Freitag, 29. Mai 2009

Zwei Fundstücke

Ich werde über das WE weg sein - haltet euch so lange an die Kollegen der Blogroll :)

Bei Weißgarnix findet sich eine ins Schwarze treffende, fundierte und prägnante Kritik an der derzeitigen Opelrettungspolitik. Lesenswert!

Weißgarnix hat's verlinkt, ich geb's euch mit Lesebefehl weiter: der Tübinger Soziologieprofessor Christoph Deutschmann hat 2003 (!) einen 15-Seiter zum Keynesianismus geschrieben, der wirkt, als wäre er gestern verfasst worden. Unglaublich klarsichtig und hochinteressant!

Tieffliegeralarm

Die Bandbreite des Schwachsinns, den Leute, die es eigentlich besser wissen sollten, hat sich gerade wieder einmal vebreitert. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Klaus Zimmermann, hat allen Ernstes vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer auf 25% zu erhöhen. Nicht nur ist das als solches total dämlich, den Vogel schießt er mit der Begründung ab:
Dieser Satz sei in Skandinavien bereits üblich, begründete der Ökonom seine Forderung. "Wenn man das jetzt schon ankündigt, ziehen die Bürger viele Käufe vor, was in der Krise den Konsum ankurbelt. Im Gegenzug könnten die Lohnnebenkosten weiter gesenkt werden. Das hilft der Wirtschaft und allen Arbeitnehmern, erklärte Zimmermann. (Quelle)
In Skandinavien sind auch ganz andere Sachen üblich, die hier übeleste Auswüchse des Sozialismus' wären. Nein ernsthaft, "das hilft den Arbeitnehmern"? Klar, ich zahl jeden Monat 1% weniger in die Sozialkassen ein, und dafür muss ich sechs Prozent mehr Mehrwertsteuer bezahlen. Mann oh Mann, da mach ich erst mal ein Fass auf! Und die Unternehmer, denen das so hilft, bestimmt gleich mit. Junge, zum Mitschreiben: eine Marktwirtschaft basiert darauf, dass Sachen gekauft werden. Die stellt man nicht für die Halde her. Was passiert wohl, wenn die teurer werden, hm?

Mittwoch, 27. Mai 2009

Intellektueller Tiefseetaucher auf Konfrontationskurs

Im ständig neoliberal-konservativen Talk des Stern ("Café Einstein") war letzthin der finanzpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Steffen Kampeter, der immerhin nicht von Jörges interviewt wird - der vor allem durch seine krassen Fehleinschätzungen und analytischen Blindflüge aufgefallen ist -, sondern von Lutz Kinkel, der keine gar so krasse Fehlbesetzung ist. Ich will das knapp sechsminütige Gespräch hier kommentieren.

Den Beginn macht Kinkels Verweis auf die schwäbische Hausfrau, die dümmste Metapher, die Merkel zum Thema Wirtschafts- und Finanzpolitik bis dato aus dem Hut gezaubert hat. Kinkel bringt uns diese auch gleich näher: sparen, nicht über die Verhältnisse leben - "also ziemlich genau das, was einen guten Haushaltspolitiker ausmacht". Schon in diesen ersten zwanzig Sekunden des Gesprächs will man bereits dem Interviewer irgendwas schweres an den Kopf werfen, dass er das Denken anfängt. Was bitte ist daran ein guter Haushaltspolitiker?! Wenn ich jemand brauche, der einfach nur die Geldbörse zugeknöpft hält wie eine alte Jungfrau ihre Hose, dann kann ich ein Schloss dranmachen und ein Schild davorhängen. Ein Haushaltspolitiker definiert sich nicht dadurch, dass er im ideologischen Blindflug einfach eisern spart - daran sind sowohl Eichel als auch Steinbrück grandios gescheitert, aber was ficht die Realität beinharte Ideologen an?
Kampeter drückt dann seine Hoffnung aus, dass die "Werte der schwäbischen Hausfrau" nicht tot sind, sondern bald wieder auf die Tagesordnung kommen, denn "gerade sind viele Dämme gebrochen" und "man glaubt, dass Schulden Wachstumshormone für die Weltwirtschaft sind". Er zeigt sich außerdem zuversichtlich, dass "die Frage der Stabilität, der Haushalte und damit auch die Stabilität des Geldes" wieder schnell zum Thema wird. Noch einmal: kein Schwabe könnte ohne Schulden je das berühmte Häusle bauen, kein Schwabe ohne Schulden den berühmten Mercedes fahren. Aber nein, stattdessen werden neoliberale Allgemeinplätze gedroschen (Konjunkturprogramm = Schulden = Strohfeuer) und die Realität ausgeblendet. Diese Theorie ist durch nichts belegt, wurde aber gebetsmühlenartig von Hans-Werner Sinn und dem Rest der ökonomischen Rücklichter beharrlich wiederholt - bis die Krise kam. Seither predigt Sinn Konjunkturpakete, aber seinen Jüngern wie Kampeter oder Westerwelle fehlt irgendwie die geistige Flexibilität, um die 180-Grad-Drehung schnell nachzuvollziehen und dabei noch so zu wirken, als habe man das schon immer gesagt.
Kinkel fragt daraufhin nach der Bankenkrise und dem Bad-Bank-Konzept und weist auf die Billionen-Bürgschaft hin, deren Risiko niemand kalkulieren kann. Kampeter weiß auch hier wenig Neues zu vermelden: man muss die Banken retten, sonst gibt es einen Domino-Effekt (der von echten Ökonomen wie Joseph Stiglitz, Paul Krugman und anderen durchaus bezweifelt wird). Interessant ist, wenn Kampeter daraufhin weist, dass die Bürgschaft dazu da ist, Zeit zu gewinnen, damit "mit normaler Geschäftstätigkeit" die schlechten Elemente aus den Bilanzen herausgearbeitet werden sollen. Im Klartext: der Staat garantiert die Kohle, und die Banken spekulieren weiter wie bisher, um mit dem dadurch eingenommenen Geld die Kosten der letzten Spekulationen zu decken die, wie wir ja inzwischen wissen, in Wirklichkeit gar nicht so lukrativ waren wie immer behauptet wurde. Wer jetzt nicht mehr versteht, wie das eigentlich funktionieren soll beweist nur, dass er noch klar denken kann. Entlarvend aber wird Kampeters Legitimation dafür: "Das nützt Ihnen, das nützt mir, das nützt den kleinen Unternehmen, das nützt allen die mit Banken irgendwelche Geschäfte machen oder Sozialleistungen in anspruch nehmen, also Bankenrettung ist ja letztendlich auch Bürgerrettung." Das klingt natürlich toll, ist aber hanebüchener Unsinn. Bürgerrettung war die Garantie des Staates für die Spareinlagen der Sparer. Alles, was derzeit getan wird, ist Aktionärsrettung, und die nützt tatsächlich genau den Menschen, die Kampeter in entlarvender Offenheit aufgezählt hat. Argumentiert wird erneut mit der systemischen Relevanz der betroffenen Banken und dem Dominoeffekt, sollte eine davon fallen.
Als nächstes Thema schneidet Kinkel die von der LINKEn und neuerdings auch von der SPD in die Debatte gebrachte Börsenumsatzsteuer an, mit der provozierenden Aussage, dass dies Kampeter als Haushaltspolitiker und moralisch denkendendem Menschen eigentlich gefallen müsse. Der windet sich auch erwartungsgemäß: "Manchmal ist weniger mehr. Jetzt in der Krise umfassend über Steuererhöhungen nachzudenken, das führt ja nicht dazu dass diejenigen, die bereit sind Risiko zu übernehmen und wirtschaftliche Aktivität anzustoßen aufgefordert sind. Was wir brauchen sind Leute, die wir von Lasten befreien und die sagen: "Ärmel hochkrempeln, ist zwar ne schwierige Lage, aber es lohnt sich Arbeit in dies Land, in diese Wirtschaft zu investieren." Und deshalb glaube ich, dass alle Diskussionen über Steuererhöhungen, über Einfürhung neuer Steuern unserem Land im Ergebnis schaden, ein Wohlstandsrisiko sind, und deswegen nichts mit Gerechtigkeit zu tun haben, sondern schlichtweg Blödsinn sind." Aha. Ein Wohlstandsrisiko. Keine Frage, aber für wen?
Leider stellt Kinkel diese naheliegende Frage nicht, im Gegenteil. Er wendet sich danach der Abwrackprämie zu. Diese bezeichnet er als Erfolg - worüber man durchaus geteilter Meinung sein kann - und fragt sich dann, ob nicht andere Branchen nun ebenfalls solche Subventionen verlangen werden. Erwartungsgemäß gibt Kampeter hier keine direkte Antwort, stattdessen brüstet er damit, dass "die Kanzlerin" auf dem G20-Gipfel die Forderung nach weiteren Konjunkturpaketen, wie sie beispielsweise von den USA und GB erhoben wurde, abgeblockt hatte. Außerdem seien die Effekte des Konjunkturpakets II noch gar nicht angekommen. Auf Nachfrage Kinkels betont Kampeter, dass er hofft, dass es kein drittes Konjunkturpaket geben wird. Er glaube, dass Konjunkturpakete nur eine politische und keine wirtschaftliche Wirkung hätten. Danach wird er konkret: in Meinungsumfragen werde deutlich, dass die Marktteilnehmer optimistischer in die Zukunft blicken und dass sich die Konjunkturerwartungen "unerwartet stark" nach oben bewegt hätten. Statt also über neue Programme nachzudenken, so Kampeter, solle man stattdessen versuchen diese Stimmung zu stabilisieren, "denn die neue Wachstumsphase wird ja nicht durch Konjunkturprogramme eingeleitet, sondern durch einen Stimmungswandel und mehr wirtschaftlichen Optimismus, und da kann Stabilität in den Rahmenbedingungen vernünftiger sein als jede Woche ne neue Sau durchs Dorf zu treiben und in jeder Woche das dritte, vierte, fünfte, sechste würde ja dann gleich kommen, Konjunkturprogramm zu erörtern, sondern man muss auch einfach einmal sagen "Wir haben einen kräftigen Impuls gesetzt", das wirkt vor allem auch vertrauensbildend, der Staat handelt in der Krise, aber bitte nicht jede Woche noch Nachforderungen."
Wenn ich das nur früher gewusst hätte! Ich muss nicht etwa arbeiten gehen, um meine finanzielle Situation aufzubessern, ich muss einfach nur optimistisch sein! Herr Kampeter, Optimismus zahlt weder Mieten noch füllt er hungrige Bäuche. Damit es zu einer wirtschaftlichen Erholung kommen kann, müssen wieder Werte geschaffen werden, und vor allem muss wieder konsumiert werden. Werte sind nicht das Shareholder Value, sondern Waren. Wir leben in einer Marktwirtschaft, das bedeutet Angebot und Nachfrage, nicht kreatives Hin- und Herschieben von Geld. Jemand stellt etwas her, das andere Leute haben wollen, und die kaufen das. Wenn an einem oder an beiden Enden dieses Kreislaufes etwas nicht mehr klappt, haben wir alle ein Problem. Aber das muss den finanzpolitischen Sprecher der CDU nicht anfiechen. Der betet stattdessen das Goldene Kalb Geldwertstabilität an, als sei eine Inflation gerade das, was wir am meisten fürchten müssten. Offensichtlich hat Kampeter überhaupt nicht verstanden, wie Wirtschaft überhaupt funktioniert. Was er sagt, scheint dagegen 1:1 bei Hans-Werner Sinn kopiert, bei dem es wenigstens nur den Anschein hat als hätte er dieses Wissen einfach nur beiseite geschoben, um das billige Mietmaul für die INSM zu geben. Wäre schön, wenn man ähnliches von Kampeter und seinen Spießgesellen auch behaupten könnte, aber die scheinen einfach nur blöde zu sein.

