"Sag, wie hältst du es mit Russland?" ist derzeit eine Art politischer Gretchenfrage, die ein jeder deutscher Politiker zur allgemeinen Zufriedenheit beantworten muss. Akzeptiert wird dabei alles, was für ein Adenauer-Reenactment notwendig ist. Worauf läuft das raus? Die Russen verstehen nur die Sprache der Gewalt. Wir müssen Rückgrat zeigen. Man darf Putin nicht vertrauen. Es geht um die Werte des Westens und den Schutz der Freiheit. Nur dass Adenauer im Ernstfall kein Problem hatte, mit Chruschtschow zu trinken, um einen diplomatischen Engpass aufzulösen. Wenn man bedenkt, mit wie viel Häme die der deutsche Journalismus immer den "Cowboy im Weißen Haus" George W. Bush und generell die Machismo-Attitüde der Amerikaner in der Außenpolitik verspottete, verwundert dieser plötzliche Anfall von Russenfresserei durchaus. Zielführend ist er außerdem auch nicht gerade.
Das soll übrigens nicht heißen, dass ich plötzlich auf die Seite der "Putin-Versteher" übergewandert bin. Ich glaube es ist relativ eindeutig, dass Putin in der Ukraine keine Absichten verfolgt, die der Kiewer Souveränität zuträglich sind. Auch die Furcht Polens und der baltischen Staaten ist nicht gerade unbegründet. Das ist etwas, das gerne aus dem Blickfeld gerät, gerade in den Kreisen, die sich dieser Tage aus traditioneller Feindschaft zum "Westen" auf der Seite Putins wiederfinden: dass Polen und die baltischen Staaten wirklich, wirklich nicht zu Russland oder der russischen Einflusssphäre gehören wollen, und dass sie sich genau dort finden, wenn sie keine Sicherheitsgarantien von anderer Seite aus erhalten. Ein Blick auf die Karte reicht, und die russischen Minderheiten, die in den baltischen Staaten leben, dürften nach der Krim-Annexion nicht gerade für Beruhigung in Riga, Vilnius und Tallin sorgen, egal ob sie seperatistische Absichten verfolgen oder nicht.
Und nur, damit da keine Missverständnisse aufkommen: diese Staaten wollen echt definitiv nicht in die Umarmung des russischen Bären zurück. Genau da werden sie aber unweigerlich landen, wenn sie keine Sicherheitsgarantien des Westens erhalten (was auch erklärt, warum Polen problemlos CIA-Foltergefängnisse, Raketenabwehrschirme "gegen den Iran" und Irakkriege duldet und mitmacht oder die baltischen Staaten den Euro so bereitwillig übernehmen, trotz der wirtschaftlichen Probleme, die daran hängen). Das ist natürlich für den Westen kein Grund, die auch zu geben, besonders, wenn es dem Frieden entgegensteht. Solche Sentimentalität erlaubt man sich in der Außenpolitik sonst auch nicht, und die Idee des Versprechens, die NATO nicht über die Elbe auszuweiten, hatte ja damals schon ihren Grund. Angesichts der Verletztheit der Russen scheinen sie die Garantien des Westens sogar geglaubt zu haben. Vermutlich hat er das in den 1990er Jahren sogar selbst.
Nun gab es in der Zeit der NATO-Expansion einige Stimmen, die vor derselben gewarnt haben. Nicht aus moralischen Gründen, nebenbei bemerkt, sondern mit dem handfesten Argument, dass die damalige Schwäche Russlands nicht ewig anhalten werde. Ein Wiedererstarken Russlands musste einfach irgendwann erfolgen, auch wenn seine Form und der Zeitpunkt unklar war. Das Ergebnis ist jetzt ein Antagonismus gegenüber Russland, das den Sicherheitskordon, der ihm nach dem Zweiten Weltkrieg so wichtig war, verloren hat, was in der russischen Diplomatie sicherlich Urängste weckt. Daher ja auch die aggressive Reaktion in der Ukraine. Die Frage ist nun, wie man auf diese geänderte Situation reagiert. Russland hat zum zweiten Mal über Intervention und Destabilisierung eine NATO-Expansion an seinen Grenzen verhindert (wie 2008 in Georgien), und aktuell scheint niemand mehr wirklich Lust auf eine Wiederholung zu haben. Der Tonfall ist defensiver geworden; es geht jetzt um das "Eindämmen der Expansionslust" Moskaus. Die Wahrnehmung scheint zu sein, dass Russland morgen im Baltikum einmarschieren würde. Mir ist allerdings ehrlich gesagt unklar, ob das eine deutsche Phantasmagorie ist oder ob diese Furcht dort aktuell geteilt wird.
So oder so gibt es eigentlich nur eine Aktion, welche die NATO unternehmen kann, falls sie nicht die anderen beiden Optionen lieber mag (Nichtstun und diplomatische Initivativen), die beide definitiv ihre Vorzüge haben. Und das ist die Stationierung von Tripwire-Troops im Baltikum. Von diesen casus belli auf zwei Beinen gibt es bereits einige wenige, es wäre allerdings durchaus vorstellbar, dass die NATO eine Sicherheitstruppe von einigen tausend Mann aus allen Mitgliedsstaaten dort oben stationiert. Immer vorausgesetzt natürlich, dass man das Baltikum tatsächlich militärisch stützen möchte. Die NATO jedenfalls ist gerade in einer dummen Situation, denn was auch immer im Baltikum passiert wird sofort als Testfall für das Bündnis interpretiert werden und setzt, wnen man nicht seinen Bestand aufs Spiel setzen will, harsche Reaktionen voraus. Dies macht die Lage aktuell auch so explosiv und liegt im Herzen des diplomatischen Versagens des gesamten Krisenverlaufs.
