Sonntag, 27. Mai 2018

Netanjahu und die SPD respektieren den Federalist nicht, weswegen die Einkommensungleichheit unter AfD-Mitarbeitern zunimmt - Vermischtes 27.05.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Die SPD könnte ihren Star-Ökonom verlieren
Der 51 Jahre alte Ökonom galt in der SPD, aber auch in der Union, lange als Ausnahmetalent. Getragen von Förderern wie Sigmar Gabriel, Wolfgang Schäuble und Angela Merkel legte er eine Blitzkarriere hin. Er stieg im Bundesfinanzministerium zum Staatssekretär auf, schrieb die Gesetze zur Finanzmarktregulierung maßgeblich mit; er vertrat Bundesfinanzminister Schäuble während der Griechenland-Krise, beriet Kanzlerin Merkel zur Euro-Rettung. Im Jahr 2012 wurde er ins Direktorium der Europäischen Zentralbank berufen. Nach knapp zwei Jahren verließ er überraschend den prestigeträchtigen Posten bei der EZB, um als Staatssekretär der damaligen Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles in Berlin anzuheuern. Mit jedem Wechsel wuchs die Zahl seiner Gegner. Zu glatt, zu unverbindlich und auch zu selbstbewusst hatten ihn viele erlebt. [...] Bei Nahles blieb Asmussen ebenfalls nicht lange. Angeregt und unterstützt vom damaligen SPD-Parteichef Gabriel, leitete Asmussen seinen nächsten Wechsel ein - zur staatlichen KfW-Förderbank. Dabei jedoch pokerte er nach Ansicht von Beobachtern deutlich zu hoch - und verlor. Er bekam den Posten nicht, wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt, mithin arbeitslos. Der Karrierebruch war umso schlimmer, als es zuvor in seinem Leben beruflich stets aufwärts gegangen war. Nach dem Aus bei der KfW wollte ihn niemand mehr. Asmussen entschied sich für Übergangsjobs. Er beriet die irakische Regierung bei Reformen, arbeitete in einer Denkfabrik an deutsch-französischen Ideen zur Reform der Eurozone mit. Er heuerte bei einem Finanz-Start-up als Aufsichtsrat an. Zudem fing er als Berater bei der amerikanischen Investmentbank Lazard in Frankfurt an. Als die SPD sich Anfang des Jahres erneut zur großen Koalition entschloss und sich das Bundesfinanzministerium sicherte, soll Asmussen mit einem Spitzenjob geliebäugelt haben.
Wenn Jörg Asmussen ein Star-Ökonom ist, dann steht es um die SPD wahrlich schlecht. Die oben beschriebene Vita spricht auch nicht gerade dafür, dass die laut meinem Mitautoren Stefan Pietsch stets Ausnahmetalente anheuernde, erkennende und fördernde Privatwirtschaft ein großes Interesse an ihm hätte, das jenseits seiner politischen Kontakte liegt. Vielmehr scheint der Mann ein weiter Clement oder Sarrazin zu sein: heillos überschätzt, aber aufmerksamkeitsgeil und für die Jobs, die er hatte, im wesentlichen charakterlich ungeeignet. Wer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen will, soll sich um ein Mandat bewerben.

Wer im Hintergrund geräuschlose und effektive Sacharbeit machen will, soll Staatssekretär werden. Aber in die Schlagzeilen drängen und Top-Staatssekretär werden wollen, noch dazu unter jemand wie Olaf Scholz, der mit genau der gleichen Strategie sein politisches Profil definiert - das kann nicht klappen. Wenn Asmussen das nicht sieht, ist er im Politikbetrieb noch weniger am Platz als ohnehin. Dass er die Partei nur verlassen will, weil er bei der Postenvergabe übergangen wurde, markiert ihn endgültig als einen selbstverliebten Gockel in der Reihe Clements und Sarrazins. Good riddance. 2) Als das heillose Schlachten begann - Der Dreißigjähige Krieg
Die Friedensschlüsse, einst als Brief und Siegel auf Deutschlands Untergang verdammt, werden heute als diplomatische Meisterleistung gewürdigt. Frankreich hatte sein Hauptziel, Habsburgs Dominanz zu brechen, erreicht. Die Schweden gewannen Gebiete am Ostseeufer, die Niederlande und die Eidgenossenschaft Souveränität. Bayern durfte die inzwischen errungene Kurwürde und die Oberpfalz behalten. Die religiösen Gegensätze entschärfte man mittels einiger einfacher Bestimmungen. So sollte im Reichstag keine Glaubenspartei die andere überstimmen können. Die Besitzstände der Konfessionen wurden nach dem Stand eines Stichjahres, 1624, bemessen. Schliesslich stellte man den Frieden unter die Garantie der Grossmächte. Eine Amnestie beugte Revanchegelüsten vor. Für fast anderthalb Jahrhunderte bescherte der Frieden den Deutschen ein halbwegs friedliches Dasein. Was hält der «Krieg der Kriege» an Lehren für die Gegenwart bereit? Sie sind eher schlicht und lauten: Einem Kardinal Khlesl gebührte eher ein Denkmal als dem Kurfürsten Maximilian; nichts geht über Verhandeln. Die Existenz von Rechtswegen und Institutionen trägt dazu bei, Kriege zu verhindern. Und: Missbraucht man das Kreuz als Feldzeichen, können die Folgen furchtbar sein. Religion ist Privatsache. Sie sollte ihren Ort in den Herzen haben und nicht in der Politik.
Der Artikel ist interessant, insofern er die traditionellen Klischees hinter dem Dreißigjährigen Krieg, die ich selbst als "richtig" abgespeichert hatte, hinterfragt, vor allem die Idee des vorherrschenden Traumas und des Krieges als Auslöser Deutschlands Unglück. Tatsächlich kann vor allem der folgende Westfälische Friede durchaus als positives Erbe des Krieges gezählt werden, denn die Zeit der großen Religionskriege war damit in Europa erst einmal vorbei. Dass sie durch die Ära der Nationalkriege abgelöst werden sollte, die noch wesentlich furchtbarere Auswirkungen haben sollten, bevor sich das Ganze im 20. Jahrhundert zum ideologisch motivierten Morden steigerte, ist kaum die Schuld der Böhmen 1618.

In letzter Zeit bringen vor allem amerikanische Denker immer wieder das Beispiel des 30jährigen Krieges als ein mögliches Ende der Konflikte im Nahen Osten: einen gewaltigen Kampf zwischen Sunni und Shia, der mit irgendeiner Art von belastbarem Status Quo endet. Es wäre der Region zu wünschen, dass ein solcher Konflikt ausbleibt. Sollte er auftauchen - und die aktuellen Reibereien um Iran, Saudi-Arabien, Syrien und Irak lassen dies als nicht völlig unrealistisch erscheinen - tun wir gut daran, uns rauszuhalten. Und dieses Mal frühzeitig auf den Ansturm von Flüchtlingen vorzubereiten.

3) Rechnungshofbericht zur Einsatzbereitschaft der Bundeswehr: alles noch ein bisschen schlimmer
Das Problem, dass die Logistik vor allem an der Übertragung der Datenbestände von alten Softwaresystemen in die – schon seit mehr als einem Jahrzehnt in der Einführung befindliche – neue Software SASPF leidet, hat nicht nur das Heer: Auch bei der Ersatzteilversorgung fliegender Waffensysteme liegen dem Bundesrechnungshof Erkenntnisse vor, wonach der Bundeswehr die Qualität der Daten, die sie aus ihren Altsystemen in das IT-System SASPF übertragen hat, erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Durch fehlerhafte Daten verzögerte sich nicht nur die Nachbestellung von Ersatzteilen, sondern es besteht auch das Risiko von Fehlbeschaffungen. Nicht einsatzbereit wegen fehlender Ersatzteile, das ist für den Bundesrechnungshof inzwischen schon eine eigene Kategorie. Eine weitere, über die materielle Verfügbarkeit der Waffensysteme hinaus, ist der Mangel an qualifiziertem Personal.
Wie Kommentatoren hier im Blog beständig von "Aufrüstung" reden können, wenn es um das 2%-Ziel der NATO geht, bleibt angesichts solcher Berichte völlig schleierhaft. Eine Erhöhung des Wehretats auf 2% - ohnehin völlig illusorisch - würde nicht einmal genügen, um die jahrzehntelange Mängelwirtschaft auszugleichen, ein ähnliches Problem, wie es die Infrastruktur des Bildungssystems auch hat, wenngleich nicht ganz so krass. Deutschland muss sich langsam entscheiden, ob es eigentlich eine Armee will, oder nur so tun, als ob es eine hat.

4) Trump's reckoning arrives
When a president speaks, others hear. When he acts, he sets in motion a chain of reactions. When he selects one option, he precludes others. This is why presidents are surrounded by elaborate staff systems to help them—and oblige them—to think through their words and actions. If we impose tariffs on Chinese products, how might they retaliate? What’s our next move after that? If we want to pressure Iran more tightly than our predecessors, what buy-in will we need from other countries? What will they want in return? What do we want from North Korea that we can realistically get? Team Trump does not engage in exercises like this. Team Trump does not do it because the president does not do it. His idea of foreign policy is to bark orders like an emperor, without thinking very hard about how to enforce compliance or what to do if compliance is not forthcoming.
David Frums vernichtende Kritik der Trump'schen Außenpolitik hier ist wichtig zu lesen. Die Never-Trump-Konservativen hatten ihr größtes Problem von Beginn an mit Trumps Außenpolitik; ihr Denken ist von daher hier am klarsten und widerspruchfreiesten. Dass sie alle früher begeisterte Neocons unter George W. Bush waren - David Frum ist der Erfinder der "axis of evil" - macht es oft schwierig, ihre Denke hier anzuerkennen.

Die Kritik ist trotzdem zutreffend. Denn Team Trump denkt tatsächlich nur äußerst kurzfristig in PR-Erfolgen. Eine echte Strategie steht hinter dem instinktgetriebenen Handeln oftmals nicht. Ich habe schon öfter betont, dass wir bisher das Glück hatten, dass Trump keine Krise zu bewältigen hatte. Die wahre Belastungsprobe für seine Art der Außenpolitik - und der Beweis, welche Seite Recht hat: die "ungewöhnliche aber brillante Strategie" oder "pures Bauchgefühl ohne Richtung" - kommt erst, wenn die USA sich einer Krise gegenüber sehen.

5) Young left out of booming US house market
More than 40 per cent of housing wealth is now concentrated in the hands of those aged 60 or more, according to the New York Fed. That compares with 24 per cent in 2006, on the eve of the financial crunch. At the same time people under the age of 45 now hold only 14 per cent of America’s housing wealth — down from 24 per cent in 2006. The figures underscore the fragile foundations of America’s economic recovery as inter-generational inequality increases alongside widening gaps between rich and poor. If younger and less well-off individuals have little wealth stowed away in the property or the stock market they will be heavily exposed when the next recession strikes. “Lower and middle income individuals are not benefiting as much from rising housing wealth and stock market values as in the past, and that means the main pillar of the economy is less robust than it used to be,” said Gregory Daco, head of US economics at Oxford Economics. “Lower and middle income individuals are the key driver in terms of spending and the overall economy’s fortunes.”
Die Generation der Millenials wurde von der Finanzkrise unglaublich stark getroffen, ohne dass das bisher groß thematisiert würde. Die Debatte konzentriert sich überwiegend auf das Schicksal der weißen Arbeiterschicht jenseits der 40, die durch den beständigen Strukturwandel ihre alten Jobs in der Industrie verloren haben. Die große Schicht der Jungen, die nie gute Jobs bekommen haben, spielt aus zwei Gründen keine große Rolle: der eine, selbstverschuldete, ist dass sie nicht beziehungsweise nicht in ausreichender Zahl wählen, der andere, dass Dinge die nie erreicht wurden wesentlich schwieriger zu begreifen sind als solche, die verloren gingen.

