Artikel erschien ursprünglich auf Deliberation Daily.
Je mehr man über die Hintergründe der Tötungen von Michael Brown und nun auch Kajieme Powell, eines 25jährigen vermutlich geisteskranken Afroamerikaners, in Ferguson und St. Louis erfährt, desto mehr drängt sich der Eindruck auf, dass das Problem in der Tat systemisch ist - wie ich bereits in meinem Artikel zu Ferguson thematisierte. Darin hatte ich den Fokus auf die militärische Bewaffnung der Polizei und ihr damit verbundenes Auftreten, den inhärenten Rassismus der amerikanischen Gesellschaft und die desolate wirtschaftliche Lage der (schwarzen) amerikanischen Unterschicht gelegt. Doch es kommen noch mehr Faktoren zu diesem toxischen Cocktail hinzu. Es geht auch um den Rassismus, vor allem aber um die Polizei und ihre Abläufe selbst, die geradezu perversen Anreizen unterliegen.
Zuerst noch einmal zum Thema Rassismus. Das Problem ist wesentlich ausgeprägter als ursprünglich angenommen und zeigt, wie ein desillusionierter Post zeigt, der optimistischen Vorstellung eines "post-rassistischen" Amerika den Mittelfinger. Es bekommt offensichtlich, dass diese Vorstellung eines Amerika, in dem Rasse keine Rolle mehr spielt in etwa so haltbar ist wie die Annahme, dass die Gleichstellung der Frauen mit ihrer rechtlichen Gleichberechtigung erreicht wäre. Lang eingeübte Verhaltens- und Denkmuster lassen sich so leicht nicht beseitigen, und die schmeichelnde Vorstellung, man habe das jetzt überwunden, war nur eine Fantasie der Weißen, eine Selbst-Segregation, die damit keine Notwendigkeit eines schlechten Gewissens mehr haben mussten. Entsprechend aggressiv reagieren sie auch auf die Zerstörung dieses Traumbildes, wie aktuelle Meinungsumfragen zeigen:
- Auf die Frage, ob die Polizei Schwarze generell anders behandle als Weiße, antworten 76% der Schwarzen und nur 40% der Weißen mit Ja
- Auf die Frage, ob die Frage der Rasse bei der Bewertung der Ereignisse zu viel gewichtet wird, antworten 80% der Schwarzen mit Nein, aber nur 37% der Weißen
- Nach den Problemen ihrer Gemeinde gefragt, gaben die Schwarzen zu jeweils rund 20% mehr an, die entsprechenden Probleme zu haben als Weiße (Gefragt wurde: Mangel an guten Jobs, Mangel an Möglichkeiten für junge Leute, Mangel an Geldmitteln für die öffentlichen Schulen, Verbrechen, Rassenspannungen)
Weiße sehen die Ereignisse offensichtlich völlig anders als Schwarze. Sie sind wesentlich empfänglicher für die Idee, dass Michael Brown ein Einzelfall sei und zudem mitschuldig sei, sie wollen die Unruhen beendet sehen, und sie erkennen in der Frage der Hautfarbe kein Problem, dessen man sich stellen müsse. Bei den Schwarzen ist es genau umgekehrt. Es ist so, als ob beide Bevölkerungsgruppen in völlig unterschiedlichen Ländern lebten. Angesichts dieser Zahlen verwundert es auch nicht, dass eine praktisch komplett weiße Polizeitruppe vollkommen unangemessen gegen die Proteste der Schwarzen vorgeht.
Doch die Polizeigewalt beruht noch auf ganz anderen, institutionellen Faktoren. Der Tod Kajieme Powells etwa wirft entsprechend viele Fragen auf. So ist die Version, die die Polizei erzählt - von einem aggressiv auftretenden Mann, der mit erhobenem Messer auf sie losgeht und auf eine Entfernung von nur einem Meter erschossen wird - durch das mittlerweile veröffentlichte Video überhaupt nicht gedeckt. Powell war mehr als drei Meter entfernt, und seine Hände waren an der Seite seines Körpers. Die beiden Polizisten feuern neun Schüsse in ihn, auch, als er bereits am Boden ist.
Das Verstörende an diesem Vorfall aber ist, dass sich die St. Louis Polizei keiner Schuld bewusst ist. Sie gab das Video auch für die Veröffentlichung frei. Der sofortige Einsatz von tödlicher Gewalt, wo ein Taserschuss es auch getan hätte, stellt nach ihren Richtlinien überhaupt kein Problem dar; allein 2012 wurden 426 Menschen von der Polizei erschossen. Dazu passt, dass es erschreckend wenig Informationen über die Tötungen durch Polizisten in den USA generell gibt. Das statistische Material ist voller Lücken, und zentrale Informationen werden gar nicht erst erhoben.
Doch das verstörendste Detail überhaupt dürfte folgende Statistik für Ferguson sein: im Durchschnitt ergingen 2012 drei Haftbefehle und 321$ in Geldbußen an jeden Haushalt. Noch einmal: im Durchschnitt drei Haftbefehle und 321$ PRO HAUSHALT UND JAHR. Da wir bereits gehört haben, dass Schwarze in einem Verhältnis von 9:1 gegenüber Weißen verhaftet werden, dürften die realen Erfahrungen für die schwarze Bevölkerung noch wesentlich höher liegen.
Die Geldbußen und Strafbefehle hängen fast alle mit Geschwindigkeitsübertretungen, Straßenüberquerungen an der falschen Stelle und ähnlichen vernachlässigbaren Vergehen zusammen. Wenn man, sagen wir, ein weißes Mitglied der Mittelschicht ist, ist das auch alles kein echtes Problem. Für 50-100$ erhält man einen Anwalt, und für eine Zahlung von 150-200$ wird das ganze außergerichtlich geregelt. Hat man aber, sagen wir, als schwarzes Mitglied der Unterschicht, dieses Geld nicht, so wird man verhaftet, vor Gericht gestellt, kann die Strafe aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bezahlen, wird ins Gefängnis gesteckt und/oder der Führerschein entzogen, was zum Verlust des Jobs führt, etc. - Marginal Revolution bezeichnet dieses System als die Rückkehr des Schuldturms, und darauf läuft es auch hinaus. Die Stadt vergibt ungeheuer viele Strafzettel und sperrt Bürger für die geringsten Vergehen ein. Warum? Weil es sich lohnt.
