Von Stefan Sasse
Politiker sind Marken. Ihre Persönlichkeit ist oftmals das Produkt einer langen, komplexen Werbe- und Imagekampagne. Ein Image wird inszeniert, je nachdem welcher Anlass es gerade erfordert. Das kann hervorragend klappen - Adenauer als großväterlicher Fels in der Brandung, Kohl als bräsige Gemütlichkeit, Schröder als erster Proll der Nation - oder furchtbar daneben gehen, wie es im Hochglanzprospekt Guttenbergs oder eben im Falle der bürgerlichen Spießigkeit Christian Wulffs war. Dieses Projekt war schon alleine deswegen interessant, weil es eigentlich hätte funktionieren müssen. Wulff hatte gute Beziehungen zur BILD, hatte sich mit der Heirat mit Bettina Wulff ein halbwegs modernes Image zugelegt (Patchworkfamilie und Arschgeweih, durfte nie fehlen!) und wirkte generell auf die CDU-Art seriös. Geklappt hat es bekanntlich seit der Bundespräsidentenwahl nicht. War die generelle Charakterisierung Wulffs vor der Wahl noch die des "Schwiegersohns" (scheinbar ein Innbild an Spießigkeit), so verbaute ihm der Coup Sigmar Gabriels, Joachim Gauck zu nominieren, alle Chancen. Von Anfang an galt er als eine "politische" Wahl (oh Graus!), als der unterlegene Kandidat, die Niete, die nur aus niederen Motiven überhaupt zur Wahl steht und wegen getürkten Systems diese gewinnen kann und wird. Ein solcher Start würde ziemlich vielen Leuten den Imageaufbau verhageln.
Danach wurde es relativ ruhig um Wulff, bis er mit "der Islam gehört zu Deutschland" den einen bleibenden Satz seiner Präsidentschaft aussprach und begann, die Integration als sein Thema zu entdecken. Das ermöglichte es ihm, sich gegen Teile seiner Partei, aber nicht unbedingt gegen Merkel zu profilieren (die ja schon in der Sarrazin-Debatte ihre Meinung ungewöhnlich deutlich ausgedrückt hatte). Erneut verschwand Wulff in der Versenkung typischer Präsidentschaftstätigkeiten. Es schien, als wäre er zwar als zweite Wahl, aber doch irgendwie in Ordnung angenommen, bis der große Skandal ausbrach. Was bereits bei der Wahl geschehen war, potenzierte sich nun noch. Wulff wurde planmäßig abgeschossen, sein versuchtes biederes Image gnadenlos gegen ihn gespielt. Er war der niedersächsische Ikarus, ein Emporkömmling, der gerne groß spielen wollte, dem das aber nicht in die Wiege gelegt war. Er war ein Repräsentant des wahren Deutschlands, mit jeder Faser. Aber wer schaut schon zu gerne in den Spiegel? Diese Zerstörung Wulffs offenbart eine tiefe Sehnsucht nach Übermenschen an den Schaltknöpfen der Macht. Andere haben das verstanden. Wulff wohl auch, wenngleich zu spät für ihn.
Merkel beispielsweise. Sie schwebt völlig über den Dingen. Sie ist praktisch unfehlbar. Geht etwas schief, findet sich immer jemand, dem die Verantwortung dafür zugeschoben werden kann. Sie hat das luftige Nicht-Regieren zum Prinzip erhoben. Natürlich regiert sie in Wahrheit, überhaupt keine Frage. Sie tut sogar außerordentlich viel, und sie macht auch relativ viel Quatsch. Nur was verbindet man in der Öffentlichkeit schon ernsthaft mit ihrer Person? Merkel konnte sich nie als klassischer Macher inszenieren, wie Schröder das gerne tat. Sie wählte eine ihr angemessene Art. Ihr Image ist fast unangreifbar geworden, und es ist auf sie zugeschnitten. Das musste Steinmeier 2009 auf die unangenehme Art erfahren, als er ihr Rezept kopieren wollte.