Dieser Mechanismus ist es, der gerade die älteren Wähler in allen Demokratien so mächtig und gefürchtet macht. Da sie im Normalfall im Nachkriegsboom zu Wohlstand kamen, spüren sie jeden Einschnitt besonders stark. Dasselbe gilt für Babyboomer, die ebenfalls noch mächtig profitierten. Die Millenials dagegen wuchsen mit der Agenda2010 und der Finanzkrise auf. Sie kannten den materiellen Wohlstand und die Sicherheit nie, die die Erfahrung der Babyboomer und ihrer Eltern kennzeichnet.

6) The irredeemable irresponsibility of The Federalist
Does The Federalist believe it is simply impossible for any administration to fairly investigate wrongdoing and criminality on the part of members of the other party? If so, that would of course leave it entirely up to each party to police its own members, with Democrats overseeing Democrats and Republicans overseeing Republicans. In a circumstance like the one that prevailed in 2016, that would mean the Obama administration's Justice Department (including the FBI) could investigate Hillary Clinton but not Donald Trump. If that were a serious proposal, it would create an incoherently lopsided system in which the party out of power in the executive branch could get away with all kinds of criminality without fear of investigation. But of course this isn't a serious proposal at all, and not only because there's zero chance that The Federalist would support a Republican administration turning a blind eye to evidence of wrongdoing on the part of Democrats. It's also unserious because Trump himself is currently being investigated by his own Justice Department and FBI, the leadership of which is uniformly Republican, and by a special counsel who is also a Republican. The only principle in play at The Federalist would therefore appear to be that no one of either party should ever investigate Donald Trump.
Es ist immer wieder gut zu sehen, dass die wenigen verbliebenen moderaten Konservativen ihre radikalisierten Kollegen für ihre Kollaboration verantwortlich zu machen suchen. Im Gegensatz zum National Review hat der Federalist wenigstens von Anfang an keinen Hehl aus seiner Position gemacht. Das Magazin hat von Anfang an die Democrats als das Böse schlechthin gesehen, die zu besiegen jedes, absolut jedes, Mittel Recht ist. Was FOX News im TV-Bereich ist, oder Rush Limbaugh und Alex Jones im Radio-/Podcast-Segment, das ist der Federalist im gedruckten Bereich: ein Propagandablatt im Dienste der Regierung, das ähnlich er Pravda jede noch so tolldreiste Lüge der Regierung als Wahrheit ausgibt. Es ist wichtig, dass immer wieder darauf hingewiesen wird, dass diese Kollaborateure genau das tun. Denn wie immer will es am Ende keiner gewesen sein.

7) Why Democrats can't win the "respect" of Trump voters
In the endless search for the magic key that Democrats can use to unlock the hearts of white people who vote Republican, the hot new candidate is “respect.” If only they cast off their snooty liberal elitism and show respect to people who voted for Donald Trump, Democrats can win them over and take back Congress and the White House. The assumption is that if Democrats simply choose to deploy this powerful tool of respect, then minds will be changed and votes will follow. This belief, widespread though it may be, is stunningly naive. It ignores decades of history and everything about our current political environment. There’s almost nothing more foolish Democrats could do than follow that advice. Let’s take, for instance, Barack Obama. Can you think of another president who spent more time reaching out to the other side and showing respect for them? You might or might not like his policies, but nobody tried harder to be respectful than Obama. And Republican voters had eight years to watch him.
Das. Das ganze Gerede vom Zurückgewinnen der Trump-Wähler ist auch aus wahltaktischer Sicht nicht sonderlich zielführend. Diese Wähler sind verloren, und "Respekt" wird sie nicht zurückbringen. Der Respekt, den ihnen Obama stets entgegenbrachte, den auch Hillary Clinton öffentlich immer wieder zur Schau stellte - er brachte rein gar nichts. Auf der Gegenseite zahlte nicht ein einziger republikanischer Kandidat, und ganz sicher nicht Donald J. Trump, einen Preis für den abgrundtiefen Mangel an Respekt, den sie demokratischen Wählern zukommen ließen. Die werden auch heute nicht respektiert. Ihre Stimmen gelten als weniger wert, weniger echt als die von Republicans. Dass sie offensichtlich die Mehrheit im Lande sind und diese Mehrheit wegen wahlpolitischer Verzerrungen nicht ausüben können, wird einfach als Naturgesetz hingenommen. Don't talk to me about respect.

8) Für Benjamin Netanjahu ist das der Frieden
So sieht Netanjahu mit der Verlegung der US-Botschaft das Ende der Bigotterie gekommen. Eine Tatsache werde nun als Tatsache anerkannt, so denkt er. Die Palästinenser, die in den vergangenen Jahren dazu übergegangen sind, jegliche historische Verbindung des jüdischen Volkes zu Jerusalem zu leugnen, müssten sich nun endgültig damit abfinden, dass die jüdische Präsenz in Al-Kuds, wie Jerusalem auf Arabisch heißt, eine nun auch anerkannte Realität ist, um die man nicht mehr herumkommt. Nur so, denkt Netanjahu, könne man realistisch den Frieden verhandeln. Aber ist das wirklich so? Keine Frage, Donald Trumps Entscheidung ist ein Geschenk an den israelischen Premier, aber zugleich brachte Trump die USA aus der Vermittlerrolle zwischen Palästinensern und Israelis heraus. Der ehemalige US-Botschafter in Israel, Dan Shapiro, ein Obama-Mann, sagte am Montag, dass es eigentlich kein Problem sein sollte, eine amerikanische Botschaft für Israel in Westjerusalem zu eröffnen, wenn denn Trump nur gesagt hätte, dass man dereinst eine zweite Botschaft in einer zukünftigen palästinensischen Hauptstadt Ostjerusalem eröffnen werde. Dass Trump genau dies nicht getan hat, ist für die USA politisch kurzsichtig. Bibi kann es aber egal sein. Er hat ein wichtiges Ziel erreicht.
Ich habe immer mehr das Gefühl, dass von "Frieden" oder "Friedensprozess" zu reden im Nahen Osten ohnehin nur noch Makulatur ist. Es gibt weder eine irgendwie für alle Seiten akzeptable Lösung, noch Parteien die willens wären, sie zu verfolgen. Netanjahu scheint dem alten römische Motto folgen zu wollen, eine Wüste zu schaffen und es Frieden zu nennen. Angesichts der Unnachgiebigkeit und genozidalen Gewaltbereitschaft ihrer Kontrahenten scheint das aber ohnehin die einzige Version von "Frieden" zu sein, die die Region bekommt. Dass die USA unter diesen Bedingungen auch offiziell zum parteiischen Spieler werden und eine Vermittlerrolle praktisch ausschließen, ist da nur konsequent.

Man sehe sich die Ergebnisse des Friedensprozesses nur einmal an. Intifadas, Provokationen, Gegenprovokationen, Siedlungen, Anschläge - nichts lässt irgendwie darauf schließen, dass hier eine Lösung gefunden werden könnte. Wie soll die auch aussehen? Vermutlich ist es auch hier am besten, wenn wir uns überwiegend heraushalten und ansonsten das Existenzrecht Israels schützen. Es ist kein Widerspruch, beide Seiten für doof zu halten und trotzdem Israel zu schützen, denn die haben wenigstens nicht vor, ihre Gegner komplett zu vertreiben oder zu vernichten.

9) Eine ganz normale (Nazi-)Partei
Diesmal ist es der rechtsextreme parlamentarische AfD-Mitarbeiter Marcel Grauf, dessen Chatprotokolle der vergangenen vier Jahre der Wochenzeitung Kontext vorliegen - und die ein geschlossenes faschistisches Weltbild belegen. Grauf arbeitet für die AfD-Abgeordneten Christina Baum und Heiner Merz im baden-württembergischen Landtag. Internetkorrespondenz aus vier Jahren des "Mitdreißigers" konnte von Kontext ausgewertet werden. Unter seinen Dialogpartnern waren neben AfDlern "Neurechte, NPD-Funktionäre, Mitglieder rechter Studentenverbindungen". Die Korrespondenz wurde von 2013 bis Ende 2017 unter Pseudonym auf einem zweiten, anonymen Facebook-Account Graufs geführt. Grauf, der Mitglied der Burschenschaft Germania Marburg war, ist verbunden mit Philip Stein, der im parteiinternen Netzwerk um den Strippenzieher Götz Kubitschek aktiv ist. Er leitet die Bewegung "Ein Prozent für unser Land", die sich selbst als "Deutschlands größtes patriotisches Bürgernetzwerk" versteht. In dem Bürgernetzwerk sind laut Kontext Identitäre, Neonazis, Hooligans und weitere ausländerfeindliche Parteiströmungen organisiert. In seiner Internetkorrespondenz bringt Grauf seine Verehrung für Adolf Hitler und Mussolini zum Ausdruck, er äußert sich zustimmend zum Massenmörder Breivik und zum Rechtsterrorismus. Die Chatprotokolle sind gespickt mit ausländerfeindlichen, antiislamischen und antisemitischen Äußerungen. Afrikaner werden als Neger beschimpft, Araber als Sandneger, Muslime sollen generell zum "untermenschlichen Verhalten" neigen, was an ihrer "Rasse" liege. Behinderte werden als "Mongos" beschimpft. Geldprobleme ließen sich durch die Besteuerung von Juden lösen, so Grauf, der einen Bekannten im Februar 2016 fragte, ob er lieber Sophie Scholl oder Anne Frank vergewaltigen würde.
Es ist ungeheuer entlarvent, dass die AfD noch immer nicht so behandelt wird wie LINKE, was ihre verfassungsfeindlichen Elemente angeht. Abgeordnete der LINKEn wurden überwacht, weil sie als Anwälte für die Rote Hilfe gearbeitet haben. Hier dagegen wird immer noch ein Eiertanz um die Frage aufgeführt, ob die AfD vielleicht als rechtsextrem eingestuft werden könnte, während eine komfortabel zweistellige Anzahl ihrer engsten Mitarbeiter offensichtlich verfassungsfeindliche Extremisten sind und die Partei das überhaupt nicht juckt.

