Noch vor der Vorlage des Berichts der Ethikkommission hat die schwarz-gelbe Koalition den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen. Die große Frage ist nun, ob die Grünen dem Ausstiegsplan zustimmen werden. Während das Aushängeschild des linkeren Grünen-Flügels - der so genannten "Fundis" - Jürgen Trittin es öffentlich als "unwahrscheinlich" bezeichnet auf ein Ausstiegsdatum zwischen 2017 und 2022 pocht, erklärt Claudia Roth gleichzeitig im Interview einige sachliche Probleme mit dem schwarz-gelben Konzept, die eine grüne Zustimmung gefährden, während Boris Palmer eigentlich intern, aber doch irgendwie öffentlich darüber nachdenkt, linke Positionen wie Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und Alkoholverbot in Innenstädten aufzugeben und im 25%-Bereich Wähler gewinnen und halten zu können. Diese Rollenverteilung ist bewundernswert orchestriert. Die Grünen erweisen sich derzeit als sehr geschickt darin, sich nach allen Seiten hin zu präsentieren und jeweils eine Projektion zu erschaffen, die der Zielgruppe gefällt. Wer in den Grünen sachliche Politiker des propagierten neuen "Öko-Bürgertums" sehen will, muss nur Palmer oder Kretschmann lauschen, während Fans der alten rot-grünen Koalition mit Roth und Künast ihre Freude haben dürften. Wer eher auf die Durchsetzung grüner Kernforderungen hofft, setzt sein Geld auf die Durchsetzungskraft von Jürgen Trittin. Dazu sieht es so aus, als ob die Grünen einen internen Richtungsstreit ausfechten, aber nicht so, dass es chaotisch wirkt. Auch damit werden wieder beide Geschmäcker bedient. Chapeau.
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Dienstag, 31. Mai 2011
Samstag, 28. Mai 2011
Aufstieg und Fall des Bürgertums
Von Stefan Sasse
Nürnberg 1493 |
Das Bürgertum als Klasse erlebte eine vergleichsweise kurze Geschichte der Prosperität und des Einflusses, die sich vor allem über das 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts erstreckte. Seine frühesten Ursprünge liegen in der Bildung von Städten im Mittelalter, wo Macht und Einfluss mehr und mehr aus den Händen der Adeligen in die reicher Händlerfamilien übergeht. Zwar verwischen hier die Grenzen von Adel und Bürgertum schnell, weil viele dieser Familien sich schnell in den Adel einkauften oder einheirateten; es entstand mit der Legitimation auf den gewaltigen Vermögen allerdings eine ideologische Verschiebung. Es dauerte viele Jahrzehnte, bis sich eine vermögende, nichtadelige Oberschicht in den meisten Städten gebildet hatte. Abgeschlossen war dieser Prozess wohl erst im 18. Jahrhundert. In manchen Ländern ging dieser Prozess dabei deutlich schneller voran als dies etwa in Deutschland oder Frankreich der Fall war; am auffälligsten ist hier die Vorreiterrolle Englands. Englands Kolonien in Nordamerika schließlich waren die wohl erste bürgerliche Gesellschaft, ihre Revolution wurde von Bürgern für Bürger gemacht: es waren viele Juristen, Händler und Pflanzer unter den Revolutionären von 1775/76. In Kontinentaleuropa aber dauerte die Inkubationszeit dieser Schicht länger. Der Paukenschlag, mit dem sie auftrat, war die französische Revolution.
Weiter geht es auf dem Geschichtsblog.
Freitag, 27. Mai 2011
Recht auf Rückkehr?