Und hier kommen wir zum perversesten Anreiz überhaupt. Strafzahlungen dieser Art stellen die zweithöchste Einkommensquelle für Ferguson dar. Die Polizei ist umso besser finanziert, je mehr Strafzettel sie ausstellt. Das heißt, dass die Stadtverwaltung und die Polizei ein Interesse daran haben, möglichst viele Strafbefehle auszustellen und dafür zu sorgen, dass möglichst viele Bürger davon betroffen sind. Kein Wunder begreift sich die Polizei als Gegner der Bürger - sie ist es. Und ebenso kein Wunder, dass eine rein weiße Polizei hauptsächlich schwarze Bürger anhält und dieser modernen Straßenräuberei unterwirft. Man scheißt nicht, wo man isst, das ist vollkommen normal. Und, wie es die Amerikaner sagen, "to add insult to injury", wenn die Menschen dann vor Gericht gezerrt werden, schließen die Gerichte gerne verfassungswidrig ihre Türen für alle nicht direkt Beteiligten, etwa die Kinder eines Angeklagten. Die muss man dann in einem Park, auf dem Parkplatz oder bei Freunden lassen - wofür man dann wegen Kindesgefährdung angezeigt wird. Aber da man ja bereits weiß, dass die Beschuldigten sich keinen Anwalt leisten können, besteht für die völlig außer Kontrolle geratene Exekutive hier auch keine Gefahr, sich im Zusammenspiel mit der Judikative zu bereichern. Das ist reine Klassenjustiz.
Wenn man diese Geschichten hört, wenn man diese Zahlen liest, dann verwundert es nicht, dass die Menschen in Ferguson auf die Straße gehen. Es verwundert eher, wie ruhig sie bisher geblieben sind.
Blog wird nur noch als Aggregatblog betrieben. Beiträge erscheinen jetzt unter www.deliberationdaily.de - Kommentarfunktion abgeschaltet
Freitag, 22. August 2014
Montag, 18. August 2014
Vermischtes
Artikel erschien ursprünglich auf Deliberation Daily.
Wenn es was zu sagen gibt, aber der Stoff nicht für einen ganzen Artikel reicht, dann kommt es ins Vermischte. Here we go. Heute zum Thema NSA/BND-Affäre, Ferguson und Demokratie und Qualitätsjournalismus.
BND-Affäre: Als Opfer hat man's leichter
Die unerträgliche Heulerei in der NSA-Affäre (siehe mein Beitrag dazu hier) kommt jetzt als Bumerang nach Deutschland zurück. Denn genauso wie die USA gute Gründe haben, in Deutschland zu spionieren, hat Deutschland gute Gründe, in der Türkei zu spionieren. Wie wir für die USA ist die Türkei für uns ein NATO-Partner an der Peripherie, eine bedeutende Regionalmacht, der man nicht so ganz vertrauen kann, weil sie eben auch ihre eigenen Interessen hat und eine eigene Politik fährt. Der oben verlinkte Zeit-Artikel hat gute Gründe dafür, die Türkei auszuspionieren (die Situation mit ISIS und den Kurden ist nur einer davon), und die Reaktion der türkischen Regierung auf die Enthüllungen ist quasi ein Spiegelbild der deutschen. Botschafter einbestellen, sich beklagen, Backen aufblasen, feststellen, dass man den Verbündeten so krass brüskieren dann doch nicht kann, langsam abebben lassen. Auch die Qualifizierungsversuche der ZEIT (die NSA ist böser, weil sie anlasslos alles überwacht) macht da keinen großen Unterschied mehr, wie Lenz Jacobsen am Ende des Artikels auch eingestehen muss: letztlich haben in Sachen Geheimdienste eben alle Dreck am Stecken, und der moralische High-Ground, auf den die Deutschen sich zurückgezogen haben, war in Wahrheit eher sehr, sehr dünnes Eis. Und das ist jetzt gebrochen, und der Platscher, den es gemacht hat, ist ziemlich groß. Es wird Zeit, endlich zu einer realistischen Sicht auf Geheimdienste zu kommen. Anlasslose Massenüberwachung der Bürger im Stil der NSA gehört in der Tat unterbunden, und wenn die Amerikaner dies nicht freiwillig tun, so muss der BND eben zu einer seiner Hauptaufgaben schreiten, der Spionageabwehr. Dass Geheimdienste allerdings sensible Institutionen aushorchen, auch bei Verbündeten von gewisser Bedeutung und fragwürdiger Loyalität, ist eben Standard. Und entweder man sorgt dafür, dass die Loyalität nicht mehr fragwürdig ist - was kein Weg ist, den ich empfehlen oder propagieren würde - oder man lebt eben damit und tut sein Bestes, die resultierenden Probleme zu beseitigen. Den Kopf weinend in den Sand zu stecken und so zu tun als ob man ein unschuldiges Opfer sei sollte aber allenfalls ein bitteres Lachen provozieren.
Die Anklage gegen Perry ist ungeheuer lächerlich (Englisch)
In Texas kann man gerade mal wieder gut beobachten was passiert, wenn man Politik über die Gerichte macht. Die oppositionellen Demokraten strengen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Gouverneur Rick Perry an, weil der angeblich seine Macht missbraucht habe. Es geht um ein Veto, das möglicherweise im Dienst seiner politischen Freunde geschah. Chait - nicht gerade ein enger Verbündeter der Republicans - bezeichnet dies völlig zu Recht als lächerlich und warnt ebenso zurecht vor einer Kriminalisierung von Politik. Hier handelt es sich um einen politischen Konflikt, der das Zeug zu einem politischen Skandal haben könnte. Aber solche Dinge werden über politische Prozesse und die Medien geregelt (und gegebenenfalls über einen Rücktritt) und nicht über Gerichte. Die auch in Deutschland zunehmende Tendenz, politische Konflikte über die Judikative zu lösen, sprengt effektiv den demokratischen Rahmen. Die Judikative wählt man nicht, den Gouverneur schon. Also entscheidet das auch an den Wahlurnen.