Montag, 25. Mai 2009

Zehn Jahre Kosovokrieg

Die NachDenkSeiten haben auf einen Artikel von Franziska Augstein in der SZ aufmerksam gemacht, der an den Kosovokrieg vor 10 Jahren erinnert und eine äußerst kritische Bilanz zieht. Ich kann absolut unterschreiben, was Franziska Augstein sagt, und möchte mich auch gar nicht weiter mit ihrer Bilanz beschäftigen. Dieser Post soll stattdessen enthalten, was meiner Meinung nach nicht gesagt wurde.
Der Kosovokrieg war sicherlich ein von profunden Machtinteressen getriebenes Unternehmen, aber völlig vergessen wurde in meinen Augen der historische Aspekt des Krieges, die Grundlagen gewissermaßen, denn der Kosovokrieg befindet sich in einer historischen Kontinuität deutscher Außenpolitik, wie beispielsweise Matthias Küntzel in seinem Buch "Der Weg in den Krieg" sehr gut darstellt.
Deutschland und Serbien verband nie eine besonders gute Beziehung. Der scharfe Nationalismus des Serbiens vor dem Ersten Weltkrieg, der mit auslösend für diesen Krieg und die dadurch folgende Niederlage Deutschlands wurde schaffte dem kleinen Land wenig Freunde im Reich, und auch später taute diese Beziehung nicht auf. Stattdessen unterhielten die Deutschen gute Beziehungen zu Albanern und, besonders, Kroaten (dies kann man heute noch an der Asylstatistik ablesen: in Deutschland gibt es kaum Serben, aber viele Kroaten und Albaner). Die Geburt des Vielvölkerstaats Jugoslawien betrachtete man immer misstrauisch, war dieser doch serbisch dominiert und so deutscher Einflussnahme weitgehend entzogen, und ein Ziel deutscher Außenpolitik war deswegen seit jeher die "Balkanisierung" des Balkan und somit die Zersplitterung des serbischen Machtbereichs zugunsten kleinerer, Deutschland gewogener Staaten.
Dasselbe Ziel - Schwächung Serbiens und Schaffung eines deutschlandfreundlichen Staats - verfolgte man auch im Kosovokrieg. Deutschland war, entgegen der offiziellen Regierungslinie, nach der man nur widerstrebend in den Krieg zog, einer der Hauptakteure im innerparteilichen Kampf der NATO um die Frage, ob man intervenieren solle. Anfangs waren die Deutschen relativ auf verlorenem Posten gegen die USA, Frankreich und England, aber als es den Deutschen gelang, sich Madelaine Albright und den Rest der Clinton-Administration gewogen zu machen verschob sich das Gewicht zunehmend, ehe Frankreich und England ihren Widerstand aufgaben und auf die Kriegslinie einschwenkten. Der Kurswechsel von schwarz-gelb zu rot-grün veränderte diese Linie der deutschen Außenpolitik nicht im Mindesten; Fischer und Schröder nutzten die von Kohl und Genscher gelegten Grundlagen fast unverändert und steuerten Deutschland auf Kriegskurs. Es kann als wahrscheinlich gelten, dass auch Lafontaine den Kriegskurs mitgetragen hätte, wäre er dem nicht durch Rücktritt zuvorgekommen und hätte so nicht seinen eigenen Mythos geschaffen.
Auch der Bruch des Völkerrechts durch den Militärschlag ohne UNO-Mandat kommt nicht von ungefähr. Im Gegensatz zum Golfkrieg 1991 war in Russland eine große Ernüchterung über die Zustände eingetreten, und man würde nicht noch einmahl eine solche Militäraktion des Westens hinnehmen - ein Veto Russlands wie auch Chinas im Sicherheitsrat war absehbar.
Die Politik, die nach dem zu erwartend einfachen Sieg im Kosovo folgte, war ebenfalls voll auf dieser Linie: ohne irgendwelche lästigen Konferenzen und Kompromisse abzuwarten, stellte man alle Ruder im Kosovo auf Unabhängigkeitskurs, indem man die Vertreibung der Serben und ihre Benachteiligung zuließ, die D-Mark (und später den Euro) als Zahlungsmittel einführe und eigene Institutionen schuf. Es ist auch nur folgerichtig, dass Deutschland das erste Land war, das 2008 den Kosovo nach der Ausrufung der Unabhängigkeit anerkannte (ein Schritt, der heute noch nur - widerstrebend - von rund einem Drittel aller Staaten nachvollzogen wurde).

Zitat des Tages

Volkswirte sind keine Ideologen. Unsere Aussagen stützen mal die Linken, mal die Rechten. Lange wurden vor allem die Rechten gestützt. In der Krise klingen unsere Aussagen plötzlich wieder links.
- Hans Werner Sinn

Sonntag, 24. Mai 2009

Kommentierte Fundstücke 24.05.2009, 23.52 Uhr

Der BND, der oberkompetente deutsche Geheimdienst, hat wahrscheinlich nen Doppelagenten in seinem Netz sitzen gehabt. Agent "Sindbad", der Daten über das iranische Programm geliefert hat, tat dies möglicherweise mit dem Wissen der iranischen Regierung. Verknackt haben sie ihn jetzt auf jeden Fall.

Erinnert ihr euch noch an die fünf Zerstörer, die die Marine für über eine Milliarde eingekauft hat, damit sie Landziele im Libanon beschießen kann? Die sind nicht einsatzfähig. Getriebeschaden.

In Bayern wurden drei Hausdurchsuchungen wegen Urheberrechtsverletzungen durchgeführt. Ihr wisst schon, da muss ein Richter die Verhältnismäßigkeit der Verletzung des Grundrechts auf die Unverletzlichkeit der Wohnung mit dem Vergehen abwägen. Der Marktwert der vorgeworfenen Downloads erreicht einmal 17,95€, einmal 39,95€ und einmal satte 2,58€. Verhältnismäßigkeit, schon klar. Wenn die Contentmafia pfeift, kommen die Hündchen der Judikative viel zu oft gerannt.

Kurras hat jetzt zugegeben, Stasi-Spitzel gewesen zu sein. Effekt auf die Ereignisse des 2. Juni hat das aber in meinen Augen trotzdem nicht. Ist ja nicht so, dass Kurras irgendwie der einzige Polizist dieser Tage gewesen wäre, der so drauf war.

In NRW gibt es grade einen Riesenaufschrei, weil in vielen Schulgebäuden Schießstände der Schützenvereine untergebracht sind. Zwar haben die auch mal verdient, was abzukriegen nachdem Ballerspiele genug hatten, aber letztlich wird hier wieder nur an Symptomen herumgedoktort.

Heribert Prantl über Köhlers Wahl.

In Schleswig-Holstein verlangt das Prüfungsamt, dass die Studenten die Ärzte von der Schweigepflicht entbinden, damit die Uni bei einem Attest die Krankheitsdaten anfordern kann. Diese vollkommene Missachtung der Privatsphäre nimmt immer groteskere Züge an.

Umfrage

Und das in der Welt...

Samstag, 23. Mai 2009

Die zwei Seiten des 2. Juni 1967 [UPDATE]

Bald jährt sich der 2. Juni 1967 zum 42. Mal. Man mag es als Zufall sehen, dass in diesen Tagen der Fall gänzlich neu aufgerollt wird, denn der Tod Benno Ohnesorgs während einer Demonstration gegen den Schah-Besuch seinerzeit durch Polizeigewalt erhitzt noch heute die Gemüter. Ich will kurz einige Zitate der Springerpresse vom 3. Juni wiedergeben:
Heinrich Albertz bleibt hart
Die gleichen Leute, die am Freitagabend den Schah von Persien anpöbelten, die Eier, Tomaten, Rauchkerzen, Knallfrösche und Steine auf die Berliner Polizisten warfen und die lange, quälend lange Zeit die geduligen Ordnungshüter mit Schmährufen bedachten, suchten gestern der Polizei die Schuld am blutigen Straßenkampf vor der Deutschen Oper in die Schuhe zu schieben. Die Polizei trägt keine Schuld an den Zusammenstößen, die eindeutig von unseren Krawall-Radikalen provoziert wurden. Die Polizei tat ihre schwere Pflicht. Der unglückliche Schuss, der Ohnesorg tötete, wurde nach menschlichem Ermessen in Notwehr abgegeben. Benno Ohnesorg ist nicht der Märtyrer der FU-Chinesen, sondern ihr Opfer. [...] Das Maß ist nun voll. Wir sind es endgültig leid, uns von einer halberwachsenen Minderheit, die noch meist Gastrecht bei uns genießt, terrorisieren zu lassen.
- Berliner Morgenpost

Gestern haben in Berlin Krawallmacher zugeschlagen, die sich für Demonstranten halten. Ihnen genügt der Krach nicht mehr. Sie müssen Blut sehen. Sie schwenken die rote Fahne und sie meinen die rote Fahne. Hier hören der Spaß und die Toleranz auf. Wir haben etwas gegen SA-Methoden. Die Deutschen wollen keine braune und keine rote SA. Sie wollen keine Schhlägerkolonnen, sondern Frieden. Wer bei uns demonstrieren will, soll es friedlich tun. Und wer nicht friedlich demonstrieren kann, gehört ins Gefängnis.
- BILD

