Es ist dieser Tage sehr en vouge, die political correctness anzugreifen, die angeblich jede Art freier Meinungsäußerung unmöglich macht. Alexander Gauland etwa stellte pikiert fest, dass es unmöglich ist offen zu sagen, dass man Schwarze nicht als Nachbarn möchte, und versteht nicht, wie man ihm deswegen den Rassismusvorwurf umhängen könne. Blankes Unverständnis herrscht in weiten Teilen der Bevölkerung auch immer noch über die Kontroverse um das Zigeunerschnitzel und den Mohrenkopf oder darüber, dass Pippi Langstrumpfs Vater nicht mehr Negerkönig sein darf. Und in den USA setzt sich an den Unis der Trend durch, dass es safe spaces und trigger warnings gibt. Warum also haben wir uns je mit etwas so wahnwitzigem wie der allseits verhassten political correctness abgefunden? Nur ein Beispiel für die Öko-Diktatur linksgrüner Gutmenschen? Eher nein. Political correctness ist eigentlich eine sehr sinnvolle und auch wenig ungewöhnliche Erfindung.
Um diese Außenseiterposition begreiflicher zu gestalten, brauchen wir das, was der Diskussion darum so oft fehlt – Kontext. Wir müssen herausfinden, wozu political correctness eigentlich da ist, wozu nicht, und wem sie helfen soll. Dazu müssen wir uns auch mit Sprache beschäftigen.
Die Idee der political correctness ist es, bestimmte Begriffe und Redewendungen zu identifizieren, die für Minderheiten beleidigend sind und/oder die dazu dienen, Machtverhältnisse deutlich zu machen. Letztlich schafft political correctness einen Definitionsrahmen dessen, was die Gesellschaft aktuell für vertretbar hält, was also innerhalb der Mehrheitsmeinung ist. Früher hätte man das Tabu genannt. So ist es in Deutschland etwa politisch nicht korrekt, den Holocaust zu relativieren (und sogar strafbar, ihn zu leugnen), einen Hummvee zu fahren, Schwarze als Neger zu bezeichnen, Schwule eklig zu finden oder sich für ein Gesellschaftsmodell einzusetzen, in dem Männer eine dominante Stellung gegenüber Frauen haben.
Diese Normen sind nicht beständig. Was politisch korrekt ist und was nicht entwickelt sich, wie alles andere auch, aus einem großen gesellschaftlichen Dialog. So war es vor einigen Jahrzehnten politisch ganz und gar nicht korrekt, Schwule nicht sofort einzusperren, Frauen die Aufnahme einer Tätigkeit zu empfehlen, den Wehrdienst zu verweigern oder keinen Alkohol zu trinken. Zeiten wie Gebräuche ändern sich und haben sich immer geändert. Wer das nicht glaubt, kann Sokrates‘ Beschwerden über die Jugend von heute oder „o tempora, o mores“ stöhnende Römer studieren.
Was wir heute als political correctness bezeichnen ist die direkte Folge der so genannten „Rights Revolution“ der 1960er Jahre, als viele bis dato unterdrückte Minderheiten begannen, aggressiv ihre Rechte einzufordern – von den Feministen zu Martin Luther King. Während sich die legale Situation schnell zum Besseren wandte, brauchte die Realität deutlich länger, um aufzuholen, weil sich die Sitten, Gebräuche und Vorurteile nun einmal nicht von heute auf morgen ändern. Es muss sich erst ein neues Bewusstsein entwickeln. Und manchmal hilft da eben auch eine Änderung der Sprache.
So ist es in Deutschland abseits der AfD und NPD ziemlicher Konsens, dass Worte wie „Endlösung“, „völkisch“ und „Volksgemeinschaft“ im täglichen Sprachgebrauch nichts verloren haben – sie sind Tabus, politisch nicht korrekt. Wir nennen Schwarze nicht mehr Neger, sondern schauen peinlich berührt zu Boden wenn die Oma dagegen wettert, dass die inzwischen in der Nationalmannschaft spielen dürfen. Jedem ist klar, dass einen Italiener „Kanacke“ zu nennen kein liebenswürdiger Kosename ist. „Geh doch nach Auschwitz!“ ist keine Empfehlung für die Bildungsreise im Sommerurlaub. Und so weiter.
Dieser Prozess der Sprachänderung ist vollkommen natürlich und passiert permanent. Es liegt in der Natur der Sache, dass er eher eine elitengetriebene Veranstaltung ist, also aus Kreisen der Erzieher, der Journalisten, öffentlichen Intellektuellen und Politiker. Und in diesen Kreisen sind Wähler von linken und grünen Parteien stärker vertreten als solche, die ihr Kreuz bei AfD oder CDU machen. Das war übrigens nicht immer so, sondern ist eine Folge der Bildungsexpansion der 1960er und 1970er Jahre. In der Zwischenkriegszeit etwa war das Erziehungswesen tiefbraun, mit bekannten Folgen. Auch damals gab es political correctness, nur nannte man das nicht so. Man kann die spezifische Richtung beklagen und kritisieren, die diese Normensetzung nimmt – das war und ist immer legitim – aber das Phänomen als solches ist jeder menschlichen Gesellschaft inhärent.
Political correctness ist daher kein reines Terrorregime, das zur fiesen Unterdrückung ehrlicher patriotischer Gefühle aufrechter Deutscher entwickelt wurde. Vielmehr geht es darum, die gesellschaftlichen Normen sprachlich zu verschieben oder nur deutlich zu machen. Der Kreis derer, die die entsprechende Norm bereits (oder noch) akzeptieren, ist mal größer und mal kleiner, wovon auch direkt die Akzeptanz der entsprechenden Norm abhängt. Ich möchte dies anhand einiger Beispiele verdeutlichen.