Bullshit im Sekundentakt
Das Bildblog nimmt den Anspruch von Focus Online, ein Medium des Qualitätsjournalismus zu sein, anhand einiger Beispiele gekonnt auseinander. Generell ist die ständige Behauptung, dass die Leitmedien "Qualität" abliefern und der Rest eben "nur" Meinung ablädt Unsinn. Genauso wie die oben diskutierte Moralisierung bei der Abhördebatte dürfte auch dies sich für die Leitmedien als Bumerang erweisen. Wenn Medien wie Focus Online für sich das Label "Qualitätsmedien" beanspruchen können, dann ist es völlig wertlos. Oder will das FAZ-Feuilleton mit FocusOnline-Panorama in einem Atemzug genannt werden? Tja, das werden sie jetzt.
Wie die Weißen ihre politische Macht in Ferguson bewahrt haben, und warum (Englisch)
Vox erklärt, wie die genauen Verhältnisse (siehe hier) von der völligen Unterrepräsentanz der Schwarzen in einer 67% schwarzen Community zustandegekommen sind. Es ist eine typisch amerikanische Geschichte: einige starke Interessengruppen (in diesem Fall ein Gewerkschaftsbündnis mehrheitlich weiß geprägter Gewerbe) sorgt für eine hohe Wahlbeteiligung der Interessengruppe und drängt damit die unorganisierte Mehrheit aus dem Rennen. Wir haben ähnliche, wenngleich lange nicht so scharf ausgeprägte Probleme auch in Deutschland (etwa die Volksabstimmung in Hamburg über eine längere Grundschulzeit), aber in den USA werden sie durch ein Element massiv verstärkt: die große Menge demokratisch legitimierter Posten. Die Einwohner von Ferguson müssen über eine Vielzahl verschiedener Posten abstimmen und Kandidaten dafür bestimmen, was für den Durchschnittsbürger einen kaum akzeptablen Aufwand darstellt. Die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen liegt daher nicht bei 30-40% wie bei uns, wo ich im Zweifel immerhin die Parteiliste abnicken kann. Stattdessen liegt sie bei 12-15%. Und da ist der hohe Mobilisierungsgrad der organisierten Interessengruppen bereits drin! Da das amerikanische Demokratieverständnis zudem eine "winner takes it all"-Mentalität pflegt, die dem Machtmissbrauch der Exekutive und Legislative, wenn sie einmal gewählt sind, nur wenige Schranken setzt (siehe Gerrymandering), wir die Wahlbeteiligung noch künstlich niedergedrückt. In Ferguson sorgten die herrschenden Klassen (anders kann man das nicht nennen) dafür, dass Wahlen in ungeraden Jahren im April stattfinden. Da Kongress- und Präsidentschaftswahlen in geraden Jahren im November sind, ist das maximal weit voneinander entfernt und sorgt so für ebenso maximale Demobilisierung. Dies ist nur ein weiterer Fall wo mehr Demokratie im Endresultat zu wesentlich weniger Demokratie führt und sollte all denen, die glauben mit mehr Wahlen auch ein Mehr an Partizipation erreichen zu können, eine deutliche Warnung sein.
Wenn es was zu sagen gibt, aber der Stoff nicht für einen ganzen Artikel reicht, dann kommt es ins Vermischte. Here we go. Heute zum Thema NSA/BND-Affäre, Ferguson und Demokratie und Qualitätsjournalismus.
BND-Affäre: Als Opfer hat man's leichter
Die unerträgliche Heulerei in der NSA-Affäre (siehe mein Beitrag dazu hier) kommt jetzt als Bumerang nach Deutschland zurück. Denn genauso wie die USA gute Gründe haben, in Deutschland zu spionieren, hat Deutschland gute Gründe, in der Türkei zu spionieren. Wie wir für die USA ist die Türkei für uns ein NATO-Partner an der Peripherie, eine bedeutende Regionalmacht, der man nicht so ganz vertrauen kann, weil sie eben auch ihre eigenen Interessen hat und eine eigene Politik fährt. Der oben verlinkte Zeit-Artikel hat gute Gründe dafür, die Türkei auszuspionieren (die Situation mit ISIS und den Kurden ist nur einer davon), und die Reaktion der türkischen Regierung auf die Enthüllungen ist quasi ein Spiegelbild der deutschen. Botschafter einbestellen, sich beklagen, Backen aufblasen, feststellen, dass man den Verbündeten so krass brüskieren dann doch nicht kann, langsam abebben lassen. Auch die Qualifizierungsversuche der ZEIT (die NSA ist böser, weil sie anlasslos alles überwacht) macht da keinen großen Unterschied mehr, wie Lenz Jacobsen am Ende des Artikels auch eingestehen muss: letztlich haben in Sachen Geheimdienste eben alle Dreck am Stecken, und der moralische High-Ground, auf den die Deutschen sich zurückgezogen haben, war in Wahrheit eher sehr, sehr dünnes Eis. Und das ist jetzt gebrochen, und der Platscher, den es gemacht hat, ist ziemlich groß. Es wird Zeit, endlich zu einer realistischen Sicht auf Geheimdienste zu kommen. Anlasslose Massenüberwachung der Bürger im Stil der NSA gehört in der Tat unterbunden, und wenn die Amerikaner dies nicht freiwillig tun, so muss der BND eben zu einer seiner Hauptaufgaben schreiten, der Spionageabwehr. Dass Geheimdienste allerdings sensible Institutionen aushorchen, auch bei Verbündeten von gewisser Bedeutung und fragwürdiger Loyalität, ist eben Standard. Und entweder man sorgt dafür, dass die Loyalität nicht mehr fragwürdig ist - was kein Weg ist, den ich empfehlen oder propagieren würde - oder man lebt eben damit und tut sein Bestes, die resultierenden Probleme zu beseitigen. Den Kopf weinend in den Sand zu stecken und so zu tun als ob man ein unschuldiges Opfer sei sollte aber allenfalls ein bitteres Lachen provozieren.
