Donnerstag, 31. Januar 2013

Buchbesprechung: Why nations fail

Von Stefan Sasse

"Why nations fail" verspricht bereits im Titel eine umfassende Gesamtanalyse. Große Theoriegebäude, die den Anspruch haben Erklärungen für politische Phänomene quer durch die Jahrhunderte und Kontinente zu bieten sind seit Karl Marx etwas aus der Mode gekommen, aber Daron Acemoglu und James A. Robinson unternehmen genau das. Das Ergebnis überzeugt, vor allem deswegen, weil die Theorie, die sie entwerfen, relativ simpel ist und nur ein Fundament für folgende Detailstudien bietet. In ihrer Erklärungskraft aber ist sie beeindruckend und verdient mindestens eine tief gehende Betrachtung. Die Autoren gehen in ihrem Buch dabei so vor, dass sie ihre Theorie kurz skizzieren und dann anhand zahlloser, meist historischer Beispiele empirische Evidenz zu schaffen versuchen. Die Frage, um die sich alles dreht, ist dabei die folgende:
Im 15. Jahrhundert war der Prosperitätsunterschied in allen Regionen der Erde nicht besonders groß - selbst Menschen im Kongo genossen mindestens 25% des Lebensstandards in Europa. Heute liegt diese Schere bei einem Faktor, der etwa bei 30 liegt - also etwa 3% des Lebensstandards. Die Schere entwickelt sich aber Industriellen Revolution auseinander. Warum also beginnt die Industrielle Revolution ausgerechnet in Großbritannien und erfasst dann die gesamte westliche Welt, während der Rest der Welt bis heute kaum in der Lage scheint, diese Entwicklung nachzuvollziehen? Die Beispiele Koreas und Japans zeigen, dass es keine Frage des Technologievorsprungs sein kann, denn den holten sie relativ schnell auf.

Mittwoch, 30. Januar 2013

Mindestlohn kommt 2014

Von Stefan Sasse

Ich lehne mich mal weit aus dem Fenster, schaue tief in die Glaskugel und prognostiziere: Der allgemeine Mindestlohn wird, in irgendeiner Form, 2014 kommen. Ich habe bereits 2011 geschrieben, dass die CDU ihren prinzipiellen Widerstand bei diesem Thema aufgegeben hat. Natürlich ist daraus bisher keine konkrete Politik entstanden, dafür sorgt die FDP. Es ist die typische Arbeitsteilung der schwarz-gelben Koalition: Die FDP zieht rote Linien und profiliert sich so bei ihren Wählern, während die CDU dadurch - leider, leider - nichts tun kann, aber prinzipiell ein Thema für sich eingenommen hat, das in der Bevölkerung mehrheitsfähig ist. In ähnlicher Form ist das Spiel beim Thema Energiewende zu beobachten; auf dem Feld der Familienpolitik nehmen die christkonservativen Hardliner die Rolle der FDP ein, aber das Schema bleibt dasselbe. Nun hat Volker Kauder erneut die Einführung von Mindestlöhnen gefordert ("wer den ganzen Tag arbeitet muss auch davon leben können"). Die FR-Überschrift "Koalition zankt um Mindestlohn" ist natürlich irreführend, denn hier zankt niemand wirklich. Die FDP nimmt wieder ihre Rolle ein und verhindert die Einführung, womit Schwarz-Gelb weiter ihre übliche Politik durchführen kann. Für die CDU ist das prinzipielle Bekenntnis zum Thema Mindestlöhne aber von großer strategischer Bedeutung.

Montag, 28. Januar 2013

Schlaglichter auf die Geschichte, Band 3

Von Stefan Sasse

„Schlaglichter auf die Geschichte“ ist ein Lesebuch zur Geschichte. Es bietet kurze Kapitel, die sich auf etwa zehn bis zwanzig Seiten mit einem spezifischen Thema auseinandersetzen und auf dem Stand der aktuellen Forschung allgemein verständlich darlegen. Das Spektrum dieser Artikel ist breit gewählt und reicht von der Antike über das Mittelalter in die Frühe Neuzeit und in unsere Gegenwart hinein. Schwerpunkte sind die Geschichte Deutschlands und der USA. Viele dieser historischen Themen werden dabei unter dem Fokus von bestimmten Problemen untersucht, die in der entsprechenden Epoche maßgebend waren.