Von Stefan Sasse
Beim Lesen des Artikels "Netanjahu: Grabrede für das ungeborene Palästina" drüben auf dem Spiegelfechter stieß ich über folgenden Absatz:
Die Palästinenser wollen keinen Frieden, wenn das das gleichzeitige Bestehen eines jüdischen Staates meint. Damit, so muss man dazu sagen, ist nicht die Existenzberechtigung Israels gemeint, sondern die Frage nach der ethnischen Identität. Israel besteht seit einiger Zeit darauf, dass es seitens der Palästinenser als “jüdischer Staat” anerkannt wird. Das bedeutet schlicht, dass Palästinenser jedes Recht auf Rückkehr aus den Vertreibungen der Kriegsjahre 1948 und 1967 verwirken würden. Das israelische Beharren auf Anerkennung eines “jüdischen Staates” ist die politische Antwort auf die palästinensische Forderung nach einem Rückkehrrecht. Unnötig zu sagen, dass diese Frage zum Rückkehrrecht nur ein Streitpunkt unter mehreren ist, die den Konflikt seit langem ausmachen. In seiner Rede verkürzt Netanjahu den Konflikt aber auf genau diesen Punkt und befrachtet ihn mit etwas ganz anderem. [...]
Der Nahostkonflikt ist nicht gerade mein Sternchenthema, deswegen war mir diese Vetriebenenproblematik bisher praktisch unbekannt. Sie kommt mir aber frappant bekannt vor, denn die gleiche Diskussion haben wir hier auf. Der "Bund der Vertriebenen" unter der der loose cannon Erika Steinbach vertritt hier auch die Rechte von irgendwelchen Vertriebenen, die vor vielen Jahrzehnten aus einem Land vertrieben wurden das sie heute nicht wiedererkennen würden. Wir nennen diese Leute Revisionisten, Spinner, Rechte, und wir tun das zurecht. Aber ernsthaft: die Vertreibungen von 1948? Es war Willy Brandts historischer Kniefall, seine de facto Anerkennung der Nachkriegsgrenzen, die eine Entspannung und eine Friedenspolitik mit dem Ostblock eröffnet hat. Die oppositionelle Union schrie damals Zeter und Mordio. Eine solche Person fehlt im Nahostkonflikt.
Mittwoch, 25. Mai 2011
Politische Positionssuche
Von Stefan Sasse
Die CDU mäandert schon eine ganze Weile im programmatischen Niemandsland. Das ist für die Partei nur teilweise etwas Neues, sie konnte schon immer wesentlich leichter ihre Position ändern, ohne dass ihr ihr Elektorat böse gewesen wäre. Das Regieren war schon immer der Markenkern der CDU; von ihm profitiert sie seit Jahrzehnten. Mit wenigen Ausnahmen liegt sie in der für Wahlentscheidungen so wichtigen Bewertung der "Wirtschaftskompetenz" deutlich vor der Konkurrenz aus SPD und Grünen, von der LINKEn ganz zu schweigen. Neben dieser so genannten "Wirtschaftskompetenz" spielt das Themenfeld "Innere Sicherheit", auf dem die CDU mit markigen, BILD-kompatiblen Forderungen ebenfalls stets Regierungsfähig wirkt, eine wichtige Rolle. Diese beiden Felder stellen Kernkompetenzen der CDU dar. Gelingt es einer Oppositionsbewegung, hier zumindest gleichzuziehen - wie etwa Karl Schiller oder Helmut Schmidt für die Wirtschaftskompetenz und Otto Schily für Innere Sicherheit -, so bekommt die CDU Probleme. Auf den meisten anderen Politikfeldern ist sie nämlich konservativ, will heißen: behäbig-flexibel.
Freitag, 20. Mai 2011
Wie antisemitisch ist die LINKE?