Die Anklage gegen Perry ist ungeheuer lächerlich (Englisch)
In Texas kann man gerade mal wieder gut beobachten was passiert, wenn man Politik über die Gerichte macht. Die oppositionellen Demokraten strengen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Gouverneur Rick Perry an, weil der angeblich seine Macht missbraucht habe. Es geht um ein Veto, das möglicherweise im Dienst seiner politischen Freunde geschah. Chait - nicht gerade ein enger Verbündeter der Republicans - bezeichnet dies völlig zu Recht als lächerlich und warnt ebenso zurecht vor einer Kriminalisierung von Politik. Hier handelt es sich um einen politischen Konflikt, der das Zeug zu einem politischen Skandal haben könnte. Aber solche Dinge werden über politische Prozesse und die Medien geregelt (und gegebenenfalls über einen Rücktritt) und nicht über Gerichte. Die auch in Deutschland zunehmende Tendenz, politische Konflikte über die Judikative zu lösen, sprengt effektiv den demokratischen Rahmen. Die Judikative wählt man nicht, den Gouverneur schon. Also entscheidet das auch an den Wahlurnen.
Bullshit im Sekundentakt
Das Bildblog nimmt den Anspruch von Focus Online, ein Medium des Qualitätsjournalismus zu sein, anhand einiger Beispiele gekonnt auseinander. Generell ist die ständige Behauptung, dass die Leitmedien "Qualität" abliefern und der Rest eben "nur" Meinung ablädt Unsinn. Genauso wie die oben diskutierte Moralisierung bei der Abhördebatte dürfte auch dies sich für die Leitmedien als Bumerang erweisen. Wenn Medien wie Focus Online für sich das Label "Qualitätsmedien" beanspruchen können, dann ist es völlig wertlos. Oder will das FAZ-Feuilleton mit FocusOnline-Panorama in einem Atemzug genannt werden? Tja, das werden sie jetzt.
Wie die Weißen ihre politische Macht in Ferguson bewahrt haben, und warum (Englisch)
Vox erklärt, wie die genauen Verhältnisse (siehe hier) von der völligen Unterrepräsentanz der Schwarzen in einer 67% schwarzen Community zustandegekommen sind. Es ist eine typisch amerikanische Geschichte: einige starke Interessengruppen (in diesem Fall ein Gewerkschaftsbündnis mehrheitlich weiß geprägter Gewerbe) sorgt für eine hohe Wahlbeteiligung der Interessengruppe und drängt damit die unorganisierte Mehrheit aus dem Rennen. Wir haben ähnliche, wenngleich lange nicht so scharf ausgeprägte Probleme auch in Deutschland (etwa die Volksabstimmung in Hamburg über eine längere Grundschulzeit), aber in den USA werden sie durch ein Element massiv verstärkt: die große Menge demokratisch legitimierter Posten. Die Einwohner von Ferguson müssen über eine Vielzahl verschiedener Posten abstimmen und Kandidaten dafür bestimmen, was für den Durchschnittsbürger einen kaum akzeptablen Aufwand darstellt. Die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen liegt daher nicht bei 30-40% wie bei uns, wo ich im Zweifel immerhin die Parteiliste abnicken kann. Stattdessen liegt sie bei 12-15%. Und da ist der hohe Mobilisierungsgrad der organisierten Interessengruppen bereits drin! Da das amerikanische Demokratieverständnis zudem eine "winner takes it all"-Mentalität pflegt, die dem Machtmissbrauch der Exekutive und Legislative, wenn sie einmal gewählt sind, nur wenige Schranken setzt (siehe Gerrymandering), wir die Wahlbeteiligung noch künstlich niedergedrückt. In Ferguson sorgten die herrschenden Klassen (anders kann man das nicht nennen) dafür, dass Wahlen in ungeraden Jahren im April stattfinden. Da Kongress- und Präsidentschaftswahlen in geraden Jahren im November sind, ist das maximal weit voneinander entfernt und sorgt so für ebenso maximale Demobilisierung. Dies ist nur ein weiterer Fall wo mehr Demokratie im Endresultat zu wesentlich weniger Demokratie führt und sollte all denen, die glauben mit mehr Wahlen auch ein Mehr an Partizipation erreichen zu können, eine deutliche Warnung sein.
Freitag, 15. August 2014
Merkwürdige Bettgenossen
Artikel erschien ursprünglich auf Deliberation Daily.
Im Kulturkampf gegen Amazon kommt es zu manchen merkwürdigen Bündnissen. Dass sich das FAZ-Feuilleton an vorderster Front in den Kampf um eine nebulöse "Buchkultur" wirft, die irgendwie untergeht wenn die Buchpreisbindung fällt, ist ja noch halbwegs nachvollziehbar. In seinem derzeitigen Oswald-Spengler-Gedächtnis-Modus ist das nur konsequent. Auch dass die großen Verlage genausowenig Freude an Amazons Preispolitik haben wie kleinen Buchläden ist nachvollziehbar. Sie gehören schließlich zu den Verlierern des Wandels, den Amazon durchaus rücksichtlos betreibt. Nun haben die Verlage neue Verbündete gefunden: Bestsellerautoren. 909 Autoren aus den USA haben in der New York Times einen offenen Brief an Jeff Bezos unterschrieben, er möge doch bitte aufhören, so böse zu sein. Nur, warum sollte mich als Kunde das interessieren?
