bereits der Neoklassiker Wicksell entdeckt. Ihren Namen hat die Debatte nun dadurch erhalten, daß die Opponenten der englischen Cambridge-Ökonomen aus dem US-amerikanischen Cambridge/Massachusetts kamen, insbesondere Paul A. Samuelson.

Die Kritik fokussierte sich also auf folgenden Punkt: Um die Profitrate bzw. Kapitalverzinsung zu bestimmen müssen die heterogenen Güter, die den „Produktionsfaktor Kapital“ in seiner Gänze bilden aggregiert werden, denn sonst ist ein einheitlicher Maßstab zur Bewertung der Kapitalgüter nicht konstruierbar. Das Kapital muß also preisförmig bewertet werden und dies unabhängig vom Zins, da das preisförmig bewertete Kapital ja die Grundlage zur Bestimmung des Zinses liefern soll. Hier nun beißt sich die Katze in den Schwanz und das Problem wird unlösbar, denn der Wert des Kapitalstocks hängt von der Höhe des Zinssatzes ab und umgekehrt. Die technische Grenzproduktivität kann also in der Welt der Preise keine Aussagen mehr treffen, denn hier treten Wechselwirkungen auf, die der Natur der Preisform (die hier in Anspruch genommen werden muß) selbst entspringen. Zins und Kapitalstock sind aber bei preisförmiger Bewertung keine kausal aufeinander beziehbare Größen wie in der Weizenwelt, sondern sich wechselseitig bedingende und voraussetzende Größen. Rein praktisch bedeutet dies, daß z.B. eine Veränderung des Lohnniveaus nicht mehr der simplen, neoklassischen Kurvenform folgen muß, sondern ganz andere Effekte eintreten können. Da die unterschiedlichen Branchen nämlich unterschiedlich kapitalintensiv arbeiten, hat ein veränderter Lohn unterschiedliche Auswirkungen auf die unterschiedlichen Produktionsbereiche. Arbeitsintensive Bereiche sind anders betroffen als kapitalintensive. Es bildet sich bei er Lohnänderung also ein neues, relatives Preissystem heraus und somit ein neues Gleichgewicht. Dieses neue Gleichgewicht impliziert dann auch eine neue Bewertung der Kapitalgüter, eine neue Technikwahl und ein neues Beschäftigungsniveau. Diese neue Situation bedingt aber im Fortgang des Produktionsprozesses eine erneute Veränderung des Preissystems, die ein neues Gleichgewicht mit neuen Preisen, neuem Beschäftigungsvolumen, neuer Technikwahl impliziert etc. Folglich tritt in einer verflochtenen Volkswirtschaft, in der unterschiedliche Kapitalintensitäten und Möglichkeiten der Technikwahl bestehen ein gänzlich neues Gleichgewicht ein, das ein höheres oder niedrigeres Beschäftigungsniveau als das Ausgangs-Gleichgewicht haben kann. Der simple neoklassische Determinismus (Löhne runter, Beschäftigung rauf und umgekehrt) erweist sich als absolut abstruser Sonderfall, der nur in einer geldlosen Ein-Gut-Welt der Regelfall ist. Letztlich lief auch Samuelsons Rettungsversuch der neoklassischen Kapitaltheorie auf diese Lösung unter anderen Voraussetzungen hinaus: Er konstruierte eine „Surrogat-Produktionsfunktion“ mit einheitlicher Kapitalintensität in allen Branchen. Unter dieser Voraussetzung gilt natürlich die neoklassische Kapitaltheorie, denn dann sind gerade die Effekte, welche eine Verflechtung unterschiedlich kapitalintensiver Branchen nach sich zieht, per definitionem ausgeschlossen[4]. Plausibler wird die neoklassische Kapitaltheorie so freilich nicht, denn „die Annahme gleicher Kapitalintensität in allen Branchen läuft auf die gleiche Unterstellung hinaus wie die Annahme, daß in der gesamten Ökonomie nur ein Gut produziert wird“[5]. Das Desaster der Neoklassiker wurde noch größer, als Samuelsons Schüler Levhari versuchte, die Effekte der Technikwahl im Sinne der Neoklassik zu „entschärfen“, denn hier erwuchs ein weiteres Problem für den neoklassische Lohn-Zins-Zusammenhang. Levharis „Beweis“ erwies sich als komplett falsch und wurde von diesem dann frustriert zurückgezogen[6]. Mittels einer ganz immanenten, die Neoklassik an ihren eigenen Maßstäben und Ansprüchen messenden Kritik wurde also zweifelsfrei erwiesen:

Werden Kapitalgüter und Endprodukte in Preisen berechnet, kann die beschäftigungsintensive Zielrichtung einer Lohnveränderung in einer Welt mit beliebig vielen Kapitalgütern, unterschiedlicher Kapitalintensität der Branchen und intersektoreller Verflechtung nicht angegeben werden.

4. Wie bereits erwähnt hat die Debatte um die neoklassische Kapitaltheorie auch neue Erkenntnisse zur Frage der Technikwahl der Unternehmen zutage gefördert. Das hierbei erkannte Phänomen einer „Wiederkehr der Technik“ („Reswitching“) drückt die Möglichkeit aus, daß es zu einem im neoklassischen Idealmodell nicht vorgesehenem Technikwechsel kommen kann, „d.h. zu einer mit steigendem Zins-Lohn-Verhältnis steigenden Kapitalintensität. Es ist des weiteren möglich, daß ein und dieselbe Technik zur Erzeugung der verschiedenen Güter sich bei verschiedenen Zinsniveaus als kostenminimierend erweist, während bei einem dazwischen liegenden Niveau des Zinssatzes eine andere Technik optimal ist“[7]. Eine arbeitsintensive Technik kann also sowohl bei hohem als auch bei niedrigem Zinssatz auftauchen, womit der neoklassische Lohn-Zinssatz-Zusammenhang gründlich destruiert ist. Abbildung 3 zeigt den Zusammenhang graphisch auf:


Technik 1 beschreibt eine konkave Lohn-Zinssatz-Kurve, die sich in den Punkten w
r1/q’2 und wr2/q’1 mit der konvexen Lohn-Zinssatz-Kurve von Technik 2 schneidet. Technik 2 markiert dabei die einzige mit der Neoklassik vereinbare Kurvenform. Da aber eine konvexe Lohn-Zinssatz-Kurve (wie Technik 2) und somit lediglich ein Typus von Technik mit einer Kurvenform keineswegs zwingend vorausgesetzt werden muß, ist ein Wechsel zwischen zwei unterschiedlichen Techniken bei Veränderung des Preisniveaus keineswegs unplausibel. Technik 2 wird nun angewandt bei einem oberen Reallohnsatz bis wr2 (dem der Zinssatz q’1 entspricht). Liegt der Reallohn zwischen wr2 und wr1, dann wird die beschäftigungsintensivere Technik 1 eingesetzt. Unterhalb von Reallohnsatz wr1 (dem der Zinssatz q’2 entspricht) findet erneut ein Technikwechsel hin zu Technik 2 statt. Im Ergebnis bedeutet dies, daß der neoklassische Lohn-Zins-Zusammenhang keineswegs allgemeingültig sein muß. Bei einer „Wiederkehr der Technik“ bricht er zusammen. Empirisch konnte das „Reswitching“-Phänomen mittlerweile nachgewiesen werden, z.B. von dem Ökonomen Zonghie Han[8].