Eine andere Art Übermensch versuchte Guttenberg zu inszenieren. Er wollte den Glamour auf die Bühne der Politik bringen, ein Celebrity sein. Stil, Autorität und doch irgendwie noch Volksnähe, inszeniert durch das AC/DC T-Shirt im Bierzelt. Der Mann verstand sich darauf, das muss man ihm lassen. Er übertrieb allerdings; am Ende wurden seine Hochglanzfotos schon fast belächelt (Top-Gun-kompatible Fliegerbrille in Afghanistan, pars pro toto). In der amerikanischen politischen Arena wäre der Mann wie zu Hause. Hierzulande brach er Tabus, was die Inszenierung anbelangte und wagte das Experiment, ob man diese Art der politischen Zurschaustellung annehmen würde. Es scheiterte. Der schnelle Zusammenbruch Guttenbergs in der Doktoraffäre ließ ihn dastehen wie den Kaiser ohne Kleider. Nichts sieht das Volk so gerne wie die Helden von gestern in den Staub getreten.
Merkel hat das ebenso verstanden wie Kohl; beide inszenierten sich nie als Helden, sondern als Durchschnittstypen, unauffällig und provinziell, ja altbacken, aber auf eine sympathischere Art als Wulff. Sympathisch deshalb, weil sie nicht zu sehr an einen selbst erinnert. Wulff wollte gerne die großen Events mitmachen, jedes Mal in einem anderen Anzug und in schicker Limousine vorfahren. So wie es die meisten Leute auch gerne würden, wenn sie nur das Geld hätten. Merkel und Kohl dagegen inszenieren ihre Bescheidenheit; Kohl mit seinem ewigen Kassengestell, Merkel mit ihren unauffälligen Kostümen.
Den Abschluss dieser kurzen Geschichte der Inszenierung macht Schröder. Ich nannte ihn vorher den ersten Proll der Nation, und er war es. Er kokettierte gerne mit Bildungsferne, konnte völlig glaubhaft ein Bier auf dem Jahrmarkt trinken und in Gummistiefeln herumlaufen. Sein "Basta" war echt. Man nahm ihm die ganze Attitüde ab. Im Gegensatz zu Guttenberg hatte er aber einen Abwehrmechanismus gegen den Angriffsreflex von Volk und Medien: sobald die Gefahr bestand, dass er allzuheftig attackiert wurde, brachte er sich in die Position des Underdogs. Er machte es bei der Agenda2010 im Jahr 2003, als er seine Partei brutal mit der Rücktrittsdrohung auf Linie zwang (nichts kommt so gut an wie die eigene Partei zu besiegen) und er tat es mit der Neuwahlforderung 2005. Beide Male bestimmte er selbst das Bild über sich, im Guten wie im Schlechten.
Man sollte die Inszenierung von Macht nicht allzu vorschnell als hohle Veranstaltung ohne Sinn, als pures politisches Spiel abtun. Ihre Funktion ist es, sich den Rücken freizuhalten. Wer ständig Angriffe der Presse gegen sich abwehren und ein schlechtes Image neutralisieren muss, hat wenig politisches Kapital für andere Dinge übrig. Merkel und Kohl nutzten eine Teflonoberfläche, um Angreifer von vornherein abzuschrecken; Schröder nutzte die Energie des Angriffs, drehte ihn ab und schoss damit davon. Wulff und Guttenberg brachen unter dem Druck zusammen. Die einen brachten ihre politischen Projekte durch; die anderen scheiterten.