Kriminalobermeister Kurras sah plötzlich sein Leben bedroht. Er dachte an seine Frau daheim, er bekam plötzlich ganz verständliche Angst, wie jeder andere Mensch sie auch in seiner Situation bekommen hätte. Die Rowdys schlugen auf den entsetzten Beamten ein, schlugen ihn sogar krankenhausreif. Als Kurras glaubte, ein Messer aufblitzen zu sehen, griff er zur Dienstpistole, er wollte Warnschüsse abgeben - wie er später aussagte. Zu diesem Zeitpunkt hielt sich der 26-jährige Benno Ohnesorg in einigen Metern Entfernung auf. Kurras' Rechtsanwalt Gerd Joachim Roos erzählte mir später: "Benno Ohnesorg beteiligte sich gar nicht an der Schlägerei!" Und ihn, den offenbar unbeteiligten Studenten, traf der Schuss des Polizisten Kurras. Tödlich! Karl-Heinz Kurras musste verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden. Hätte Kurras nicht geschossen, Frau Ohnesorg brauchte heute nicht um ihren Mann Benno zu trauern. Frau Kurras aber wäre möglicherweise Witwe.
- BILD der Frau
Die öffentliche Meinung, in Berlin noch stärker als sonst in der BRD durch den Springer-Konzern vertreten, war also voll auf der Seite von Kurras. Seit etwa zwei Tagen ist Kurras plötzlich der Bösewicht. Die BILD berichtet mit vollen Aufmachern davon, dass gefordert wird, die Ermittlungen wiederaufzunehmen, denn: "Mord verjährt nicht!" Was ist denn da passiert? Von "Notwehr" zu "Versehen" zu "Mord"? Wie geht denn das? Eigentlich ganz einfach: die Birthler-Behörde behauptet, Kurras sei Stasi-Spitzel gewesen.
Hier wittert die rechtskonservative Presse natürlich Morgenluft. Die Studentenunruhen von 1967/68 sind ihnen ja längst ein Dorn um Auge, und die Schuld der Polizei und der Springer-Presse an der damaligen Eskalation sind eigentlich unumstritten. Welch wunderbare Gelegenheit also, nun die Geschichte umzudeuten. Wenn es der BILD gelingt, die Studentenproteste von 1967 als von der Stasi gesteuerte Aktion darzustellen, wird plötzlich ein großer Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte anders gelesen. Auch die eigentlich unrühmliche Rolle der Springer-Presse erschiene dann in einem geradezu prophetischen Licht. Dementsprechend feuert BILD bereits aus allen publizistischen Rohren. In der Einleitung des Artikels "Jetzt spricht der Todesschütze Karl-Heinz Kurras", in dem Kurras gerade eben nicht spricht, wird dessen Stasi-Verwicklung als Tatsache dargestellt - erst im Artikel wird dann zugegeben, dass es bislang nur ein Vorwurf ist, allerdings einer, der "schwer wiegt". Und Hans-Hermann Tiedje, der bislang noch nie durch Niveau oder intelligente Artikel aufgefallen wäre, darf unter der Überschrift "Die Spur der Stasi" gänzlich ungeniert pöbeln. Dabei würde ein Stasi-Spitzel zu sein heute genausoviel beweisen wie die Tätigkeit als V-Mann des Verfassungsschutzes: nämlich nichts.

UPDATE: lawblog - Der Fall Ohnesorg wird nicht neu verhandelt

Unser neuer alter Bundespräsident

Host Köhler ist wiedergewählt, das ist keine Überraschung. Eine solche ist eher, dass es gleich im ersten Wahlgang klappte, wenn auch nur mit der exakten Menge der benötigten Stimmen. Schwan war relativ weit abgeschlagen, schon allein, weil die LINKE im ersten Wahlgang geschlossen für den eigenen Kandidaten stimmte. Aber eine große Überraschung ist selbst dieses Ergebnis nicht. Es gab in der vergangenen Zeit ein Wahlkampfgetrommel in den Medien für Köhler, das seinesgleichen suchte. Man möchte jetzt vielleicht einwenden, dass das eigentlich egal ist, weil das damit dauerbeschallte Volk bei der Wahl eh nichts zu sagen hat (was ich im Gegensatz zu vielen Kommentatoren für echt nicht allzu schlimm halte). Allerdings sind die Wahlleute, die zu einem guten Teil eben keine Politiker sind, durch die öffentliche Meinung (auch nur eine Metapher für die Meinungsmacht der Medien) stark beeinflussbar.
Horst Köhler war kein guter Bundespräsident, auch wenn dies in den Medien in der letzten Zeit so kolportiert wurde. Nach den Maßstäben, die hier angewandt wurden, war bislang jeder Bundespräsident ein guter Bundespräsident, denn wer nichts entscheiden darf, kann auch nichts falsch machen. Und da man Köhler bei der eigenen Geschichtsklitterung auch noch hilfreich zur Seite stand, wurde selbst die vielzitierte "Macht des gesprochenen Worts", über die der Bundespräsident verfügt, zur Bedeutungslosigkeit verurteilt. Gesine Schwan und natürlich Peter Sodann wurden ziemlich stark heruntergeschrieben. Ich muss allerdings dem ZDF-Morgenmagazin, das ansonsten übeleste Schublade des parteiischen Köhler-Wahlkampfs war, insofern zustimmen, als dass die LINKE zwar das Potenzial der Wahl erkannt hat, mit Sodann aber klar einen Kandidaten gewählt hat, der für das Amt nicht geeignet war. Die Wahl hätte möglicherweise anders verlaufen können, aber das ist unwahrscheinlich.
Der Grund dafür ist, dass Gesine Schwan anders als 2004 keine beliebte Kandidatin war. Die Medien hatten sich regelrecht auf sie eingeschossen (Gegenbeispiele wie dieser ZEIT-Artikel müssen mit der Lupe gesucht werden), und das nicht, weil Köhler so ein toller Bundespräsident ist und die Wahl gewissermaßen eine Beleidigung seines segensreichen Wirkens, auch wenn das immer vorgestützt wurde, sondern weil sie unbequem war - genau das also, was Köhler versprochen hatte zu sein und was er nicht ist. Schwan forderte mehr Demokratie, auch direkte Demokratie, Einbindung der Bürger und warnte vor sozialen Unruhen. Für all das wurde sie von der herrschenden Klasse gehasst, und ich verwende diesen etwas antiquierten Begriff mit voller Absicht.
Was ich an der Wahl ebenfalls bemerkenswert finde ist das demokratische Verständnis, das viele der Kommentatoren in den Medien, aber auch der wichtigen Funktionäre in den Parteien an den Tag gelegt haben. Es wurde Schwan geradezu als Affront gewertet, gegen einen so beliebten Bundespräsidenten anzutreten, gerade aus den Reihen der eigenen Partei, der SPD. Wenn es nach Müntefering und den Stones ginge würden sie vermutlich auch erst gar keinen Bundeskanzlerkandidaten gekürt, sondern gleich für Merkel geworben haben. Das gleiche Phänomen gab es mit der Überlegung, Köhler wiederzuwählen. Was ist denn das für eine Demokratie, wenn es keine Alternativen gibt? Das ist ja wohl nur noch lächerlich. Ebenfalls absolut bedenklich fand ich die teilweise abgrundtief dämlichen Argumente, die rechtskonservative Kommentatoren gegen Schwan aus der Kiste holten, und die totale Verächtlichmachung der Berufspolitiker, die aus vielen Artikeln spricht, exemplarisch aus diesem beim ZDF. Immer wieder werden die Politiker als schändliche Kaste (und der Begriff wird hier tatsächlich verwendet!) dargestellt. Mit der totalen Verächtlichmachung der demokratisch gewählten Volksvertreter begann auch der Niedergang der Weimarer Republik, um das nur am Rande zu erwähnen, der ebenfalls von der konservativen Presse betrieben wurde.
Die Bundespräsidentenwahl ist in meinen Augen deswegen ein Fanal: ein Fanal gegen die Demokratie, gegen Partizipation und Emanzipation, für ein Weiter-so und ein technokratisches Verständnis von Politik, für eine Boulevardisierung des Politischen und für eine totale Meinungskontrolle durch eine kleine, reiche und herrschende Klasse.

Donnerstag, 21. Mai 2009

Zitat des Tages

SZ: Deutschland will eine Bad Bank einrichten, bei der Kreditinstitute faule Papiere deponieren. Eine gute Idee?

Johnson: Ich kenne die Details nicht. Aber nach allem, was der deutschen Regierung bisher zur Krise eingefallen ist, glaube ich nicht, dass sie zu einer vernünftigen Lösung in der Lage ist.

- Süddeutsche Zeitung

Mittwoch, 20. Mai 2009

97%

Gerade auf dem Aldi-Prospekt gesehen:
"97% unserer Mitarbeiter sagen, wir sind ein hervorragender Arbeitgeber."
Ja, solche Wahlergebnisse hatten sie in der DDR auch immer.

Dienstag, 19. Mai 2009

FDP, die Partei der Besser- und Bestverdienenden

Kaum eine andere Partei kann dieser Tage mit einem Wahlprogramm aufwarten, das so unseriös ist wie das der FDP. Mit Milchmädchenrechnungen jenseits von gut und böse werden abenteuerliche Steuerreformen entworfen, die Gegenfinanzierung basiert auf Mutmaßungen, die bestenfalls naiv, aber eigentlich einfach nur lächerlich sind. Einige Zahlen und Fakten zu dem Thema bietet Spiegelfechter, weswegen ich mich eigentlich nicht mehr großartig damit beschäftigen will, nur so viel: obwohl das Konzept ohnehin vollkommen unrealistisch ist gelang es der FDP damit auch noch, nur die Geringverdiener und Spitzenverdiener zu ent- und die vielgepriesene Mittelschicht zu belasten. Das muss man erst mal schaffen, wenn man ohnehin ein reines Phantasieprogramm entwirft.
Wer sehen will, in welche intellektuellen Niederungen sich die FDP-Avantgarde begibt, muss sich nur dieses Interview mit Philipp Rösler ansehen, auf das Feynsinn aufmerksam gemacht hat. Es ist an Chuzpe und Plattitüden eigentlich kaum zu überbieten und verdient schon allein deswegen nähere Betrachtung, weil ausgerechnet Thorsten Denkler hier zur kritischen Berichterstattung zurückfindet. Das gesamte Steuerreformskonzept wird dabei als der Unfug entlarvt, den es darstellt, denn tatsächlich weiß Rösler auf Denklers kritische Fragen absolut keine Antwort. Er ergeht sich stattdessen in hohlen Phrasen, und leider bleibt Denkler auch nicht dran. Ich kann das Interview nur wärmstens empfehlen um zu sehen, wie dämlich die FDP ihr Wahlprogramm eigentlich aufgebaut hat und wie sie es trotzdem schafft, in den Umfragen und der Berichterstattung Spitze zu bleiben.