5. Somit bilanziert beispielsweise auch der Neoklassiker Fritz Söllner in seinem Standardwerk „Geschichte des ökonomischen Denkens“:


„Das zentrale Postulat der neoklassischen Produktionstheorie, daß nämlich eine Änderung der Faktorpreise auf eine eindeutige Weise mit einer Änderung des Faktoreinsatzverhältnisses verbunden ist, war damit widerlegt“. Schließlich kann es nach Söllner „selbst unter idealen neoklassischen Bedingungen zum ‚reswitching‘ kommen“[9] (ebd.).


Die eindeutigen Befunde Sraffas und seiner Schüler laufen nun zwangsläufig darauf hinaus, „daß sie die traditionelle neoklassische Bestimmung aller Preise und Mengen, einschließlich der Preise der ‚Produktionsfaktoren‘ und deren Beschäftigungsmengen, durch Angebot und Nachfrage in Frage stellen. Tatsächlich ist nicht sichergestellt, daß die Nachfragefunktionen nach ‚Kapital‘ bzw. ‚Arbeit‘ die üblicherweise unterstellen Eigenschaften aufweisen: eine mit steigendem Faktorpreis sinkende Nachfrage“[10].
Die unangenehmen Folgen der „Cambridge-Kontroverse“ sind für die Neoklassik also sehr tief gehend und vielfältig. Eberhard Feess-Dörr weist in seinem Lehrbuch „Mikroökonomie“ (1992) darauf hin, daß es in Folge der kapitaltheoretischen Kritik „nicht möglich ist, den Zinssatz als Grenzprodukt ‚des Kapitals‘ und den Lohnsatz als Grenzprodukt ‚der Arbeit‘ zu interpretieren[11], denn durch das „reswitching“ ist das inverse Verhältnis von Faktorpreisverhältnis zum Verhältnis der Grenzproduktivitäten der Faktoren hinfällig.
Auch die neoklassische Zinstheorie (der Zins als Knappheitspreis des „Produktionsfaktor Kapital“) ist erledigt, denn eine aggregierte Produktionsfunktion, welche die Ableitung des Grenzproduktes des Kapitals gestattet, ist nicht konstruierbar (sh. ebd.). Somit ist auch eine zentrale wohlfahrtstheoretische Aussage der Neoklassik zerstört, nämlich die, daß der Ausgleich der Faktorpreise mit den Grenzproduktivitäten eine Voraussetzung für eine pareto-optimale Verteilung der Ressourcen ist[12].
Was bleibt ist eine neoklassische Theorie in Trümmern, die von Herr und Heine in ihrem Lehrbuch „Volkswirtschaftslehre“ als „längst widerlegter Theoriestrang“[13] bezeichnet wird. Die Kritik der Sraffa-Schüler[14] war durchschlagend und mußte von den Vertretern der Neoklassik zähneknirschend und frustriert akzeptiert werden:
Nicht umsonst gestand Paul Anthony Samuelson für die Neoklassik die Niederlage ein[15] und schrieb:


"If all this causes headaches for those nostalgic for the old time parables of neoclassical writing, we must remind ourselves that scholars are not born to live an easy existence. We must respect, and appraise, the facts of life."

Versuche von Neoklassikern, das Desaster der Cambridge-Kontroverse herunterzuspielen gab es viele, doch sind die Ausbruchs-Versuche bisher ziemlich kläglich gescheitert oder muten sehr esoterisch an[16]. Wissenssoziologisch interessant ist hierbei die Tatsache, daß Samuelson bis heute aus der Widerlegung der neoklassischen Kapitaltheorie keine Konsequenzen gezogen hat und die Debatte in seinem renommierten Lehrbuch zur Volkswirtschaftslehre hartnäckig totschweigt[17]. Studenten der Volkswirtschaftslehre jedenfalls sollen mit so brisanten Informationen nicht unnötig „belastet“ werden auf ihrem Weg in den herrschenden Wissenschaftsbetrieb. Das Problem der Aggregation heterogener Kapitalgüter bleibt bestehen für die neoklassische Theorie, weshalb der US-Ökonom Edwin Burmeister sich veranlaßt sieht, der Ökonomenzunft ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis auszustellen:

“However, the damage had been done, and Cambridge, UK, 'declared victory': Levhari was wrong, Samuelson was wrong, Solow was wrong, MIT was wrong and therefore neoclassical economics was wrong. As a result there are some groups of economists who have abandoned neoclassical economics for their own refinements of classical economics. In the United States, on the other hand, mainstream economics goes on as if the controversy had never occurred. Macroeconomics textbooks discuss 'capital' as if it were a well-defined concept - which it is not, except in a very special one-capital-good world (or under other unrealistically restrictive conditions). The problems of heterogeneous capital goods have also been ignored in the 'rational expectations revolution' and in virtually all econometric work"[18].

Offenbar ist das Bedürfnis nach einer Rechtfertigungslehre des Kapitalismus so groß, daß wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zur Kenntnis genommen werden dürfen – mit der Neoklassik wäre ja die Rechtfertigungslehre par excellence betroffen. So verwundert es auch nicht, wenn der „Sachverständigenrat“ in seinen Gutachten regelmäßig Grenzproduktivitäten berechnet und neoklassische Produktionsfunktionen unterstellt[19]. Wenn die Prognosen dann mal wieder an der Realität scheitern, kann sich die Verwunderung über das Desaster wenigstens in Grenzen halten.

Literatur: --Hans-Peter Büttner (2006): Marx versus Sraffa. Das „Transformationsproblem“ und die Widersprüche simultaner Wert-Preis-Rechnungen seit Bortkiewicz. In: Trend Online-Zeitschrift, Nr. 7-8/2006. Online einzusehen unter: http://www.trend.infopartisan.net/trd7806/t237806.html
--
Edwin Burmeister (2000): The Capital Theory Controversy. In: Critical Essays on Piero Sraffa's Legacy in Economics (edited by Heinz D. Kurz), Cambridge: Cambridge University Press. --Eberhard Feess-Dörr (1992): Mikroökonomie, v.a. S. 418 ff. (Feess stellt Sraffas Produktionspreismodell in dieser Schrift sehr gut allgemeinverständlich dar). --Zonghie Han (2003): "Paradoxa" in der Kapitaltheorie. Eine empirische Untersuchung der reverse-capital deepening- und Reswitching-Phänomene anhand der linearen Programmierung im Rahmen der Kapitalkontroverse. --Michael Heine/Hansjörg Herr (1999): Volkswirtschaftslehre, v.a. S. 234 ff. Paul A. Samuelson (1966): A summing p, in: Quarterly Journal of Economics, Band 80. --Heinz D. Kurz (2000): Stichwort „Cambridge-Kontroverse“, in: Lexikon Volkswirtschaft, Hg. Friedrich Geigant, 2000. –Camille Logeay (2002): Mit welchem Maßstab sind die jüngsten Lohnabschlüsse zu beurteilen? In: Wochenbericht des DIW Berlin 20/2002. Im Internet einzusehen unter: http://www.diw.de/deutsch/produkte/publikationen/wochenberichte/docs/02-30-1.html#FN5 --Karl Marx zit. nach MEW. --Bertram Schefold (1976): Nachworte. In: Piero Sraffa (1976).
--Fritz Söllner (2001): Geschichte des ökonomischen Denkens, S. 102 ff. (der Autor ist selber Neoklassiker und widerspricht sich bei diesem delikaten Thema gründlich selber). --Piero Sraffa (1976): Warenproduktion mittels Waren Die Abbildungen 1 und 2 sind dem Lehrbuch von Herr/Heine direkt entnommen.