Danach wurde es relativ ruhig um Wulff, bis er mit "der Islam gehört zu Deutschland" den einen bleibenden Satz seiner Präsidentschaft aussprach und begann, die Integration als sein Thema zu entdecken. Das ermöglichte es ihm, sich gegen Teile seiner Partei, aber nicht unbedingt gegen Merkel zu profilieren (die ja schon in der Sarrazin-Debatte ihre Meinung ungewöhnlich deutlich ausgedrückt hatte). Erneut verschwand Wulff in der Versenkung typischer Präsidentschaftstätigkeiten. Es schien, als wäre er zwar als zweite Wahl, aber doch irgendwie in Ordnung angenommen, bis der große Skandal ausbrach. Was bereits bei der Wahl geschehen war, potenzierte sich nun noch. Wulff wurde planmäßig abgeschossen, sein versuchtes biederes Image gnadenlos gegen ihn gespielt. Er war der niedersächsische Ikarus, ein Emporkömmling, der gerne groß spielen wollte, dem das aber nicht in die Wiege gelegt war. Er war ein Repräsentant des wahren Deutschlands, mit jeder Faser. Aber wer schaut schon zu gerne in den Spiegel? Diese Zerstörung Wulffs offenbart eine tiefe Sehnsucht nach Übermenschen an den Schaltknöpfen der Macht. Andere haben das verstanden. Wulff wohl auch, wenngleich zu spät für ihn.
Merkel beispielsweise. Sie schwebt völlig über den Dingen. Sie ist praktisch unfehlbar. Geht etwas schief, findet sich immer jemand, dem die Verantwortung dafür zugeschoben werden kann. Sie hat das luftige Nicht-Regieren zum Prinzip erhoben. Natürlich regiert sie in Wahrheit, überhaupt keine Frage. Sie tut sogar außerordentlich viel, und sie macht auch relativ viel Quatsch. Nur was verbindet man in der Öffentlichkeit schon ernsthaft mit ihrer Person? Merkel konnte sich nie als klassischer Macher inszenieren, wie Schröder das gerne tat. Sie wählte eine ihr angemessene Art. Ihr Image ist fast unangreifbar geworden, und es ist auf sie zugeschnitten. Das musste Steinmeier 2009 auf die unangenehme Art erfahren, als er ihr Rezept kopieren wollte.
Eine andere Art Übermensch versuchte Guttenberg zu inszenieren. Er wollte den Glamour auf die Bühne der Politik bringen, ein Celebrity sein. Stil, Autorität und doch irgendwie noch Volksnähe, inszeniert durch das AC/DC T-Shirt im Bierzelt. Der Mann verstand sich darauf, das muss man ihm lassen. Er übertrieb allerdings; am Ende wurden seine Hochglanzfotos schon fast belächelt (Top-Gun-kompatible Fliegerbrille in Afghanistan, pars pro toto). In der amerikanischen politischen Arena wäre der Mann wie zu Hause. Hierzulande brach er Tabus, was die Inszenierung anbelangte und wagte das Experiment, ob man diese Art der politischen Zurschaustellung annehmen würde. Es scheiterte. Der schnelle Zusammenbruch Guttenbergs in der Doktoraffäre ließ ihn dastehen wie den Kaiser ohne Kleider. Nichts sieht das Volk so gerne wie die Helden von gestern in den Staub getreten.
Merkel hat das ebenso verstanden wie Kohl; beide inszenierten sich nie als Helden, sondern als Durchschnittstypen, unauffällig und provinziell, ja altbacken, aber auf eine sympathischere Art als Wulff. Sympathisch deshalb, weil sie nicht zu sehr an einen selbst erinnert. Wulff wollte gerne die großen Events mitmachen, jedes Mal in einem anderen Anzug und in schicker Limousine vorfahren. So wie es die meisten Leute auch gerne würden, wenn sie nur das Geld hätten. Merkel und Kohl dagegen inszenieren ihre Bescheidenheit; Kohl mit seinem ewigen Kassengestell, Merkel mit ihren unauffälligen Kostümen.
Den Abschluss dieser kurzen Geschichte der Inszenierung macht Schröder. Ich nannte ihn vorher den ersten Proll der Nation, und er war es. Er kokettierte gerne mit Bildungsferne, konnte völlig glaubhaft ein Bier auf dem Jahrmarkt trinken und in Gummistiefeln herumlaufen. Sein "Basta" war echt. Man nahm ihm die ganze Attitüde ab. Im Gegensatz zu Guttenberg hatte er aber einen Abwehrmechanismus gegen den Angriffsreflex von Volk und Medien: sobald die Gefahr bestand, dass er allzuheftig attackiert wurde, brachte er sich in die Position des Underdogs. Er machte es bei der Agenda2010 im Jahr 2003, als er seine Partei brutal mit der Rücktrittsdrohung auf Linie zwang (nichts kommt so gut an wie die eigene Partei zu besiegen) und er tat es mit der Neuwahlforderung 2005. Beide Male bestimmte er selbst das Bild über sich, im Guten wie im Schlechten.