Als Kunde habe ich bisher von Amazon ausschließlich Vorteile erlebt. Sie sind gut sortiert. Ihre Preise sind günstig. Ihr Versand ist schnell und meist kostenlos. Ihre Rückgabepolitik ist exzellent. Ihr Interface ist benutzerfreundlich. Kindle ist eine Offenbarung, verglichen mit den Konkurrenzprodukten auf epub und mobi. Was tut Amazon denn nun eigentlich, was diesen harten Widerstand hervorruft? Die Antwort ist einfach: das, was große Player gerne tun: die Preise drücken. Amazon tut das, was beispielsweise Aldi ebenfalls macht, nämlich die Zulieferer auspressen bis nichts mehr übrig bleibt. Nur dass es im Falle Amazons nicht die armen Milchbauern und Legehennenbatteriebetreiber trifft, sondern die Verlage. Die Methoden Amazons sind alles andere als fein. Die Aufforderung für bessere Margen wurde von Hachette, einem der Big 5 der amerikanischen Verlagslandschaft, abgelehnt. Amazon deaktivierte daraufhin schlicht die Vorbestellfunktion für Hachetteprodukte und verzögerte deren Auslieferung, um Druck zu machen. Hier zeigt sich klar die Marktmacht Amazons: obwohl sie "nur" rund 20% des Buchhandels kontrollieren, ist ein Verzicht auf den Vertrieb über Amazon keine Option. Viele der äußerst bösen Unterschreiber des offenen Briefs sehen auch keinerlei Widerspruch, ihre Werke weiterhin bei Amazon zu vetreiben und geben auch rundheraus zu, dass es ihnen halt Kohle bringt. Sie hätten halt nur gerne etwas mehr davon. Wer ist jetzt der Böse in diesem Spiel? Und gibt es überhaupt einen? Um das klarzustellen: Amazon sind keine good guys. Von allem, was man hört, ist Jeff Bezos so ziemlich der letzte Chef, den man sich wünschen würde, und die Zustände in Amazons Vertriebslagern vor dem öffentlichen Druck, der einen Kurswechsel erzwang, dürften ebenfalls hinreichend bekannt sein. Aber die Verlage taugen genausowenig als Helden dieser Geschichte. Sie halten den Löwenanteil ihrer Autoren bei winzigen Provisionen (2%-5% sind die Regel) und streichen die Differenz ein. Am deutschen Markt profitieren sie im ebook-Geschäft von der Buchpreisbindung, die völlig überteuerte Preise für ebooks erzwingt (ich meine ernsthaft, 17-20€ für ein ebook?), und selbst die deutlich billigeren US-Preise sind dafür, dass es sich um kein physisches Produkt handelt, das Produktion und Lagerung nötig machte, noch relativ hoch. Amazon hat also durchaus Recht mit seinem Druck für niedrigere Preise, umso mehr, als dass ich als Kunde auch davon profitiere. Und damit kommen wir zum letzten Stückchen: die Autoren profitieren überwiegend auch davon, nur eben nicht die Bestsellerautoren. Denn Amazons erklärte Absicht ist es, alle Verlage auf das gleiche Modell zu verpflichten, das es auch im Kindle Self-Publishing fährt: 35-35-30. Das heißt, 35% der Gewinne gehen an den Verlag, 35% an den Autor, und 30% an Amazon. Letzteres ist übrigens Standard, Apple und Google treiben für ihre Appstores gleiche Provisionen ein. Wenn man bei Amazon ein ebook selbst veröffentlicht, erhält man 70% der Gewinne. Das ist mehr als fair, und für viele Autoren sind die 35%, die Amazon ihnen für das normale ebook-Geschäft zuschanzen will ebenfalls ein traumhafter Deal. Für die Verlage natürlich weniger, und für die Bestsellerautoren, die bessere Deals gewöhnt sind (der Initiator des Briefs hat eine eigene Schreibhütte, vor der er sich fotographieren lässt!) genausowenig. Aber warum die Masse der Autoren oder die Kunden für die Gewinne der Verlage einen Kulturkampf gegen Amazon führen sollten, ist mir schleierhaft. Go Amazon!
Im Kulturkampf gegen Amazon kommt es zu manchen merkwürdigen Bündnissen. Dass sich das FAZ-Feuilleton an vorderster Front in den Kampf um eine nebulöse "Buchkultur" wirft, die irgendwie untergeht wenn die Buchpreisbindung fällt, ist ja noch halbwegs nachvollziehbar. In seinem derzeitigen Oswald-Spengler-Gedächtnis-Modus ist das nur konsequent. Auch dass die großen Verlage genausowenig Freude an Amazons Preispolitik haben wie kleinen Buchläden ist nachvollziehbar. Sie gehören schließlich zu den Verlierern des Wandels, den Amazon durchaus rücksichtlos betreibt. Nun haben die Verlage neue Verbündete gefunden: Bestsellerautoren. 909 Autoren aus den USA haben in der New York Times einen offenen Brief an Jeff Bezos unterschrieben, er möge doch bitte aufhören, so böse zu sein. Nur, warum sollte mich als Kunde das interessieren?