Internet-Links zur kapitaltheoretischen kontroverse:

http://de.wikipedia.org/wiki/Kapitalkontroverse

http://de.wikipedia.org/wiki/Reswitching

http://en.wikipedia.org/wiki/Cambridge_capital_controversy

http://www.hgdoe.de/pol/herr_03_03.htm

http://www.jungewelt.de/frameit.php?/2000/02-11/016.shtml

http://www.jungewelt.de/frameit.php?/2000/03-10/020.shtml


[1] Bereits in diesem Punkt ist die Neoklassik nicht mehr „klassisch“, denn in der klassischen Nationalökonomie Ricardos und Marxens wurde der Lohn noch als eine externe Variable behandelt, die der Preisbildung prinzipiell vorausgesetzt wird. Dies wird logisch damit begründet, daß der Lohn als Preis der „Ware Arbeitskraft“ an die lebendige Person des Lohnarbeiters gebunden ist, also eine „mit Bewußtsein ausgestattete Ware“. Daß die Preisbildung einer solchen „Ware“ ganz spezifische Bestimmungselemente beinhaltet im Unterschied zu jeder anderen Ware war der klassischen Nationalökonomie also wenigstens im Ansatz noch präsent. Bei Marx ist deshalb nicht umsonst von einem „historischen und moralischen Element“ (MEW 23, S. 185) der Wertbestimmung der Ware Arbeitskraft die Rede.

[2] 1960 im engl. Orig. erschienen, 1968 in der DDR und 1976 bei Suhrkamp mit einem längeren Nachwort von Bertram Schefold.

[3] Joan Robinson (1953/54).

[4] Ganz besonders erstaunlich ist hierbei, daß unter dieser produktionstechnischen Voraussetzung auch die Marxsche Arbeitswerttheorie des ersten Bandes des „Kapital“ umfassend gilt, da bei gleicher organischer Zusammensetzung aller Kapitalien die Marxsche Wert-Preis-Rechnung (die sich aus der Existenz unterschiedlicher Kapitalintensitäten ergibt) überflüssig ist.

[5] Herr/Heine (1999), S. 241.

[6] Zu Levharis falschem Beweis sh. Bertram Schefold (1976), S. 174.

[7] Heinz D. Kurz (2000), S. 148.

[8] Zonghie Han (2003).

[9] Fritz Söllner (2001), S. 104.

[10] H.D. Kurz (2000), S. 148.

[11] Eberhard Feess-Dörr (1992), S. 427

[12] Sh. ebd.

[13] Herr/Heine (1999), S. 220.

[14] Diese Kritik hat sich in der Folge auch gegen die Marxsche Arbeitswerttheorie gerichtet und hier eine bis heute andauernde Debatte ausgelöst. Eine Gegenkritik aus Sicht der Marxschen Theorie habe ich kürzlich in meinem Aufsatz „Mars versus Sraffa“ (Büttner 2006) formuliert.

[15] Paul A. Samuelson (1966), S. 250.

[16] Sh. dazu H.D. Kurz (2000), S. 148.

[17] Sh. dazu Herr/Heine (1999), S. 252, Fußnote 15.

[18] Burmeister (2000), S. 310.

[19] Sh. z.B. das Jahresgutachten 1998/99. Im Wochenbericht des DIW Berlin (Camille Logeay 2002) löste dies Kopfschütteln aus: „Der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten 1998/99 eine Berechnung der Grenzproduktivität vorgelegt. Danach ergibt sich, dass der durchschnittliche Zuwachs der Grenzproduktivität in den 90er Jahren höher war als der der Durchschnittsproduktivität. Die vom Sachverständigenrat verwendete Methode ist jedoch fragwürdig. Sie gründet sich (…) auf eine sehr spezielle Produktionsfunktion, die in ihrer Schlichtheit kaum die komplexe Realität der Produktionsprozesse widerspiegelt“. Die Produktionsfunktion, welche der „Sachverständigenrat“ verwendete war selbstverständlich die neoklassisch-orthodoxe.

Hans-Peter Büttner, geboren 1968 und wohnhaft am Bodensee, beschäftigt sich, wenn er nicht gerade liest, Softball oder Gitarre spielt gerne mit der politischen Ökonomie, der Erkenntnistheorie und der kritischen Gesellschaftstheorie. Sein Motto: "Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." (Theodor W. Adorno). Er schreibt im Politikforum unter dem Nick Van Morrison.

Dienstag, 30. Januar 2007

Berichterstattung oder Werbung? Die Grenzen sind oftmals fließend

Wut! hat sich bereits angemessen über Windows Vista ergossen, so dass ich eigentlich dachte, ich müsste nichts mehr dazu schreiben. Besonders die Welt tut sich hervor, seriösen Journalismus ad absurdum zu führen (siehe hier, hier, hier, hier und hier). Den Vogel abgeschossen hat jedoch diese Umfrage:

Werden Sie Vista kaufen?

4.3 % Ja, die technischen Neuerungen sind super.
48.1 % Nein, ich warte, bis ein neuer Rechner her muss.
1.6 % Ja, das Design ist brillant.
18.1 % Nein, Vista ist zu teuer.
1.1 % Ja, Vista ist sicherer.
16.4 % Nein, ich habe Angst vor Microsoft.
0.2 % Ja, ich hatte bisher Mac OS.
10.1 % Nein, ich habe Mac OS.

Nobelpreis für Ideologie

Eigentlich hat Edmund Phelps den Nobelpreis ja im Bereich "Wirtschaft" gewonnen, aber wenn man sich im Interview seine Thesen anhört, könnte es genausogut die örtliche Lotterie gewesen sein. Einige Kostproben:

WELT.de: Die meisten Ökonomen kritisieren den rigiden Kündigungsschutz in Deutschland. Sie nicht?

Phelps: Doch. Aber ich will ehrlich eingestehen, dass es dafür keinen wissenschaftlichen Beweis gibt. Denn viel zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Für mich ist allzu offensichtlich, dass es ein Jungunternehmer einfacher hat, sich selbstständig zu machen, wenn er seiner Frau nicht erklären muss, dass er die Beschäftigten ein Leben lang behalten muss - selbst wenn das Geschäft einmal nicht mehr läuft. Dynamik ist etwas anderes.
Von welchem Staat spricht der Mensch? Ein Leben lang behalten? Der Kündigungsschutz ist ohnehin praktisch Geschichte; nur Beamte dürfen nicht sofort gefeuert werden. Und die werden beinahe ausschließlich vom Staat beschäftigt und nicht von Unternehmen, die sich mit dem Kündigungsschutz herumplagen müssten.
WELT.de: In Deutschland wird bald der 60. Geburtstag der Sozialen Marktwirtschaft gefeiert. Taugt sie als ökonomisches Vorbild?

Phelps: Es gab zwei wirklich schlechte ökonomische Ideen im 20. Jahrhundert. Die eine war der Kommunismus, die andere der Korporatismus, auch bekannt als Soziale Marktwirtschaft. Dieses Wechselspiel zwischen Unternehmen, Gewerkschaften und Politik halte ich für ungesund, denn es zerstört unternehmerische Initiative. Und leider brauchen Länder sehr lange, bis sie verstehen, dass es für sie bessere Systeme gibt.
Jetzt wird es komplett hanebüchen. Fünfundzwanzig Jahre lang lief das System rund, ehe Mitte/Ende der 70er Jahre Einflüsse von außen Reformen erforderlich machten - und die FDP sich mit Lambsdorf auf einen anderen Kurs festlegte. Die Ergebnisse seither sind bekannt: Hohe Arbeitslosigkeit, steigender Armut, Umweltverschmutzung.

WELT.de: Muss sich Deutschland also von der Sozialen Marktwirtschaft verabschieden?