Zum Thema: Volker Pispers

Montag, 18. Mai 2009

Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Großen Koalition - Versuch einer Bilanz

Die Große Koalition hat einen vergleichsweise guten Ruf, was die in ihrer Legislaturperiode durchgeführten Projekte und administrativen Vorgänge angeht. 2006/07 konnte sie die leichte Erholung des Wirtschaftswachstums als Aufschwung verkaufen, der letztlich dank der rot-grünen Reformpolitik vollständig an den abhängig Beschäftigten vorbeiging und lediglich die Koffer der Unternehmen weiter füllte, mit denen sich dann später manche von ihnen bemüßigt sahen, ihr Kerngeschäft zu ignorieren und stattdessen an der Börse mitzuspielen, Porsche beispielsweise. Im gleichen Maße, in dem der Dollar sank und die US-Wirtschaft kriselte, begann auf der ganzen Welt ein Umschichtungsprozess vom Dollar in den Euro, der teils politisch motiviert war (wie beim Iran oder Venezuela), aber auch handfeste ökonomische Grüne hatte, war der stetig fallende Dollar doch um Grunde sogar immer noch überbewertet und nur durch massive chinesische Stützkäufe noch zu halten. In dieser Periode schoss der Euro von knapp 1,10$ auf über 1,60$ hoch; die Exporte der EU-Länder verteuerten sich entsprechend.
Gleichzeitig gelang es der EZB, wie schon vor ihr der Bundesbank 1992, den Minimalaufschwung konsequent abzuwürgen. Als 2008 die Nahrungsmittel- und Ölpreise infolge globaler Spekulation in die Höhe schossen, fabulierte die EZB von Inflationsgefahr und erhöhte kräftig den Leitzins in der typischen Arroganz der Notenbanker, die sich einzig und allein der Geldwertstabilität verpflichtet sehen und denen die realwirtschaftlichen Folgen ihrer ideologisch motivierten Eskapaden völlig am Arsch vorbeigehen.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Regierung so mehr oder weniger durch die Legislaturperiode gestümpert. Man sprach vom "System Merkel", das effektiv dadurch besticht, dass es sich allein auf die Frage des Machterhalts ausrichtet und keinerlei Antworten auf Probleme zu geben weiß oder irgendeine Vision jenseits des Durchwurschtelns des nächsten Tages kennt. Wirtschaftsminister Glos polterte nur, wenn die CSU-Zentrale dies anordnete, und begnügte sich ansonsten damit, im Kabinett der Mittelmäßigkeit durch vollkommene Inkompetenz aufzufallen (bzw. nicht aufzufallen, denn die meiste Zeit tat er ja einfach nichts). Dafür hörte man beständig mehr von Finanzminister Peer Steinbrück, umso mehr, als dass sich die Führungsrolle Steinmeiers, seine Deckung desselben und dadurch das anvisierte Ziel einer Fortführung der Großen Koalition herauskristallisierte. Steinbrück wurde geradezu zu Merkels Vertrautem im Kabinett; Kunststück, wo alle anderen Minister damit beschäftigt waren, den Anschein der Mittelmäßigkeit zu erhalten (Gabriel brokerte am Umweltdeal, Schmidt stümperte sich durch die Gesundheitsreform, Tiefensee durch die Bahnprivatisierung, Scholz war immer noch so unbekannt wie am Tag der Amtsübernahme, Schäuble forderte das Kriegsrecht als einsamer Rufer in der Wüste, Glos versuchte seine Schuhe zu binden und von der Leyen war auf verzweifelter Suche nach einem Thema).
In den Medien galt Steinbrück als Koryphäe. Zwar hatte bereits Wolfgang Münchau ihn frühzeitig für seine orgasmischen Begeisterungsstürme ob der Stärke des Euros gerügt, in der er zurecht eine große Gefahr für den europäischen Wirtschaftsraum sah, aber das fiechte sonst kaum jemanden an. War Deutschland nicht schon wieder Exportweltmeister geworden? War der starke Euro nicht Beweis der vollständigen Macht und Souveränität? Deutsche Schiffe kreuzten im Mittelmeer, deutsche Produkte wurden überall verkauft, nur nicht in Deutschland, die Wachstumsraten waren mager und die Armut wurde immer größer, während die Unternehmensgewinne ebenfalls stiegen, und Peer Steinbrück predigte den ausgeglichenen Haushalt. Dem wähnte man sich umso näher, als aufgrund von Steuermehreinnamen 2007 fast ein ausgeglichener Haushalt erreicht wurde. Souverän wehrte der Sparminister alle Gelüste der anderen Ressorts ab, die das Geld beispielsweise in die Infrastruktur oder Bildung investieren wollten. Unter dem Gejubel der Mainstreampresse von Spiegel bis Zeit verschenkte er die Zukunft des Landes, um sie zu sichern.
Dann kam die Hypothekenkrise in den USA. Während es im Gebälk der internationalen Finanzindustrie (gibt es eigentlich eine nationale?) bereits vernehmlich knirschte, stellte sich Steinbrück hin und verhöhnte die Amerikaner: schaut her wie wir Deutschen es machen, so der Tenor des eisernen Sparers, dann passiert euch so etwas nicht. Von Berlin aus sandte er Ratschläge über den Großen Teich, wo man darüber allenfalls gelacht haben dürfte, während man Gegenmaßnahmen einschlug. Darauf angesprochen ob die Regierung, namentlich der Finanzminister, nicht vielleicht auch Gegenmaßnahmen einschlagen wollten, wurde Steinbrück richtig patzig: Gegenmaßnahmen, so ein Quatsch, die Krise ist in Amerika, und die kommt schon nicht hierher. Schließlich wirtschaften deutsche Banken ja ordentlich! Wo kämen wir denn da hin. Die deutschen Banker nickten eifrig. Klar, wir haben keine solchen toxischen Papiere in der Bilanz! Wir doch nicht. Nein nein.
Als kurz darauf das HRE-Desaster losbrach, waren alle ehrlich schockiert. Nein, wer hätte auch damit gerechnet! Dass im Zeitalter der globalisierten, miteinander verwobenen Wirtschaft der Crash des mit Abstand größten Finanzsektors auch Auswirkungen auf die Insel Deutschland haben könnte, das war nun wirklich nicht vorauszusehen. Zumindest nicht für Steinbrück, so viel steht fest. Der sperrte sich dann auch erstmal weiter, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Statt also Konzepte vorzustellen oder Analysen durchzuführen, pumpte er Geld in die HRE. Denn zwar hatten die Banker gerade erst gelogen, aber das würden sie bestimmt nicht nochmal machen. Auch, dass die HRE-Verluste just einen Tag nach der Verlöschung der Haftungsfrist ihrer Mutter, der Hypo Vereinsbank, bekannt gemacht wurden ist sicher reiner Zufall. Entweder ist Peer Steinbrück dämlich wie fünf Meter Feldweg oder er ist korrupt. Oder natürlich beides.
Wie in ein Fass ohne Boden schaufelten daraufhin Steinbrück und sein Chefberater Asmussen Geld in die HRE und bald auch weitere Banken. Wäre Steinbrück kurz zuvor bei der Forderung nach 10 Millionen jährlich für eine Bafögaufstockung noch in einem Anfall zusammengebrochen, so wurden nun die Milliarden in den Hochofen der kriselnden Banken geschmissen als wollte man die Kessel der Titanic befeuern. Alle Zahlen verloren ihre Relevanz. 100 Milliarden - die HRE alleine sprengte diese Grenze bald. 200 Milliarden Garantie für die deutschen Sparer? Kein Problem. Inzwischen hat sich die Bundesregierung dazu verstiegen, über 550 Milliarden Euro an Garantien auszugeben. Dabei ist es unter Experten keinesfalls unumstritten, dass die Bankenrettungen als solche überhaupt nötig sind.
Unumstritten ist allerdings, dass sich Steinbrücks Ministerium dabei so blöde anstellt wie Bolle. Das Bad-Bank-Konzept ist keine zwei Tage nach seiner Bekanntgabe gescheitert, und darüber können wir uns noch glücklich schätzen. Mehr Transparenz und Kontrolle für die Finanzmärkte? Ah, so ein Quatsch! Die Krise kam ja aus Amerika, die deutschen Banken haben keine Schuld. 25% Rendite? Ja, Ackermann, klasse Idee, weiter so! Hat ja bisher schon gut funktioniert.
Der neueste Streich der Stümper aus dem Bundestag ist die Schuldenbremse. Merkel bemüht die Metapher der schwäbischen Hausfrau um zu rechtfertigen, dass der Schuld keine Schulden mehr aufnehmen darf. Wie die typische schwäbische Hausfrau das eben so typische Haus jemals bauen will, wenn sie keine Schulden aufnimmt, die den Jahresverdienst ihres Mannes mal locker um das zehnfache übersteigen, das weiß Merkel natürlich nicht zu sagen. Ist auch gar nicht nötig, denn außer Heusinger, Münchau und Zeise fällt auch niemandem auf, wie dumm der Plan ist. Die Stammtische der Redaktionen Land rauf, Land runter sind begeistert.

Ich denke, diese kurze Übersicht zeigt bereits zur Genüge, wie erfolgreich die bisherige Wirtschafts- und Finanzpolitik dieses Landes war und immer noch ist. Steinbrück ist ein Ausbund an Inkompetenz, die nur deswegen nicht so auffällt, weil die gesamte Regierung voller Nullen ist und die Medien ihn systematisch hochgeschrieben haben.

Links zum Weiterlesen:
Michael Schlecht - Eine soziale Therapie für den Exportjunkie
Eric Hobsbawm - "Es wird Blut fließen, viel Blut"
Thorsten Riecke - Banken müssen zurechtgestutzt werden
Dirk Hautkapp - Steuerrebellion mal andersrum - Reiche wollen mehr zahlen
Robert von Heusinger - Bad Bank nach 48 Stunden gescheitert
Volker Gallandi - Wenn der Teufel die Hölle ausmistet
Henrik Enderlein - "Steinbrücks Bad-Bank-Modell ist abenteuerlich"
Ralf Streek - Steinbrücks "Bad Bank" kommt
Mario Müller - Schuldenbremse ist schlichter Unfug
Robert von Heusinger - Diese Bad Bank ist Murks

Freitag, 15. Mai 2009

Kommentierte Fundstücke 15.05.2009, 14.02 Uhr

In der Zeit findet sich ein Faktenartikel zum Thema Internetsperren gegen Kinderpornographie mit klarer Stoßrichtung gegen Zensursula von der Laien. Interessante Fakten und Zahlen, trocken und nüchtern präsentiert und jede einzelne ein Schlag gegen das außer Rand und Band geratene Familienministerium.