Als Kunde habe ich bisher von Amazon ausschließlich Vorteile erlebt. Sie sind gut sortiert. Ihre Preise sind günstig. Ihr Versand ist schnell und meist kostenlos. Ihre Rückgabepolitik ist exzellent. Ihr Interface ist benutzerfreundlich. Kindle ist eine Offenbarung, verglichen mit den Konkurrenzprodukten auf epub und mobi. Was tut Amazon denn nun eigentlich, was diesen harten Widerstand hervorruft? Die Antwort ist einfach: das, was große Player gerne tun: die Preise drücken. Amazon tut das, was beispielsweise Aldi ebenfalls macht, nämlich die Zulieferer auspressen bis nichts mehr übrig bleibt. Nur dass es im Falle Amazons nicht die armen Milchbauern und Legehennenbatteriebetreiber trifft, sondern die Verlage. Die Methoden Amazons sind alles andere als fein. Die Aufforderung für bessere Margen wurde von Hachette, einem der Big 5 der amerikanischen Verlagslandschaft, abgelehnt. Amazon deaktivierte daraufhin schlicht die Vorbestellfunktion für Hachetteprodukte und verzögerte deren Auslieferung, um Druck zu machen. Hier zeigt sich klar die Marktmacht Amazons: obwohl sie "nur" rund 20% des Buchhandels kontrollieren, ist ein Verzicht auf den Vertrieb über Amazon keine Option. Viele der äußerst bösen Unterschreiber des offenen Briefs sehen auch keinerlei Widerspruch, ihre Werke weiterhin bei Amazon zu vetreiben und geben auch rundheraus zu, dass es ihnen halt Kohle bringt. Sie hätten halt nur gerne etwas mehr davon. Wer ist jetzt der Böse in diesem Spiel? Und gibt es überhaupt einen? Um das klarzustellen: Amazon sind keine good guys. Von allem, was man hört, ist Jeff Bezos so ziemlich der letzte Chef, den man sich wünschen würde, und die Zustände in Amazons Vertriebslagern vor dem öffentlichen Druck, der einen Kurswechsel erzwang, dürften ebenfalls hinreichend bekannt sein. Aber die Verlage taugen genausowenig als Helden dieser Geschichte. Sie halten den Löwenanteil ihrer Autoren bei winzigen Provisionen (2%-5% sind die Regel) und streichen die Differenz ein. Am deutschen Markt profitieren sie im ebook-Geschäft von der Buchpreisbindung, die völlig überteuerte Preise für ebooks erzwingt (ich meine ernsthaft, 17-20€ für ein ebook?), und selbst die deutlich billigeren US-Preise sind dafür, dass es sich um kein physisches Produkt handelt, das Produktion und Lagerung nötig machte, noch relativ hoch. Amazon hat also durchaus Recht mit seinem Druck für niedrigere Preise, umso mehr, als dass ich als Kunde auch davon profitiere. Und damit kommen wir zum letzten Stückchen: die Autoren profitieren überwiegend auch davon, nur eben nicht die Bestsellerautoren. Denn Amazons erklärte Absicht ist es, alle Verlage auf das gleiche Modell zu verpflichten, das es auch im Kindle Self-Publishing fährt: 35-35-30. Das heißt, 35% der Gewinne gehen an den Verlag, 35% an den Autor, und 30% an Amazon. Letzteres ist übrigens Standard, Apple und Google treiben für ihre Appstores gleiche Provisionen ein. Wenn man bei Amazon ein ebook selbst veröffentlicht, erhält man 70% der Gewinne. Das ist mehr als fair, und für viele Autoren sind die 35%, die Amazon ihnen für das normale ebook-Geschäft zuschanzen will ebenfalls ein traumhafter Deal. Für die Verlage natürlich weniger, und für die Bestsellerautoren, die bessere Deals gewöhnt sind (der Initiator des Briefs hat eine eigene Schreibhütte, vor der er sich fotographieren lässt!) genausowenig. Aber warum die Masse der Autoren oder die Kunden für die Gewinne der Verlage einen Kulturkampf gegen Amazon führen sollten, ist mir schleierhaft. Go Amazon!
Donnerstag, 14. August 2014
Polizei außer Kontrolle
Artikel ursrpünglich erschienen auf Deliberation Daily.
In der Kleinstadt Ferguson, Missouri, wurde kürzlich ein unbewaffneter 18jähriger Afroamerikaner, Michael Brown, von der Polizei erschossen. Ferguson war in den letzten Tagen Schauplatz von Protesten, vor allem gegen die katastrophale wirtschaftliche Situation (das Durchschnitteinskommen in Ferguson liegt bei 37.000 Dollar, der Durchschnitt in Missouri bei 47.000 Dollar). Aber der Mord an Brown hat die Situation völlig verändert. Tausende protestieren nun gegen exzessive Polizeigewalt, und das völlig zu Recht. Denn was in Ferguson passiert ist, ist kein Fall von Einzeltätern, sondern von strukturellen Anreizen - ebenso wie beim Mord an Trayvon Martin vor einiger Zeit oder, um hier im Lande zu bleiben, bei Benno Ohnesorgs Tod 1967. In allen Fällen handelt es sich selbstverständlich legal nicht um Mord. Doch die strukturellen Ursachen können nicht ignoriert werden.
Um was geht es? Mehrere Faktoren führten zur Eskalation in Ferguson. Der erste ist die militärische Aufrüstung der amerikanischen Polizei seit den 1990er Jahren. Der zweite ist der der Gesellschaft inhärente Rassismus und die den USA immer noch inhärente Rassenjustiz. Der dritte ist die katastrophale wirtschaftliche Lage. Die Polizei nicht nur in Ferguson, sondern in praktisch jeder amerikanischen Stadt vom 2000-Seelen-Nest bis zu Metropolen wie New York City hat Zugang zu militärischem Equipment. Dieser Zugang kommt von der Abrüstung der Armee. Seit die US Army ihr Personal reduziert und sich aus internationalen Konflikten mehr heraushält als früher, ist massenhaft Equipment überflüssig geworden. Schützenpanzer, Handfeuerwaffen, Rüstungen, Schalldämpfer, Nachtsichtgeräte und vieles mehr vermodert in den Magazinen der Army. Die Behörden verteilen es daher an die Polizei, die infolgedessen eine beispiellose Aufrüstung vorgenommen hat. Granatwerfer, M-16 Sturmgewehre und Ganzkörperpanzer gehören zur Standardkleidung; vom Militär unterscheiden sie sich nur noch durch den Schriftzug "Police" auf der Brust. Sie fahren nicht mehr in Vans oder PKW herum, sondern in Schützenpanzern.
In der Kleinstadt Ferguson, Missouri, wurde kürzlich ein unbewaffneter 18jähriger Afroamerikaner, Michael Brown, von der Polizei erschossen. Ferguson war in den letzten Tagen Schauplatz von Protesten, vor allem gegen die katastrophale wirtschaftliche Situation (das Durchschnitteinskommen in Ferguson liegt bei 37.000 Dollar, der Durchschnitt in Missouri bei 47.000 Dollar). Aber der Mord an Brown hat die Situation völlig verändert. Tausende protestieren nun gegen exzessive Polizeigewalt, und das völlig zu Recht. Denn was in Ferguson passiert ist, ist kein Fall von Einzeltätern, sondern von strukturellen Anreizen - ebenso wie beim Mord an Trayvon Martin vor einiger Zeit oder, um hier im Lande zu bleiben, bei Benno Ohnesorgs Tod 1967. In allen Fällen handelt es sich selbstverständlich legal nicht um Mord. Doch die strukturellen Ursachen können nicht ignoriert werden.