Phelps: Vielleicht müssen Sie ja den Namen nicht ändern, aber es wird nicht ohne substanzielle Einschnitte ablaufen können. Dabei ist das Sozialsystem nicht das größte Hindernis auf dem Weg zu einer dynamischen Volkswirtschaft. Es sind vielmehr die Hürden, die Unternehmern von der Regierung oder den Tarifpartnern in den Weg gestellt werden.
Der gute Mann mag Recht haben, was einige bürokratische Hürden angeht - was er vom Sozialstaat und einer Umbennung faselt, ist dagegen intellektueller Dünnschiss. Im Kontext übrigens auch diese Eingangsforumlierung lesen: "Ich bin im Gegensatz zu vielen meiner Kollegen nicht so erpicht darauf, den Sozialstaat zurückzuschneiden." Aha.

WELT.de: Inzwischen entsteht sogar in der amerikanischen Mittelklasse der Eindruck, Verlierer der Globalisierung zu sein. Das Volkseinkommen verteilt sich zunehmend zugunsten des Kapitals. Wie gefährlich ist dies?

Phelps: Ich habe mich ungefähr ein Jahrzehnt damit beschäftigt herauszufinden, wie der Unterschicht geholfen werden kann. Und dies führte dazu, dass ich mich für Lohnzuschüsse im Niedriglohn-Sektor einsetze. Jetzt höre ich, im neuen Jahrzehnt müsse die Mittelklasse beschützt werden. Ich frage mich, ob in noch einmal zehn Jahren der Ruf nach Hilfe für die Oberschichten laut wird.
Es entsteht also der Eindruck. Nun denn, die Springerpresse wird es schon wissen. Dass Phelps keine klügere Idee hat, als ausgerechnet den vielverschmähten Staat um saftige Subventionen anzuhauen (für die Unternehmer, natürlich), verwundert bei der ideologisch untermauerten Ideenlosigkeit der Eliten nicht weiter.
WELT.de: Die meisten von ihnen haben auch keine Jobs, die im globalen Wettbewerb stehen. Anders geht es den Facharbeitern, zum Beispiel in der Autoindustrie.

Phelps: Es gehört zu einer kreativen und dynamischen Volkswirtschaft, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Warum sollte die Mittelschicht auf unbestimmte Zeit die gleichen Anteile am Volkeinkommen garantiert bekommen? Das war früher auch nicht so.
Wo er keine Antwort hat oder geben will, weicht Phelps einfach mal ins Schicksalhafte aus: "Das ist halt so."

WELT.de: Sind also die Politiker schuld, weil sie die Vorteile der Globalisierung nicht ausreichend hervorheben?

Phelps: Ja, es ist ein Vermittlungsproblem.

WELT.de: Was würden Sie denn, wenn Sie Politiker wären, den Wählern erklären, die gerade ihre Arbeitsplätze verloren haben.

Phelps: Okay, das würde ich sagen: Es gibt alle möglichen Vorteile, die eine dynamische und innovative Wirtschaft bietet. Und Globalisierung ist zweifelsfrei eine Triebfeder für Innovationen. Es kann durchaus sein, dass es einige zeitweilige, ja sogar einige dauerhafte Verluste in Folge der Globalisierung gibt. Aber langfristig ist sie hilfreich für eine Volkswirtschaft - auch die deutsche. Hilfreich in dem Sinne, dass Innovationen nicht mehr nur für den kleinen Binnenmarkt, sondern für die Europäische Union, ja die ganze Welt entstehen können.
Es ist natürlich nur ein "Vermittlungsproblem", dass diese Trottel einfach nicht einsehen wollen, wo für sie der Vorteil liegt, wenn andere stinkreich werden. Was ist denn die "Volkswirtschaft"? Die ist eine so genaue Messgröße wie das Bauchgefühl, dass diesem "Wissenschaftler" ohnehin als einzige zur Verfügung gestanden zu haben scheint - neben seiner Brieftasche, versteht sich.

Umfassendes Rauchverbot?

In der EU-Kommission wird wieder der Ruf nach einem umfassenden Rauchverbot laut. Statt selektiver Regeln wie auf Restaurants beschränkter Verbote soll auf Basis des Verbots gesundheitsschädlicher Stoffe auf ein Rauchverbot erlassen werden. Allerdings liegt weder ein Zeitplan vor noch besteht allzuviel Eifer: vorläufig möchte man das Projekt erst vorstellen, derweil sollen die Bundesstaaten (sic!) erst einmal für sich selber ohne EU-Richtlinie werkeln. Der SZ-Artikel geht schon richtig darauf ein, dass Deutschland als "Tabakparadies" sicher alles andere als ein Motor einer solchen Regelung sein wird. Schade eigentlich, denn ein umfassendes Rauchverbot hätte positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen und auf die Finanzen.

Uni Dortmund auf dem Strich

Das Rektorat der Uni Dortmund zeigt sich derzeit im besten Strichergewand und prostituiert sich für die Wirtschaft: sie soll zur TU Dortmund werden; die Geisteswissenschaften komplett abgeschafft. Der Vorgang erinnert nicht nur formal an Stuttgart. Der Grund ist dabei die Mittelmäßigkeit der Uni in naturwissenschaftlich-technischen Bereichen, die das Heranschaffen von Drittmitteln (konkret: das Betteln bei der Industrie) erschwert. Deswegen soll das "Profil geschärft" werden. Dagegen ist vieles einzuwenden.
1) Die Uni Dortmund hat einen exzellenten Ruf bei der Ausbildung von Lehrern, besonders in den Geisteswissenschaften.
2) Gut die Hälfte ihrer Studenten sind Geisteswissenschaftler; wie immer auf viel zu kleinem Raum zusammengepfercht.
3)
"Geht es für Wissenschaftler nur noch darum, ökonomisch effizient zu sein?", fragt Eva-Maria Houben, Professorin am Musik-Institut der Uni. "Man muss junge Menschen auch dazu motivieren, an Fragen zu arbeiten, mit deren Beantwortung sie keinen Preis gewinnen."
4) Die Studenten sind gegen die Umgewichtung. Zwar kamen zu einer öffentlichen Aussprache nur fünfzig, aber die sprachen sich samt und sonders dagegen aus. Und im Licht der Wahlergebnisse beispielsweise Frankfurts kann hier mit gleichem Fug und Recht verlangt werden, dass das die absolute Mehrheit von 100% ist.
5) Die Beschaffung von Geld, für die die Professoren zunehmend Zeit aufwenden müssen, da der Staat die Mittel streicht, kann nicht das Ziel einer wissenschaftlichen Einrichtung sein. Die Universitäten forschen und lehren, sie prostitutieren sich nicht in der Wirtschaft, die ohnedies zu großen Einfluss auf den Universitätsbetrieb erhält.