Donnerstag, 24. Januar 2013

Die drei Dimensionen des Sexismus-Skandals

Von Stefan Sasse

Rainer Brüderle hat auf dem FDP-Dreikönigstreffen 2012 eine damals 28-jährige Journalistin sexuell belästigt. Man mag das überraschend finden, aber für jemanden, der einen guten Teil seines Images auf seiner Liebe zu Weinköniginnen aufbaut, ist das vermutlich der natürliche Gang der Dinge. Der Stern, der den Skandal öffentlich gemacht hat, überschrieb den zugehörigen Artikel mit beißender Schärfe mit "Der Herrenwitz". Brüderles Verhalten entstammt einer Zeit, die man eigentlich besonders in der öffentlichen Sphäre überwunden glaubte, eine Zeit, in der "Herren" die Geschicke der Welt bestimmten und in der Frauen lediglich eine Statistenrolle innehaben. Dass diese Welt zumindest in der Geisteswelt von Rainer Brüderle immer noch existiert, ist die erste Dimension dieses Skandals. Die pure Existenz eines so offenen Sexismus lässt einen ebenso fassungslos zurück wie der erst letzte Woche beschriebene Sexismus, den die Piratenpartei offenkundig pflegt, wenn sie missliebigen Journalistinnen Prostitution andichtet. Auffällig ist hier übrigens, dass es sich tatsächlich um eine rein männliche Dimension handelt. Niemand würde einem männlichen Journalisten vorwerfen, dass er für seine Informationen mit Ursula von der Leyen oder Kristina Schröder anbandeln würde. Allein die Vorstellung ist absurd. Dass wir es bei Rainer Brüderle sofort und unbesehen glauben, lässt tief blicken. 

Mittwoch, 23. Januar 2013

Wir brauchen eine säkulare Revolution!

Von Stefan Sasse

Der Skandal in Köln, wo Krankenhäuser in katholischer Trägerschaft die Aufnahme vergewaltiger Frauen ablehnten, um die Pille danach nicht verschreiben zu müssen, zieht immer weitere Kreise. Inzwischen ist bekannt geworden, dass die katholische Kirche Frauen dafür bezahlt hat, sich als Vergewaltigungsopfer auszugeben, die Pille danach verschreiben zu lassen und dann die behandelnden Ärzte zu denunzieren. Das daraus resultierende Klima der Angst hat maßgeblich zu der Ablehnung der echten Vergewaltigungsopfer beigetragen. Dies ist nur der jüngste Skandal in einer ganzen Reihe von abscheulichen Vorfällen, die sich in Institutionen mit kirchlicher Trägerschaft ereignet haben. Sie sind direkt auf die noch immer mangelhafte Trennung zwischen Kirche und Staat in Deutschland zurückzuführen, wo das Zentrum und später die Unionsparteien immer bereit waren, die Interessen der beiden Amtskirchen zu decken - gerne auch gegenüber anderen Religionsgemeinschaften. So ist es nicht nur möglich, dass die Kirchen zahllose Sonderregeln für sich in Anspruch nehmen, für die jeder normale Arbeitgeber vor Gericht belangt werden würde (die Kündigung von Kindergärtnerinnen, die sich scheiden ließen drängt sich als Vergleich geradezu auf) oder dass Kinder mit extremistischen Meinungen indoktriniert werden, sondern dass dieses Treiben auch noch vom Staat tatkräftig unterstützt wird. Ob nun die Kirchensteuer eingezogen und weiterverteilt wird, die Personalkosten bezahlt oder steuerliche Vergünstigungen gewährt werden, die beiden Amtskirchen profitieren massiv von dieser Verflechtung - und missbrauchen ihre Privilegien permanent zum offenen Rechtsbruch.