Um was geht es? Mehrere Faktoren führten zur Eskalation in Ferguson. Der erste ist die militärische Aufrüstung der amerikanischen Polizei seit den 1990er Jahren. Der zweite ist der der Gesellschaft inhärente Rassismus und die den USA immer noch inhärente Rassenjustiz. Der dritte ist die katastrophale wirtschaftliche Lage. Die Polizei nicht nur in Ferguson, sondern in praktisch jeder amerikanischen Stadt vom 2000-Seelen-Nest bis zu Metropolen wie New York City hat Zugang zu militärischem Equipment. Dieser Zugang kommt von der Abrüstung der Armee. Seit die US Army ihr Personal reduziert und sich aus internationalen Konflikten mehr heraushält als früher, ist massenhaft Equipment überflüssig geworden. Schützenpanzer, Handfeuerwaffen, Rüstungen, Schalldämpfer, Nachtsichtgeräte und vieles mehr vermodert in den Magazinen der Army. Die Behörden verteilen es daher an die Polizei, die infolgedessen eine beispiellose Aufrüstung vorgenommen hat. Granatwerfer, M-16 Sturmgewehre und Ganzkörperpanzer gehören zur Standardkleidung; vom Militär unterscheiden sie sich nur noch durch den Schriftzug "Police" auf der Brust. Sie fahren nicht mehr in Vans oder PKW herum, sondern in Schützenpanzern.
Police have moved tank and repositioned to face protesters on sidewalk across the street. #ferguson pic.twitter.com/JRGhIErZAb
— Conetta (@BmoreConetta) 13. August 2014
Nun könnte man argumentieren, dass durch die Verbreitung privaten Schusswaffenbesitzes und die generell höhere Verbrechensrate in den USA die Notwendigkeit für solches Gerät höher ist. Das mag sogar sein. Nur wurde die Polizei in Ferguson explizit zur "crowd control" eingesetzt, also dazu zu verhindern, dass die Demonstrationen aus dem Ruder laufen. Diese waren übrigens bislang nicht aus dem Ruder gelaufen, sondern halbwegs friedlich abgelaufen (so friedlich Massendemonstrationen wütender Menschen halt sein können). Sachschaden o.ä. gab es nicht. Trotzdem hatte irgendjemand offensichtlich die Idee, die beste Methode zur Kontrolle seien nicht Plexiglasstöcke und Knüppel, vielleicht sogar Pfefferspray, sondern Granatwerfer und M-16 im Anschlag.
I counted 70+ SWAT officers. Guns trained on crowds. Insanity. pic.twitter.com/stev2G6v4b
— Ryan J. Reilly (@ryanjreilly) 13. August 2014
Dies ist eine direkte Folge der Ausgabe von Militärgerät an die Polizei. Bereits bei der gewaltigen Verbreitung so genannter "nicht tödlicher Waffen" wie Taser und Pfefferspray hat sich gezeigt, dass eine zunehmende Verbreitung eben auch zu einem zunehmenden Einsatz führt. Der Pfefferspray-Cop bei den Occupy-Protesten war da nur das Aushängeschild dieser fatalen Entwicklung. Wenn man nun Polizei mit militärischem Gerät ausstattet, das schwerer ist als das, was das Militär selbst zu Patrouillen in Bagdad und Bosnien verwendet, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Polizei sich bald benimmt, als sei sie Besatzer in einem Kriegsgebiet. Wer jemals eine Waffe in der Hand hatte weiß, wie sehr das die Wahrnehmung verändert.
Es ist sicherlich kein Zufall, dass Michael Brown Afroamerikaner war, genausowenig wie Rodney King 1992 oder Trayvon Martin 2012. "Verdachtsunabhängige Personenkontrollen" treffen überwiegend Schwarze (New York hatte dies eine zeitlang mit "Frisk&Search" sogar zur offiziellen Politik gemacht), die Opfer von Polizeimorden sind überwiegend schwarz, die Insassen von Gefängnissen sind überwiegend schwarz. Schwarzen werden leichter kriminelle Neigungen unterstellt, man traut ihnen schneller Böses zu, und sie werden generell benachteiligt.
In Ferguson ist die Bevölkerung zu 67% schwarz. Bürgermeister und Polizeichef sind beide weiß. 94% der Polizisten sind weiß. 87% des Stadtrats sind weiß. 87% der Schulaufsicht sind weiß. Aber keine Bange: 86% aller Verkehrskontrollen betrafen Schwarze, und 92% aller Verhafteten waren schwarz. Das ist umso verwunderlicher, als dass in den seltenen Fällen, in denen doch einmal Weiße gestoppt und durchsucht werden, in 30% der Fälle etwas gefunden wird, bei Schwarzen nur in 20% der Fälle. Insgesamt leben 24% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze; unter den Schwarzen sind es sogar 28%. Wundert es irgendjemanden, dass bei einer solchen Schieflage in der Repräsentation von Stadtverwaltung und Polizei eine systemische Benachteiligung von Schwarzen entsteht? Dass unter der Polizei eine "Wir gegen Die"-Mentalität entsteht? Dass es niemanden gibt, der die Sprache der Menschen spricht, die die Polizei eigentlich "protect and serve" soll? (Zahlen hier und hier)
Fügt man diesem Bild die militärische Ausrüstung hinzu, so ist klar, dass daraus - in den Worten des früheren Staatsanwalts Jerryl Christmas - ein Pulverfass von Rassenspannungen entstehen muss, das früher oder später explodiert.