Von Stefan Sasse
Ein höchst suggestiver Titel, oder? Die Möglichkeit, dass die LINKE gar nicht antisemitisch sein könnte, wird damit elegant beseitigt. Die Debatte ist so alt wie die Links-Rechts-Auseinandersetzungen in der BRD und ein beständiges, belastendes Erbe der deutschen LINKEn. Da die USA und die bürgerliche Adenauer-Regierung seinerzeit Israel unterstützten, während der Ostblock es mit den arabischen Nachbarn hielt, hat die deutsche Linke gewissermaßen eine inhärente Abneigung gegen Israel eine Zuneigung zu Palästina geerbt, die von politischen Gegnern stets leicht ausgenutzt werden kann. Eine aktuelle Studie von Sozialwissenschaftlern kommt zu dem Schluss, dass in der LINKEn Antisemitismus stark zunehme. Gemessen wird das hauptsächlich an den anti-israelischen Positionen in der Partei. Wegen der skizzierten traditionellen Probleme mit dem Land ist das allerdings reichlicher Unsinn.
Donnerstag, 19. Mai 2011
Georg Schramm bei der Verleihung des Kleinkunstpreises BaWü 2011
Man beachte, dass da lauter CDU-Abgeordnete im Publikum sitzen.
Mittwoch, 18. Mai 2011
Ist Merkel blind oder nur skrupellos?
Von Stefan Sasse
Merkels Äußerungen, dass der Süden Europas sich gewissermaßen in ein Lotterleben flüchte und dann von den hart arbeitenden Deutschen wieder hochgestemmt werden müsse, trafen sicherlich einen Nerv im viel gerühmten "gesunden Volksempfinden". Kaum jemand, der sich auf die Frage nach den Griechenlandhilfen nicht echauffieren kann: warum muss der brave deutsche Michl den faulen Griechen den süßen Lebensabend zahlen? Wer jetzt nicht in Schwärmereien gerät, wenn er an eine Rente von nicht einmal 600 Euro in überteuerten Mietskasernen denkt, der denkt vielleicht sogar noch weiter. Was tut Merkel da eigentlich? Klar, sie streichelt die Volksseele, zeigt ein bisschen die Kümmerin - schließlich ist die Furcht, dass das ganze Geld am Ende weg ist, absurderweise viel realer und greifbarer als 2009/10 bei der Rettung der Banken -, aber in irgendeiner Art und Weise rational ist ihre Politik nicht. Stattdessen befindet sie sich in einer Tankstelle, in der alle Leitungen leck sind, und spielt hemmungslos mit Zündhölzern. Macht ja nichts, sie ist schließlich versichert.
Dienstag, 17. Mai 2011
Gabriel for Kandidat
Von Stefan Sasse
Sigmar Gabriel 2010 |
Samstag, 14. Mai 2011
In eigener Sache
Stefan Mayer von der Uni Mainz führt für seine Diplomarbeit eine Befragung zum Thema Blogs durch. Es wäre sehr hilfreich, wenn ihr euch die Zeit nehmen könntet sie durchzuführen. Danke!
Donnerstag, 12. Mai 2011
Studie zum Rechtspopulismus
Von Stefan Sasse
Der Freitag hat eine Studie bei Forsa zum Thema rechtspopulistische Ansichten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis (unter anderem):
70 Prozent der Befragten finden, Deutschland gibt zu viel Geld nach Europa. Knapp die Hälfte verlangt, dass die Zuwanderung nach Deutschland drastisch reduziert werden muss. 38 Prozent sind der Meinung, der Islam sei eine Bedrohung unserer Werte.
Die verbreitete Meinung, dass die EU für Deutschland nur zum Schaden sei und dass wir gewissermaßen der Zahlhans wären, ist gefährlich. Wenn die EU keinen Rückhalt hat, hat eine skrupellose wie dumme Europapolitik wie die Angela Merkels deutlich bessere Chancen. So viele Defizite die EU auch hat, ihr Untergang wäre eine Katastrophe.
Anders bewerte ich die 38% Zustimmung zur These, dass der Islam sich nicht mit deutschen Werten vereinbaren lasse. Nur 38%? Ich hätte, besonders nach der hitzigen Debatte um Sarrazin, auf eine deutliche Mehrheit getippt. Mir erscheint das eher eine gute Nachricht zu sein. Es gibt noch eine solide Mehrheit von 62%, die der allgemeinen Hetze nicht auf den Leim gegangen ist. Das ist wenigstens etwas beruhigend.