Fundstücke

Sozialliberal hat meine Gedanken aufgegriffen und weitergesponnen.
-----
Perspektive2010 hat einen Eintrag zur Restschuldversicherung geschrieben. Hatte ich nach dem Artikel selber vor, aber warum den Epigonen spielen?
-----
NachDenkSeiten beobachten den bestürzenden Verfall der Wahlbeteiligung am Beispiel Frankfurt.
-----
Wut! ruft zum Sofortkauf von Windows Vista auf. Oder auch nicht.
-----
In Fefe's Blog wird gefragt, warum Hartz eigentlich nicht für Hartz-IV verurteilt wurde. Gründe gäb's genug.
-----
Politblog.net sieht die United States of Torture.
-----
Der Jurastudent schreibt über die juristischen Folgen von Sex in den USA.
-----
Eine detaillierte Zeit-Analyse über Wissen und Nichtwissen im Fall Kurnaz.
-----
Neues im Auto-Streit, vermeldet die SZ.
-----
Der Chef der Weltbank kann sich keine Socken leisten.
-----
Alt, aber gut.
-----
Ein zeitloses Plädoyer gegen das dreigliedrige Schulsystem
-----

Montag, 29. Januar 2007

Israel erneut Vorreiter

Wie der Standard berichtet, hat der israelische Vatikanbotschafter Ben Hur (kein Witz) wieder einmal die Dogmas israelischischer Außenpolitik verkündet. Ahmadinedschad sei ein "menschliches Tier" und der "Stellvertreter Hitlers" (der darf bekanntlich nie fehlen). Außerdem baut Iran Atombomben um Israel zu zerstören. Israel sei aber "Gott sei Dank" (welchen?) stark genug, sich zu verteidigen. Das letzte Dogma ist das Interessanteste: "Nicht alle Muslime sind Terroristen. Aber alle Terroristen sind Muslime, das ist eine Tatsache."
Aha? Sicher, so leicht kann man es sich machen. Einmal davon abgesehen, dass es auch linke und rechte Terroristen abseits religiöser Strukturen gibt, existiert der dicke Klumpen Staatsterroristen - Israel (Libanonkrieg), Nato (der Beispiele sind Legion), Russland (Tschetschenien) etc. pp. Was diese abgesehen von dem Recht des Stärkeren über die Selbstmordattentäter aus den Reihen der muslimischen Länder hebt, das weiß der angesprochene Gott allein.

Lohnfragen

In der Süddeutschen findet sich ein ganz netter Artikel zum Thema Lohn, mehr Lohn und weniger Lohn. Demnach wurden die meisten Lohnsteigerungen von der Inflation aufgefressen; nur wenige Branchen verdienten tatsächlich mehr, trotz prosperierender Unternehmen. Die SZ warnt zu Recht vor populistischen Parolen im Umverteilungsstil. Eine Fehleinschätzung ist in meinen Augen, dass die Arbeiter zugunsten der Staatsfinanzen auf Lohn verzichteten - sie taten es meist für Kohle in den Säckeln der Unternehmen. Die Grundaussage jedoch, dass in ohnehin schwächelnden Unternehmen nicht auch noch mehr Lohn gefordert werden sollte, ist richtig - tut ja auch keiner. Es geht um die prosperierenden Unternehmen, die ihren Gewinn mit Massenentlassungen und Lohnkürzungen feier, während die Chefetage sich 200%ige Lohnerhöhungen gönnt. Diese Maden muss man angehen, damit sie sich im gemeinschaftlichen Speck nicht allzu breit machen.

Autos und kein Ende

Eigentlich wollte ich nur eine Antwort auf die mehr oder minder rhetorische Frage cc:Welts geben, aber wie so oft liest man sich an einem Thema fest. Dieser Artikel der Süddeutschen Zeitung, den ich im Folgenden zitieren und kommentieren werde, spricht geradezu aus der Seele. Aus einer sehr konzilianten Seele, deswegen noch Kommentare.

Die deutsche Autoindustrie ist offenbar auf die Produktion von Vehikeln angewiesen, die mehr als 120 Gramm Kohlendioxid je Kilometer ausstoßen.

Anders wäre der heftige Widerstand der fünf großen deutschen Automobilhersteller und des Bundeswirtschaftsministers Michael Glos gegen die Pläne der EU-Kommission zum Klimaschutz nicht zu verstehen.

Umwelt-Kommissar Stavros Dimas will den Grenzwert für den CO2-Ausstoß auf 120 Gramm pro Kilometer festsetzen und die Autohersteller verpflichten, die Emissionen von Neufahrzeugen bis 2012 um ein Viertel zu vermindern

Doch geht es nach dem Willen der Autohersteller, darf dies auf keinen Fall Realität werden.

Andernfalls, so drohen jetzt die Chefs von BMW, Ford, Opel, Volkswagen und DaimlerChrysler in einem Brief an die EU-Kommission, würde es unmittelbar zu einer „Abwanderung zahlreicher Arbeitsplätze bei den Automobilherstellern wie auch in der Zuliefererindustrie aus Deutschland und anderen Produktionsstandorten in Europa“ kommen.

Aha. Nur, um uns das noch einmal klarzumachen: die Autoindustrie baut offensichtlich umweltverschmutzende Autos für die Nobelkasse und vernachlässigt andere Sektoren. Alles in allem ein Versagen des Managments. Nun dürfen es die Beschäftigten ausbaden, wenn nicht die Keule mit der Erpressung (Arbeitsplatzabbau!) Erfolg hat. Toll. Das bestätigt auch die SZ:

Demnach werden die Limousinen und SUVs, die teilweise mehr als 300 Gramm je Kilometer ausstoßen, offenbar in einer Größenordnung verkauft, das große Teile der Industrie inzwischen davon abhängig sind. Anders ist die Aufregung nicht zu verstehen.

Die Angst, dass ausländische Unternehmen in die von der EU erzwungene Lücke bei Autos mit extrem großem Verbrauch stoßen könnten, kann die deutschen Widerstände nicht erklären. Schließlich müsste die Konkurrenz sich ebenfalls an die Vorgaben der EU-Kommission halten.

Eher erklären lässt sich das Verhalten der deutschen Hersteller damit, dass sie sich auf die aus Umweltaspekten betrachtet falschen Ziele konzentriert haben.
Dabei wäre es kein Problem gewesen, umwelttaugliche Wagen zu bauen, denn:

Statt kleinere Motoren zu entwickeln, die weniger CO2 ausstoßen, arbeiten die deutschen Ingenieure daran, bessere Dieselmotoren zu bauen - und Ottomotoren, die zwar weniger verbrauchen, deren höhere Effizienz jedoch dazu genutzt wird, noch mehr Gewicht, noch mehr Luxus, noch mehr PS und noch mehr Geschwindigkeit anzubieten. Der Spar-Effekt wird dadurch ad absurdum geführt.
Aber:
Manche ausländische Kleinwagen-Hersteller dagegen – etwa aus Frankreich – werden kein Problem haben, die geplanten Vorgaben der EU-Kommission zu erfüllen.

Die Drohung der einheimischen Produzenten kommt deshalb dem Eingeständnis eines Versagens gleich. Deutschland ist offenbar nicht mehr konkurrenzfähig, wenn es um Autos mit Otto-Normalverbraucher-Motor geht.

Würden die Pläne des Umwelt-Kommissars Wirklichkeit, dann würden deutsche Autos mindestens 2500 Euro teurer. Und für die dicken BMWs, Porsches und Daimlers müsste der Kunde noch tiefer in den Geldbeutel greifen.
Und natürlich ist es nicht so, dass alles andere nicht wirtschaftlich wäre, nein, man hat es schlicht verpennt. Natürlich sind auch die durch Werbung gelockten Kunden nicht unschuldig an der Misere:

Doch viele Deutsche legen beim Autokauf offenbar noch immer mehr Wert auf Größe, Luxus, Pferdestärke und Geschwindigkeit, als auf Umwelt- und Klimaschutz. Tatsächlich ist gerade die Nachfrage nach den kleinsten und sparsamsten deutschen Modellen extrem gering.

Möglicherweise hängt dies auch damit zusammen, dass die heimische Automobilindustrie seit zehn Jahren ganz gezielt für Modelle mit hohem Benzinverbrauch und CO2-Ausstoß wirbt Wie die Naturschutzorganisation Bund kürzlich berichtete, lag der durchschnittliche Verbrauch der Autos, für die 2005 am intensivsten geworben wurde, bei neun Litern auf 100 Kilometer.