Dienstag, 22. Januar 2013

Eine Analyse der niedersächsischen Landtagswahl

Von Stefan Sasse

Niedersachsen hat gewählt, und die Überraschung war groß: fast 10% für die FDP! Damit hatte wohl kaum jemand gerechnet. Dann ein stundenlanges Tauziehen, wer denn nun die eine Stimme Mehrheit haben würde (Rot-Grün). Überraschend wenig Kommentare zog das schlechte Abschneiden von LINKE und Piraten auf sich, die mit 3% und 2% mehr als deutlich den Einzug in den Landtag verfehlten. Die Wahlbeteiligung war mit rund 60% nicht gerade berauschend, aber im für Landtagswahlen üblichen Rahmen. Sehen wir uns noch einmal das Ergebnis in seiner ganzen Schönheit an, bevor wir eine Detailanalyse vornehmen: 
CDU: 36%
SPD: 32,6%
FDP: 9,9%
Grüne: 13,7%
LINKE: 3,1%
Piraten: 2,1%

Montag, 21. Januar 2013

Wie man einen Artikel nicht schreibt

Von Stefan Sasse

Ich habe ja schon länger ein Problem mit dem Schreibstil in bestimmten Genres des Journalismus, die von der BILD herkommend besonders bei SpiegelOnline eingerissen sind und sich von dort krebsgeschwürartig in den anderen Verästelungen des so genannte  Qualitäts-Journalismus fortwuchern. Dazu gehören beispielsweise Überschriften wie "So [Adjektiv] ist [Substantiv]" oder "Wie [Adjektiv] ist [Substantiv] wirklich?" Aber das ist nur grauenhafter Stil, der mit seiner marktschreierischen Qualität Leser anlocken soll. Es funktioniert ja, und ist irgendwo legitim. Gar nicht legitim ist dagegen die Unart, eigene Spekulationen, Meinungen und Sehnsüchten irgendwelchen Leuten auf den Hals zu schreiben und so zu tun, als hätte man großartige Informationen, während man in Wahrheit nur vor einer dürren dpa-Meldung sitzt. Ein Paradebeispiel dafür ist der Artikel "Brüderle zückt den Dolch" von Philipp Wittrock bei SpOn. Schauen wir uns einmal ein paar Formulierungen näher an. 

Freitag, 18. Januar 2013

Zitat des Tages

Von Stefan Sasse

[Dass alle Menschen gut entscheiden würden, wenn man sie nur ließe] scheint mir ein entscheidender Faktor der Linken zu sein, quasi ihre Lebenslüge. Unter "gut" versteht man natürlich, was man selber für richtig hält.

Was, wenn nun nicht alle so entscheiden wie man es selber für richtig hält? Na, dann sind die Halt noch durch "Zwänge", im Zweifel im eigenen Kopf, bestimmt.

Die "natürliche" Entscheidung, die selbstverständlich dann "frei" ist, wäre diejenige, die der Linke für richtig hält. Alle anderen Entscheidungen können offensichtlich nicht frei und natürlich sein, sonst wären sie wie bei einem Linken ausgefallen.

Man redet sich ein, alle Menschen würden, wenn man sie nur liese, wie man selber denken. Wenn die Realität nicht dazu passt, dann muss man sie halt von ihrer "gesellschaftlichen Prägung" befreien (umerziehen).

Es kommt als positives Menschenbild daher. Ist aber doch ein eher beschränktes Menschenbild.

Ich hoffe, ich bin hiermit jetzt keine zu nahe getreten.