Freitag-Auswertung und die gesamte Studie finden sich hier.
Tschüß, Silvana!
Von Stefan Sasse
Ich geb zu, ich hab noch nie so unverhohlene Schadenfreude empfunden. Vielleicht hättest du irgendwann in deinem Leben mal etwas Richtiges arbeiten sollen, anstatt im Europaparlament zu schwänzen, exorbitante Abrechnungen zu erstellen und dann von Eigenverantwortung zu schwafeln. Niemand wird dir eine Träne nachweinen.
Mittwoch, 11. Mai 2011
Unsinn übers Internet
Von Stefan Sasse
Vor drei oder vier Jahren wusste noch kaum jemand abseits gewisser geschlossener Communitys mit dem Begriff "Web 2.0" etwas anzufangen oder hätte ein "social network" definieren können. Jetzt wird das Internet mit einer Selbstverständlichkeit zur Erklärung der Welt herangezogen, die ins Lächerliche übergeht. Gewaltbereitschaft der Jugendlichen? Internet. Schlechte Schulnoten? Internet. Mobbing? Internet. Terror? Internet. Kinderpornos? Internet. Probleme, die seit Jahrzehnten existieren, werden plötzlich mit einem Wort erklärt. "Hey, da gibt es doch dieses fiese, geheimnisvolle Internet! Ich kenn mich zwar nicht aus, aber mit ein paar Buzzwords kriegen wir das schon hin!" So muss der Gedankengang eines durchschnittlichen Redakteurs zur Zeit aussehen, jedenfalls kann man sich anders kaum erklären, dass ausgerechnet ein Egomane wie Sascha Lobo zum Aushängeschild des neuen Internet wird, der selbst kaum Ahnung hat, das aber erfolgreich hinter einem grellroten Iro verbirgt. Das neueste Phänomen aus "mit dem Internet die Welt erklärt" ist der aktuell laufende Zensus und die aktuell nicht laufende Aufregung darüber.
Dienstag, 10. Mai 2011
Zwei Fundstücke
Von Stefan Sasse
Gerade bei SpOn über zwei bemerkenswerte Artikel gestolpert.
1) Jan Fleischhauer mokiert sich in "Qualifikation? Sie ist doch Deutsch-Türkin!" völlig zu Recht über die verbreitete Tendenz, Minderheitenintegration durch Quotenbeglückung zu lösen. Auch wenn in seinem Artikel der übliche Seitenhieb gegen die ach so verschwenderischen Linken nicht fehlen darf, hat er doch überwiegend Recht. Das ist das erste Mal, dass ich Fleischhauer zustimme, seit seine Kolumne "Der Schwarze Kanal" aufgemacht hat. Besonders schön finde ich seinen Vergleich, dass man auch nicht todkrank sein muss um Gesundheitsminister zu sein; den verwende ich selbst auch immer gerne.
2) Ebenfalls auf SpOn findet sich unter der provozierenden Überschrift "Warum Amerika über bin Ladens Tod jubeln darf" eine Zusammenfassung, wie ich sie ebenfalls zumindest partiell unterschreiben kann. Schöner Gegensatz zu den bisherigen Kommentaren.