10) Trump's racist immigration policy is backfiring on him
If you are so cynical as to assume white voters are simply too racist to care, think again. The visceral power of harm to children and families can overcome deep-rooted racism. In the early and mid-19th century, abolitionists emphasized how slavery tore apart African-American families, causing revulsion among white northerners who were assuredly quite racist on the whole. The emotional power of the stories of families torn apart by Trump’s policy has an unknown, but vast, potential. [...] The general operating method of Republican politics is to use ethnonationalist resentment to generate support for elite-driven anti-government policy. That is, there is one basket of issues Republicans use to harvest votes — talking tough against communists or terrorists; defending the flag; posturing against criminals; getting tough on welfare cheats — and then the different basket of policy objectives they spend their political capital on — tax cuts for the rich, deregulation for business. We have implicitly slotted Trump’s border demagoguery in the former category. But there’s little reason to believe this particular form of populism is actually popular.
Ich glaube, Chait macht es sich hier zu einfach. Zwar ist seine Grundidee unzweifelhaft korrekt - nichts befeuerte die Willkommenskultur 2015 so sehr wie das Bild eines toten Dreijährigen an einem türkischen Strand - aber solche Gefühle werden schnell von der generell abgeneigten Haltung gegenüber Einwanderern aller Art überdeckt, wie man ja auch hierzulande gesehen hat. Denn egal was Chait hier meint - eine harte Haltung gegenüber Immigranten IST populär. Es ist wie bei so vielen Politiken: niemand sieht gerne, wie die Wurst hergestellt wird, aber üblicherweise sieht das auch keiner. Wenn es kurz in die Schlagzeilen kommt, hat man für ein, zwei Wochen, vielleicht auch einen Monat eine Welle der Sympathie - aber das kann man nicht planen, und darauf kann man nicht bauen. Wenn so ein Ereignis, bei dem ICE-Agenten irgendein süßes spanisches Kind misshandeln, Ende Oktober in die Schlagzeilen kommt, dann wird Chaits Szenario eintreffen. Wenn nicht ist seine Grausamkeit gegenüber Migranten eine sichere Bank für Trump gegenüber seinen eigenen Anhängern und von wenig Bedeutung für den Rest der Wählerschaft.
Solange Seehofer nicht für Klarheit sorge, werde er sich kritische Fragen gefallen lassen müssen, sagte Nahles. In den Ländern gibt es Vorbehalte gegen die vorerst an bis zu sechs Standorten geplanten zentralen Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungseinrichtungen (Abkürzung: „Anker“). Das gehöre unweigerlich zur Willkommenskultur dazu. „Sie funktioniert nur zusammen mit einem durchsetzungsstarken Rechtsstaat“, so Nahles. Wer Schutz brauche, sei willkommen. „Aber wir können nicht alle bei uns aufnehmen. Dazu müssen sich auch die Grünen im Bundesrat bewegen“, forderte die SPD-Chefin. (Welt)
Nicht einmal die CSU schafft es, mit dem widerlichen Appeasement relevante Stimmenanteile von rechts wiederzubekommen. Was reitet die SPD zu glauben, dass sie das schaffen würde? Karl Lauterbach schwadroniert von "sinkender Akzeptanz", die dann irgendwie Abschiebungen erforderlich mache - weil nichts die Akzeptanz von Flüchtlingen so steigert, wie sie abzuschieben? Anstatt einen vernünftig-pragmatischen Gegenpunkt zu setzen, unterstützt die Partei das Narrativ der Rechten und akzeptiert deren hohle Prämissen. Abschiebung wird inzwischen nur noch als Panacea eingesetzt, um die Frage, wie viele Abschiebungen tatsächlich rechtlich durchgeführt werden müssen und wie das bewerkstelligt werden kann geht es längst nicht mehr. Die SPD macht bei der Demontage des Begriffs vom "Rechtsstaat", wie ihn CSU und AfD vorantreiben, fleißig mit. Es ist dieselbe Idiotie wie "im Felde unbesiegt". Keiner wird es der Partei danken. Alles, was sie erreicht, ist den Brunnen mit zu vergiften. Man verzweifelt wirklich über diesen Laden.

Freitag, 25. Mai 2018

Die Democrats sollten mehr über Alice Weidel reden, die NRA will Gender-Rollen in die Bill of Rights schreiben und Paul Ryan kniet beim NFL-Spiel - Vermischtes 25.05.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) A fitting end to Paul Ryan's political carreer
Ironically, this ended up derailing one of Ryan’s core welfare reform ideas: adding stringent work requirements to the food stamp program, which would have thrown millions of people off the rolls and suppressed wages. Freedom Caucus members support shrinking the welfare state, but they voted against the bill anyway. In many ways, the defeat was more symbolic than substantive; the Senate wasn’t passing a farm bill with those work requirements anyway. But it revealed how thoroughly the Republican leadership has lost control. They have no ability to tamp down moderates on immigration who trying to save their jobs this fall, or hard-right Freedom Caucusers who kept themselves in line over the tax bill but now see no reason to keep quiet.
Paul Ryan ist sicherlich einer der überbewertetsten Politiker der letzten Dekaden. Ein ideologischer Kreuzritter mit grandioser Selbstdarstellung, dessen tatsächliche Erfolge sich an einer Hand abzählen lassen - genauer gesagt, an einem Finger: eine Steuersenkung für Millionäre, die jederzeit wieder rückgängig gemacht werden kann. Im Gegenzug für diesen Erfolg hat er die Normen und Werte der amerikanischen Demokratie nachhaltig mitbeschädigt und sich für Trump prostituiert. Der finale Akt, die republikanische Fraktion im Repräsentatenhaus in völligem Chaos zu hinterlassen, passt wie Arsch auf Eimer. 2) The Trump rationale
Trump is currently not carrying on an affair with his limousine driver, as Ike probably was with Kay Summersby while commanding all Allied forces in Europe following D-Day. [...] Trump did not run in a vacuum. A presidential vote is not a one-person race for sainthood but, like it or not, often a choice between a bad and worse option. Hillary Clinton would have likely ensured a 16-year progressive regnum. As far as counterfactual “what ifs” go, by 2024, at the end of Clinton’s second term, a conservative might not have recognized the federal judiciary, given the nature of lifetime appointees. [...] Amnestied illegal aliens would not in our lifetimes become conservative family-values voters. [...] Trump took on his left-wing critics as few had before, did not back down, and did not offer apologies. He traded blow for blow with them.
Dieser Artikel des National Review ist vor allem interessant, um die Mentalität der Konservativen zu verstehen. Das National Review veröffentlichte während der Wahl 2016 eine Ausgabe, in der sich alle namhaften Autoren der konservativen Szene zusammentaten und "Never Trump" riefen: ein flammendes Plädoyer, warum man nie, niemals, einen solchen Mann wie Trump unterstützen könne und warum dieser gegen alles steht, für das Konservative stehen. Kaum irgendwo lässt sich die Rückgratlosigkeit dieser Bewegung so gut sehen wie am National Review, das sich seither zu einem brennenden Bannerträger Trumps gemausert hat. Die wenigen echten Never-Trump-Konservativen wie Nichols, Frum, Boot oder Wilkinson schreiben dort nicht; sie sind vielmehr bei zentristischen bis liberalen Institutionen wie dem Atlantic, der Washington Post oder der Week untergekommen - was auch einmal mehr den alten Vorwurf, die Liberalen ließen keine Meinungspluralität zu, Lügen straft und auf den Absender zurückwirft.

Spannend ist die oben ausschnittsweise zitierte Argumentationslinie vor allem deshalb, weil die Schreiber des National Review Trump ja immer noch nicht mögen. Sie unterstützen ihn nur, weil er ihrer Sache dient, und rechtfertigen sich ihren Kotau vor allem vor sich selbst. Das ist teilweise lachhaft, etwa wenn die absurd spezifische "keine Affäre mit der eigenen Fahrerin während des Kommandos der alliierten Streitkräfte" auftaucht, als ob dies Trumps zahllose andere Affären entschuldige. Es ist machtversessen, wenn die Idee einer progressiven Regierung so abscheulich ist, dass jede Schandtat gerechtfertigt ist, nur um diese Aussicht zu verhindern. Es ist entlarvend, wenn erklärt wird dass ethnischeMinderheiten ohnehin nicht Republicans wählen, weswegen ihre Verfolgung gerechtfertigt ist. Und es ist abstoßend, wenn - zum Abschluss, wo es offensichtlich das wichtigste Argument für die "Denker" des National Review ist - der pure Fakt, dass sich Trumps ganzer Hass, seine ganze Zerstörungskraft eben gegen den ideologischen Gegner richtet. Was das National Review hier abliefert ist eine lange Bankrotterklärung der intellektuellen Spitze der republikanischen Partei. Als solche allerdings hat sie ihren archivarischen Wert. 3) NFL's prosposed anthem rules: penalties for kneeling being considered
On Tuesday, NFL owners put three hours aside for a privileged session to speak—amongst themselves and family members—about the most sensitive of topics. One was how the league will handle players kneeling during the national anthem going forward. An idea being floated in the room goes like this: It would be up to the home team on whether both teams come out of the locker room for the anthem, and, should teams come out, 15-yard penalties could be assessed for kneeling.
An nur wenigen Stellen lässt sich die Absurdität der Debatte um Meinungsfreiheit und political correctness so gut sehen wie an dem Skandal um kniende NFL-Spieler. Während die Konservativen beständig schreien, dass ein paar dumme Sprüche skandierende Berkley-Studenten die größte Gefahr für die Meinungsfreiheit darstellen, finden sie nichts dabei, dass die Millionäre der NFL freie Meinungsäußerung mit harschen Strafen unterdrücken wollen. Und bevor jemand die alte Behauptung auspackt, dass Politik im Football nichts verloren habe - seit der Reagan-Ära sponsort das Pentagon die NFL mit mehreren Millionen jährlich. Das ganze Ehren von Veteranen, Absingen der Nationalhymne und Überfliegen des Stadions mit Kampfjets kommt ja gerade daher. Aber die Rechten haben mit political correctness kein Problem, wenn es nur die ihnen selbst unangenehmen Meinungen unterdrückt, ob dieseits oder jenseits des Atlantiks. 4) Die subtile Machtausübung der Männer
In dem Orchideenfach unter den künstlerischen Disziplinen, das von der medialen Aufmerksamkeit und den monetären Umsätzen nicht mithalten kann mit der Welt der Schauspielerei, der Malerei oder der Fotografie, herrschen vielfach noch patriarchale Strukturen wie im 19. Jahrhundert. Führende Literaturkritiker – nie wurde bisher eine Frau auf diesem Gebiet wirklich berühmt – können unwidersprochen die Meinung äußern, dass Frauen die lange epische Form, der Roman, nicht läge, stattdessen könnten sie aber "hinreißende Kurzgeschichten" schreiben. Am ehesten seien sie doch auf dem Gebiet der Liebesgeschichte oder des Familienromans zuhause. Bei Romanen mit gesellschaftspolitischem Anspruch heißt es schnell, die Autorin habe sich "verhoben". Bei den männlichen Kollegen wird dagegen die "Welthaltigkeit" und der "Mut ein schwieriges Thema zu bearbeiten" gelobt.
Literaturkritik ist tatsächlich ein äußerst männlich dominiertes Feld, das gilt im Übrigen nicht nur für die Hochkultur und die Literatur. Auch in der Popkultur sind die meisten Kritiker männlich, was unter anderem zu dem verheerenden Effekt der #Gamergate-Affäre beitrug. Schon das reine Feststellen dieses Repräsentationsproblems, das offensichtlich mit einem Ausschluss anderer Perspektiven einhergehen muss, ruft oftmals äußerst aggressive Reaktionen hervor. Umgekehrt fällt die Nicht-Repräsentation anderer Sichtweisen und Ansätze kaum auf, weil man in der eigenen Blase dauer-bestätigt wird.

Das hier beschriebene Phänomen findet sich übrigens auch in der Schule. Die Auswahl der Pflichtlektüren gerade für das Abitur ist extrem einseitig. Man sehe sich nur einmal an, was die letzten Jahre (dieses Jahr glücklicherweise zuletzt) Thema war. Mit "Agnes" und "Homo Faber" sind gleich zwei Mittfünziger aus der oberen Mittelschicht daran, einer Mittzwanzigerin nachzustellen und diese aus einer angenommenen Vaterrolle heraus zu dominieren, im einen Fall sogar (ungewollt) inzestuös. In "Dantons Tod" dagegen sind Mittdreißiger aus der oberen Mittelschicht dabei, politisch-philosophische Ideen auszutauschen und Frauen entweder als sündig (Robespierre) oder willenlose Verfügungsobjekte (Danton) zu betrachten. In allen drei Werken kommen einfache Menschen oder gar Minderheiten allenfalls als romantisierte Staffage vor.

Und in den nächsten Jahren wird es nicht besser. Der Mittfünziger Faust aus der bildungsbürgerlichen Oberschicht darf sich dieses Mal sogar an einen Teenie ranmachen und der Mittfünziger Haller aus der bildungsbürgerlichen Oberschicht aus dem "Steppenwolf" darf sich mit Hermine vergnügen. Beide hadern mit ihrem bildungsbürgerlichen Hintergrund, den der Student Anselmus aus dem "Goldenen Topf" immerhin nutzt, um zusammen mit einem Teenie-Girl die dunkle Magie zu erkunden. Blägh. 5) Forget norms. Our democracy depends on values
OK, we really need norms. But we don’t need all norms equally. In the Trump era, norms are invoked with dizzying frequency, and Trump won the White House while violating all sorts of unwritten rules of campaigning. So which norms should we really try to protect? In short, some norms are more cosmetic and about tradition and convention, and some norms are really about “democratic values.” We care about the latter. How can we tell which is which? Three categories of norms about presidential behavior tap into crucial aspects of democracy: respecting the independence of other institutions, acknowledging that political conflict is part of the process, and keeping private profit separate from government operations.
Ich war bei der Artikelüberschrift zuerst sehr skeptisch, schien es doch eher ein clickbait zu sein: Vergiss A, weil nach meiner semantischen Unterscheidung nur B relevant ist, die eigentlich jeder meint, wenn sie A sagen. Aber tatsächlich macht der Artikel einige gute Punkte zum Thema. Es gibt Normen, deren Bedeutung für die Gesundheit der Demokratie verhältnismäßig unbedeutend ist (so leidet die deutsche Demokratie nicht merklich unter einem Mangel an Legislaturbeschränkungen, wie sie das amerikanische System kennt), während andere dagegen eklatant sind.