Damit liegt natürlich auch der CO2-Ausstoß dieser Kraftfahrzeuge weit über dem, was der EU-Umweltkommissar für wünschenswert hält.
Bleibt eigentlich nur noch das Fazit:
Ob die Verantwortung nun bei den deutschen Herstellern oder den Käufern – oder auch bei beiden - liegt, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Eindeutig ist jedoch, dass etwas geschehen muss.

Und die Forderung von Vertretern der Automobilindustrie nach einer Verbrauchssteuer für Kraftfahrzeuge statt der gesetzlichen Vorgaben klingt für jene hohl, die bereits jetzt versuchen, sich möglichst umweltbewusst fortzubewegen.

Schließlich würde dies bedeuten, dass derjenige, der es sich leisten kann, in Zukunft weiterhin die Umwelt mit Luxuslimousinen und SUVs verschmutzen wird.

Vornehm, so heißt es, geht die Welt zugrunde. Vielleicht sollte man sagen: Vornehm lässt die Welt zugrunde gehen?

Frage

Auf seinem Blog cc:Welt hat der Autor diese interessante Frage gestellt:
Apropos CO2-Ausstoss der Autos, kann mir jemand erklären wie strengere Umweltnormen 10.000 Arbeitsplätze vernichten? Ich bin da zu blöd, das verstehe ich ohne Vorlage von Tatsachen, Fakten und Beweisen nicht, ich glaube sowas einfach erst dann wenn man mir Tatsachen vorlegt, nicht diesen garantiert tatsachenfreien Tatsachenersatz, den einem die Massenmedien und die Bundesregierung verkaufen wollen.
Ich möchte versuchen, eine Antwort auf diese Frage zu geben. Nehmen wir als Beispiel die 1970er Jahre. In dieser Zeit manifestierte sich erstmals ein Umweltbewusstsein, welches für die Automobilbranche den notwendigen Einbau von Katalysatoren in die Autos bedeutete, um die Abgase zu filtern. Auch hier wurde Zeter und Mordio wegen der erhöhten Kosten geschrieen. Verständlich, dass diese auch auf den (nun unzufriedenen) Kunden umgelegt wurden, der ab sofort 100DM mehr für sein Auto bezahlen musste. Verständlich auch, dass wegen des gestiegenen Kostendrucks Arbeiter entlassen werden.
Zumindest, bis man sich ansieht, dass jeder Katalysator 7,50DM kostete. Hier wird dann schnell deutlich, dass vielmehr die altbekannte skrupellose Gewinnsucht, verbunden mit einer erwünschten Möglichkeit zum Arbeitsplatzabbau (die Automatisierung war auf dem Vormarsch und die Löhne aus Unternehmersicht ohnehin zu hoch) zugeschlagen und entsprechend Wirkung entfaltet haben.
Und, tja, darin liegt auch die Antwort für cc:Welts Problem begraben: die Interessen von wenigen, etwas verdienen zu wollen, haben klar höhere Priorität als die von vielen, saubere Luft atmen zu wollen. Und für diese "falsche Wahl" wurden die kleinen Leute exemplarisch von der herrschenden Klasse "bestraft", mit höheren Preisen und Arbeitsplatzverlust, der lustigerweise zu höheren Profiten für die Unternehmer führte. Müßig nachzuzählen, wie viele Fliegen da mit einer Klappe geschlagen wurden.

Mein Parteibuch schließt

Die Zensur in Deutschland zeigt wieder einmal, dass eine grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit noch lange kein Grund ist, irgendwie rechtsstaatliche Grundsätze einzuhalten. Nicht nur, dass das unbequeme SPD-Mitglied Marcel Bartels von seinen eigenen Genossen - hier vor allem Sigmar Gabriel - juristisch mundtot gemacht werden sollte, nein, nun muss sein bekannter und beliebter Blog "Mein Parteibuch" auch schließen. Offensichtlich wurde der Inhalt den herrschenden Mächten langsam zu gefährlich. Der Unrechtsstaat BRD zeigt wieder einmal sein wahres Gesicht. Unter diesen Gesichtspunkten lässt sich wohl nur hoffen, dass der Oeffinger Freidenker niemals so groß wird, dass er eine Bedrohung für die herrschende Klasse darstellt. Schade, aber man wird nach Alternativen sehen müssen.

Sonntag, 28. Januar 2007

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin...

...die Mär von 1970, es geht mir nicht aus dem Sinn.
Damals weiteten die USA und die südvietnamesische Marionettenregierung den ohnehin verlorenen Krieg auf das benachbarte Kambodscha aus und zogen dieses in einen blutigen Abgrund. Auch der andere Nachbarstaat, Laos, blieb nicht verschont. Nun scheint es, als ob sich im Irak nicht nur die Guerilla wiederhole, sondern auch die fatale Ausweitung des Krieges aus seine Nachbarstaaten. Warf man damals Kambodscha vor, den Ho-Tschi-Minh-Pfad und damit den Nachschub des (ohnehin seit 1968 keine Bedrohung mehr darstellenden) Vietcong zu sichern, so geht nun der Vorwurf der Nachschublieferungen an die Guerilla in Richtung Iran. Auch die Vorbereitungen eines Tonking-Zwischenfalls scheinen bereits getroffen zu sein; eine Flotte von gewaltigen Ausmaßen läuft im Persischen Golf auf, die Truppen werden weit über die Forderungen der Generäle hinaus verstärkt. Diese neue Strategie ist den Plänen der Bakerkommissionen diametral entgegengesetzt und scheint ein letztes Aufbäumen der Neocons darzustellen, die noch einmal zeigen, wer der Herr im Hause ist - oder doch zumindest sein möchte.
Joschka Fischer kommentiert die aktuellen Bestrebungen in der Süddeutschen Zeitung. So heuchlerisch seine Friedensallüren angesichts seiner Biographie auch sein mögen, in der Sache hat er Recht. Sollten die USA sich tatsächlich entschließen, den Krieg auf den Iran auszuweiten, stehen der Region blutigste Auseinandersetzungen bevor, und mit der Stabilität wird es endgültig vorbei sein. Sicherer jedenfalls wird die Lage bestimmt nicht werden.

Samstag, 27. Januar 2007

Fundstück

Ein guter Beitrag zum Thema Kinderwahlrecht.

Droht Hartz der finanzielle Ruin?

Wie Bildblog zusammenrechnet, könnte Peter Hartz kurz vor dem persönlichen Ruin stehen. Zwar erhält er eine monatliche Rente von 25.000 Euro, jedoch kommen deutlich über eine halbe Million Euro Geldstrafe auf ihn zu und, was möglich ist, die Regressforderung der Versicherung bzgl. des VW-Skandals über 2,6 Millionen Euro. Da Harz nur ein Vermögen von 2,7 Millionen Euro angegeben hat, würde dies für ihn den Ruin bedeuten, auch wenn dieser Ruin sich natürlich im Vergleich zu vielen Privatinsolvenzen noch als passabel heraustellen dürfte.
Sollte diese Summe an Forderungen tatsächlich auf Hartz einschlagen, nehme ich zurück, was ich über ein zu laxes Urteil gesagt habe.