Osama und das Völkerrecht
Von Stefan Sasse
Ich hatte anfangs gesagt, dass es effektiv kaum möglich ist, den Fall Osama bin Laden zweifelsfrei zu diskutieren, da einfach zu wenig verlässliche Informationen bestanden. Zumindest was die völkerrechtliche Lage angeht, hat sich die Situation durch Aussagen eines US-Beamten deutlich verändert: demnach gab es einen Geheimvertrag zwischen George W. Bush und Perifz Musharaff von 2001, der es den USA erlaubte, jederzeit in Pakistan einzugreifen um Osama bin Laden zu fangen oder zu töten. Der Vertrag, so der Beamte, hätte vorgesehen dass die Pakistanis dann zwar öffentlich großes Getöse machen aber nicht eingreifen würden. Dass dieses Abkommen nun bekannt wird, würde ins Schema passen. Beide Seiten würden immer noch volle Dementierbarkeit gegenüber ihren jeweiligen Radikalen haben, aber an der Front von der Verletzung der nationalen Souveränität wäre effektiv Ruhe. Ich wäre nicht überrascht, wenn weitere Sachen zum Thema bin Laden ans Licht kämen, die eine differenziertere Einschätzung der Lage erlaubten.
Davon wird allerdings ausdrücklich nicht die ethische Dimension berührt, also ob eine solche gezielte Tötung überhaupt erlaubt sein kann oder nicht. Ich bleibe weiter bei dem Standpunkt, dass es im Falle bin Ladens legitim war, aber in einer solchen Frage muss das jeder für sich entschieden; es liegt praktisch in der Natur solcher Diskussionen, dass ein endgültiges Ergebnis nicht zu erzielen ist.
Samstag, 7. Mai 2011
Wahlkampf mit Außenpolitik - selten eine gute Idee
Von Stefan Sasse
Außenpolitik ist ein ziemlich komplexes Politikfeld, das weiß man spätestens, wenn man mal in einem Seminar zum Thema "Internationale Beziehungen" saß. Vermutlich beschränken sich Außenminister deswegen gerne auf das Ablaufen roter Teppiche, was ihre Außenrepräsentation angeht. Dass sich niemand groß damit beschäftigt, wenn nicht gerade etwas von enormer Tragweite geschieht, macht es ihnen leicht und sorgt im Falle eines Falles dafür, dass niemand Bescheid weiß, wenn doch etwas passiert. Oder wer kennt sich in Libyen schon wirklich so aus, als dass er hätte die Krise einschätzen können, als sie passierte? - Aber ich schweife ab. Es ist interessant zu sehen, dass außenpolitische Themen zum Wahlkampfthema zu machen eigentlich nie eine besonders gute Idee ist, man sieht es durch die gesamte Geschichte der BRD hindurch. Die SPD hatte stets ein Problem damit, die Adenauer'sche Westbindung zu akzeptieren und fand erst nach der Übernahme dieser Leitlinie aus dem Tal der Tränen heraus. Die CDU lief daraufhin in die gleiche Falle und verdammte die Ostpolitik. Erst, als sie sie um 1980 endlich akzeptiert hatte, konnte sie realistisch wieder die Regierung übernehmen. Der Widerstand der SPD gegen den NATO-Doppelbeschluss brachte ihr nichts. Der Versuch, irgendwie eine Regelung für Afghanistan zu finden, überlastet noch heute die Parteien (mit Ausnahme der LINKEn, die es hier einfach hat). Merkels Desaster mit Griechenland hat ihren Ruf nachhaltig ruiniert.