Trotzdem ist es schwierig, hier Prioritätenlisten aufzustellen. Nicht ohne Grund warnt man stets davor, den Anfängen zu wehren. Denn die eine Normenverletzung ruft oft weitere hervor. Was ist schlimmer: dass die Republicans sich (der Norm der loyalen Opposition verwehrend) in Totalverweigerung begaben, oder dass Obama in Reaktion darauf die exekutiven Prärogative weiter auslegte als je zuvor? Die Antwort hängt praktisch immer vom eigenen parteiischen Standpunkt ab, denn ein Republican wird das Verhalten seiner Abgeordneten als gute demokratische Kontrolle empfinden, während ein Democrat in Obamas Handeln nichts anderes als den verzweifelten Versuch sieht, ein Modikum von staatlicher Handlungsfähigkeit zu wahren. Auf dieses Dilemma habe ich auch keine gute Antwort. Die Republicans haben es nie geschafft, Obamas viele executive orders erfolgreich als demokratische Normverletzung darzustellen, und es scheint gerade nicht so, als hätten die Democrats mit ihren Anklagen von Trumps mannigfaltigen Verstößen mehr Erfolg. Die Kritik fällt am Ende doch stets auf den kleinsten gemeinsamen Nenner eines Kampfmittels im Meinungsstreit zurück. Es ist diese Mechanik, die mich auch immer skeptisch gegenüber atemlosen Beschwörungen der Sicherheitspolitik macht: ein Staat, in dem demokratische Normen nicht mehr gelten, schert sich im Zweifel einen Dreck um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das haben Ungarn und Polen in der letzten Zeit hinreichend bewiesen. Papier ist ein schlechter Schild für die Demokratie. Ihre Bürger müssen sich um sie sorgen, sonst ist es um sie geschehen. 6) Centrists are the most hostile to democracy, not extremists

Across Europe and North America, support for democracy is in decline. To explain this trend, conventional wisdom points to the political extremes. Both the far left and the far right are, according to this view, willing to ride roughshod over democratic institutions to achieve radical change. Moderates, by contrast, are assumed to defend liberal democracy, its principles and institutions.The numbers indicate that this isn’t the case. As Western democracies descend into dysfunction, no group is immune to the allure of authoritarianism — least of all centrists, who seem to prefer strong and efficient government over messy democratic politics.Strongmen in the developing world have historically found support in the center: From Brazil and Argentina to Singapore and Indonesia, middle-class moderates have encouraged authoritarian transitions to bring stability and deliver growth. Could the same thing happen in mature democracies like Britain, France and the United States?

Die Forschungsergebnisse Adlers sind mehr als verstörend, besonders im Hinblick auf Fundstück 5). Wenn seine Ergebnisse korrekt sind - und das kann man wegen der uneindeutigen Definition von "Zentrist" und "Extremist" durchaus anzweifeln - dann steht es um die Demokratie wesentlich düsterer als angenommen. Wie bereits in einem der letzten Fundstücke (hier, Nummer 3) angedeutet ist "die Mitte" ohnehin ein höchst dubioses Konzept, die häufiger eher als Mittel aus extremen Positionen und Resultat allgemeiner Unkenntnis über Sachfragen gebildet wird. Die Ergebnisse überraschen daher nicht wirklich. 7) Alice Weidel und das Lachen im Halse
Es hat sich ein Plauderton eingeschlichen, wie in Deutschland über diese Verrohung geredet wird. Wie Weidel sich über andere lustig macht, wird auch über sie gelacht. Es lachen dann alle, und Leute, die draußen an der Tür lauschen, könnten meinen, die Deutschen seien ein besonders heiteres Völkchen geworden. Es ist aber ein kaltes, zähnefletschendes Lachen, das Kompromisse und Verantwortlichkeit, Überlegtheit und Anerkennung, die Kernzwecke der Demokratie, unmöglich macht. Und das ist nicht besonders lustig. Es stimmt schon, dass es im Parlament lebendiger zugeht, seit die AfD dort vertreten ist. Und wenn es eine Lehre aus dem Aufstieg der Partei gibt, dann die, dass man nicht versuchen sollte, Strömungen aus dem Parlament herauszuhalten, weil sie sonst einen Mob bilden und keine Fraktion. Man kann also begrüßen, dass sich die Menschen nun im Parlament fetzen und nicht auf der Pegida-Route. Und trotzdem muss der Widerstand der Altmodischen andauern, gegen die fortwährende Verletzung bürgerlicher Werte und die Verächtlichmachung von Menschen. Aber auch gegen jene, die gelangweilt abwinken, wenn schon wieder vor der Verrohung gewarnt wird. Sollen sie doch winken.
Wichtig, das stets zu betonen. Wie die ganze traurige Geschichte mit Trump in den USA oder den Authoritaristen in Osteuropa zeigt ist nichts so schädlich wie die Normalisierung der Extremisten. Was Weidel im Bundestag zeigt ist die Kehrseite des oft geforderten Endes der Konsenspolitik und Rückkehr des Meinungsstreits. Die Leute vergessen gerne, wie es dabei häufig zugeht (und früher zuging). Die AfD bringt das Eklige, Persönliche, Abstoßende wieder direkt zurück in die Mitte des Parlaments. Sicher wird es dadurch künftig wieder härter zugehen; ob das dem Diskurs sonderlich förderlich ist, wird sich noch zeigen. Man muss solange den Rat der FAZ annehmen und vermeiden, hier zur Normalisierung beizutragen. 8) Democrats should talk more about Trump

The general idea, suggested by Klobuchar and others, is that voters, already saturated by an unending stream of Trump news, are pining for a message that is not pegged to the polarizing president. This is too clever for its own good. Trump is the central issue in American politics, and Democrats should spend more time on him, his administration, and the threat they pose to the country at large. In fact, Democrats can have the best of both worlds, offering their own vision for the country, while tying the president’s agenda to his scandals and his corruption, for a more fulsome portrait of the problems facing American democracy. Without the energy of anti-Trump activism, there is no Democratic path to a House majority. Far from moderating their rhetoric, Democrats should lean in to the fact that Trump and his policies are unpopular.

Jamelle Bouie bläst hier ins selbe Horn wie Jonathan Chait: Die Korruption von Trump und seinen Kumpanen ist ein gutes Thema für die Midterms, weil sie sich sowohl mit den Themen der Democrats als auch mit der Person Trumps verbinden lässt. Und Trumps Beliebtheitswerte sind schlecht genug, damit er ein Mühlstein um den Hals der Republicans ist. Aktuell scheinen mir viele Kommentatoren die Lage zu Tode zu analysieren. Die Democrats haben 2006 genau so einen Wahlkampf mit großem Erfolg gegen Bush geführt, und die Republicans 2010 gegen Obama. Gerade in letzterem Fall galt auch nie, dass sie "weniger über Obama" reden oder unbedingt die gut gebildeten Wähler der Ostküstenstädte ansprechen müssten. Bei den Midterms geht es um die Mobilisierung der eigenen Basis, das Gewinnen einiger Unentschlossener und das Demobilisieren der Gegner. Für alle drei Ziele gilt: Trump schadet der GOP. Die Idee, den Mann aus dem Wahlkampf heraushalten zu können, ist angesichts seiner Schlagzeilenproduktion ohnehin irrig. Die Democrats müssen die Hand spielen, die ihnen ausgeteilt wurde, nicht die, die die Kommentoren gerne hätten dass sie hätten.

9) How are we still having the "strong female character" debate?

More often, though, SFC is used to describe a character who is physically strong, or maybe they’re aggressive or commanding or otherwise displaying characteristics we think of as being typically masculine. This sort of character is generally bullshit, and usually actually rooted in a distaste for women. These characters reject emotion and romance; they’re the epitome of the “not like other girls” mentality, and we’re supposed to see this as a victory for feminism? In her 2011 New York Times article exploring the idea of the SFC, Carina Chocano wrote about how unrealistic these women are, because in the eyes of their creators, “strength” is used as a stand-in for humanity. With the SFC, she writes, “certain traits become codified into a bad-faith embodiment of a type rarely found in nature: the stunning blond 23-year-old astrophysicist whose precocious brilliance and professional-grade beauty are no match for her otherworldly self-confidence, say, or the workaholic mercenary encumbered by emotions. It’s as if the naturalism of male characters has grown in inverse proportion to the realism in female characters.”
Die Kritik der Mary Sue hier trifft genau das Strohmann-Argument, das Gegner der Emanzipationsbewegung häufig machen: dass es nur um eine Umkehrung der bisherigen Verhältnisse gehe, quasi ein Umwandeln von Frauen in Männer und Männer in Frauen. Die Popkultur leistet dem Unfug leider beständig Vorschub. Statt wie mit Newt Scamander alternative Genderkonzepte aufzuzeigen, wird allzu oft nur eine Umkehrung erreicht. Ein "starker" weiblicher Charakter ist dann einer, der toxisch männliche Merkmale aufweist: Bereitschaft zu töten, emotionale Härte, Objektifizierung des anderen Geschlechts. Das aber ist kein Fortschritt, es maskiert sich nur als solcher. 10) Hate-Speech: Der Bumerang-Effekt

Versucht man, den Absender ins Geschehen einzu­be­ziehen, dann stellt sich die Frage, warum dieser von seinem ‚eigenen‘ Sprechakt nicht eben­falls betroffen sein soll – d.h. warum die Sprech­akt­theo­rien ihn als denje­nigen, auf den auch seine eigene Rede wirken dürfte, ausblenden? Mit der Umkeh­rung der Blick­rich­tung wäre auch und gerade die ‚abend­län­di­sche‘ Tradi­tion der Anru­fung (und ihrer Sprach­rohre) zu hinter­fragen. Die Arbeits­hy­po­these könnte lauten: Es gibt keine (posi­tive oder nega­tive) Konstruk­tion des anderen, ohne dass so etwas wie eine Selbst­de­fi­ni­tion des Absen­ders passiert. Diese geschieht durch sein eigenes Spre­chen. Anders gesagt: Hate Speech richtet sich immer auch perfor­mativ auf den Spre­cher. Diese ‚Selbst­kon­sti­tu­tion‘ des Absen­ders müsste für die sprach­phi­lo­so­phi­sche und gesell­schaft­liche Debatte um Hate Speech ein zentraler Punkt sein. Dann ‚ist‘ das Spre­chen nicht einfach perfor­mativ in dem Sinne, dass es den anderen belei­digt, auch wenn dies die Absicht sein mag. Sondern es wird deut­lich, dass das Spre­chen – auto­per­for­mativ – vor allem den Spre­cher selbst charak­te­ri­siert (was nicht heißt, dass es für den anderen folgenlos bleibt).