Bei P.T. hat Volker Gallandi einen Alternativplan aus der Krise vorgestellt, der mit Steinbrücks Politik aufräumt und auch zeigt, welche Probleme seine dämlichen Ideen haben.

Der WDR hat einen Wahlwerbespot der LINKEn ins Abendprogramm verschoben, weil es da unter anderem um Sex geht. Habe den Spot nicht gehört, was auch kein Verlust zu sein scheint, aber ich finde es schon ziemlich krass im Jahr 2009 davon auszugehen, dass ein bisschen Stöhnen ein Kind in der Entwicklung hemmen könnte. Der LINKEn kann es Recht sein: ein bisschen Aufmerksamkeit und der Spot kommt jetzt im besseren Abendprogramm.

Spreeblick hat Post von Zensursula von der Laien bekommen, als Antwort auf einen offenen Brief. Sehr interessant und lesenswert.

Guide Westerwelle hat auf dem FDP-Parteitag mal wieder seine dämliche Plattitüden verbreitet. Interessant daran ist eigentlich nur der wohlwollende Ton des SZ-Artikels: seine Forderungen sind geradezu abenteuerlicher Unfug, völlig unbezahlbar und umsetzbar - dagegen ist das LINKE-Programm Pragmatismus in Reinkultur. Was bei Lafontaine aber Populismus wäre, heißt hier "kein Blatt vor den Mund nehmen".

Obama wickelt seinen Change ab: Folterfotos werden nicht veröffentlicht, die Schwulenrichtlinie der US-Army nicht gekippt und die Militärtribunale nicht aufgelöst. Das Messias-Image bekommt immer mehr Kratzer, wie der SZ-Artikel zeigt.

Bei SpOn gibt es mal wieder ein Lafontaine-Interview voller Platteiten auf beiden Seiten. Interessant ist eigentlich immer wieder, wie beide (erfahrenen) Interviewer trotz des offensichtlichen Willens dazu ihren Interviewgast einfach nicht zu fassen kriegen.

Thilo Sarrazin pöbelt wieder rum: warum der Saftsack damit weitermachen darf, während andere für deutlich harmlosere Formulierungen ihren Hut nehmen mussten, ist einfach nicht zu fassen. Er spricht sich deutlich dafür aus, Hartz-IV und die Renten weiter zu senken, weil die eh zu hoch sind, bezeichnet alle Hartz-IV-Empfänger als fett und unfähig und verschwenderisch und will, dass sie keinen Bonus für Kinder mehr bekommen, damit sie sich nicht fortpflanzen - unverbrämt erklärt er, das sollten nur die "Richtigen", also die Mittel- und Oberschicht. Der Mann ist doch echt ein verkappter Nazi. Spiegelfechter und BILD berichten. Naja, zumindest ersterer.

In der FR gibt es ein Interview mit Franz Josef Jung. Interessant wie er darum herum argumentiert, dass in Afghanistan kein Krieg herrsche. Auch einige andere seiner Positionen sind...ungewöhnlich.

Bei TP findet sich ein äußerst lesenswertes Interview mit Lucas Zeisze. Lesebefehl!

Bei FTD gibt es Wolfgang Münchaus Einschätzung der Krise.

Der neue OECD Bericht liefert nach TP glasklar die Schieflage des Steuersystems in Deutschland, das im Gegensatz zu Westerwelles Plattitüden nicht die Mittelschicht, sondern die Geringverdiener am Stärksten belastet. Je mehr man verdient, desto weniger Steuern bezahlt man. Das ist absurd, aber die Regierung würde den Bericht wahrscheinlich am liebsten ungeschehen machen. Ich meine, hallo, selbst die Welt berichtet darüber!

Donnerstag, 14. Mai 2009

Ellenbogen raus im Gesundheitssystem

Ärztefunktionäre fahren gerade auf breiter Front eine Aktion für Einsparungen im Gesundheitswesen. Das ist ein formidabler Euphemismus, denn er umschreibt: weniger für mehr Geld, für uns alle, wie wir bei den gesetzlichen Krankenkassen versichert sind (und für die meisten Privaten vermutlich auch). Gleich drei Vorschläge geisterten in den letzten Tagen durch die Debatte: einer kommt vom Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, Leonhard Hansen, der eine Praxisgebühr von fünf bis zehn Euro für jeden Arztbesuch fordert, weil die Leute ja immer noch "zu häufig" zum Arzt gehen. Wie er sich vorstelllt, wie ein Hartz-IV-Empfänger, Student oder Geringverdiener das stemmen soll, weiß er auch nicht. Er redet von Ausnahmen für chronisch Kranke, was sicherlich ein soziales Gewissen simulieren soll, aber mal ernsthaft: letztlich heißt das nur, dass viele Menschen nicht gehen werden, obwohl sie müssten und damit wenn es richtig ernst wird erst recht Kosten produzieren, mal ganz abgesehen von den Folgen für den persönlich Betroffenen.
Die beiden anderen kommen vom Ärztekammerpräsident Hoppe. Der erste davon ist leider ohne Link, da ich es nur in den Nachrichten gesehen habe. Demzufolge sollen Menschen, die zu dick sind oder sonstige ungesunde Sachen machen Nachteile erleiden, weil sie ja gewissermaßen selbst Schuld sind. Der andere ist eine Prioritätenliste für Kranke, nach der die Krankenkassen gewissermaßen nur noch lebensrettende Maßnahmen bezahlen sollen. Tabletten gegen Magenschmerzen zum Beispiel sieht Hoppe als unnötigen Luxus, denn schließlich ließen sich Magenschmerzen durch gesunde Ernährung ja vermeiden.
Auch aus diesen beiden Vorschlägen spricht, genauso wie beim vorhergehenden von Leonhard Hansen, eine unbeschreibliche Arroganz. Saturierte alte Männer dozieren darüber, dass die breite Masse der Bevölkerung nur Kosten verursacht. Ja, Leute, und weiter? Natürlich verursacht das Kosten! Es wäre geradezu absurd, würde der Gesundheitssektor keine Kosten verursachen! Dass diese wegen der unumschränkten Herrschaft der Lobbygruppen (der Gesundheitssektor ist der in Deutschland am stärksten von Lobbygruppen beeinflusste) zu hoch sind ist keine Frage, aber hier fehlt eindeutig der politische Wille, und das muss nicht auf die Schultern der Kranken abgeladen werden. Dass die (mutmaßlichen) FDP-Wähler Hansen und Hoppe sehr gerne ihre Steuern auf Kosten der Allgemeinheit reduzieren und ihre Bezüge anheben würden ist keine Frage, aber wir brauchen kein Klima im Gesundheitssektor, dass diese Herren zu schaffen wünschen. Die Entwicklung ist zurückzudrehen, nicht weiterzutreiben!

Dienstag, 12. Mai 2009

Buchbesprechung: Daniel Friedrich Sturm - Wohin geht die SPD?

Die SPD ist die älteste Partei Deutschlands und hat eine mehr als bewegte Geschichte hinter sich. Während auch die CDU ihre Ansichten über die Zeit gewandelt hat, so ist sie im Kern doch immer noch der Kanzlerwahlverein geblieben, als der sie in den 1950er Jahren immer verschrieen war. Besonders seit der Wende von Rot-grün 1998 hat sich die SPD radikal gewandelt: ihr Bekenntnis zu einer neoliberalen Politik, die Agenda 2010 und Hartz-IV haben sie über ein Drittel ihrer Mitglieder und einen historischen Absturz in der Wählergunst gebracht. In der Elefantenrunde bei der Wahl 2005 beschwerte sich Schröder über die angeblich negative Berichterstattung der Medien über ihn; nun tut ihm Daniel Friedrich Sturm gewissermaßen nachträglich etwas Gutes.

Sturm ist Redakteur bei der Welt, die bekanntlich zum Springerkonzern gehört. Und er ist begeisterter, ja geradezu fanatischer Befürworter der gesamten Reformpolitik, die zwischen 2003 und 2005 durchgeführt wurde. Der Vorteil, der mit großem Glauben einhergeht, ist ein simples Weltbild. Bei Sturm ist jeder, der sich für die Reformpolitik eingesetzt hat gut, und jeder der dagegen war schlecht. Aber von Anfang an.

Daniel Friedrich Sturm beginnt sein knapp 500 Seiten langes Werk chronologisch beim rot-grünen Wahlerfolg von 1998, der Kampa und den damals nur mühsam unterdrückten Widersprüchen zwischen Schröder und Lafontaine (der damals die breite Mehrheit der Partei hinter sich wissen konnte). Minuziös erzählt der Autor nach, wie die SPD sich im Schlingerkurs durch die erste Legislaturperiode bewegte und wie Schröder sich nach dem Wahlsieg von 2002 zur Reformpolitik entschloss. Die von der Überwindung gigantischer Widerstände geprägte zweite Amtszeit nimmt den meisten Raum eine, ehe die Große Koalition bis Ende 2008 behandelt wird. Damit ist Sturms Buch sehr aktuell in dem Zeitraum, den es abdeckt.

Leider jedoch macht Sturm aus dem interessanten Thema nur extrem wenig. Die SPD auf Reformkurs ist seine Lieblingspartei, und Schröder, Clement und vor allem Müntefering ihre Helden. Auch klare Bösewichter gibt es in dieser Geschichte: Lafontaine und, vor allem, Ottmar Schreiner. Letzterer steht zusammen mit Andrea Nahles für den linken Flügel der SPD, der sich in dem Buch durch die Konstante auszeichnet, nur zu stören ohne irgendeinen Nutzen zu haben. Sturm gelingt es sprachlich dabei sehr gut, eine Nebelkerze nach der anderen zu zünden. Die Reformen sind stets notwendig, richtig und mutig, eine Tatsache, die wahlweise von „allen“, der „öffentlichen Meinung“ oder irgendwelchen anderen nebulösen Institutionen „allgemein anerkannt“ ist. Vom großen Widerstand dagegen auch aus der Ökonomenzunft (Flassbeck, Bofinger, Noe, nur um einige zu nennen) weiß er nichts zu berichten, er schafft es nur, Flassbeck mit einer wahren Kanonade feindseliger Polemik einzudecken, obwohl dessen Thesen sich gerade als allzuwahr herausstellen.