Donnerstag, 17. Januar 2013

Buchhinweis: Lutz Hausstein - Ein Plädoyer für Gerechtigkeit

Von Stefan Sasse

Lutz Hausstein dürfte dem einen oder anderen hier im Blog durchaus ein Begriff sein. Er hat jetzt ein Buch unter dem Titel "Ein Plädoyer für Gerechtigkeit" herausgebracht. Wenn ihr also seine Gedanken lesen und nebenbei einen Blogger unterstützen wollt, holt es euch! 
"In seinen Texten erwirtschaftet Lutz Hausstein eine Perspektive auf die Gerechtigkeit, indem er gesellschaftspolitische Zustände analysiert, die machtimmanenten Zwischentöne aufspürt und dabei auch vor Kulissensturz nicht Halt macht. Denn nicht "nur etwas sagen", sondern auch zeigen, dass es nicht gesagt wird - darauf kommt es in einer Gesellschaft an.
Ein Jahr nach dem Bucherfolg des Bundespräsidenten Joachim Gauck mit seiner Laudatio auf die westlichen Werte unter dem Titel „Freiheit“, erscheint in der Schriftenreihe Politik in der Edition Bildstein Lutz Haussteins Plädoyer für Gerechtigkeit."
ebook

Montag, 14. Januar 2013

Eine überfällige Entwicklung

Von Stefan Sasse

Bernd Schlömer und Sebastian Nerz haben es getan: In einem Akt der Häresie forderten sie, die Basis ein wenig zu entmachten und es dem Vorstand zu ermöglichen, eigene Positionen zu entwickeln. Bereits zuvor hatte Nerz mit der Gründung des "Frankfurter Kollegiums" (grauenhafter Name) die Grundlage für ein durchsetzungsfähiges Netzwerk innerhalb der Piraten geschaffen - den ersten "Flügel", der wohl analog zu den Grünen als der "Realo"-Flügel bezeichnet werden könnte. Beide Entwicklungen sind überfällige Meilensteine auf dem Weg der Partei zu einer Professionalisierung, die sie arbeitsfähig macht und auf die Stürme der Bundestagswahl vorbereitet. Nach Monaten der Selbstbeschäftigung - teils von den Medien in Form endloser Personaldebatten aufoktroyiert, teils im quälend langsamen Programmfindungsprozess, teils in sinnlosen Shitstorms selbst geschaffen - ist es an der Zeit, die Botschaften wieder selbst nach draußen zu schicken anstatt nur als Projektionsfläche zu dienen. Dass banale Streits zwischen eher unbekannten Piraten derart zu high-profile-Konflikten innerhalb der Partei stilisiert werden konnten liegt auch daran, dass "die Partei" schwieg und schweigen musste. Verantwortlich dafür ist eine völlig verfehlte Ideologie der Basisdemokratie und Mitbestimmung des "Schwarms". Aber der Reihe nach.

Freitag, 11. Januar 2013

Staatsausgaben und Staatsschulden - ein politischer Blick

Von Stefan Sasse

Wenn ein Thema im öffentlichen Diskurs nie fehlen darf dann das, dass der Staat seine Schulden zurückbezahlen müsse, am besten, indem er spare. Unter "sparen" wird dabei verstanden, Ausgaben zu kürzen. Beides passiert praktisch nie, zumindest nicht in nennenswertem Umfang. Die Ausgaben werden selten gekürzt, und die Schulden selten abgebaut (zurückbezahlt werden sie, nur werden auch ständig neue aufgenommen). Das Problem an der gesamten Debatte ist, dass sie von einem ideologischen Schuld-Komplex zugestellt ist: Schulden gelten als etwas inhärent sündenhaftes, etwas, das schmutzig ist und das es unter allen Umständen zu vermeiden gilt. Diese Ansicht kommt von der privaten Lebenserfahrung her: Schulden sind schlecht, und man will sie schnellstmöglich loswerden, wenn man sie hat. Das ist nachvollziehbar, denn die Schulden haben keinerlei positiven Effekt auf den, der sie hat - stattdessen muss er Zinsen bezahlen, umso mehr je mehr Zeit er sich mit der Rückzahlung lässt. Früher sperrte man säumige Schuldner in den Schuldturm, wo sie blieben bis ihre Schulden bezahlt oder sie verhungert waren. Angesichts des naturgemäßen Mangels an bezahlten Arbeitsmöglichkeiten im Schuldturm kann man sich vorstellen, welche Variante wahrscheinlicher war, aber das war nur die gerechte Bestrafung für die Sünden des Schuldners. Nur, diese Sicht auf Staatsschulden hinkt. Staatsschulden können ebenfalls problematisch sein, aber aus völlig anderen Gründen. 