Mit Abstand eine der produktivesten Ideen für den Umgang mit Hate Speech wird in diesem (reichlich akademischen) Artikel vorgebracht: wesentlich mehr zu betonen, dass die Projektion auf den Sprecher zurückfällt. Wer beständig die Frage stellt, ob man etwas denn so sagen dürfe oder ob nun doch ein Körnchen Wahrheit in irgendeiner rassistischen oder sexistischen Hassrede steckt, der normalisiert und legitimiert diese. Man konnte das seinerzeit exemplarisch an der Sarrazin-Debatte sehen: Anstatt festzustellen, was die Obsession mit der genetischen Herkunft des "Kopftuchmädchens" über die wirre Denkwelt eines offensichtlich überschätzten Zahlenschubsers aussagt, debattierte die Republik ernsthaft darüber, ob vielleicht doch irgendwelche biologischen Ursachen hinter dem Bildungsstand hinteranatolischer Bauern stecken. 11) Texas Republican's trust rewards his kids for marrying someone white
A white candidate running for local office in Dallas, Texas admitted that a living trust he set up for his adult children several years ago contains a clause rewarding them for marrying within their race. Vickers “Vic” Cunningham, a former criminal district judge who is running for a seat on the Dallas County Commissioners Court, acknowledged Friday in a videotaped interview that he inserted the offensive clause in the trust he set up in 2010 to dissuade his children from marrying someone who is not white. It also aims to discourage them from marrying a non-Christian or someone of the same sex. “I strongly support traditional family values,” Cunningham explained to the Dallas Morning News in the interview. “If you marry a person of the opposite sex that’s Caucasian, that’s Christian, they will get a distribution.”
Falls irgendjemand Zweifel darüber hatte, was US-Konservative meinen, wenn sie "family values" sagen. 12) NRA-TV fordert Verbot von Berichten über Schulmassaker
Das passt wie Arsch auf Eimer. Die Organisation, deren Beharren auf einer totalitären Auslegung der Bill of Rights jährlich tausende Menschenleben kostet, hat kein Problem, im Sinne ihrer abartigen Agenda die Bill of Rights einzuschränken. Man sollte das als Einladung nehmen und endlich die harsche Regulierung von Waffen auf Bundesebene auf die Agenda nehmen. Sie sollte ein Lackmustest für progressive Kandidaten werden. Das Thema ist inzwischen ohnehin parteipolitisch so polarisiert, dass kaum mehr elektorale Verluste zu befürchten sind.

Dienstag, 22. Mai 2018

Rationaler Lindner fordert im AfD-TV im Vollsuff eine Stärkung der Trutzinger Gewerkschaften - Vermischtes 22.05.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Male student accuses female student of sexual assault. She says he wanted revenge
The University of Cincinnati suspended a female student for allegedly engaging in nonconsensual sex with a male student who claimed he was too drunk at the time to approve the encounter.The fact that this case involves a male accuser ("John Doe") and a female aggressor ("Jane Roe") makes it unusual among Title IX complaints. (Title IX is the federal statute that forbids sex discrimination in schools.) [...] Here's an alternative theory: Doe woke up, realized they had engaged in sexual activity while they were both drunk, and feared that she would file a complaint against him, as she had done to his friend. Panic-stricken, he felt he had no choice but to beat her to the punch.
Diese neueste Story aus der beknackten amerikanischen Campus-Welt ist gerade ein "Gotach!"-Moment für alle Kritiker der "Nein heißt Nein"-Gesetzgebung. Ist es nicht absolut albern, wie zwei Leute, die beide volltrunken im Bett landeten, sich aus Angst vor einer Klage gegenseitig verklagen? Oh, aber klar ist es das. Nur sehe ich bei der Geschichte hier eine andere Moral am Werk als "consent ist wirklichkeitsfremd". Um das zusammenzufassen: zwei Leute trinken sich so voll, dass sie am Morgen gemeinsam im Bett aufwachen und keiner weiß genau, wie sie da gelandet sind und was sie in der Nacht nun eigentlich getrieben haben. Meine Schlussfolgerung ist hier weniger sich Gedanken darüber zu machen, welchem dieser beiden Idioten man glauben sollte. Das Problem ist, dass die Leute im Suff so die Kontrolle über sich verlieren, dass das überhaupt passiert. Aber unser (als Gesellschaft) völlig krankes Verhältnis zum Alkohol verhindert diese offensichtliche Schlussfolgerung wohl.

2) Trump verstehen // "Der ist ja irre"
Was aus alldem für Europa folgt, weiß ich nicht. Es ist müßig, Trump durch gutes Zureden auf den Pfad der Vernunft zu führen; das hat vor Macron schon McMasters versucht und ist kläglich daran gescheitert. Natürlich ist die EU, wie Bernd Rheinberg mit Recht sagt, immer noch die größte Wirtschaftsmacht der Erde. An dieser Tatsache wird auch der korrupte, rassistische Möchtegernautokrat im Weißen Haus nicht ganz vorbeikommen. Außerdem kann man darauf hoffen, dass bei den „midterm elections“ die Demokraten die Mehrheit zumindest im Repräsentantenhaus erringen und Trump dann zumindest ausgebremst wird. Aber bis November dauert es noch lange. In der Zwischenzeit kann viel passieren. (Salonkolumnisten) Seit seiner Wahl zum US-Präsidenten wollen uns Bücher, Artikel, Kommentare weismachen, Donald Trump handle irrational. Sie lassen sich quasi in dem Ausruf zusammenfassen: „Der ist ja irre!“ Vielleicht liegt ja auch ein Fünkchen Wahrheit in dem Gedanken, die Trumpsche Art derber, beleidigender, scheinbar irrationaler Vereinfachung hätte die Mehrheit des amerikanischen Volkes verhext und ihm zum Amt verholfen. Näher an der Wahrheit liegt allerdings die Feststellung, dass es ein kolossales Versagen des linksliberalen Establishments, der Demokratischen Partei, der Kandidatin Hillary Clinton war, die Trump den Sieg gesichert hat. Clinton hatte die Mehrheit der Wähler, hatte die große Mehrheit des Industrie- und Finanzkapitals, hatte die meisten Medien auf ihrer Seite – trotzdem hat sie verloren. Sie hat vor allem verloren, weil sie einen schlechten Wahlkampfslogan und in den wichtigsten Staaten die falsche Strategie gewählt hatte; weil sie zutiefst unbeliebt war; weil sie Themen bevorzugte, die eher zur Mobilisierung von Trumps Wählern führte; und weil es da außerdem für ihren Gegner ein paar Hilfeleistungen aus dem fernen Osten gab. Bis heute haben sich die Demokraten nicht von dieser Niederlage erholt, und es scheint, dass die Rede von der Irrationalität Trumps das linksliberale Establishment davor schützt, sich mit den eigenen Fehlern intensiv zu beschäftigen, denn es lenkt die Niederlage ins Unerklärliche und erspart die eingehende Analyse – was ungemein bequem ist. (Dessen ungeachtet tragen aber selbstverständlich in erster Linie seine Wählerinnen und Wähler die Verantwortung dafür, dass dieser Kerl der 45. Präsident der Vereinigten Staaten geworden ist.) (Salonkolumnisten)
Mir ist wie dem Autor dieses Artikels völlig unklar, wie man ernsthaft der Überzeugung sein kann, dass hinter Trumps Handlungen ein rationales, durchgeplantes Kalkül besteht. Ich halte es für ziemlich offenkundig, dass er vor allem von Instinkten getrieben ist und ansonsten auf eine wirre Koterie von sich widersprechenden Beratern hört, oder besser, aus Versatzstücken je des Beraters, mit dem er zuletzt sprach und den er nicht aus zufälligen Gründen (etwa seine Barttracht) auf dem Kieker hat, seine Meinung des Augenblicks zusammenbaut. Bislang führte das noch zu keinem Desaster. Aber bislang hatte Trump auch noch nicht entfernt mit einer Krise zu tun. Und die wahren Qualitäten eines Anführers zeigen sich nicht bei schönem Wetter. Die Salonkolumnisten haben dazu eine schöne Debatte, die ich mit verlinkt und zitiert habe.

3) Right trash - Ein Diskursversuch
Eine ähnliche These vertritt auch der Zeit-Autor Jochen Bittner: Er vergleicht die Böhmermann-Aktion mit dem Orwell-Roman 1984, mit dem Vorgehen von Erdoğan-Freunden und US-Präsident Donald Trump, spricht von einem totalitären Trend und von totalitärem Denken und vom Abwürgen des Diskurses. Es ist eine steile These, die schlicht falsch ist, denn der Autor hat weder den Totalitarismus noch die Meinungsfreiheit verstanden – und auch nicht, dass es rechten Medien und InfluencerInnen nicht um einen Diskurs geht. Oder um es anders zu sagen: Es ist das gute Recht der AfD, Blocklisten anzulegen. Es ist lächerlich und inkonsequent von einer Partei, die sonst von „Freiheit“ und „Mut zur Wahrheit“ spricht – aber wenn sie sich von mir genervt fühlt, kann sie mich gerne ignorieren. Dass die AfD Blocklisten anlegt, ist nicht der Grund, warum die AfD totalitär ist. Dass Böhmermann es Menschen einfach ermöglicht, rechten Müll auf Twitter nicht sehen zu müssen, ist ebenfalls nicht totalitär – eher im Gegenteil: Es ist Abwehr gegen eine seit Monaten und Jahren andauernden rechten Propagandakampagne.
Mir ist auch völlig unklar, woher die Idee kommt, dass das Recht auf Meinungsfreiheit gleichbedeutend sei mit einem Recht auf Aufmerksamkeit und einem Recht, von Widerspruch verschont zu bleiben. Dieses Phänomen ist auch wahrlich nicht auf rechts beschränkt, sondern funktioniert parteiübergreifend, funktioniert bei Profis in den Medien wie bei Privatleuten und ihren Blogs oder Twitter-Accounts. Daher kann ich selbstverständlich die AfD blocken. Ich wurde von Christopher Lauer geblockt, weil ich einmal kritisiert habe. Ist das dünnhäutig? Ja. Darf er das machen? Klar.

Ich denke daher auch, dass Böhmermanns Blockliste eine gute Idee ist. Es gibt keine Notwendigkeit, sich extrimistische Propaganda in die Timeline spülen zu lassen, und der Moment, in dem ich plötzlich marxistische Propaganda drin hätte, würde ich auch dafür Blocklisten suchen.

4) Why liberal media needs conservative writers
But representing the views of conservative America is not the only function of conservative columnists. They also put useful pressure on liberal ideas. The theories of philosophers like John Stuart Mill, and the premise of democratic government, is that ideas have to be contested openly, or else will harden into dogma. All political communities have an inherent tendency to gravitate toward the positions of whoever holds their shared belief most ardently. Roberts, and my colleague Eric Levitz, urges liberal publications to bring in more left-wing and socialist writers to challenge their liberal readers from the left. That idea certainly has merit as a supplement to challenging them from the right. But as a substitute, an ethos that permits criticism of liberalism and Democratic politics exclusively from the left is a formula for intensifying rather than resisting the gravitational pull of orthodoxy.
Ich stimme der Haltung Chaits hier grundsätzlich zu. Ich lese genau aus diesem Grund auch viele konservative Journalisten. Ich will aber ergänzen, dass die Art, in der etwa der Atlantic oder die New York Times das in der letzten Zeit getrieben haben, wenig zweckdienlich ist. Die New York Times hat sich mit Bret Stephens einen erklärten Klimawandelleugner ins Haus geholt, während der Atlantic dachte es sei eine gute Idee sich mit Kevin Williamson einen Abtreibungsextremisten ins Haus zu holen, den sie dann hastig feuern mussten nachdem der die Todesstrafe durch Hängen für abtreibende Frauen und Ärzte forderte. Im eigenen Haus andere Denkrichtungen zu kultivieren macht nur Sinn, wenn es eben auch Denker sind. Sich Propagandisten ins Haus zu holen ist eher Quatsch. Bin ich an konservativen Denkern interessiert, lese ich auch eher das FAZ Feuilleton als Tichys Einblick.