Überhaupt hat Sturm eine beachtenswerte Resistenz gegen die normative Kraft des Faktischen. Lieber ignoriert er lieber alles, als zuzugeben, dass die Agenda vielleicht doch kein Erfolg gewesen sein könnte. Dazu versteigt er sich auch auf Argumentationsmuster wie „Die Agenda ist zwar kein Erfolg, aber ohne sie wäre es noch schlimmer gekommen“. Das ist sehr bequem, denn so hat man immer Recht und die Aussage kann nie geprüft werden. Auf diese Art verabschiedet sich Sturm von jeder sachlichen Argumentation und begibt sich in genau jene Gefilde der Betonkopf-Ideologie, die er den Linken (sowohl der SPD-Linken als auch der Partei Die Linke) ständig vorwirft.

Jegliche Kritik an der Agenda 2010, die in die „falsche“ Richtung führt – also Kritik an den generellen Intentionen der Agenda – wird von Sturm einfach vom Tisch gewischt. Die einzige Kritik, die er zuzulassen bereit ist ist die, dass die Agenda an manchen Stellen nicht so radikal wurde wie ursprünglich angedacht. Dass die ursprünglichen Vorschläge der Hartz-Komission gar nicht so weitreichend waren wie die Schröder-Regierung und die Merkel-CDU letztlich im Vermittlungsausschuss ausbaldowert haben, erwähnt Sturm mit keinem Wort, würde es doch nicht in sein Weltbild passen. Auch die sehr zweifelhaften Methoden, mit denen Schröder und Müntefering ihre Politik gegen Partei und Volk durchsetzten ringen ihm allenfalls Bewunderung ab; Gefahren für die Demokratie, die ohnehin nur eine lästige Reformblockade für ihn ist, sieht er praktisch nicht.

Die Krone wird dem Ganzen jedoch dadurch aufgesetzt, dass das Buch eigentlich eine Mogelpackung ist. Es müsste „Wohin ging die SPD“ heißen, denn wohin die SPD geht, behandelt Sturm auf den letzten zehn von 480 Seiten. Dort entwirft er drei Szenarien, wie die SPD 2009 weitermachen könnte. Sein klarer Favorit ist dabei die Ampel, während sein Albtraumszenario eine Abwicklung der Agenda ist. Dieser persönlichen Agenda ordnet er allen Realitätsanspruch unter; entsprechend realitätsfern und abwegig sind diese Szenarien auch. Die Ampel führt bei ihm zum Utopia einer Allparteienkoalition zugunsten der Reformen, aus der nur die LINKE ausgeschlossen ist; eine Fortführung der Großen Koalition zu einer Abwahl Merkels durch konstruktives Misstrauensvotum im dritten Jahr und anschließender Wahl Sigmar Gabriels zum Bundeskanzler durch rot-rot-grün (und dann zum Untergang der Republik) und bei einer Jamaika-Koalition würden SPD und LINKE sich wieder vereinigen und in die Daueropposition gegen CDU, FDP und Grüne gehen, die Joschka Fischer zum Bundespräsident wählen. Dem totalen Unrealismus dieser Forderungen fügt er noch übelste Polemik hinzu, indem er beispielsweise Ottmar Schreiner in einem Szenario zur LINKEn überlaufen lässt und im anderen ein „Ministerium für Arbeit, Soziales, Sport, Fremdarbeitermigration und Volksgesundheit“ führen lässt. Dieses Niveau ist so unterirdisch, dass man nur noch den Kopf schütteln kann.

Von Daniel Friedrich Sturms Buch ist also nur abzuraten. Als Hauptproblem erweist sich dabein nicht seine Parteinahme für die Agenda, denn das ist nur recht und vor allem billig, nein, es ist sein vollständiger Verzicht auf Argumente und sachliche Analysen, der auf den Magen schlägt. Billige Polemik und noch viel billigere Phrasen, die ein Gemeinschaftsgefühl und eine schlichte Zustimmung suggerieren sollen sind dafür kein Ersatz. Mit solchen Mitteln wurde die öffentliche Debatte viel zu lange bestimmt, als die Sturms, Hüthers, Sinns und Clements durch Sabine Christiansen, Anne Will und Maischberger zogen. Hoffen wir, dass dieses Machwerk der Abgesang auf diese Art der indifferenzierten Ideologie ist.

Buchtipp: Thomas Darnstädt - Der globale Polizeistaat

In einer Zeit, in der der Terrorismus beständig als Ausrede benutzt wird, um weitere Einschnitte in die Grundrechte zu rechtfertigen – gleichwohl sich der Warnruf ähnlich der Geschichte vom Wolf inzwischen abgenutzt hat und deswegen von der Kinderpornographie verdrängt wird – braucht es Menschen, die eine Gegenposition jenseits aller Hysterie mit entsprechender Seriosität und Fachwissen bestreiten können. Thomas Darnstädt ist gewissermaßen ein Relikt aus den Zeiten, als der Spiegel ein anspruchsvolles und investigatives Nachrichtenmagazin war und nicht nur eine BILD für Intellektuelle. Er ist promovierter Staatsrechtler und weiß wovon er spricht, wenn er Schäuble Paroli bietet.

Das ist nämlich gar nicht leicht. Dass eine terroristische Bedrohung existiert, wird eigentlich nur von hauptamtlichen Verschwörungstheoretikern wie Wischnewski bestritten. Dass das Potenzial dieser Bedrohung heillos übertrieben wird, um allen möglichen Unsinn zu legitimieren und Handlungsdruck zu suggerieren, wo überhaupt keiner ist, leider auch. 6000 Menschen sterben jährlich auf Deutschlands Straßen, tausende an Zigaretten und bisher niemand an Terroranschlägen. Man muss sich diese Dimension immer wieder klar machen, denn die Wahrscheinlichkeit an einem Terroranschlag zu sterben ist niedriger als auf freiem Feld vom Blitz getroffen zu werden. Thomas Darnstädt begnügt sich nicht dabei, einfach die Argumente gegen die Sicherheitspolitik von Schily und Schäuble vorzubringen – diese sind ohnehin Legion – sondern sich auch mit deren Standpunkt zu befassen.

Denn tatsächlich sind sie nicht wirklich um ihren Job zu beneiden. Die ständige Gefahr, die von terroristischen Attacken ausgeht ist kaum zu kontrollieren, und die Prävention dagegen wird allein schon dadurch erschwert, dass es zum Wesen des Terrorismus gehört, dass er überraschend ist. Von daher kann das Bedürfnis seiner Bekämpfer nach Daten und präventiven Mitteln nur allzugut nachvollzogen werden, denn anders kann man gar nicht vorgehen.

Darnstädt zeigt jedoch deutlich auf, dass dieser Weg in die Irre führt. Die Bedrohungsszenarien von BKA und Luftsicherung, BND und KSK (nehmt das als pars pro toto) gehen von Möglichkeiten aus, die wiederum zu neuen Möglichkeiten führen. Ständig versuchen die Sicherheitsleute potentielle Gefahrenquellen auszumachen, und jeder, der sich schon einmal Sorgen gemacht hat dass irgendetwas schiefgeht und versucht hat, eine Sache bombensicher zu gestalten weiß, dass das eine vollständige Sysyphosaufgabe ist: es gibt immer irgendeine Möglichkeit, die man nicht bedacht hat, immer irgendeine Möglichkeit, dass etwas schiefgeht. Die zunehmende Paranoia lässt dann außerdem jede Verhältnismäßigkeit außer Kraft, was einen Kreislauf in Gang setzt, dessen Ende effektiv die Auslöschung der Menschheit wäre: nur so kann man sicher sein, dass niemand einen Anschlag vollführt. Zu diesem absurden Ende denkt natürlich niemand den Kreislauf, aber dass dies der Endpunkt wäre zeigt, wie absurd die Diskussion eigentlich wird.

Darnstädt zeigt in seinem Buch sehr schön, in welchem gesetzlichen Rahmen sich die Polizei, Geheimdienste und Militär eigentlich bewegen und an welche rechtlichen Grenzen sie stoßen. Das macht es verständlich, dass Schäuble spitz auf Grundgesetzänderungen ist wie Nachbars Lumpi auf die Wurst. Besser wird das dadurch nicht, und Darnstädt argumentiert in dieser Richtung klassisch und widerlegt fast alles, was die Sicherheitsfanatiker dieser Tage auf den Tisch bringen indem er aufzeigt, welche absurden Enden diese Aufrüstungsspirale nimmt.

Das Buch ist allen, die sich fundiert mit der Materie auseinandersetzen wollen uneingeschränkt zu empfehlen. Thomas Darnstädt argumentiert einleuchtend und am Rahmen der gesetzlichen Grundlage, weswegen man als Leser auch noch gleich über die entsprechenden rechtlichen Hintergründe und Implikationen aufgeklärt wird.

Presseerklärung

Auf Bitte von Arne Hoffmann:

Eine Gruppe von Autorinnen und Autoren der aktuell im Psychosozial-Verlag erschienenen Anthologie "Befreiungsbewegung für Männer" ist am 24. und 25. April 2009 in Nierstein zu einem geschlechterpolitischen Seminar zusammengekommen. Dabei ging es um die Frage, wie man auch die Anliegen und Bedürfnisse von Männern einer breiten Öffentlichkeit vermitteln kann, die Politik und Medien bislang einseitig auf die Forderungen von Frauen ausgerichtet haben. Nach Auffassung der Autoren kam es vor allem durch den starken Einfluss der feministischen Lobby zu einer ideologischen Verzerrung in der Geschlechterforschung und der Geschlechterpolitik.

Auf folgende drei Leitsätze konnte sich die Autorengruppe als Grundlage ihrer weiteren Arbeit einigen:

1.) Mann und Frau sind nicht ausschließlich kulturell, sondern auch biologisch geprägt.

2.) Unser Ziel ist Gleichverpflichtung, Gleichbehandlung und gleiche Würde von Mann und Frau. Damit vermeiden wir die Polarisierung, an der der Feminismus gescheitert ist.

3.) Männer und Frauen sind rechtlich gleichgestellt. Dieser Prozess ist abgeschlossen. Eine weitere Benachteiligung von Jungen und Männern schadet nicht nur den Betroffenen, sondern der Gesamtgesellschaft.