Freitag, 6. Mai 2011
Als Dinosaurier die Erde beherrschten
Von Stefan Sasse
Aktuelles Foto von Kurt Biedenkopf |
Zugegeben, als am Ende des Action-Reißers "Jurassic Park" seinerzeit ein Banner mit der Aufschrift "Als Dinosaurier die Erde beherrschten" direkt vor einem herummarodierenden Tyrannosaurus Rex herunterfiel, war die Ironie und Moral schon mit dem Holzhammer. Kurt Biedenkopf haben wir es zu verdanken, dass das heutzutage subtiler geschieht. Er hat nämlich ein neues Buch geschrieben, das den eindringlichen Titel "Wir haben die Wahl" trägt. Wer jetzt an ein deutsches "Yes, we can!" und eine Merkelelogie glaubt, ist aber schief gewickelt, denn unter einer Grundsatzentscheidung über das zukünftige Wohl und Wehe der Republik macht es Biedenkopf nicht: "Freiheit oder Vater Staat", das verrät der Untertitel, stehen scheinbar zur Auswahl. Im Buch selbst findet sich dann eine Auflistung der üblichen Unwahrheiten: die Reichsten tragen 55% der Steuerlast, der Staat erstickt die Freiheit, der Sozialstaat ist unser aller Untergang, blabla. Um 2004 hätte Biedenkopf mit diesem Buch begeisterte Rezensionen von Spiegel bis Welt eingeheimst, jetzt reicht es immerhin für einen müden Verriss in der Zeit, die die berechtigte Frage stellt, ob es im intellektuellen Ideenschrank nicht vielleicht auch mal was Neues gebe. Nun, Dinosaurier haben noch selten eingesehen warum sie nicht mehr für ihre Umgebung geeignet sind. Man muss es ihnen nachsehen, sie waren auch diverse Millionen Jahre an der Macht, zumindest gefühlt.
Donnerstag, 5. Mai 2011
Operation Sarrazin, Tage danach
Von Stefan Sasse
Hand heben wer gewusst hat, dass der Beschluss des Schiedsgerichts, dass Sarrazin seine Klappe halten würde, nicht so lange halten würde bis die Tinte trocken war. Die SPD verhält sich in der Kausa mehr und mehr wie der Elefant im Porzellanladen. Nachdem man Sarrazin ewig hat gewähren lassen, ihn sogar zum Bundesbanker machte, versuchte man ihn danach loszuwerden und scheiterte so kläglich, dass Fremdschämen angesagt ist. Jeder wusste, wie wertlos seine Erklärung war; Sarrazin ging als unbestrittener Sieger aus dem Verfahren. Dass er ähnlich Wolfgang Clement in einer Kurzschlussreaktion austreten wird ist nicht zu erwarten. Doch damit nicht genug: um schnell jeden Eindruck zu verwischen, man würde offiziell hinter Sarrazins "Thesen" stehen, verordnet die SPD-Spitze der SPD, sich eine 15%-Migrantenquote für das Präsidium zu verordnen, weil man ja 14% Migrantenanteil in der Partei und 0% in der Spitze habe. Vorhang auf für Sarrazin: "Intelligenz kommt und geht ja nicht damit, dass man Migrant ist". Chapeau, SPD. Nicht nur blamiert ihr euch mit eurem Quotenaktionismus; die "loose cannon" Sarrazin kriegt auch gleich wieder ihren Auftritt.
Mittwoch, 4. Mai 2011
Kurzer Gedanke zu Osama
Von Stefan Sasse
Ein kurzer Gedanke nebenbei, der mir gerade kam: vielleicht ist es nicht so, dass Obama die Entscheidung zwischen zwei klaren Alternativen - Festnehmen oder Erschießen - hatte, sondern dass die Variante "Festnahme" einfach nicht zweckmäßig war. Sie wirkt auch irgendwie unwirklich. Osama vor einem US-Gericht? Schwer vorstellbar, irgendwie, wenn man das Bild im Kopf produzieren möchte. Die Navy Seals hatten Anweisung, ihn festzunehmen, wenn er sich eindeutig ergebe (womit kaum zu rechnen war). Dass sie ihn erschossen haben, war aus ihrer Perspektive vernünftig (alles andere wäre lebensbedrohlich für sie), und dass die Missionsparameter so gesetzt wurden erscheint mir auch sinnvoll. Die Nazis, denen man 1946 den Prozess gemacht hat, haben sich ergeben. Bei ihnen war damit zu rechnen. Osama aber ist letztlich ein terroristischer Irrer. Wer würde ausschließen wollen, dass er einen Sprengstoffgürtel für den Fall der Fälle greifbar hat? Eine Handgranate? Wer würde das Risiko persönlich eingehen wollen, dass er sich mit zwei oder drei seiner festnehmenden Soldaten in die Luft jagt? Verschwörungstheorien hätte es auch dann gegeben, Kritik auch, und in den USA selbst hätte man Obama schwerste Vorwürfe gemacht, und das nicht einmal zu Unrecht. Nein, der Tötungsbefehl war rechtlich nicht wirklich sauber, aber eine echte Alternative gab es vermutlich gar nicht.
