Montag, 18. August 2014

Vermischtes

Artikel erschien ursprünglich auf Deliberation Daily. 

Wenn es was zu sagen gibt, aber der Stoff nicht für einen ganzen Artikel reicht, dann kommt es ins Vermischte. Here we go. Heute zum Thema NSA/BND-Affäre, Ferguson und Demokratie und Qualitätsjournalismus.
 
BND-Affäre: Als Opfer hat man's leichter
Die unerträgliche Heulerei in der NSA-Affäre (siehe mein Beitrag dazu hier) kommt jetzt als Bumerang nach Deutschland zurück. Denn genauso wie die USA gute Gründe haben, in Deutschland zu spionieren, hat Deutschland gute Gründe, in der Türkei zu spionieren. Wie wir für die USA ist die Türkei für uns ein NATO-Partner an der Peripherie, eine bedeutende Regionalmacht, der man nicht so ganz vertrauen kann, weil sie eben auch ihre eigenen Interessen hat und eine eigene Politik fährt. Der oben verlinkte Zeit-Artikel hat gute Gründe dafür, die Türkei auszuspionieren (die Situation mit ISIS und den Kurden ist nur einer davon), und die Reaktion der türkischen Regierung auf die Enthüllungen ist quasi ein Spiegelbild der deutschen. Botschafter einbestellen, sich beklagen, Backen aufblasen, feststellen, dass man den Verbündeten so krass brüskieren dann doch nicht kann, langsam abebben lassen. Auch die Qualifizierungsversuche der ZEIT (die NSA ist böser, weil sie anlasslos alles überwacht) macht da keinen großen Unterschied mehr, wie Lenz Jacobsen am Ende des Artikels auch eingestehen muss: letztlich haben in Sachen Geheimdienste eben alle Dreck am Stecken, und der moralische High-Ground, auf den die Deutschen sich zurückgezogen haben, war in Wahrheit eher sehr, sehr dünnes Eis. Und das ist jetzt gebrochen, und der Platscher, den es gemacht hat, ist ziemlich groß. Es wird Zeit, endlich zu einer realistischen Sicht auf Geheimdienste zu kommen. Anlasslose Massenüberwachung der Bürger im Stil der NSA gehört in der Tat unterbunden, und wenn die Amerikaner dies nicht freiwillig tun, so muss der BND eben zu einer seiner Hauptaufgaben schreiten, der Spionageabwehr. Dass Geheimdienste allerdings sensible Institutionen aushorchen, auch bei Verbündeten von gewisser Bedeutung und fragwürdiger Loyalität, ist eben Standard. Und entweder man sorgt dafür, dass die Loyalität nicht mehr fragwürdig ist - was kein Weg ist, den ich empfehlen oder propagieren würde - oder man lebt eben damit und tut sein Bestes, die resultierenden Probleme zu beseitigen. Den Kopf weinend in den Sand zu stecken und so zu tun als ob man ein unschuldiges Opfer sei sollte aber allenfalls ein bitteres Lachen provozieren.

Die Anklage gegen Perry ist ungeheuer lächerlich (Englisch)
In Texas kann man gerade mal wieder gut beobachten was passiert, wenn man Politik über die Gerichte macht. Die oppositionellen Demokraten strengen ein Amtsenthebungsverfahren gegen Gouverneur Rick Perry an, weil der angeblich seine Macht missbraucht habe. Es geht um ein Veto, das möglicherweise im Dienst seiner politischen Freunde geschah. Chait - nicht gerade ein enger Verbündeter der Republicans - bezeichnet dies völlig zu Recht als lächerlich und warnt ebenso zurecht vor einer Kriminalisierung von Politik. Hier handelt es sich um einen politischen Konflikt, der das Zeug zu einem politischen Skandal haben könnte. Aber solche Dinge werden über politische Prozesse und die Medien geregelt (und gegebenenfalls über einen Rücktritt) und nicht über Gerichte. Die auch in Deutschland zunehmende Tendenz, politische Konflikte über die Judikative zu lösen, sprengt effektiv den demokratischen Rahmen. Die Judikative wählt man nicht, den Gouverneur schon. Also entscheidet das auch an den Wahlurnen.

Bullshit im Sekundentakt
Das Bildblog nimmt den Anspruch von Focus Online, ein Medium des Qualitätsjournalismus zu sein, anhand einiger Beispiele gekonnt auseinander. Generell ist die ständige Behauptung, dass die Leitmedien "Qualität" abliefern und der Rest eben "nur" Meinung ablädt Unsinn. Genauso wie die oben diskutierte Moralisierung bei der Abhördebatte dürfte auch dies sich für die Leitmedien als Bumerang erweisen. Wenn Medien wie Focus Online für sich das Label "Qualitätsmedien" beanspruchen können, dann ist es völlig wertlos. Oder will das FAZ-Feuilleton mit FocusOnline-Panorama in einem Atemzug genannt werden? Tja, das werden sie jetzt.

Wie die Weißen ihre politische Macht in Ferguson bewahrt haben, und warum (Englisch)
Vox erklärt, wie die genauen Verhältnisse (siehe hier) von der völligen Unterrepräsentanz der Schwarzen in einer 67% schwarzen Community zustandegekommen sind. Es ist eine typisch amerikanische Geschichte: einige starke Interessengruppen (in diesem Fall ein Gewerkschaftsbündnis mehrheitlich weiß geprägter Gewerbe) sorgt für eine hohe Wahlbeteiligung der Interessengruppe und drängt damit die unorganisierte Mehrheit aus dem Rennen. Wir haben ähnliche, wenngleich lange nicht so scharf ausgeprägte Probleme auch in Deutschland (etwa die Volksabstimmung in Hamburg über eine längere Grundschulzeit), aber in den USA werden sie durch ein Element massiv verstärkt: die große Menge demokratisch legitimierter Posten. Die Einwohner von Ferguson müssen über eine Vielzahl verschiedener Posten abstimmen und Kandidaten dafür bestimmen, was für den Durchschnittsbürger einen kaum akzeptablen Aufwand darstellt. Die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen liegt daher nicht bei 30-40% wie bei uns, wo ich im Zweifel immerhin die Parteiliste abnicken kann. Stattdessen liegt sie bei 12-15%. Und da ist der hohe Mobilisierungsgrad der organisierten Interessengruppen bereits drin! Da das amerikanische Demokratieverständnis zudem eine "winner takes it all"-Mentalität pflegt, die dem Machtmissbrauch der Exekutive und Legislative, wenn sie einmal gewählt sind, nur wenige Schranken setzt (siehe Gerrymandering), wir die Wahlbeteiligung noch künstlich niedergedrückt. In Ferguson sorgten die herrschenden Klassen (anders kann man das nicht nennen) dafür, dass Wahlen in ungeraden Jahren im April stattfinden. Da Kongress- und Präsidentschaftswahlen in geraden Jahren im November sind, ist das maximal weit voneinander entfernt und sorgt so für ebenso maximale Demobilisierung. Dies ist nur ein weiterer Fall wo mehr Demokratie im Endresultat zu wesentlich weniger Demokratie führt und sollte all denen, die glauben mit mehr Wahlen auch ein Mehr an Partizipation erreichen zu können, eine deutliche Warnung sein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.