Die Autorengruppe plant Aktionen und einen internationalen Kongress auf dem Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen, Künstler, Journalisten und Psychotherapeuten (etc.) aus ihrer Arbeit berichten, die bislang keine Möglichkeiten hatten, ihre Erfahrungen in einen gesellschaftlich förderlichen Dialog einzubringen. Eben einen Dialog, der die Konflikte zwischen Männern und Frauen lösen möchte und nicht wie in den letzten drei Jahrzehnten in die lähmende Polarisierung von Täter und Opfer zu treiben versucht.

Die Teilnehmer der Autorengruppe sind Prof. Gerhard Amendt, Claudia Fischer, Paul-Hermann Gruner, Arne Hoffmann, Beate Kricheldorf, Eckhard Kuhla und Karl-Heinz B. van Lier.

Ihr Ansprechpartner für Journalisten und andere am Thema Interessierte ist Arne Hoffmann. Er ist telefonisch zu erreichen über 06124-721680 und online über die Kontaktmöglichkeit seiner Website www.arnehoffmann.com. Anfragen an andere der genannten Autoren werden zügig weitergeleitet.

Die Herausgeber des Buches "Befreiungsbewegung für Männer"
Paul-Hermann Gruner und Eckhard Kuhla
Darmstadt/Syke, den 12.Mai 2009

Befreiungsbewegung für Männer

Die Ursachen und Konsequenzen des Linksrucks [UPDATE]

Wie der geneigte Leser vielleicht bereits festgestellt hat, habe ich im Gegensatz zur sonst üblichen Praxis den "Linksruck" in der Überschrift nicht in Anführungszeichen belassen, war er doch beständig von Union und FDP als Kampfbegriff genutzt worden, um die SPD weiter zerreiben zu können. In diesem Beitrag soll es um die veröffentlichten Wahlprogramme der LINKEn und der Grünen gehen, die beide einen unübersehbaren Linksruck aufweisen.
Beide Programme weisen den jeweiligen Parteien den Weg in die Opposition. Es müsste schon noch einen bemerkenswerten Umschwung der öffentlichen Meinung geben, der eine oder sogar beide Parteien an die Regierung bringen könnte. Wie Spiegelfechter bereits festgestellt hat, wetterleuchtet die Große Koalition am Horizont. Andererseits hat sie das natürlich 1969 auch. Ich halte die Entscheidung, die die beiden Parteien mit diesem Programm getroffen haben, jedoch für absolut verständlich und will im Folgenden die Grundlagen dieses Verständnisses darlegen.
Mit dem Einbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 wäre eigentlich zweierlei zu erwarten gewesen: zum einen, dass die FDP und die Union in den Umfragen verlieren und zum anderen, dass die LINKE und die SPD gewinnen, erstere in stärkerem Maße als letztere. Doch beides ist nicht passiert. Obwohl Steinbrück in einem Kabinett der Inkompetenz noch einen recht ungebrochen guten Ruf genießt, erfreuen sich die Union und die FDP noch immer relativ hoher Zustimmungswerte und einer Unterstellung hoher wirtschaftlicher Kompetenz. Die FDP fällt dabei besonders aus dem Rahmen, denn ihr aktuelles Wahlprogramm, falls man es überhaupt so nennen kann, ist nachgerade lächerlich. Die LINKE kann sich anstrengen wie sie will, das Programm der Liberalen lässt sich an Weltferne und Unrealismus kaum überbieten. Mitten in der größten Finanzkrise will die FDP Steuern senken UND den Staatshaushalt konsolidieren UND Wachstum schaffen. Wie das gehen soll, steht in den Sternen, und eigentlich schert sich auch kaum einer drum, dass hier die Quadratur des Kreises versucht werden soll. Darum geht es aber auch gar nicht, denn die FDP bietet, was die anderen Parteien haben vermissen lassen: ein klares oppositionelles Profil, und eine gewisse Verlässlichkeit. Besonders die SPD ist mit ihrem staatstragenden Habitus derzeit nicht auch nur ansatzweise in der Nähe eines klaren Profils, und für die Union gilt mit Abstrichen das Gleiche.
Die LINKE hat auf die Finanzkrise damit reagiert erst einmal genüsslich festzustellen dass sie die ganze Zeit Recht hatte und die Regierungsprogramme zu kritisieren. Dummerweise scheint sie dabei den Eindruck erweckt zu haben, tatsächlich bereit zu sein, die Krise zu lösen, einen Eindruck, den man der FDP wahrlich nicht vorwerfen kann. Absurderweise hatte dies einen Absturz in den Umfragen zur Folge.
Wenn nun also die Grünen und die LINKE in ihren Programmen einen Linksruck vollziehen, der viel von der vergangenen Politik geradezu brutal umreißt (das gilt besonders für den Landesverband der LINKEn Berlin), dann ist das nur konsequent. Die Medien haben die Seriosität, die beide Parteien an den Tag gelegt haben, ihre vielen Statistiken, Lösungsvorschläge und ähnliches ohnehin nicht goutiert, sondern sich auf die Symbole der FDP gestürzt. Was soll's also - man hisst die Flagge und trommelt auf ein Programm, von dessen Undurchsetzbarkeit man eh weiß (ohne dabei die Frage zu streichen, wie sinnvoll die darin erhobenen Forderungen sein mögen. Weder ist das massive ökologische Investitionsprogramm der Grünen mit SPD, FDP oder Union zu machen noch die gewaltigen Investitonsprogramme der LINKEn, die übrigens hier von Wolfgang Lieb analysiert werden), um wenigstens die Stammwählerschaft und, natürlich, die Protest- und Nichtwähler zu den Urnen zu bringen. Der zumindest gefühlte Pragmatismus der Legislaturperiode nähert sich seinem Ende.
Kommt es tatsächlich zu einer Neuauflage der Großen Koalition, wird deren Handlungsspielraum sich vermutlich deutlich verengen, da niemand den staatstragenden Habitus goutiert hat, mit dem effektiv alle Parteien außer der FDP dieser Tage vonstatten gegangen sind, eine Lehre, die die SPD bereits in den 1950er Jahren und die CDU in den 1970er Jahren machen musste: der Wähler will Fundamentalopposition, gleich wie vernünftig irgendetwas in Wahrheit wäre. Von daher bekommt er nun, was er wollte.

UPDATE: Telepolis hat auch was zum Thema.

Montag, 11. Mai 2009

Kommentierte Fundstücke 11.05.2009, 18.39 Uhr

Ohne Worte, Ohne Worte.

In Reutlingen sollte ein Jugendprojekt durchgeführt werden: eine simulierte Wahl. Als die Leute erkannt haben, dass die Wahlzettel fast einen Meter lang werden, weil alle 31 Parteien drauf sind, wollte man "nur die zehn wichtigsten" draufpacken. Diese Vorauswahl geriet heftig in die Kritik. Man kann sich natürlich darüber streiten, ob die Splitterparteien tatsächlich irgendeine Bedeutung haben, aber wenn es sie gibt muss man sie halt auch wählen können - wenn Vorauswahlen getroffen werden bedeutet dies letztlich, dass auch neue Ansätze und Ideen unter dem Teppich bleiben, weil nie jemand davon hört. Ich denke, die 5%-Sperrklausel bewahrt uns so oder so vor dem ganzen Zeug.

Heribert Prantl hat einen tollen Artikel zum Thema "Schäubles feuchte GG-Änderungsträume" geschrieben (natürlich sagt er das nicht so). Ich zitiere einfach mal einen Absatz:
Das Grundgesetz kann schon stolz darauf sein, was man ihm wieder alles zutraut. Ein paar kleine Änderungen - und schon gibt es angeblich die Rivalitäten zwischen den Elite-Einheiten GSG 9 und KSK nicht mehr; ein paar kleine Änderungen - und schon wird die Ausrüstung der Marine besser, funktioniert die Versorgung reibungslos, schwimmen die Kampfschwimmer schneller, erschrecken die Piraten nachhaltiger. Schäuble benutzt die Piraterie als Enterhaken, um zu erreichen, was er schon immer wollte: den umfassenden Einsatz der Bundeswehr als General-Sicherheitstruppe.

Die LINKE hat ihr Wahlprogramm vorgestellt. Die SZ charakterisiert es als "linker als links", da hätten "nicht mal die Kommunisten was dran auszusetzen". Das ist natürlich Quatsch, denn auch mit dem neuen Wahlprogramm kriecht der Sozialismus nicht herein, aber das Programm zielt doch ziemlich deutlich auf Opposition. Das ist kein Wunder, denn die Machtperspektiven sind auch, nun ja, begrenzt. Deswegen sollte man nicht allzusehr auf das Zahlengeplärr achten (zwei Millionen neue Jobs und mehrere hundert Milliarden Konjunkturprogramm), sondern eher auf andere Inhalte, denn die meisten Forderungen - das geben Lafontaine und Gisy unumwunden zu - sind ohnehin nur Verhandlungsmasse für Koalitionsverhandlungen. Wichtiger ist vielmehr, dass die LINKE weiterhin jede Koalition ausschließt, wenn die Bundeswehr sich nicht sofort aus ihren Auslandseinsätzen zurückzieht - eine vollkommen illusorische Forderung, die sich - wenn mir die Propheterei erlaubt ist - in vier Jahren spätestens noch als ganz schöner Stolperstein erweisen dürfte.

In der Telepolis findet sich ein Artikel, in dem der Autor sich aufrichtig darüber entrüstet dass die Bundeswehr bereits bei Minderjärhigen Werbung macht. Ich sehe die Sache etwas gelassener als der Autor: es gibt keinen legalen Grund, der Bundeswehr Werbung zu verbieten; wir alle wissen, dass der Verein es mehr als nötig hat. Das Problem, staunenden 11jährigen Panzer und Helikopter zu zeigen kann ich nicht sehen; in dem Alter hätte ich das auch cool gefunden, und die Bundeswehr will Leute als Zeitsoldaten gewinnen, was man am besten vor dem Wehrdienst macht, also wenn sie noch minderjährig sind. Wenn man nicht will, dass die Gesellschaft militarisiert wird - und die Gefahr besteht durch solche Werbung durchaus - dann muss man mit Zivilicourage und Aufklärung dagegen vorgehen und nicht der Bundeswehr verbieten, ihr teueres wie nutzloses Spielzeug mal Spazieren zu fahren und begucken zu lassen. Pazifismus oder nicht, das ist eine private Entscheidung. Wie man die Bundeswehr später einsetzt ist eine andere Frage, und hier muss kritisches Denken geschult werden, was sicher nicht gelingt wenn man Tage der Offenen Tür bei den Feldgrauen verbietet.