Nachtrag: Es ist irgendwie ein Bauchding für mich, das mit der Tötung. Ich weiß gar nicht, warum ich kein Problem damit habe. Eigentlich sollte ich eines haben, aber ich hab keins.
Nachtrag: Es ist irgendwie ein Bauchding für mich, das mit der Tötung. Ich weiß gar nicht, warum ich kein Problem damit habe. Eigentlich sollte ich eines haben, aber ich hab keins.
Dienstag, 3. Mai 2011
Liebeserklärung an Amerika
Von Stefan Sasse
- Volker Pispers
Volker Pispers findet sich in guter Gesellschaft. Im Bereich der Politik und des politischen Kabaretts nimmt der beiläufige Seitenhieb auf die USA, mal mehr, mal weniger böse, den Platz ein, den im normalen Witz- und Comedy-Verkehr der Humor zu Unterschieden zwischen Mann und Frau hat. Mein eigenes Verhältnis zu den USA war im Verlauf des letzten Jahrzehnts einigen Änderungen unterworfen. Es war der Anti-Amerikanismus, durch den sich meine Politisierung vollzogen hat. Besonders dem Blog USA erklärt verdanke ich einen tieferen Einblick in die amerikanische Psyche, und meine Beschäftigung mit der Geschichte und dem politischen System der USA half mir, Erkenntnisse zu vertiefen und frühere Ansichten zu hinterfragen. Verständlich bleibt Kritik an den USA, oftmals auch nur plumpe (selten feinsinnige) Polemik, denn sie ist immer hilfreich wenn man seine eigene Unabhängigkeit im politischen Denken deutlich machen will. Man stößt praktisch immer auf Zustimmung, wenn man in Deutschland Kritik an den Militäreinsätzen der USA und ihrem machtbewussten Auftreten in der Außenpolitik übt. Zustimmung erntet praktisch jeder Verweis auf die scheinbar mangelnde Kultur der Amerikaner, deren Errungenschaften auf diesem Gebiet irgendwo zwischen McDonalds, Las Vegas und Hollywood lägen. Die inzwischen schon sprichwörtliche Unbildung der Amerikaner, was die Geographie Europas angeht, ist Gegenstand zahlloser meist schlechter Scherze. Das Negativbild, das so über die USA entstanden ist, hat mit der Realität allerdings oft genug wenig gemein. Es wurzelt in trüben Epochen unserer eigenen Vergangenheit, und letztlich dient der Anti-Amerikanismus oft genug dazu, sich selbst der eigenen Großartigkeit zu versichern, auch wenn dazu eigentlich kaum Grund besteht.
Montag, 2. Mai 2011
Zu den offenen Grenzen in Zeiten der „Vollbeschäftigung“ und des „Fachkräftemangels“
Von Jürgen Voß
Spielen wir mal mit etwas Phantasie folgendes durch: Wir schreiben das Jahr 1970. In dem später mal „alte“ Bundesrepublik genannten Westdeutschland sind exakt 148 846 Frauen und Männer „arbeitslos“ gemeldet. In diesem Vollbeschäftigungsparadies – liberale Ökonomen sprechen sogar von Überbeschäftigung – kommt jemand auf uns zu und entwirft ein Arbeitsmarktszenario der Zukunft: In 41 Jahren, genau: im April des Jahres 2011, werden 5,501 Mio. Menschen auf den Empfang von Arbeitslosengeld angewiesen sein, davon 3,08 Mio. „registrierte“ Arbeitslose und 1,2 Mio. in sog. Fördermaßnahmen versteckte.
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