Samstag, 13. März 2010

Das Ende des europäischen Projekts?

Von Stefan Sasse
Zwischen „Neue Verantwortung“, Wiedervereinigung und Großmachtstreben

Seit Bestehen der Bundesrepublik ist die europäische Integration die conditio sine qua non der deutschen Außenpolitik. Adenauer trieb in Zusammenarbeit mit Frankreich zuerst die Montanunion, dann die (gescheiterte) Verteidigungsunion und schließlich den gemeinsamen Wirtschaftsraum stets voran, um damit einer Wiederholung der Traumata der Zwanziger und Dreissiger Jahre zu entgehen. Ludwig Erhard führt diese Politik im großen Ganzen ebenso fort wie Kiesinger. Auch Willy Brandt wich trotz Ostpolitik vom Schema der europäischen Zusammenarbeit nicht ab. Unter Helmut Schmidt kam die EWG in ihre erste große Krise, das Wort von der "Eurosklerose" machte die Runde. Nichtsdestotrotz wurde der europäische Einigungsprozess zu Beginn der Achtziger Jahre wieder vorangetrieben. Helmut Kohl machte ihn zu seinen wichtigsten außenpolitischen Baustein: was man auch sonst von ihm halten mag, seine Liebe und Begeisterung für das europäische Projekt sind genuin. Diesen Kanzlern ist gemein, dass sie für die europäische Integration zu Opfern bereit waren. Mit der Kanzlerschaft Gerhard Schröders änderte sich der Ton.

Neue Verantwortung

Unter dem Schlagwort „neue Verantwortung“ leitete die Außenpolitik der rot-grünen Regierung, von deren Mitgliedern keines mehr aktiv den Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, eine gestiegene Rolle des wiedervereinigten Deutschlands in Europa und der Welt ab. Bisweilen auftrumpfend und deutsche Interessen aktiver wahrnehmend als bisher – man sehe sich etwa den Prozess von Nizza und die gestiegene Zahl deutscher Europaparlamentsvertreter an – ließ Schröder doch nie von einem Grundstein der europäischen Politik der Bundesrepublik: der engen Zusammenarbeit mit Frankreich. Frankreich und Deutschland sind seit jeher das treibende Duo der EU.

Die Einführung des Euro jedoch, noch von Helmut Kohl betrieben und durchgesetzt, änderte die europäische Struktur grundlegend. Das Scheitern der Europäischen Währungszusammenarbeit 1992 durch die drastische Leitzinserhöhung der Bundesbank, den darauffolgenden Spekulantenangriff auf das englische Pfund und das Ausscheiden Englands aus dem Währungsverbund, zeigten bereits einen tiefen Riss zwischen der deutschen Hartwährungsideologie und den mehr auf Wachstum erpichten Währungspolitiken der anderen nationalen Notenbanken in der EU.

Schon immer hat die traditionell unabhängige Bundesbank eine Hartwährungspolitik gefahren. Solange die übrigen Partner im EU-Verbund dies durch Abwertung ihrer Währungen ausgleichen konnten, war dies auch verhältnismäßig problemlos. Im Inland sorgte außerdem die starke Stellung der Gewerkschaften und des Deutschen Gewerkschaftsbundes für einen Ausgleich bei der Binnennachfrage. Bereits in der Ära Kohl jedoch wurde dieses Fundament ins Wanken gebracht. Schröder würde ihm später den Todesstoß versetzen. Einen Ausgleich für dieses Fundament gab es jedoch nie. Das Resultat war die zweifelhafte Auszeichnung  „Exportweltmeister“: eine ungesundes Ungleichgewicht in der Außenhandelsbilanz, das auf systematischen Lohnsenkungen im Inland, Sparbestrebungen des Staates und dem Unvermögen der Partner, ihre eigene Währung relativ zur deutschen abzuwerten, beruhte. Die deutsche Exportwirtschaft, einen immer größeren Teil des deutschen Wirtschaftsvolumens ausmachend, profitierte davon, dass die Länder der Wirtschafts- und Währungsunion auf Gedeih und Verderb der Hartwährungsideologie deutschen Zuschnitts ausgesetzt waren, die auch unter EZB-Direktoren ausländischer Herkunft dank deutschen Einflusses praktisch unverändert weitergeführt wurde.