Man sollte die Inszenierung von Macht nicht allzu vorschnell als hohle Veranstaltung ohne Sinn, als pures politisches Spiel abtun. Ihre Funktion ist es, sich den Rücken freizuhalten. Wer ständig Angriffe der Presse gegen sich abwehren und ein schlechtes Image neutralisieren muss, hat wenig politisches Kapital für andere Dinge übrig. Merkel und Kohl nutzten eine Teflonoberfläche, um Angreifer von vornherein abzuschrecken; Schröder nutzte die Energie des Angriffs, drehte ihn ab und schoss damit davon. Wulff und Guttenberg brachen unter dem Druck zusammen. Die einen brachten ihre politischen Projekte durch; die anderen scheiterten.
Interessante Gedanken. Meiner Meinung nach ist es mit dem Image wie mit einer guten Lüge -> es muss möglichst viel Wahrheit enthalten sein. Das ist jetzt natürlich spekuliert, weil ich die alle nicht in Wirklichkeit kenne, aber ich denke bei Schröder und Merkel besteht das Image eben aus viel Wahrheit, was dann gerne nochmal hervorgehoben wird. Ich habe nicht gerade eine hohe Meinung von Merkel, aber diese Bodenständigkeit und das Fehlen von persönlicher Eitelkeit nehme ich ihr ab. Ich glaube ihr auch, dass sie gerne privat mit ihrem alten Golf und Mann zum Wandern fährt und ihn dann bekocht. Es ist ja eigtl unerheblich, obs wirklich so ist, aber das glaube ich ihr.
AntwortenLöschenGenau wie ich Schröder das Hemdsärmliche abgekauft hab. Sicher wird das auch inszeniert, aber zumindest nach meiner Gefühlslage durchaus glaubwürdig und einfach so, dass man das Bestehende nochmal betont. Aber es wirkt auf mich nicht überinszeniert.
Bei Wulff und Guttenberg hingegen hatte ich immer das Gefühl, irgendwie manipuliert zu werden, als ob man mich nochmal extra auf ein bestimmtes Image hinweisen müsste. Nach dem Motto: "Schaut, wie modern ich bin" Oder galant oder volksnah. Auf mich wirkte das unecht, als hätte man sich erst Gedanken ums Image gemacht und dann versucht, sich danach zu verhalten und - natürlich ebenfalls rein subjektiv - hatte ich dann auch das Gefühl, dass es da mehr aufzudecken gab als zb bei Merkel. Unvorstellbar, dass Diekmann iwann exklusiv verkündet, dass Merkel einen privaten Fuhrpark an Ferraris oder so hat :)
...na ja.....so wie die Merkel nun mal auschaut: was könnte die schon tun, um aufzufallen....?
Löschenund Schröder ist nn mal ein richtiger Proll....das war er immer und das wird er immer bleiben....da nützt auch das dickste Konto nicht...
Keine schlechte Analyse, dennoch geht sie in manchem fehl. Es ist ja weit verbreitet, Kohl und Merkel zu vergleichen in dem man sie gleichsetzt. Was bei der oberflächlichen Betrachtung übersehen wird: Angela Merkel genießt weit höhere Popularitätswerte als Helmut Kohl während seiner Kanzlerschaft. Wenn beide sich in ihrer Durchschnittlichkeit inszenieren, so muss das Gründe haben. Ich glaube, diese sind vielfältig. Kohl kam auf einem verfassungsrechtlich vorgesehenen Weg, aber ohne Wahlen an die Macht und verdrängte den populären Amtsinhaber. Sein Machtinstinkt trat sofort offen zu Tage. Der Pfälzer versprühte in den ersten Jahren auch ein hohes Maß an Gestaltungswillen, doch mangelte es ihm wie Merkel an spezifischen Know-how und Fortune. Merkel hat ihren dahingehenden Ergeiz mit der Bundestagswahl 2005, die sie eben wegen ihrer Reformfreudigkeit fast verloren hätte, und ihrem einzigen selbst verantworteten Projekt, dem Gesundheitsfonds, begraben.