Ein anderer Seitenstrang dieser Debatte wurde jüngst auch von Chait, Yglesias, Drum und anderen aufgemacht. Die Analyse im Zusammenhang mit der Wahl 2016, dass offensichtlich Teile der konservativen Strömung nicht in den Leitmedien vertreten war, war ja nicht falsch. Sich so etwas ins Haus zu holen, und wenn nur um den Gegner zu verstehen, macht Sinn. Aber: die mediale Öffentlichkeit kultiviert auch keine linken Denker. Zwar waren Trumps Anhänger in den Leitmedien absolut unterrepräsentiert; für Sanders' Anhänger gilt dies allerdings auch - und immer noch. Tatsächlich entsprechen die meisten Journalisten einem recht schmalen Mitte-Korridor, wo ein Großteil Mitte-Links ist (nennen wir es mal die Hillary-Fraktion) und ein etwas kleinerer Teil Mitte-Rechts (das wären die Never-Trumper). Eine Öffnung sollte daher auch nach beiden Seiten erfolgen.

5) Ich will Verbote!

Es sei denn, uns haut endlich jemand auf die Finger. Es sei denn, jemand sagt: Lass das! Liebe Angela Merkel, lieber Staat, liebe EU, liebe Weltregierung, ich fordere euch hiermit auf: Verbietet mir, was ich gerne haben möchte, aber besser nicht haben sollte. Anders ist die Welt nicht mehr zu retten. Protect me from what I want, sang schon die Band Placebo. Verbote zu fordern heißt, die Fehlbarkeit des Menschen verstanden zu haben. Die meisten von uns wissen natürlich, dass vieles von dem, was wir kaufen und verbrauchen, nicht gut ist. Und damit meine ich nicht, dass wir davon dick werden und alle möglichen Krankheiten bekommen. Unser Konsum schadet auch uns selbst, klar, aber am meisten schadet er anderen. Denen, die mit uns auf der Erde leben, die wir nicht sehen, weil sie weit weg wohnen. Und denen, die nach uns noch hier leben wollen.
Ich stimme der Stoßrichtung dieses Artikels vollständig zu, aber das überrascht regelmäßige Leser des Blogs sicher nicht. Es ist ziemlich offensichtlich, dass der freiwillige Ansatz gescheitert ist. Den Leuten, die ein ökologisches Gewissen haben, wird von allen anderen dann beständiges Moralisieren vorgeworfen, und/oder dass das was sie tun wenig effektiv ist. Okay, dann braucht es wohl entsprechende Regulierungen. Anders geht es offensichtlich nicht. Und das ist auch notwendig. Ich brauch das für mich auch. Wie oft macht man Dinge, von denen man weiß dass sie eigentlich falsch sind? Das Argument von Freiheit taugt da auch wenig. Klar gibt man Freiheit auf, aber Freiheit zu dummen und schädlichem Verhalten ist halt auch nur begrenzt sinnvoll. und wir schränken das ja jetzt schon ein. Ich darf auch nicht mit 90km/h durch die Spielstraße brettern.

6) Every Democrat should back Bernie Sanders' new labor bill
Over the past four decades, America’s private-sector unionization rate has collapsed — along with labor’s share of productivity gains. A large and growing body of economic research has demonstrated that this is no coincidence: Unions don’t just grow paychecks for their members, but also put upward pressure on wages throughout their industries. The Economic Policy Institute estimates that weekly wages for private-sector male workers would be 5 percent higher today, were America’s unionization rate still as high as it was in 1979 (changes in the prevalence of gender wage discrimination and female participation in the workforce complicate the comparison for working women). Back then, 34 percent of private-sector workers belonged to a union; today, just 10.7 percent do. If Democrats want to give workers a better deal, there are few better things they can do than promote unions (i.e., organizations that were invented to do just that).
Diese Forderung läuft in eine Richtung, in die ich gerade im Zusammenhang mit der Frage nach der Bekämpfung von Ungleichheit auch viel nachdenke. Die historisch größten Nivellierer von Einkommensunterschieden und Verbesserer von Arbeitsbedingungen sind die Gewerkschaften. Ihre beständige Schwächung seit den 1980er Jahren hat nicht nur in den USA dazu geführt, dass die Verhandlungsmacht sich stark zu den Arbeitgebern verschoben hat. Kein anderes Konzept außer den Gewerkschaften hat irgendwelche Erfolge hervorgebracht. Dass der Staat diesen den Rücken stärken sollte ist daher eine sinnvolle Politik, die die schwere Hand des Staates auch aus den direkten Lohnverhandlungen heraushält, was sicher im Interesse aller Beteiligten ist.
Ein Liberaler könnte den Durchschnittsbrötchenkäufern auch sagen, dass Hautfarbe und Sprachkenntnisse nichts über die "Rechtschaffenheit" eines Menschen aussagen, und dass auch der Aufenthaltsstatus eines Menschen keine Rückschlüsse darauf zulässt. Er könnte sie darüber aufklären, dass ein Rechtsstaat Aufenthaltstitel aufgrund von Gesetzen zuerkennt, nicht aufgrund der charakterlichen Eignung eines Kandidaten. Und dass es im Übrigen auch nicht Aufgabe des braven Bäckereibesuchers ist, sich um den Aufenthaltsstatus anderer Anwesender zu scheren. Das macht der Staat. Aufgabe des Bäckereischlangenstehers ist es ausschließlich, sich über seinen Bestellwunsch im Klaren zu sein, sobald er an der Reihe ist. Er muss sodann ausreichend Kleingeld parat haben und nach dem Einkauf die Bäckerei geordnet verlassen. Solches Verhalten trägt mehr als alles andere zur Befriedung der Gesellschaft bei.
Dieser Artikel sagt eigentlich alles, was man zu Lindners Geschwätz sagen muss.

8) Über den Sinn der Vergleiche mit der Hitlerzeit
Und in der Tat, der Siegeszug der totalitären Regime, die die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten, wäre ohne die Bereitschaft unzähliger Europäer, sich mit ihnen abzufinden, kaum denkbar gewesen. Wenn man bedenkt, dass viele dieser Mitgestalter bzw. Mitläufer der totalitären Systeme kurz zuvor die Freiheit noch über alles geschätzt und paternalistische Systeme unterschiedlichster Art hinweggefegt hatte, muss man gemeinsam mit Grossman von einem erstaunlichen anthropologischen Phänomen sprechen: „(Gigantische) Menschenmassen waren unterwürfige Zeugen der Vernichtung von Unschuldigen. Doch nicht nur Zeugen. Wenn es befohlen wurde, gaben sie Stimme für die Vernichtung, bekundeten sie mit ihrem Stimmengetöse die Billigung der Massenmorde. In dieser grenzenlosen Unterwürfigkeit der Menschen offenabarte sich etwas ganz Unerwartetes“.
Hitler-Vergleiche sind bekanntlich schlimmer als der Holocaust. Kaum etwas ist so dazu geeignet, eine Diskussion abzuwürgen, wie etwas mit Nazis und/oder Hitler zu vergleichen (siehe auch Law, Godwin's). Auf der anderen Seite ist es aber auch wenig zielführend, die Epoche mit einem Tabu zu belegen und alles wie Voldemort zu behandeln, als das, worüber man nicht sprechen darf. Denn tatsächlich können Vergleiche gerade mit der Frühzeit des Faschismus durchaus erhellend sein, sofern sie nicht auf rhetorische Stilmittel reduziert werden (die gefürchtete "Nazikeule").

Dummerweise kann man eines nicht ohne das andere haben. Als Waffe im Meinungsstreit kann ich Nazivergleiche ausschließen, wenn ich sie generell mit einem Tabu belege: was ich nicht vergleichen darf, fällt sofort auf mich zurück. Öffne ich allerdings informierten Vergleichen durch Experten das Feld, so kann in einer demokratischen Gesellschaft nicht ausbleiben, dass auch im "normalen" politischen Meinungsstreit die Nazis eine prominentere Position einnehmen, wie sie dies in den meisten anderen Ländern bereits tun, wo ein Hitler-Vergleich auch nur eine Methode ist, "ich mag deine Meinung nicht" zu sagen.

Weiter verkompliziert wird das durch die spezifisch deutsche Dimension gerade in der historischen Forschung. Interessante Ergebnisse zur Epoche gab es in der letzten Zeit hauptsächlich durch angelsächsische Forscher, die den Tabus nicht unterworfen sind (wie Niall Ferguson, Timothy Snyder, Christopher Clarke etc.), während deutsche Forscher überwiegend einen Bogen um das Thema machen. Öffne ich die Nazi-Zeit stärker der Diskussion, bekommen wir zwangsläufig auch eine Debatte über jüdische Opferzahlen und die Singularität des Holocaust. Erneut, eines nicht ohne das andere. Ich bin allerdings der Überzeugung, die Vorteile überwiegen.

9) "Radicalization is not the result of lacking integration" - Interview mit Terrorforscher Oliver Roy
I don't think that Islamic radicalisation is the result of a failure to integrate. That's only a pseudo-problem. Many of the young people who take up the banner of jihad are well integrated. They speak French, English and German. Islamic State (IS) has established a French-speaking battalion precisely because the young French and Belgians hardly speak any Arabic. The problem is not a lack of cultural integration. Even as they break with their society, the European jihadists remain dedicated to a very Western model. It is nihilistic, which is not at all in accordance with Islamic tradition. They have in many cases developed a fascination with the aesthetics of violence they know from movies and videos. In this sense, they are more like the students who ran amok in Columbine High School or the mass murderer Anders Behring Breivik.
Einmal mehr eine gute Quelle zum Thema meines Terrorismus-Artikels. Man sollte sich gerade im Zusammenhang mit islamistischem Terror, aber auch mit rechtem Terror, klar machen, dass die Leute häufig genug ihre jeweilige Ideologie nur als spätere Legitimation für andere, tiefer liegende Motive ihrer Handlungen nutzen. Man sieht das auch sehr gut an der RAF, wo die Theorie zwar gerne benutzt wurde, um die eigenen Handlungen in einen größeren Kontext zu stellen, aber man es eigentlich einer Begeisterung an Gewalt, an dem Aufstand gegen den Mainstream und der Inszenierung als Querköpfe zu tun hatte. Auch Faktoren wie Gruppenzwang und Selbstidentität spielen eine größere Rolle als die eigentliche Ideologie, weswegen es auch so furchtbare Verschwendung ist die Frage rauf und runter zu diskutieren, ob der Islam nun eine Religion des Friedens oder des Hasses sei. Genausowenig wie die RAF repräsentativ für die politische Linke oder die NSU repräsentativ für die politische Rechte ist, so wenig steht Al-Qaida oder der IS für den Islam. Die Gemeinsamkeiten zwischen diesen ideologisch kaum disparater vorstellbaren Gruppen sind viel größer als ihre Unterschiede, ob auf einem psychologischen Level oder in ihrer Ablehnung einer pluralistischen, friedlich koexistierenden Gesellschaft.