Diese „beggar thy neighbour policy“ musste irgendwann ein Ende finden. Die künstlichen Booms der letzten Jahre, sei es der deutsche Exportsektor, die spanische Immobilienblase, der „Keltische Tiger“ oder das Bankenparadies Island, sie alle haben ihr Ende gefunden. Manche Länder haben Lehren aus dieser Niederlage gezogen, andere nicht.

Panthersprung nach Frankfurt

Die Regierung Merkel, wirtschaftspolitisch noch schlechter beraten als die Regierung Schröder, auch wenn man dies kaum mehr für möglich hielt, setzt voll auf die neoliberalen Rezepte der staatlichen Erholung, die sich eigentlich bereits in der Asienkrise 1998 desavouiert haben. Die betroffenen Staaten sollen ihre Ausgaben wie sie reduzieren, vorhandenen Staatsbesitz privatisieren und auf diese Art und Weise für Investoren wieder attraktiv werden. Dass dies die Krise nur noch weiter verschlimmern wird, ist Deutschland herzlich egal. Die blöden Griechen, das ist der allgemeine Tenor, besonders in der Springerpresse, haben es sich selbst eingebrockt: im Gegensatz zum braven deutschen Michel haben sie eben keine gute Haushaltspolitik geführt. Dass auch Deutschland sich einer solchen nicht gerade rühmen kann, liest man selten.

An und für sich wäre in einer Gemeinschaft wie der europäischen zu erwarten, dass die Mitglieder einander in der Krise beistehen und so helfen, gemeinsam aus ihr herauszukommen. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall. Vollkommen instinktlos versucht die Regierung Merkel mit aller Kraft, die eigene Machtposition auszunutzen, um so die bislang betriebene Politik für Deutschland weiter möglich zu machen und zu legitimieren. Dies ist jedoch aus zweierlei Gründen der vollkommen falsche Weg:
Zum einen stößt Deutschland damit alle anderen EU-Länder schwer vor den Kopf. Völlig rücksichtslos für die Interessen anderer nutzt es jede ihm zur Verfügung stehende Ressource, um seine eigene Agenda durchzudrücken. Damit erfüllt dies, wenn auch zehn Jahre zu spät, alle Ängste, die seine Nachbarn bezüglich der Wiedervereinigung anno 1990 hatten. Wo Kohl noch weise Zurückhaltung übte, trumpft das Traumpaar Westerwelle-Merkel auf wie weiland Wilhelm II. Wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen trampeln sie auf den Befindlichkeiten der Nachbarn und Freunde herum. Dies wird zwar von Blättern wie der BILD mit frenetischem Jubel und allerlei unangebrachten nationalistischen Metaphern von der deutschen Eiche, die in Frankfurt festgefügt - dank deutscher Geldpolitik - gegenüber dem Schlendrian unserer südländischen Nachbarn steht, gefeiert, ist aber ein sicherer Weg in die Isolation und zumindest mittelfristig das Ende des europäischen Projekts.

Zum anderen ist diese Politik aber auch für Deutschland selbst schädlich. Die schwarz-gelbe Regierung hatte sich auf die Fahnen geschrieben, die verfehlte Wirtschaftspolitik der letzten Jahre fortzuführen, das zweifelhafte Prädikat „Exportweltmeister“ wieder zu erobern und sich weiterhin voll auf den Exportsektor als alleinige Stütze der deutschen Wirtschaft zu setzen und nebenher im eigenen Land die Löhne weiter zu senken, um so die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gegenüber dem Ausland weiter zu steigern – ohne das geringste Verständnis dafür, dass genau diese Politik die aktuellen Misere erst hervorgerufen hat.

Die europäischen Nachbarn können gerade nur noch mit einer Mischung aus Furcht und Ablehnung nach Deutschland sehen. Die deutsche Kampagne zur Berufung Axel Webers an die Spitze der EZB, die selbst im Inland heftig debattiert und eigentlich nur von der Springerpresse gutgeheißen wurde, Schäubles Vorstoß in Richtung eines europäischen Währungsfonds, der nur allzu sehr an den eigentlich gescheiterten Internationalen Währungsfonds erinnert, die von geradezu nationalistischem Chauvinismus durchtränkten Kommentare konservativer und liberaler Hinterbänkler in Richtung Griechenland – das alles zeugt von einem Mangel an Sensibilität, einem Mangel an Seriosität, der diese Regierung nicht nur im Inland seit der Inauguration begleitet.

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