AntwortenLöschenDazu war die politische Szenerie der Nachkriegsära konfrontativer. Die Frontstellung zwischen Freien und Sozialisten löste sich erst in den 1990er Jahren auf, genauso wie sich die Wählerschaft wandelte. Damals kämpfte die CDU noch gegen die Abtreibung und die SPD für Dauersubventionen von Kohle und Stahl. Heute möchte die Partei Merkels mit dem gleichen Gustus ein bestimmtes Rollenbild von Familie und Frauen durchbringen, während die Sozialdemokraten sich um Leiharbeiter und Niedriglöhner kümmern wollen. Die Fronten sind weicher geworden.
Kohl, obwohl in der Partei stark verankert, stand nach 8 Jahren Kanzlerschaft vor dem innerparteilichen Sturz und der Abwahl. Merkel dagegen hat wenig Truppen in der Partei, ihre Macht jedoch wächst permanent. Mehr denn je ist die heutige Währung Popularität. Dabei ist mir beim Betrachten der letzten Spiegel-Rangliste der populärsten Politiker etwas aufgefallen: derzeit rangieren Poltiker mit Zustimmungswerten von etwas über 50%, wie Hannelore Kraft oder von der Leyen bereits ganz vorne. Kohl hatte meist ähnliche Werte und lag damit im Mittelfeld.
Zu Wulff: Der ehemalige Bundespräsident hat sich vor einigen Jahren zugunsten von Bettina von seiner langjährigen Partnerin getrennt. In seinem Alter ist das eine strategische Entscheidung, man trennt sich nach Jahrzehnten nicht, weil man sich "auseinandergelebt" hat. Christian Wulff zog die Glamourwelt an, so wählte er seinen Weg ins Schloss Bellevue und sein Umfeld inklusive Partnerin. Das hatte seinen Preis und er hat bitter dafür bezahlt. In der Krise hat er sich um Kopf und Amt geschwiegen, wo die große Rede angesagt war.
Gerhard Schröder hat (eventuell) 2005 unter heftigsten inner- und außerparteilichen Druck die Nerven verloren. Vielleicht wollte er auch einfach nur die Bedingungen seines Abgangs selbst bestimmen, denn seine Kanzlerschaft war nie auf mehr als acht Jahre angelegt. Er war mehr ein Spieler denn ein Proll, so sicherte er sich die Kanzlerkandidatur, so setzte er sich gegen seinen Rivalen Lafontaine durch, so gewann er die Wiederwahl und so bestimmte er die Agenda 2010. Das gefiel eine zeitlang dem Publikum, so wie man den Gewinner am Roulette-Tisch bewundert. Bis die Glückssträhne reißt.
Ich denke der entscheidende Gedanke ist dieser hier:
AntwortenLöschen"Merkel beispielsweise. Sie schwebt völlig über den Dingen. Sie ist praktisch unfehlbar. Geht etwas schief, findet sich immer jemand, dem die Verantwortung dafür zugeschoben werden kann. Sie hat das luftige Nicht-Regieren zum Prinzip erhoben. Natürlich regiert sie in Wahrheit, überhaupt keine Frage. Sie tut sogar außerordentlich viel, und sie macht auch relativ viel Quatsch. Nur was verbindet man in der Öffentlichkeit schon ernsthaft mit ihrer Person?"
Es geht um Personalisierung. Einer Person lässt sich viel leichter gegenübertreten, als einer Funktion ohne Gesicht. Ersteres kennt einjeder aus seinem Alltag, und durch diese Routine weiss man seinen Gegenüber relativ schnell einzuschätzen, man hat relativ schnell und sogar meißt unbewusst eine Meinung. Deswegen kann man einen Skandal um eine Person viel besser greifen als einen um eine Sache.