Bislang macht die Polizei keine Anstalten, ihre Politik zu ändern. Noch immer sind schwer bewaffnete Polizisten auf den Straßen unterwegs. Im Großraum St. Louis ist ein sprunghafter Anstieg an Waffenkäufen durch die weiße Bevölkerung festzustellen. Dies ist ein weiteres Pulverfass, das nur auf die Explosion wartet. Was ist das für eine Mentalität, in der Bürger einer Großstadt der Überzeugung sind, sich bald - legitimerweise - mit der Waffe in der Hand gegen die schwarze Unterschicht verteidigen zu müssen? Das Second Ammendment, das den Amerikanern den Besitz und das Tragen von Waffen erlaubt, gilt effektiv nur für Weiße, wie ein Artikel der Huffington Post beschreibt. Die Polizei hat allein dieses Jahr bereits mehrere unbewaffnete Schwarze erschossen, während Weiße mit Sturmgewehren in Schulen oder Kinos gehen und um sich feuern. Der gesellschaftlich inhärente Rassismus aber, der zusammen mit den segregierten Verhältnissen und dem militärischen Auftreten eine "Wir gegen Sie"-Mentalität entstehen lassen muss, verhindert, dass die Vernunft noch irgendeinen Erfolg hat.
Die Schuld für die Geschehnisse liegt an mehreren Stellen, aber nirgends so deutlich wie in den staatlichen Verwaltungsstellen. Sie sind es, die die Polizei mit militärischem Equipment aufrüsten. Sie sind es, die mordende oder exzessive Gewalt anwendende Polizisten decken. Sie sind es, die als Exekutive die originäre Aufgabe haben, solche Exzesse zu verhindern und, so sie doch geschehen, für ihre Verfolgung zu sorgen. All das geschieht nicht. Dazu kommt eine falsch verstandene Kultur der Verteidigung der eigenen Freiheit, die sich im Mord an Trayvon Martin ebenso niederschlägt wie in den panischen Waffenkäufen von St. Louis. Als Martin 2012 erschossen wurde, erklärte Obama in einer seltenen Äußerung zu seiner Hautfarbe: "Hätte ich einen Sohn, er sähe aus wie Trayvon Martin." Seitdem hat sich wenig geändert. Dieser Teil der amerikanischen Kultur ist pures Gift, und es fordert Jahr um Jahr seine Opfer.
Freitag, 8. August 2014
Ein starkes Stück
Der demokratische Prozess ist nicht immer einfach, und oft heißt es ja, dass alle Politik Lokalpolitik sei. Das ändert aber wenig daran, dass viele Leute ein Problem mit dem bundesrepublikanischen System haben. EIn Fallbeispiel: Berlin wird bekanntlich seit über einem Jahrzehnt schick. Das führt dazu, dass Immobilienspekulanten vormals eher unattraktive Liegenschaften aufkaufen, sanieren und an eine reiche Klientel verkaufen, was natürlich weniger vereinbar mit alternativen Lebensstilen und Sozialem Wohnungsbau ist. Dies führt bei den Alteingesessenen naturgemäß zu Widerstand. In der taz findet sich ein Interview mit Wolfgang und Barbara Tharra, die seit Mitte der 1960er in Berlin wohnen. Barbara Tharra hat einen Brief an Merkel geschrieben:
taz: Frau Tharra, haben Sie denn schon eine Antwort von Frau Merkel bekommen?
Barbara Tharra: Nicht von ihr selbst. Aber zwei Tage später hat ihr persönlicher Referent angerufen. Was der mir gesagt hat, werde ich nicht so schnell vergessen.
taz: Was hat er gesagt?
Barbara Tharra: Ich hätte ein falsches Demokratieverständnis, wenn ich glauben würde, dass die Kanzlerin für unser Anliegen zuständig sei. Ein starkes Stück.Weiter geht's auf Deliberation Daily.
Donnerstag, 7. August 2014
Kriegsgefahr in der Ukraine?
Der Bürgerkrieg in der Ostukraine droht beständig, auf den Rest der Welt überzuschwappen. Der Ruf nach immer härteren Sanktionen gegen das nominell unbeteiligte Russland, der sich verstärkende ökonomische Druck bestehender Sanktionen und die völlig außer Kontrolle befindliche militärische Situation, die weder von Russland noch vom Westen mehr eingedämmt werden kann, sind nur einige der Faktoren, die wie Brandbeschleuniger wirken. In der öffentlichen Diskussion florieren gerade historische Vergleiche, besonders mit 1914 und 1938. Erstere sind unter den vorsichteren Diplomaten beliebt, die vor einer Kettenreaktion mit anschließendem Weltkrieg warnen, während 1938 gerade besonders bei den Falken in Mode kommt, die vor "Appeasement" gegen Russland warnen. Was aber ist an diesen Vergleichen, und besteht eine tatsächliche Kriegsgefahr?
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Dienstag, 5. August 2014
Privatwirtschaft? Nein danke
Jüngst machte die FAZ auf eine Studie von Ernst&Young unter Studenten aufmerksam, die für die Agentur verblüffende Erkenntnisse bereithielt: 32% der Studenten streben eine Stelle im öffentlichen Dienst an. Nach Geschlechtern aufgeschlüsselt ist das Verhältnis sogar krasser: 36% der Frauen und nur 23% der Männer haben diese Präferenz. Woran aber liegt es? Ana-Christina Grohnert, eine er Partnerinnen bei E&Y, hat eine Theorie: „Manche Studenten haben offensichtlich eine gewisse Scheu vor der freien Wirtschaft – sie stellen sich einen Job in der Privatwirtschaft wohl als extrem zeitaufwendig, unsicher und mit privaten Belangen schwer vereinbar vor." Könnte es sein, dass diese Einschätzung korrekt ist? Meine These ist: der Aspekt der Zeitaufwändigkeit spielt keine Rolle, der der Unsicherheit und vor allem der Vereinbarkeit mit privaten Belangen sehr wohl. Denn das erklärt auch den frappanten Gender-Gap.
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