10) Trutzinger CSU-Granden schicken Brandbrief an Seehofer
Was das Quartett so ärgert, ist der Rechtsruck der Parteispitze. „Die politische Programmatik der CSU und ihre schrille Kommunikation auf dem Themenfeld der Ausländerpolitik und insbesondere zum Thema einwanderungswilliger Menschen aus anderen Ländern ist uns immer fremder geworden“, heißt es. Während die Bundeskanzlerin mit dem legendären Satz „Wir schaffen das“ allen Bürgern Mut habe machen wollen, „begann ausgerechnet die CSU, mit sehr aggressiver Rhetorik Zweifel an dieser Politik zu säen“. Und anstatt mit Stolz auf die Leistungen der Bayern bei der Integration hinzuweisen, würden in der Bevölkerung Ängste geschürt. Als Seehofer beim CSU-Parteitag 2015 die Kanzlerin minutenlang gedemütigt habe, sei für viele bereits das Fass voll gewesen. In dem Brief heißt es dazu: „Hätten wir zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt, zu einer CDU-Bayern zu wechseln, wären wir alle ausgetreten.“
Was ich im vorletzten Vermischten bereits stagte ist die Idee, verlorene Wähler am ideologischen Rand einfach durch einen beherzten Linksruck (SPD) oder Rechtsruck (Union) wieder einzusammeln bei weitem nicht so simpel, wie das auf den ersten Blick immer aussieht, weil es - auch wenn es den jeweiligen Kritikern kaum vorstellbar erscheint - für den jeweiligen Mitte-Kurs durchaus Anhänger gibt. Ob die Trutzinger "CSU-Granden" eine kleine Minderheit in der CSU sind oder nicht ist dabei schwer zu sagen - genausogut könnten auch diejenigen, die gerade beständig Merkel von rechts kritisieren und einen Ruck in Richtung AfD fordern, nur eine lärmende Minderheit sein, die die CSU am Ende mehr kostet als sie ihr einbringt. Ich weiß schlichtweg nicht, was von beidem wahr ist; mir geht es mehr darum zu zeigen dass die Entscheidung so einfach und klar eben nicht ist. Die Bayern-Wahl wird diesbezüglich eine Wasserscheide sein. Kann die CSU ihre absolute Mehrheit im Landtag erreichen, hat sich das Konzept, die AfD "weich" zu kopieren, bewahrheitet und wird mit Sicherheit auch Auswirkungen auf die CDU haben (und hoffentlich bei der SPD für einiges Nachdenken sorgen). Wenn die CSU allerdings im Großen und Ganzen bei ihrem Bundestagsergebnis bleibt oder sogar absackt, sieht die Lage anders aus.

11) Weidel: "Unser ambitioniertes Fernziel ist es, dass Deutsche irgendwann AfD statt ARD schauen"
Aber die Ankündigung geht weiter. «Unser ambitioniertes Fernziel ist es, dass die Deutschen irgendwann AfD und nicht ARD schauen», sagt Weidel. Man sei nicht nur eine Partei, sondern eine breite Bewegung. Sie nennt die «Erklärung 2018», in der sich deutsche Intellektuelle gemeinsam gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel ausgesprochen haben. Viele der Unterzeichner seien keine Mitglieder der AfD, «aber sie bewegen sich in intellektuellen Kreisen, die uns ganz klar unterstützen». Auch Online-Plattformen wie «Tichys Einblick» und «Die Achse des Guten» würden für die Politik der AfD «alimentierend wirken».
Es ist nur konsequent, dass die AfD versucht wie die Republicans in den USA auch eine riesige, von der Realität losgelöste Blase zu erzeugen und ihre Anhänger von der restlichen Welt zu isolieren. Eine positive Entwicklung kann man dies allerdings wahrlich nicht nennen, denn sie führt letztlich zu einer klaren Spaltung der Gesellschaft und einem langsamen Zersetzen der Demokratie, wie in den USA ja gut zu beobachten ist. Die Hoffnung muss sein, dass die AfD mit diesem Konzept scheitert, aber das ist alles andere als ausgemacht.

Sonntag, 13. Mai 2018

Warum marxistische Wahlrechtsreformen im Iran in Ellwangen zu einem Feiertag führen - Vermischtes 13.05.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) Verwässert bis zur Unkenntlichkeit - Warum die europäische Wahlrechtsreform (für dieses Mal) gerne scheitern darf
Auf den ersten Blick wäre das natürlich eine große Enttäuschung: Schließlich könnte ein besseres Wahlrecht ein wichtiger institutioneller Hebel sein, um den europäischen Parteien mehr Sichtbarkeit zu verschaffen, die Fragmentierung der Europawahl in 27 nationale Einzelwahlen zu überwinden und einen echten europaweiten Wahlkampf in Gang zu bringen. Doch sieht man sich den Kompromiss, über den die Minister diskutieren, etwas genauer an, so könnte sich ein Scheitern zuletzt sogar als das bessere Ergebnis erweisen. Denn der Entwurf, den das Europäische Parlament 2015 vorlegte, wurde von den nationalen Regierungen inzwischen so sehr verwässert, dass von seinen eigentlichen Inhalten kaum noch etwas übrig ist. Selbst wenn die Reform doch noch zustande kommt, wird sie für einen wirklich europäischen Europawahlkampf deshalb keinen relevanten Fortschritt bringen. Gleichzeitig ginge mit einem solchen Pseudo-Erfolg die Gefahr einher, dass die Wahlrechtsreform auf absehbare Zeit von der politischen Agenda verschwindet und wirkliche Verbesserungen in Zukunft eher noch schwieriger durchzusetzen sein werden.
Ich teile die Auffassung dieses Artikels. Zwar ist die Einführung einer Sperrklausel durchaus ein richtiges Anliegen - und das BVerfG lag falsch damit, diese mit der hanebüchenen Begründung, das Europäische Parlament sei zu unwichtig dafür, abzuschaffen - aber die Reform des europäischen Wahlrechts sollte weit mehr erreichen als nur die Klausel wiedereinzuführen. Was wir brauchen sind gesamteuropäische Listen, und das bedeutet auch ein in Gesamteuropa gleiches Wahlrecht. Dass in jedem Land nach völlig anderen Maßstäben gewählt wird und dass Stimmen in jedem Land unterschiedliches Gewicht haben, ist ein schlechter Scherz. Das Parlament muss gesamteuropäisch gewählt werden, wenn es je eine eigenständige Legitimation bekommen soll.

2) Noch ein Wort zum Atomdeal
Sorry, ich kann kein klares “Jaja” oder “neinein” liefern. Ich bin innerlich zerrissen und weiß nicht, was ich denken soll. Folgendes weiß ich allerdings mit Sicherheit: Nicht alle Gegner des Deals, die jetzt aufatmen, sind Kriegstreiber; es gibt gute Gründe, in diesem Punkt – wie Bret Stephens, wie mein Mit-Kolumnist Karl-Hermann Leukert – für Trump zu sein. Aber es sind auch nicht alle Befürworter des Deals pazifistische Weicheier – oder gar Feinde des Staates Israel. Zu den Befürwortern des Deals gehört Jim Mattis, der Chef des Pentagon. (Der seinen Thukydides gelesen hat. Auf Griechisch.) Und Ehud Barak, der (ganz buchstäblich) der ersten Intifada die Knochen gebrochen hat. Und Meir Dagan, der frühere Mossad-Chef, der gewiss kein antizionistisches Friedenstäublein, sondern ein israelischer Patriot und Realist ist.
Ich teile den Tenor dieses Artikels. Auch ich kann nicht wirklich sagen, wie gut oder schlecht der Irandeal denn nun eigentlich war. Aber an seine Stelle tritt nichts anderes außer der Kriegslüsternheit eines John Bolton. Es ist ein absoluter Treppenwitz, dass ausgerechnet der von (naiven wie uninformierten) Kommentatoren während des Wahlkampfs so als "isolationistisch" und "friedlich" und mit dem "Falken" Hillary Clinton konstrastierte Trump nun die eigentlich in der Versenkung verschwundenen Kriegstreiber aus der Bush-Ära hervorholt, von Folter-Freundin Gina Haspelt zu Bomben-Liebhaber John Bolton. Noch viel alberner ist der Kontrast zur Nordkoreapolitik, wo Trump sich für eine Politik feiern lässt, die eine Karikatur dessen ist, was er und andere dem Irandeal immer vorgeworfen haben zu sein: ein Geschenk für einen Diktator, ohne dass irgendetwas Belastbares oder Überprüfbares erreicht werden könnte.

3) Der neue Berliner Feiertag muss der Europatag am 9. Mai werden!
„Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen“: Mit diesen Worten lud der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 Deutschland und andere europäische Staaten zur Gründung einer Gemeinschaft ein, in der „Krieg nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich“ sein würde. Seine Erklärung wurde zum Startschuss des europäischen Einigungsprojekts – vielleicht das erfolgreichste politische Unterfangen, das der Kontinent jemals erlebt hat. Den Bürgern der Europäischen Union brachte es nicht nur dauerhaften Frieden, sondern auch neue Freiheiten bei der Lebensgestaltung und die Grundlage für eine überstaatliche Demokratie. In Erinnerung an die Schuman-Erklärung begeht die Europäische Union den 9. Mai bereits seit vielen Jahren als Europatag. Europaweit finden heute Feste und Veranstaltungen statt, um die europäische Idee, die Errungenschaften der europäischen Integration und das bürgerschaftliche Engagement für länderübergreifenden Austausch und Verständigung zu feiern.
Wir Deutschen haben ein gewisses Problem mit Nationalfeiertagen. Wir hatten nie einen guten. Sebastian Haffner hat mal einen schönen Essay darüber geschrieben, dass der einzig echte Nationalfeiertag der Deutschen der Sedantag war, und den wollen wir nicht unbedingt reaktivieren. Aber weder der Verfassungstag in Weimar noch der (als Nationalfeiertag zutiefst alberne) 17. Juni in der BRD waren je wirklich sinnvolle Feiertage, und der Tag der Deutschen Einheit begeht einen Verwaltungsakt. Mutig wäre gewesen, den 9. November zum Nationalfeiertag zu machen.

Aber der 9. Mai wäre als gesamtdeutscher Feiertag, nicht nur in Berlin, mehr als sinnvoll. Zum einen können wir einen positiven europäisch besetzten Tag hernehmen und die EU als Teil unserer nationalen Identität feiern, und zum anderen liegt er direkt nach dem 8. Mai, was ihn auch in eine schöne Kontinuität zum "Tag der Befreiung" stellt. Und zuletzt liegt er im Frühsommer, und die meisten deutschen Nationalfeiertage sind im Herbst.

4) What made Marxism so deadly?
I realize I’m barging into a conversation that’s been going on for many decades, and also that I’m woefully inadequate to comment. But I’m going to comment anyway. It strikes me that Smith has the causation backward here. It’s not that Marxism inherently leads to crimes against humanity, but that ruthless autocrats—the kind likely to commit crimes against humanity—find Marxism a convenient economic doctrine to adopt. Why convenient? Because autocrats desire centralized control, and Marxism delivers by insisting that the state should own the means of productions. Autocrats also like to pose as populists, and Marxism delivers there too. Even more conveniently, Marx himself said that full communism would take a long time to develop, which provides an endless series of excuses for underachievement. Also conveniently, Marxism contrasts itself explicitly to market capitalism, which provides autocrats in poor countries with an automatic enemy in the capitalist West to keep the masses enthralled.
Angesichts des 200jährigen Marx-Jubiläums (Gedenkens? Mahnens?) wird natürlich auch wieder die Frage diskutiert, inwieweit der alte Bärtige eigentlich für die vielen (real-)sozialistischen Diktaturen und ihre Millionen Toten verantwortlich zu machen ist. Ich halte Kevin Drums Statement für ziemlich zutreffend: für viele brutale Diktatoren war der Marxismus eine willkommene ideologische Decke, um den eigenen stinkenden Mist zu beerdigen. Aber: Drum ignoriert hier die kommunistischen Überzeugungstäter. Er mag Recht haben, was so manchen afrikanischen oder lateinamerikanischen Diktator angeht, aber Ho Tschi Minh, Pol Pot und Lenin waren mit Leib und Seele Kommunisten, nicht "nur" Diktatoren. Und das kann man nicht so einfach beiseite wischen.

5) Thoughts on Impeachment
The Democratic leadership is following the same playbook [as Republicans played with Bill Clinton] with Trump. Rep. Adam Schiff, D-Calif., published an op-ed in the New York Times last weekend that made almost exactly the same points. By all accounts, very few Democratic candidates in the midterms are featuring impeachment as a prominent campaign issue. So far, the only people bringing up the "I word" are Republicans. Nonetheless, Democrats would be foolish to try to pretend that Donald Trump's metastasizing scandals don't exist at all. They have voters too -- who are motivated and energized in opposition to everything Trump is and everything he does. They've taken to the streets in massive numbers. They've organized grassroots groups all over the country. They've run for office. They've and created and enlarged mass movements around progressive issues. Indeed, they've done everything citizens can do short of revolution to oppose this president. The Democrats will have to respond in some way to this demand that Trump be opposed rather than appeased.
Ich halte das ganze Gerede von Impeachment für eine reine Nebelkerze, auf beiden Seiten. Die Democrats halten sich auffällig zurück, während die Republicans permanent davon reden - was für beide Seiten auch Sinn macht. Während die GOP das Gerede nutzt, um ihre Basis zu mobilisieren (und schon einmal prophylaktisch die Legitimität des Verfahrens zu untergraben und das Narrativ einer politischen Hexenjagd zu etablieren), müssen die Democrats angesichts der praktisch nicht-existenten Erfolgschancen eines solchen Verfahrens die Erwartungshaltung niedrig halten. Zwar mögen einzelne Abgeordnete ein entsprechendes Verfahren als Karriereoption sehen - dass es tatsächlich erfolgreich sein wird, glaubt aktuell praktisch niemand.