Beispiel: Im Fall Wulff, wo es im besten Fall um Korruption, viel eher aber um einen Machtkampf zwischen Poltik und Öffentlichkeit um die gesellschaftliche Deutungshoheit ging, war medial ein Dauerbrenner ungeahnten Ausmaßes. Wer weiss noch, wie viele Seite-eins-Schlagzeilen die Affäre in der Bild hervorbrachte? Wenn jetzt Menschenleben an deutschen Transplantationszentren verhandelt werden, ist das zwar den einen oder anderen Artikel, nicht aber einen nennenswerten öffentlichen Aufschrei wert.
Was zunächst nach völlig fehlgeleiteten Prioritäten aussieht erklärt sich aber wohl damit, dass man einem Transplantationszentrum nicht auf entsprechende Weise böse sein kann. Dies liegt daran, dass das emotional nicht möglich ist. Empathie und Sympathie sind Empfindungen, die wir nur anderen Lebewesen, am ehesten Menschen, entgegen bringen können. Man stelle sich nur vor, die Medien würden einen der Ärzte mit Namen und Gesicht auf die Titelseiten bringen. Dann wäre was los. So aber können wir uns der Thematik nur rational nähern, und das geschieht eben wesentlich unaufgeregter.
Das geniale an Merkel ist, dass sie um dieses Problem weiss und daher immer als Amtsträger agiert. Ihre erste Wahl hat sie als fähige Parteichefin gewonnen, ihre zweite als begnadete Strippenzieherin. Beides ist auch ein transportiertes Image, aber keines, was mit ihrer Person verbunden ist, sondern mit ihrem Amt.
"Man sollte die Inszenierung von Macht nicht allzu vorschnell als hohle Veranstaltung ohne Sinn, als pures politisches Spiel abtun. Ihre Funktion ist es, sich den Rücken freizuhalten. Wer ständig Angriffe der Presse gegen sich abwehren und ein schlechtes Image neutralisieren muss, hat wenig politisches Kapital für andere Dinge übrig."
Zustimmung. Was passiert, wenn das Image nicht in medial akzeptabler Weise transportiert wird, können wir im Fall Steinbrück beobachten. Wieder wirken die bemerkenswerten medialen Kräfte der Personalisierung, und meiner Meinung nach nimmt diese leidige Debatte gemessen an ihrer politischen Bedeutung unverhältnismäßig viel Raum in der Öffentlichkeit ein: Ich würde lieber über andere Dinge lesen und sprechen, anstatt meine Aufmerksamkeit an derartigem zu vergeuden.
@ Stefan Sasse
AntwortenLöschenIch stimme weitgehend zu. Die Parallele zwischen Merkel und Kohl ist allerdings, denke ich, bestenfalls halb richtig. Es stimmt, dass beide weder als Glamour-Gestalten noch als "Macher", sondern betont unprätentiös auftreten. Keinem von beiden würde man (wie Ariane schreibt) einen "privaten Fuhrpark an Ferraris" zutrauen. Damit erschöft sich aber die Parallele auch schon.
Du schreibst in Bezug auf Merkel (ganz richig): "Sie schwebt völlig über den Dingen. Sie ist praktisch unfehlbar. Geht etwas schief, findet sich immer jemand, dem die Verantwortung dafür zugeschoben werden kann." Das konnte man von Kohl wirklich nicht sagen. Er war der "Mann aus dem Volke", der "Dicke aus Oggersheim", der Sonntags einen Pfälzer Saumagen vertilgt. Ein über der Politik schwebendes Wesen aber war er nie. Deine Charakterisierung von Merkel passt aus meiner Sicht deutlich besser auf einen anderen Politiker: auf Hitler. Auch er hatte sich dieses Image des unbestechlichen, persönlich bescheidenen und über der kleinlichen Tagespolitik schwebenden "Staatslenkers" zugelegt, der zwar alles irgend wie "lenkte", persönlich aber für nichts verantwortlich gemacht wurde ("Wenn das der Führer wüßte ..."). Das soll nicht heißen, dass Merkel und Hitler allgemein miteinander vergleichbar sind, aber die Parallele ist doch auffällig.