Im Le Monde Diplomatique wurde ein länglicher Artikel von Joseph Stiglitz veröffentlicht, der noch mal schön erklärt, warum die aktuelle Krisenbewältigungspolitik schädlich ist und welche Lösungsansätze es gibt. Lesenswert!

Auf SpOn findet sich ein Interview mit einem Professor, der den Job wegen Bologna hingeschmissen hat und auch kein Blatt vor den Mund nimmt. Dass das Ganze beim Spiegel erscheint ist außergewöhnlich, die Jungs scheinen tatsächlich bemerkt zu haben, dass sie dabei waren, die BILD niveautechnisch auf der Rennstrecke nach unten zu überholen.

Der Spiegelfechter macht sich Gedanken zu Parteienkonstellationen zur Bundestagswahl vor dem Hintergrund der oben angesprochenen Wahlprogramme von LINKEn und Grünen. Sehr lesenswert!

Mittwoch, 6. Mai 2009

Schönwetterglobalisierung?

Im Manager-Magazin äußert Henrik Müller die Befürchtung, es könne im Zuge der Krise zu einer Entglobalisierung der Weltwirtschaft kommen. Diese Befürchtung ist sicherlich nicht unberechtigt, liegen doch historische Analogien der Weltwirtschaftskrise von 1929/30 dies nahe, in deren Umfeld es zu einem wahren Boom des Protektionismus' und regelrechten Handelskriegen kam, unter denen letztlich alle Beteiligten litten. Sollte nun durch diese neue Weltwirtschaftskrise tatsächlich eine Rückentwicklung der bisher erreichten Globalisierung eintreten, wäre dies alles andere als positiv zu bewerten.
Ich habe mich hier im Blog häufig dezidiert globalisierungskritisch geäußert. Wie attac, bei denen ich Mitglied bin, verwehre ich mich eigentlich gegen die Bezeichnung "Globalisierungsgegner", denn das sind wir eigentlich nicht. Die Globalisierung ist eine potentiell segensreiche Entwicklung, deren Stoßrichtung allerdings in eine teilweise vollkommen falsche Richtung ging und die viel von Partikularinteressen mächtiger Teilnehmer überlagert wird. Effektiv gibt es nämlich keine echte Deregulierung des internationalen Handels und eine Globalisierung, an der alle beteiligt wären. Sowohl die EU als auch die USA waren in der Vergangenheit äußerst erfinderisch darin, Deregulierung und Marktöffnung für Schwellenländer und Dritt-Welt-Länder zu erzwingen, sich selbst aber mit allerlei Sondermechanismen daraus herauszunehmen; die Agrarsubventionen beider Machtblöcke sind hierfür ein gutes Beispiel.
Eine Rückkehr zum Protektionismus früherer Jahre ist in meinen Augen wenig erfolgversprechend. Die Globalisierung hat das Potential, viele Menschheitsprobleme zu lösen und die Welt als Ganzes in ein besseres Zeitalter zu führen. Dummerweise wurde sie von Menschen vereinnahmt, die visionslos nur ihre eigenen Vorteile verfolgten und dafür auch bereit waren, sich über alle Regeln hinwegzusetzen, und die Staaten haben vollkommen dabei versagt, sie in diesem Bestreben aufzuhalten, ja, sie haben sie teils sogar aktiv unterstützt.
Ich stelle diese ausführliche Betrachtung vorn an, weil ich klar machen will, dass ich nicht undifferenziert die gesamte marktliberale Wirtschaftsentwicklung der letzten Jahre verdammen möchte. Es gab aber einige Tendenzen, die sich, um es höflich auszudrücken, offenkundig nicht bewährt haben. Dazu gehört die Liberalisierung der Finanzmärkte (wozu ich dieses Gespräch mit Heiner Flassbeck empfehlen kann), dazu gehört viel von der Politik der WTO, dazu die Deregulierung der Grundversorgung. Der drohende Zusammenbruch der Globalisierung im Angesicht der Krise zeigt, dass es sich letztlich um eine Schönwetterglobalisierung gehandelt hat. Sie funktionierte, solange sie mit keiner ernsthaften Krise konfrontiert war, aber sobald es Probleme gibt, bricht sie vollständig zusammen, und der viel gescholtene Staat - und das sind wir alle minus die Steuerflüchtlinge der oberen Zehntausend - muss einspringen und zur Rettung herbeieilen. Eine solche Globalisierung braucht niemand, denn sie verursacht nur Kosten während die Gewinne in die Taschen einiger weniger fließen. Manche dieser Kosten sind direkt spürbar (wie jetzt die Rettung eines völlig außer Kontrolle geratenen Bankensektors), andere sind indirekt und werden erst noch auf uns zukommen (wie das Versäumnis des Etablierens von Umweltschutzregeln). Es ist nun an der Zeit, die Globalisierung abzusichern und in den Dienst aller Menschen zu stellen, anstatt ihre Verheißungen nur einer kleinen, reichen Elite zukommen zu lassen. Das betrifft sowohl die Industriestaaten selbst, in denen ein Großteil der Bevölkerung von den Segnungen der Globalisierung vollkommen abgeschottet ist und einzig und allein ihre Kosten zu tragen hat, und das betrifft in fast noch stärkerem Maße die anderen Länder der Welt, in der allenfalls die korrupten Bürokratien von den Schmiergeldern der Konzerne profitieren.

Dienstag, 5. Mai 2009

Kommentierte Fundstücke 05.05.2009, 21.26 Uhr

ad sinistram fragt sich, wie bitte der Bürger wie gefordert mehr Vorsicht walten lassen sollen beim Umgang mit ihren Daten, wenn sie sich im Spannungsfeld einer Hartz-IV-Bürokratie befinden.

Thorsten Denkler
malt mal wieder das Gespenst von Lafontaine an die Wand. Wie er allen Ernstes die FDP als im Gegensatz zur LINKEn staatstragende Partei bezeichnen kann, wo Erstere eigentlich nur beständig mehr von dem Gift fordert, das uns in die Krise geritten hat, weiß Gott allein.

Wen es interessiert, der findet bei der SZ ein Interview mit Huffington, die sich zu Blogs und der Zukunft des Journalismus äußert.

Manfred Bönsch sagt in der FR deutlich Nein zur Turboschule, und seinen Argumenten ist wirklich nichts entgegenzusetzen.

Wendehälse live: Franz Müntefering im Interview. Nach dem Wahltag ist das ganze Geschwätz ohnehin wieder vergessen.

Robert Skidelsky
schreibt bei Project Syndicate über den Verrat der Ökonomen.

Zum gleichen Thema findet sich in der taz ein Artikel von Stephan Schulmeister.

Das Marx-Forum hat die Geschichte des deutschen Sozialstaats im Angebot.

Thomas Strobl in der FAZ zum Thema Zukunft des Kapitalismus; lesenswert.

Wer denkt, dass das WTC von den Amerikanern selbst gesprengt wurde, dürfte sich hierdurch bestätigt fühlen. Ich finde das alles nicht sehr glaubhaft, denn zwar hat die offizielle Theorie ihre Löcher, aber was der "Wissenschaftler" hier von sich gibt ist noch schlimmer.

Am Montag findet die zweijährliche Konferenz zum Thema nicht-tödliche Waffen statt. Ich habe schon öfter darauf hingewiesen, dass die Dinger trotz allem scheißgefährlich sind und vor allem die Hemmschwelle zum Einsatz runtersetzen, und deswegen unterstütze ich diesen Aufruf für Protest dagegen. Danke an Sundancer für den Link.

Montag, 4. Mai 2009

Kommentierte Fundstücke 04.05.2009, 22.30 Uhr

So, ich bin wieder da. Mit einer kleinen Rippenprellung, aber ansonsten ist alles in Ordnung und ich blogge wieder. Freut euch oder hasst mich dafür :)

Eine schweizerische Gruppe BWL-Studenten hat als Projekt eine Studenkneipe geführt, die jetzt konkurs ist, mit 150.000 Euro Schulden. Irgendwie hätte das Humor, wenn nicht andere Studenten und die Uni Anteile gekauft hätten um das zu finanzieren und der Kommentar vom Prof "Dumm gelaufen" ist. Irgendwie typisch.

In der FR schreibt Stephan Hebel einen sehr klugen Beitrag zum Thema Soziale Unruhen. Zitat: "Sie warnen entweder vor "sozialen Unruhen", oder sie warnen davor, vor sozialen Unruhen zu warnen. An denjenigen Menschen, die Grund zur Unruhe haben, warnen sie so oder so vorbei."

Der Präsident des BVerfG Papier will die Schuldenbremse möglichst strikt und außerdem ein neues Wahlrecht. Beides Bullshit so wie er es vorschlägt meiner Meinung nach.

Brüssel droht Deutschland mit schweren Auflagen wegen der Verletzung des Stabilitätspakts. Das zeigt mal wieder wie dumm die Idee war, das Ding damals gegen den Widerstand der meisten EU-Staaten durchzudrücken.

Unter dem Titel "Wie Lobbyisten uns manipulieren" bringt die FR ein schönes Beispiel.

In der Zeit findet sich ein richtig bescheuerter Pro-Studiengebührenartikel.

Ein kurzer Artikel beschreibt wie bei der PISA-Studie 2000 die Auswertung beschissen wurde, um unangenehme Wahrheiten zu unterdrücken.

Frank-Walter Schröder macht auf Arbeiterfreund. Ich mag die Namenszusammensetzung.

Im Gegensatz zu obigem Link sagt Papier hier etwas richtig sinnvolles zum Thema Datenschutz.

Zwei interessante Interviews gibt es bei der Welt, einmal Lafontaine und einmal Wagenknecht.

Die TP wittert Revolution in der Luft.

Bei der FR kritisieren sie Porsche und Schaeffler für den Größenwahn, den diese hatten.

Der BDI-Chef ist mal ein richtiges §"&&§$", er fordert Anstand von den Politikern. Die sollen mal keine dummen Forderungen an die Wirtschaft erheben, meint er. Ausgerechnet. Interessant finde ich auch die Begründung: Eliten sollten einander mit Respekt begegnen. Mit dem also, den sie gegenüber der breiten Masse stets vermissen lassen.

Die Banken zocken wieder.


Huffington Post listet auf, welche demokratischen Senatoren sich haben von den Banken bestechen lassen.

Ein sehr guter Artikel von Heribert Prantl analyisert zutreffend, warum die LINKE in Umfragen derzeit so absäuft und die FDP Hochs feiert.

Die Herren Wirtschaftsführer.