Das alles steht natürlich immer unter der Voraussetzung, dass die Mueller-Nachforschungen nicht mit einem klaren Beweis für Trumps Zusammenarbeit mit Russland im Wahlkampf aufwarten können, der sich einfach nicht widerlegen lässt und schwerwiegend genug ist. Das allerdings ist in höchstem Maße unwahrscheinlich. Selbst wenn Mueller etwas finden sollte, wird es sich vermutlich nicht um einen objektiv völlig zweifelsfreien Tatbestand handeln. Wir müssen uns vor Augen halten, dass weder der Einbruch in Watergate noch der klare Meineid Bill Clintons die jeweiligen Parteigänger auch nur ansatzweise davon überzeugten, dass dies den Präsidenten unhaltbar mache. Das wird bei Trump nicht anders sein. Einige der Personen in seinem Orbit dagegen dürften nicht so viel Glück haben. Es werden Köpfe rollen, aber seiner wird wahrscheinlich nicht dabei sein. Die Democrats sollten daher in Abwesenheit starker Indizien besser darauf verzichten, die Untersuchungen zu einem politischen Standbein zu machen.

6) Why were the Balkans underdeveloped?
Gibbon wonders about that too and mentions what is an interesting hypothesis and perhaps the answer to our query: geography. The geography of Dalmatia and Moesia (to take the provinces as they were in Trajan’s time) is such that there is only a narrow strip of Mediterranean coast along the Adriatic, followed almost instantly, as one moves towards the hinterland, by high and impassable mountains. They make for spectacular contrast as anyone who has travelled to the Bay of Kotor in Montenegro can vouch, but they also make communication with the hinterland difficult. It is then not surprising when one reads about the multiple travels of poets, writers, soldiers and emperors between Italy and Attica and the Aegean, that the travel was always done by the naval route crossing the Adriatic preferably at its narrowest point, Otranto, between today’s Puglia and Albania. It would have been much more perilous and longer to take the land route. So two things happened: the part which communicated directly with the most advanced world was limited to the coastal areas of the Adriatic and never expanded into the hinterland; and the inconvenience of the land route between Italy and Greece made hinterlands additionally underdeveloped and less urbanized than we would expect.
Geography is destiny, heißt es so schön. Ob Großbritanniens Insellage den Aufbau eines maritimen Weltreichs begünstigte oder Deutschlands Mittellage ständige Einkreisungsängste beförderte und das Land zum Schlachtfeld Europas machte, wo ein Land liegt und wie es beschaffen ist hat massiven Einfluss auf seine Entwicklung. Man muss das natürlich immer relativieren: viele andere Faktoren spielen ebenfalls eine gewichtige Rolle. Es ist und bleibt aber beeindruckend, wie sehr sich über Jahrhunderte hinweg solche Faktoren konstant gehalten haben und teilweise erst in jüngster Vergangenheit überwunden wurden.

Man denke nur an Irland, das bis in die 1980er Jahre das Armenhaus Europas war. Hier ist es weniger die Geographie als eine lange Geschichte interner Streitigkeiten und Invasionen von außen (erst die Wikinger, dann die Engländer) und dann eine jahrhundertelange Existenz als Kolonie Englands. Die gute Nachricht ist, dass diese Faktoren heute an Bedeutung verlieren. Im Zeitalter des globalisierten Kapitalismus haben auch Regionen an der Peripherie eine immer bessere Chance, ihre früheren Nachteile zu überwinden. Es ist eine Bedeutungsverschiebung hin zu politischen Institutionen, was insofern eine gute Nachricht ist, als dass sich diese deutlich leichter beeinflussen lassen als die Lage von Gebirgen.

7) Ellwanger Asylanwalt massiv unter Beschuss
Bei der Landtagswahl 2016 hat Engin Sanlis Name für die SPD als Zweitkandidat im Stuttgarter Norden auf dem Stimmzettel gestanden. Prominenz hat das dem 29-Jährigen nicht eingebracht. Die verschafft ihm jetzt die Stuttgarter AfD. „Kennen Sie Engin Sanli?“, hat sie einen vielfach geteilten Eintrag auf Facebook überschrieben. Darin stellt sie Sanli als einen Anwalt dar, der im Fall des seit vergangener Woche in Abschiebehaft sitzenden 23-jährigen Togolesen aus Ellwangen „so ziemlich jedes Register“ ziehe. Sanli nutze „das formale Gestrüpp unseres pervertierten Asylrechts“ und lasse „Staat und Behörden am Jo-Jo rauf und runter“. Das Werk hat seine Adressaten nicht verfehlt. Sanli wird seither mit Hassbotschaften überschüttet, er erhält Drohanrufe und anonyme Briefe. Auch am Freitag hat er wieder zwei Exemplare aus seinem Briefkasten ziehen dürfen – ohne Unterschrift, aber handschriftlich verfasst. „Ihr gehört alle nach Hause, besonders die, die einen Terroristen verteidigen, elendes Pack“, teilt ihm jemand in Anspielung auf Sanlis Migrationshintergrund mit. „Drecksau, raus mit dir aus Deutschland“, schreibt ihm ein anderer. „Wenn die AfD an der Macht ist, wirst du abgeholt.“
Ein weiteres Beispiel für das Phänomen, das ich in meinem Artikel zum verschwiegenen Terrorismus beschrieben habe. Was hier passiert ist von der AfD (und der CSU, die ins selbe Horn bläst) unterstützter und legitimierter Terror. Wenn dann irgendwann eine dieser verwirrten Seelen sich entschließt, angesichts des ständig verkündeten "Versagen des Rechtsstaats" selbst Abhilfe zu schaffen, wird die Überraschung wieder groß sein. Furchtbarer verwirrter Einzeltäter, der da einen Anwalt ermodet hat. Völlig unvorhersehbar und tragisch.

8) Merkel sieht Verantwortung für Afrika wegen Kolonialismus
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat erneut die Verantwortung Deutschlands und Europas für Afrika betont. Es gehe nicht nur darum, künftige Flüchtlingsbewegungen zu verhindern, sagte Merkel auf dem Katholikentag in Münster. Eine Verantwortung hätten die Europäer, "weil wir mit dem Kolonialismus über Jahrzehnte und Jahrhunderte dort viel Schaden angerichtet haben." Man habe in Afrika verhindert, dass ganze Generationen Verantwortung für ihre Länder übernehmen konnten. "Nach Jahrhunderten der Fremdbestimmung sollen nun wie auf einen Knopfdruck plötzlich alle Unternehmer werden und super regieren und alles ganz toll machen", sagte Merkel. "Da sind langfristige Schäden entstanden." Auch Deutschland habe eine Verantwortung. Als Ausrichter der Berliner Konferenz 1884/85 hatte das Land unter anderem an den willkürlichen Grenzziehungen auf dem afrikanischen Kontinent mitgewirkt. Ähnlich hatte sich Merkel unter anderem bei ihrer Rede in Davos im Januar 2018 und bei einem Treffen mit Flüchtlingshelfern im vergangenen Jahr geäußert. "Wir haben uns in der Kolonialzeit an Afrika versündigt", sagte sie damals. "Wir müssen ein bisschen Leidenschaft für die Geschichte Afrikas entwickeln, ansonsten werden wir auch nicht zueinanderkommen."
Es gibt immer wieder diese Momente, da lässt Merkel urplötzlich Prinzipien aufblitzen und tut das Richtige, obwohl es politisch nicht opportun ist. 2015 war so ein Moment, und das hier ist auch einer. Es ist eine Seite an Merkel, die Respekt abnötigt. Denn die Kolonialzeit ist in Deutschland, auch wegen des Holocausts, der in jeder Aufarbeitung naturgemäß alles in den Schatten stellt, in Deutschland kaum thematisiert. Es ist auch nicht klar ersichtlich, wie dies geschehen sollte. Vielleicht ist eine ruhige Übernahme von Verantwortung am Rande das Beste, abseits vom Brennglas der öffentlichen Aufmerksamkeit. Anders als in Fragen des Antisemitismus ist die Wiederholungsgefahr hier ja gering, und es geht darum, die staatliche Verantwortung anzuerkennen und im Rahmen des Möglichen Wiedergutmachung zu leisten. Dafür ist Merkels Ansatz tatsächlich besonders gut geeignet.

9) There is no good excuse for the racist impact of Michigan's Medicaid proposal
Under the bill[currently discussed in the Michigan legislature], Medicaid recipients in 17 mostly white counties, all represented by Republican senators, would be exempt from the work requirements, according to an analysis by the Center for Michigan, a liberal think tank. But Medicaid recipients in the six municipalities with the highest unemployment rates, including Detroit and Flint, would have to work at least 29 hours a week to keep their health benefits. All six cities have black majorities or significant numbers of black residents.The disparity stems from a provision in the bill that would lift the work requirements in counties with unemployment rates of over 8.5 percent — but not from cities with similar joblessness rates. Since most urban counties in Michigan contain both high-unemployment cities and their richer suburbs, Michigan’s biggest cities would be subject to the work requirements.
Wer sich immer noch gerne damit herausreden will, dass in den USA Rassismus eigentlich gar kein Problem ist und effektiv nicht existiert, der sehe sich solche Gesetze an. Die Heuchelei ist kaum zu überbieten. Nicht nur schützen die Republicans ihre eigene (weiße) Klientel vor den Auswirkungen ihrer eigenen Gesetzgebung; sie versuchen aktiv, Schwarzen zu schaden. Sämtliche rassistischen Klischees sind in diese Gesetzgebung untergebracht. Schwarze sind faul und sie nehmen Sozialleistungen ungerechtfertigt in Anspruch. Daher müssen sie zur Arbeit gezwungen werden. Weiße hingegen geraten unverschuldet in Not; sie müssen daher auch nicht arbeiten. Es ist der Grundappeal Trumps und anderer Rechtspopulisten: Sozialstaat ja, aber nur für Weiße. Da sie gleichzeitig auch konservativ sind, passiert das nicht über eine Ausweitung des Sozialstaats, sondern indem man ihn für Minderheiten einschränkt. Es ist einfach nur widerlich.

10) President Trump has broken every one of his economic populist promises
Donald Trump ran for president as an economic populist. This fact has been largely forgotten, buried by the flurry of bizarre and outrageous actions, and activists on both sides have had little reason to bring it up. Conservatives have pushed the administration to forget its unorthodox gestures and follow Paul Ryan’s lead. Progressives have emphasized the racist and sexist nature of Trump’s appeal. But Trump’s ability to distance himself from his party’s economic brand formed a decisive element of his appeal. Voters actually saw Trump as more moderate than any Republican presidential candidate since 1972. And he has violated every one of his promises.
Weil gerne betont wird, dass Trump mit der Kündigung des Iran-Deals, der Steuerstreichung für Reiche und der versuchten Sabotage von Obamacare nur seine Wahlversprechen einhält: Der Mann ist und bleibt ein profilierter Lügner, und gerade die Aspekte, für die ihn auch Kommentatoren von links gerne Hillary Clinton vorgezogen haben (Infrastruktur!) fallen, angesichts der Natur seiner Partei wenig überraschend, unter den Tisch.