Offenbar profitieren viele Politiker dabei von einer typisch deutschen Neigung, Form und Inhalt zu verwechseln. Man vertraut hierzulande Politikern, die nüchtern, unbestechlich und bescheiden auftreten. Ein Filou wie Berlusconi hätte in Deutschland keine Chance, nicht einmal mit seinem Medienimperium im Hintergrund. Die Vorstellung aber, dass ein korrupter Filou auch gute, der unbestechliche "Staatslenker" aber katastrophal schlechte Politik machen kann, ist hier anscheinend nur schwer zu vermitteln. Durch falsche Politik Europa zu ruinieren, ist in Ordnung (wenn auch vielleicht bedauerlich), aber wehe, jemand greift in die Portokasse ...
Also Merkel mit Hitler zu vergleichen, ist in keinem Punkt möglich. Schon die historischen Umstände sind ganz andere, das Wahlvolk damals noch von Ständen und heute von Schichten geprägt. Merkel muss in einem demokratischen System Mehrheiten gewinnen und organisieren, Hitler lebte zu einer Zeit, wo es kaum demokratische Übung gab und Repressionen üblich waren. Das erfordert ganz andere Charaktere.
LöschenHitler hatte einen unbändigen Gestaltungswillen, der alle Schichten der Gesellschaft erfasste bis hin zu Kultur und Geschichte. Bei Merkel weiß man nach 7 Jahren Kanzlerschaft immer noch nicht, wofür sie steht und wofür sie notfalls bereit wäre, ihr Amt zu opfern. Damit ist sie ein Unikum der Geschichte. Bei allen Kanzlern vor ihr wusste man das nach kurzer Zeit - inklusive Hitler. Es gibt keine Parallele.
@ In Dubio
LöschenWovon ich gesprochen habe, waren Parallelen hinsichtlich des IMAGES, das Hitler und Merkel sich gegeben haben. Ich habe weder behauptet, dass die politischen Ziele oder die Methoden oder Charaktere beider vergleichbar sind noch dass die Zeitumstände für beide gleich waren (wenn ich auch mittlerweile hier und da gewisse Parallelen zu den frühen dreißiger Jahren erkennen kann ...). Was Du schreibst, geht deshalb an meiner Aussage vorbei.
Und nur als Anmerkung: dass man bei Hitler "nach kurzer Zeit" wußte, "wofür er steht", ist schlicht falsch. Tatsächlich hat das für lange Zeit nur eine Minderheit tatsächlich gesehen, die dann auch prompt verfolgt und (mund-)tot gemacht wurde. Alle anderen konnte er jahrelang täuschen, wobei sich allzu viele auch nur zu bereitwillig täuschen ließen. Richtig ist allenfalls, dass man es hätte wissen können, wenn man denn gewollt hätte ...
Im Frühjahr 1932 erreichte die NSDAP bei den Reichstagswahlen ihren eigentlichen Höhepunkt mit 37% der Wählerstimmen. Im Herbst 1932 sank der Anteil um 4%-Punkte deutlich. Hitler hatte in seiner Wählerwirksamkeit bereits seinen Zenit überschritten, bevor er überhaupt Reichskanzler wurde. Die Wahlen 1933 waren weitgehend irregulär, mit Hilfe großer Repressionen erreichte die NSDAP mit 44% Prozent ihr bestes Wahlergebnis, das keines war. Man kann also durchaus davon ausgehen, dass die Deutschen schon 1932 wussten, aus welchem Holz der Faschist geschnitzt war.
LöschenUnd ich dachte schon, die linken Polit-Blogger trauen sich nicht an das Thema Wulff ran.
AntwortenLöschenBin dann mal auf den Sprengsatz gespannt...
Guter Artikel!
Spannende Analyse, danke!
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