Nehmen wir auf der einen Seite die eingangs erwähnte Relativierung des Holocaust. Ihre Verdammung hat eine ungeheur breite Zustimmung, denn sie ist ein Gründungsmythos der modernen BRD. Zu versuchen am Holocaust herumzudeuteln ist ein sicherer Weg, sich außerhalb des gängigen Konsens zu stellen, weswegen es auch unter Randparteien und Extremisten so beliebt ist.
Auf der anderen Seite steht ein Konflikt wie der um das Zigeunerschnitzel. Hier ist es nur eine kleine, aber lautstarke Gruppe, die eine Namensänderung beantragt. Der Hintergrund ist, dass "Zigeuner" eine ausschließlich pejorativ gebrauchte Bezeichnung einer Volksgruppe ist (der Sinti und Roma), die wir aus dem Sprachgebrauch insgesamt verbannt haben - ein ähnlicher Fall wie "Neger". Da der Fall nur eine sehr kleine Gruppe betrifft, eignet sich das Thema sehr gut zur Verdeutlichung von Standpunkten. Wer etwa eher auf deutschnationaler Seite steht, wird sich emphatisch für die Tradition des Zigeunerschnitzels einsetzen; wer eher auf der progressiven Seite steht, wird sich dafür einsetzen, den Begriff zu verbannen, weil es ein Umdenken befördert. Die meisten Leute sind verwirrt, warum ihr Schnitzel in Paprikasoße plötzlich so wichtig geworden ist und werfen grummelnd eines auf den Grill während sie versuchen herauszufinden, ob sie dabei ein schlechtes Gewissen haben sollen (nein).
Das Problem für alle Vertreter von political correctness ist dabei, dass sie immer gegen den Strom schwimmen. Eine Norm ist per Definition von einer Mehrheit vertreten; sie zu ändern daher immer ein Herkulesakt. Noch schlimmer wirkt sich aus, dass die Mehrheit das Problem grundsätzlich nicht erkennen kann. Das ist im System angelegt, denn wäre die Mehrheit betroffen, wäre es nicht political correctness, sondern common sense. Die Verteidiger des Zigeunerschnitzels etwa werden sich fragen, warum sie doofe neue Begriffe lernen sollen, bisher hat's ja auch niemanden gestört. Oder warum in einer so schönen Tradition wie Pippi Langstrumpf plötzlich der Negerkönig dem Südseekönig weichen muss¹. Meine Antwort darauf ist eigentlich immer ein kleines regional eingefärbtes Gedankenspiel.
Man stelle sich vor, die urschwäbische Delikatesse der Maultaschen wird im Zuge einer kleinen kulinarischen Revolution in Griechenland der größte Hit. Natürlich vermarktet man sie da nicht als Maultaschen, die brauchen einen Namen, der das exotische besser zur Geltung bringt. Deswegen nennen sie sie, nichts Böses im Schilde führend, nach dem urdeutschesten was ihnen einfällt Nazi-Taschen. Wer sich an den heiligen Zorn der BILD-Zeitung über die Hakenkreuze auf griechischen Demonstrationen in der Euro-Krise erinnert, kann sich ausmalen, was unsere Reaktion sein wird. Und die Griechen würden gar nicht verstehen, wo das Problem liegt (und sich vielleicht bewusst etwas borniert anstellen, man hat ja seinen Stolz). Man will ja niemanden beleidigen, also sollen sich die Leute bitte mal nicht so anstellen.
Vermutlich würde man sich merkwürdig fühlen, beim Griechenlandurlaub im örtlichen Supermarkt an der klassischen deutschen Spezialität der Nazitaschen vorbeizulaufen. Aber es gibt ja nur sehr wenige Deutsche in Griechenland, und niemand zwingt irgendwen, dorthin zu gehen, nicht wahr? Dass das eine ungeheur unsensible Benennung und eine kollektive Beleidigung für eine ganze Menge Menschen ist, stört in dem Kontext kaum. Und die gedankliche Vermischung von Deutsch und Nazi fällt da auch gleich leichter.
Es sind solche kleinen Probleme, die durch political correctness angegangen werden. Sie berühren Identitätspolitik, und das macht sie so virulent. Beim Zigeunerschnitzel geht es nicht um die korrekte Benennung eines Stücks Fleisch in Paprikasoße, das man genauso ein Paprikaschnitzel nennen könnte. Das würde eigentlich niemanden wirklich stören. Aber es berührt Gefühle. Warum muss ICH mich für DIE ändern? Ist das überhaupt noch mein Land? Bin ich deutsch? Ist das Zigeunerschnitzel deutsch? Was ist überhaupt deutsch? Der tatsächliche Verhandlungsgegenstand rückt da in die zweite Reihe. Da werden dann plötzlich Fronten verhärtet. Erinnert sich noch jemand, als die Kantine des US-Kongresses 2003 die French Fries in Freedom Fries umbenannte, weil Frankreich nicht mit den Irakkrieg zog? Zu dumm dass man im Ersten Weltkrieg die Frankfurters schon in Hot Dogs umbenannt hatte, da war nichts mehr zu holen.
Das alles berührt die Benennung von Dingen. Wesentlich grundlegender wird es, wo political correctness es unternimmt, dass Verhalten zu ändern.
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¹Ich persönlich verstehe ja nicht, warum man Generation für Generation immer den gleichen veralteten Mist aufwärmen muss, aber jedem so wie es ihm beliebt.