Apple und der Kapitalismus

Die Süddeutsche Zeitung hat einen Artikel über Apple und den "iKapitalismus" verfasst, der absolut empfehlenswert ist. In Kurzform zusammengefasst:
Die Präsentation des neuen iPhone durch Apple-CEO Steve Jobs ist ein weiterer Meilenstein auf der durch Apple besonders avantgardistisch betriebenen blinden Konsumsteigerung von Markenartikeln. Vermittels eines famosen Spielens auf der Medienklaviatur werden die Appleprodukte mit dem kleinen "i" als etwas ungemein begehrenswertes dargestellt. Aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen berichten die Nachrichtenmedien über diese Produkte, als ob sie tatsächlich eine Nachricht wert wären. So ist die Präsentation des iPhones (bei dem es sich eigentlich um ein x-beliebiges Handy handelt) viel Nachrichtenrummel wert (zu beobachten auch bei der Markteinführung der X-Box, bei der durch das Zeigen langer Warteschlangen eine Verknappung suggeriert wurde). Dabei ist das Produkt vor allem überteuert und nutzfrei. Die Konkurrenz bietet fast gleiche Produkte an (z.B. Prada (!)), und die Features sind im großen und ganzen nutzlos. Die Süddeutsche weist zurecht daraufhin, wie verhängnisvoll dieser suggerierte Konsumrausch ist, da sich immer mehr Privathaushalte verschulden, um vollkommen nutzlose Luxusartikel zu kaufen. An dieser Stelle greift die Kooperation mit Banken und Versicherungen, die die dafür notwendigen Kredite gleich mit passender Begründung an den Mann bzw. die Frau zu bringen versuchen.
Noch kürzer: Am Beispiel Apple zeigt sich einmal mehr die perverse Macht des entfesselten Kapitalismus über die Menschen und die Nichthaltbarkeit vom Bild des homo oeconomicus.

Freitag, 26. Januar 2007

Nachtrag zum EMMA-Geburtstag

EMMA wurde 30, und die Leitmedien feierten es. Schließlich wollte sich niemand auch nur dem entfernstesten Verdacht aussetzen, er könnte antifeministisch sein - dem Patriarchat quasi stützend unter die Arme greifen. Das führt, die die jungeWelt unter dem Titel "Schwarzer Feminismus" ausführt, teils zu grotesken Ergebnissen:
In ihrer Jubiläumsausgabe läßt sich die Zeitschrift Emma von allen Seiten gratulieren – nicht nur von Frauen wie der Verlegerwitwe, Großverlegerin und Milliardärin Friede Springer, von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Ministerinnen, sondern auch von Männern wie Harald Schmidt, Hellmuth Karasek, Bernd Eichinger, Michael Schumacher und Roland Koch, deren Beitrag zur Emanzipation der Frau bisher wohl nur noch nicht richtig beleuchtet worden ist.

Noch herzerwärmender die ganzseitigen Glückwunsch-Werbeanzeigen von BMW (»Wir sorgen schon lange dafür, daß Männer gern waschen und putzen«), von Politmagazinen wie Spiegel, Focus und Stern, von der Zeit (»Wer es 30 Jahre miteinander aushält, darf getrost von Liebe sprechen«), von der Bunten und von Frauenmagazinen wie Woman und Brigitte. Die CDU wirbt groß mit dem Foto der jungen Angela Merkel um neue Mitglieder (»Wir haben einfach ein Faible für Quereinsteiger«), während die AG Sozialdemokratischer Frauen (ASF) sich mit einer viertel Seite begnügt. Irrwitziger Höhepunkt der Gratulationscour: die Bild-Zeitung verkündet über einem Porträtfoto von Alice Schwarzer: »Jede Wahrheit braucht eine/n Mutige/n, die/der sie ausspricht«.
In der taz findet sich ein Interview mit Alexandra Kühte, die als Medienwissenschaftlerin das Phänomen EMMA untersucht hat. Dieses ist insofern bemerkenswert, als dass es scheint, dass beide Seiten nicht allzuviel von EMMA halten, um eine konkrete Aussage jedoch herumtänzeln, um sich ja keinem Vorwurf auszusetzen - bei der geschlechtspolitischen Linie der taz nur allzugut nachvollziehbar.
Das passende Fazit für den EMMA-Wahn findet die jungeWelt:

Hauptsache auffallen

EMMA kann sich zugute halten, Themen wie Prostitution, Kindesmißbrauch, Pornographie, Genitalverstümmelung und Zwangsheiraten früher und intensiver als andere Medien aufgegriffen zu haben. Tatsächlich gibt es hierzulande keine andere Zeitschrift dieser Größenordnung, die so vehement patriarchalische Mißstände und Verbrechen anprangert.

Das inhaltliche Niveau ist dabei allerdings nicht allzu hoch. Die Autodidaktin Schwarzer hatte schnell die Grundprinzipien der Massenmedien begriffen: Breite ist wichtiger als Tiefe, zugespitzte Polemik wichtiger als wissenschaftlich fundierte Argumentation, schrille Auffälligkeit unabdingbar für den Erfolg. Leni Riefenstahl wird zur Titelheldin, schnurrbärtige muslimische Männer waten im Blut, und in Dossiers über Tierrechte wird die Massentierhaltung mit dem Holocaust gleichgesetzt.

Feminismus à la Schwarzer. Etwas Besseres haben die Deutschen wohl nicht verdient.

Frauen die normalen Führungskräfte

Mit der Attitüde der Überraschung verkündet Focus Online, dass eine Umfrage ergeben hat, dass Frauen weder bessere noch schlechtere, sondern schlicht normale Führungskräfte sind. Wie so oft erweisen sich Thesen von rassischer oder geschlechtlicher Überlegenheit als schlichtweg geistiger Dünnschiss. Warum sollte eine Frau auch eine bessere Führungskraft sein? Angeblich sind sie ja alle teamfähiger, sanfter und überhaupt total sensibel auf irgendwelche sozialen Fähigkeiten, während die Männer allesamt inkompetente grobe Klötze und nur wegen ausgeprägter Seilschaften auf ihren Positionen sind. Die Umfrage entlarvt das nun als Quark; offensichtlich scheint es doch so, dass wenn schon nicht der kompetenteste, so doch zumindest der mit den besten Beziehungen gesegnete auf den Posten kommt. Wann die Femifaschos wohl den Rest ihrer Positionen ebenso wie die sprichwörtlichen Felle davonschwimmen sehen?