Dienstag, 8. Januar 2013

Inszenierung von Macht

Von Stefan Sasse

Politiker sind Marken. Ihre Persönlichkeit ist oftmals das Produkt einer langen, komplexen Werbe- und Imagekampagne. Ein Image wird inszeniert, je nachdem welcher Anlass es gerade erfordert. Das kann hervorragend klappen - Adenauer als großväterlicher Fels in der Brandung, Kohl als bräsige Gemütlichkeit, Schröder als erster Proll der Nation - oder furchtbar daneben gehen, wie es im Hochglanzprospekt Guttenbergs oder eben im Falle der bürgerlichen Spießigkeit Christian Wulffs war. Dieses Projekt war schon alleine deswegen interessant, weil es eigentlich hätte funktionieren müssen. Wulff hatte gute Beziehungen zur BILD, hatte sich mit der Heirat mit Bettina Wulff ein halbwegs modernes Image zugelegt (Patchworkfamilie und Arschgeweih, durfte nie fehlen!) und wirkte generell auf die CDU-Art seriös. Geklappt hat es bekanntlich seit der Bundespräsidentenwahl nicht. War die generelle Charakterisierung Wulffs vor der Wahl noch die des "Schwiegersohns" (scheinbar ein Innbild an Spießigkeit), so verbaute ihm der Coup Sigmar Gabriels, Joachim Gauck zu nominieren, alle Chancen. Von Anfang an galt er als eine "politische" Wahl (oh Graus!), als der unterlegene Kandidat, die Niete, die nur aus niederen Motiven überhaupt zur Wahl steht und wegen getürkten Systems diese gewinnen kann und wird. Ein solcher Start würde ziemlich vielen Leuten den Imageaufbau verhageln.

Montag, 7. Januar 2013

So viele Erwerbstätige wie noch nie?

Von Jürgen Voß

Was passiert, wenn Etikettenschwindel zum Programm wird

Mit „So viele Erwerbstätige wie noch nie zuvor!“ macht heute, am 3. Januar, die Süddeutsche Zeitung auf, mit der Unterzeile “Erfolgsserie am deutschen Arbeitsmarkt: Auch 2012 stiegt die Beschäftigtenzahl – um mehr als 400 000. Das ist der sechste Rekord in Folge.“ Und in dem dazugehörigen Kommentar „Bilanz paradox“ beweist Nico Fried, inwieweit sich eine angebliche Qualitätszeitung von den einfachsten journalistischen Standards entfernen kann, wenn die Marschrichtung heißt: Trotz aller Irrungen und Wirrungen, trotz aller Desaster – wir halten die neoliberale Linie durch, egal wie viel Bomben auf den „Bonker“ fallen.

Freitag, 4. Januar 2013

TARGET 2-Salden, Leistungsbilanzdefizite und die Solvenzkrise im Bankensektor


Seit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise 2008/09 und dem Offenbarwerden der Verschuldungsprobleme mehrerer EU-Mitgliedsstaaten steigt das Interesse an der Funktionsweise des Echtzeit-Brutto-Zahlungssystem TARGET (=Trans-European Automated Real-time Gross settlement Express Transfer System) der EZB bzw. seiner aktuellen Version TARGET 2. Aufgabe dieses Systems ist es, den täglichen Transfer von Zentralbankguthaben zwischen den angeschlossenen Geschäftsbanken vorzunehmen und einen schnellen grenzüberschreitenden Liquiditätsausgleich zwischen den Kreditinstituten zu gewährleisten (Quelle: Deutsche Bundesbank, 2012).
Insbesondere Hans-Werner Sinn (2011, 2012) verurteilte unlängst die Tatsache, dass mehrere Mitgliedsländer im TARGET 2-System große negative Salden akkumuliert haben, als eine Form staatlicher Kreditvergabe an Länder mit chronisch defizitärer Leistungsbilanz, die auf eine europarechtlich unzulässige Vergemeinschaftung öffentlicher Schulden hinauslaufe.
Diese Ansicht ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. Insbesondere Buiter et al. (2011) kommen zu der Auffassung, dass ein positiver TARGET 2-Saldo einer nationalen Zentralbank (im Folgenden: NZB) keinen Kredit an die spezifischen Zentralbanken mit negativen Salden impliziert, sondern eine Forderung an die EZB darstellt. Daraus folgt für die Autoren, dass auch das Ausmaß, in dem Mitgliedsländer an etwaigen Verlusten im Zusammenhang mit den Target 2-Ungleichgewichten resultieren können, sich nicht nach der Höhe des jeweils nationalen Target 2-Saldos bemisst, sondern nach dem jeweiligen Anteil am Eigenkapital der EZB.
Vor dem Hintergrund dieser andauernden Kontroverse wird im Folgenden versucht, die Funktionsweise von TARGET 2 anhand eines einfachen Modells zu beschreiben und daraus einige Aussagen über deren Zusammenhang mit der Euro-Schuldenproblematik abzuleiten.

Donnerstag, 3. Januar 2013

Meteoriteneinschlag – die Mayas hatten doch recht!

Von Marc Schanz

Wer erinnert sich nicht an den fatalen Meteoriteneinschlag – damals, als die Dinosaurier ausstarben. Und für jeden, der diese Tragödie miterlebte, drängen sich die Parallelen zum heutigen Weltuntergang geradezu auf! Es sind die unsichtbaren Zeichen, die keinen Zweifel lassen: der Weltuntergang hat bereits begonnen, die Mayas hatten mit ihrer Weissagung recht!
Leider gibt es noch zu viele Unwissende, sie können die aus den Nicht-Ereignissen nicht die richtigen Schlüsse ziehen. Sie glauben, wenn ein Meteorit einschlägt wackelt die Erde, sie erkennen nicht, dass der Meteorit bereits eingeschlagen ist, dass der Himmel sich bereits verdunkelt hat und dass das Massensterben bereits beginnt!

Mittwoch, 2. Januar 2013

Klippenspaziergänge

Von Stefan Sasse

Die Debatte um die Ereignisse der amerikanischen Fiskalpolitik rund um den Jahreswechsel, die dem englischen Begriff der fiscal cliff folgend gerne als Fiskalklippe bezeichnet werden, waren wieder einmal ein Lehrstück, wie Halbwissen und Vorurteile zusammenwirken und einen rasant rotierenden, letztlich aber nicht besonders informativen Medienzirkus bilden können. Während die reinen Fakten des Phänomens - was ist die Fiskalklippe eigentlich? - im Normalfall zuverlässig transportiert wurden, war die Einordnung des Geschehens im Allgemeinen eine kleine Katastrophe. Häufig genug wurden Aussagen der streitenden Parteien einfach für bare Münze genommen und wiedergegeben und keinerlei Unterschied zwischen den Folgen der tatsächlichen Fiskalklippe und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens gemacht. Was blieb war der Eindruck, dass die amerikanische Politik völlig wahnsinnig geworden sei. Das ist natürlich ein schnell und gern geglaubtes Statement, aber das macht es nicht richtiger. Tatsächlich ist der Spaziergang entlang der Fiskalklippe - und um nichts anderes handelte es sich bei dem ach so dramatischen Showdown der letzten Wochen mit all seinen Livetickern und Countdowns - ein rein politisches Spiel gewesen, das mit ökonomischen Konsequenzen praktisch nichts zu tun hat und dem die Vergleichbarkeit mit der hostage situation um die Erhöhung des debt ceiling fast völlig abgeht.