Donnerstag, 25. Januar 2007

Hervorragende Analyse zum Hartz-Prozess

In der Süddeutschen Zeitung findet sich eine Analyse zum Hartz-Prozess, die ich euch nicht vorenthalten will. Der Autor nämlich findet den Ausgang des Prozesses furchtbar; er verwendet jedoch für die Argumentation ein bisher ungewohntes, aber stichhaltiges und bedenkenswertes Argument.
Er mäkelt nämlich nicht am Strafmaß herum, dessen Rechtmäßigkeit relativ unzweifelhaft ist. Er bemängelt auch die politische Dimension des Prozesses durch die Tatsache, dass Hartz als Namensgeber und Initiator der Sozialreformen gleich doppelt am Pranger steht.
Stattdessen hebt er auf die Tatsache ab, dass der Prozess im Endeffekt nicht geführt, ein Urteil nicht gesprochen wurde. Es wurde ein Deal geschlossen. Das ist zwar rechtens, aber trotzdem absolut zu verurteilen. Hierfür führt der Autor mehrere Gründe an:
Es bleibt ein schaler Nachgeschmack - wie bei allen sogenannten Deals, die in letzter Zeit gerade das Tun von Managern oft mit strafrechtlichen Samthandschuhen angefasst haben; eine ordentliche Beweisaufnahme in einer ordentlichen Hauptverhandlung, wie sie der Öffentlichkeit geschuldet ist, gibt es immer weniger. Strafrechtliche Probleme bleiben ungeklärt.
Ein gedealtes Verfahren produziert keine Ergebnisse mehr, die es ermöglichen, das Urteil für gerecht zu halten: Dieses wurde im Landgericht Braunschweig zusammengeschraubt wie der Phaeton in der gläsernen Fabrik von Dresden.
Genaugenommen hätten Angeklagter, Verteidiger und Staatsanwältin das Urteil zusammen mit den Richtern unterschreiben müssen - es handelt sich nicht mehr um ein Urteil im eigentlichen Sinn, sondern um einen Vergleich: Geständnis gegen ausgehandelte Strafe.
Genau hier liegt das Problem. Egal, nach welchen Grundsätzen der Deal auf Basis welchen Gesetzes geschlossen wurde, es bleibt ein Deal. Hartz kam um einen Prozess, um eine Beweisaufnahme, die das Ausmaß seiner Verfehlungen offen gelegt hätte herum. Und dies nur, weil er es sich leisten kann. Unser Rechtssystem baut aber darauf, dass jeder vor Gericht gleich ist. Es darf bezweifelt werden, ob ein kleiner Buchhalter einen ähnlichen Deal hätte aushandeln können, um sein Ansehen zu retten. Der Autor fasst dies am Ende so gut zusammen, dass ich euch das Zitat nicht vorenthalten will:
Es sei dies, so heißt es, die Zukunft des Strafprozesses - schnell, sauber, komplikationsfrei. Und wie um dies zu bestätigen, hat die Bundesjustizministerin am Tag des Hartz-Urteils ein Deal-Gesetz vorgestellt. Es beschleunigt die Verwandlung des Strafgesetzbuchs in ein Handelsgesetzbuch. Das mag die Gerichte entlasten. Das belastet aber das Recht.
Im Tagesspiegel findet sich zusätzlich der genaue Hintergrund des Deals. Auch Wut kommentiert den Deal, ebenso der Nachtwächter.

Gesetzesinitiative für REITs im Bundestag, Nachtrag

Ich hatte von der Einführung der REITs berichtet und auch sofort unsere MdBs befragt, wie diese dazu stehen (ich liebe Abgeordnetenwatch ^^). Wiederum war unser CDU-Mann der Schnellste und hat geantwortet:

Sehr geehrter Herr Sasse,

Sie befürchten, dass die Einführung der REITs in Deutschland negative Auswirkungen auf die Kommunen und die Wohnqualität habe.
Die Argumente gegen die Einführung von Real Estate Investment Trusts auf der Internetseite www.nachdenkseiten.de, auf die Sie verweisen, habe ich mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Der Gesetzentwurf wurde am 18. Januar in erster Lesung im Deutschen Bundestag an die Gremien überwiesen. Wir werden die Argumente in den anstehenden Beratungen berücksichtigen.

Basierend auf der gemeinsamen Überzeugung, dem Finanzmarkt eine besondere Bedeutung zuzumessen, haben sich CDU/CSU und SPD im Koalitionsvertrag darauf verständigt, Produktinnovationen und neue Vertriebswege nachdrücklich zu unterstützen. Dazu gehört explizit und wörtlich auch "die Einführung von Real Estate Investment Trusts (REITs) unter der Bedingung, dass die verlässliche Besteuerung beim Anleger sichergestellt wird und positive Auswirkungen auf Immobilienmarkt und Standortbedingungen zu erwarten sind." Durch die Einführung von REITs könnte unseres Erachtens in beachtlichem Umfang auch internationales Kapital für die beiden volkswirtschaftlich wichtigen Bereiche Finanzmarkt und Immobilienmarkt zur Verfügung gestellt werden. Privaten Anlegern wäre es möglich, ohne selbst Wohneigentum erwerben zu müssen, in Immobilien zu investieren.

Eindeutig positive Auswirkungen sind für den Standort, insbesondere den Finanzmarkt, zu erwarten. REITs sind dazu geeignet, das Anlagespektrum in Deutschland zu ergänzen. Sie verdrängen nicht bereits vorhandene Produkte, wie zum Beispiel offene Immobilienfonds. Grund dafür ist ihr besonderes Chance-Risiko-Profil, das zwischen Aktien und Renten liegt. REITs sind nicht -- wie zum Teil von Kritikern vorgebracht - hochspekulative, riskante Anlagen. Sie sind vielmehr Portfolio-stabilisierend und daher besonders interessant für institutionelle Anleger wie Fondsgesellschaften, Versicherungen und Altersvorsorgeeinrichtungen. Auch für vermögende Privatleute können sie zur Diversifizierung und Stabilisierung ihres Portfolios attraktiv sein.

Bezüglich der Auswirkungen auf den Immobilienmarkt zeigt sich ein differenziertes, keinesfalls aber negatives Bild. Mit Blick auf die Gewerbeimmobilien sowie die Arbeitsplätze im Immobilienbereich sind positive Auswirkungen zu erwarten. Unternehmen erhalten durch REITs eine attraktive Möglichkeit, sich von ihren Immobilienbeständen zu trennen* *und sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. Der Arbeitsmarkt in der Immobilienwirtschaft kann durch das Entstehen neuer Berufe wie dem des Portfoliomanagers profitieren.

Eine tatsächlich negative Auswirkung von REITs auf den Wohnungsmarkt könnte darin bestehen, dass REITs, die kommunale Wohnungsbestände aufkaufen, möglicherweise städtebauliche und integrationspolitische Ziele vernachlässigen. Diese potenzielle Konsequenz -- und dies wurde deutlich bei einem Expertengespräch im Herbst vertreten -- ist allerdings keineswegs REIT-spezifisch. Auch andere private Investoren -- wie beispielsweise Private-Equity-Gesellschaften -- werden städtebauliche Ziele nicht unbedingt so im Fokus haben wie die Kommunen selbst. Die mögliche Vernachlässigung städtebaulicher Ziele ist daher keinesfalls ein Argument gegen REITs. Privatisierungen kommunaler Wohnungsbestände werden mit und ohne Zulassung von deutschen REITs künftig weiter vollzogen werden.

Zudem sind Bestandsmietwohnimmobilien nicht in den REIT-Entwurf aufgenommen worden. Unter Bestandsmietwohnimmobilien, die nicht zum Anlagebestand eines REIT gehören dürfen, werden überwiegend Wohnzwecken dienende Gebäude verstanden, deren Nutzfläche zu mehr als 50% Wohnzwecken dient. Alle vor dem 1. Januar 2007 erbauten Immobilien haben Bestandsschutz. Über die Hälfte davon sind Mietwohnungen. Damit wird gerade der Wohnungsbestand der öffentlichen und kommunalen Wohnungsbaugesellschaften geschützt.

Ich persönlich befürworte die Einführung von REITs in jeder Hinsicht - auch unter Einbeziehung der gesamten Wohnimmobilien. Bei Wohnungs-REITs hätten die Kommunen aus meiner Sicht auch nach der Privatisierung über eine Beteiligung am REIT weiterhin Einfluss auf die Stadtentwicklung. Bei weiteren Fragen wenden Sie sich, sehr geehrter Herr Sasse, gerne erneut an mich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Joachim Pfeiffer MdB
Ich kann nicht gerade behaupten, dass mich seine Argumentation übermäßig überzeugen würde...

NACHTRAG: Wolfgang Lieb, der Autor des REITs-Artikels auf den NachDenkSeiten, hat meinen Eintrag wie folgt kommentiert:
Lieber Herr Sasse,
mich überzeugt die Antwort auch nicht. Ich wüsste nicht, wo ich meinen Beitrag korrigieren müsste. Schönen Gruß ins Remstal in meine alte Heimat.
Gruß
Wolfgang Lieb