Ich muss ehrlich sagen, ich bin völlig darin überfragt, ob das eine gute Idee wäre. Auf der einen Seite befriedigt es als Zurschaustellung militärischer Stärke innenpolitisch die Falken und dürfte die Balten beruhigen. Truppen ohne Abzeichen, die sich mit NATO-Soldaten Gefechte liefern, sind schließlich eine ganz andere Kategorie als in der Ukraine. Auf der anderen Seite wäre ein solcher Zug nicht gerade, was man deeskalierend nennt - woran natürlich die Falken auch keinerlei Interesse haben. Tripwire-Troops haben eine lange Erfolgsgeschichte in Korea, wo sie seit 1953 helfen, unkluge Aktionen Nordkoreas abzuschrecken. Russland ist aber nicht Nordkorea, und Putin ist nicht Kim Il-Sung, Kim Jong Il oder Kim Jong-un.
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Freitag, 28. November 2014
Montag, 10. November 2014
Kein Mauerfall in den Köpfen
Ich sage immer gerne scherzhaft, dass einen bei dem Nationalcharakter der Deutschen nichts zu wundern braucht, denn alle unsere wichtigen Ereignisse liegen im Herbst, wenn es draußen graut, stürmt und regnet. Was kann aus so einem Wetter schon Gutes kommen? Aber Spaß beiseite, dieses Jahr zeigt sich in den Geschehnissen um den "Gedenktag" des 9. November wieder einmal eine Leerstelle in der BRD auf: ihr fehlt es einfach an einem echten Gründungsmythos, der für irgendetwas steht. Das Feiern des Wirtschaftswunders, das halt auch schlecht auf einen Feiertag eingedampft werden kann, ist nur so halbwegs geeignet. Klar, als fleißig sieht sich der Deutsche gerne, aber Wurst, VW Käfer und Nierentisch als Identifikationsmerkmale herzunehmen ist vielleicht etwas viel verlangt. Einen deutschen Sturm auf die Bastille gibt es halt nicht, und kitischige Mauerfall-Feiern ändern daran wenig. Die BRD hat immer noch ein DDR-Trauma.
Letztlich lebt Deutschland vom Gefühl her immer noch irgendwie in den 1980ern, als man eine kleine, aber aufstrebende Wirtschaftsnation in Europa war. Man ignorierte die NS-Vergangenheit und machte sich daran, das deutsche Wesen in Maschinen und Autos neu zu entdecken. Immer dabei war die Negativfolie "drüben", also der DDR, gegen die man sich immer vergleichen und gut fühlen konnte. Das wurde zwar in der DDR umgekehrt auch immer wieder versucht, gelang aber nur selten. Der schnelle und überraschend widerstandsfreie Zusammenbruch des Ostblocks zwischen 1989 und 1991 wurde von der BRD irgendwie nie richtig verarbeitet. Wie anders ist es zu erklären, dass wir es heute als wichtigste Herausforderung sehen, vor der SED zu warnen? Die Partei ist seit 25 Jahren nur noch ein Schatten ihrer selbst, wo überhaupt noch Kontinuitäten bestehen.
Trotzdem haben wir einen Bundespräsidenten, dessen wichtigstes Anliegen ein Freiheitsbegriff ist, der direkt aus dem Kalten Krieg stammt und sich hauptsächlich darin erschöpft, nicht die DDR zu sein. Und bei einer Gedenkfeier zur nationalen Einheit applaudieren 92% der Anwesenden einem anderen Relikt jener Epoche bei der Ausgrenzung der verbliebenen 8%, anstatt die darauf zu verpflichten, sich ebenfalls in den allgemeinen Konsens hineinzuintegrieren. Schaut her, was wir geschafft haben: die Erben jener Unterdrücker sitzen heute als demokratisch gewählte Abgeordnete in einem gesamtdeutschen Parlament. Es gab keine Gulags, keine erzwungenen Exile, keine Konfiszierungen und keine Morde. So friedlich wurde selten eine Diktatur beseitigt und integriert. Aber alles, was den Leuten eingefallen ist ist es, ein gigantisches Reenactment von 1989 aufzustellen, wie es gefühlt richtig ist: so 8% Bösewichter ("Drachenbrut") und 92% Helden ("Drachentöter"). Im Bundestag findet das Spektakel einer verkitschten Erinnerung seinen Niederschlag, inklusive Hinweis darauf, dass bei Wahlen ja manchmal auch ein Hitler rauskommt, was in dem Zusammenhang zwar nichts zur Sache tut und faktisch ohnehin falsch ist, aber das interessiert zu diesem Zeitpunkt ohnehin niemanden mehr.
Wie Frank Lübberding bereits in seiner vortrefflichen Kolumne erinnert hat, beklagte Frank Schirrmacher bereits 2009 den Rosamunde-Pilcher-Kitsch, der inzwischen den Mauerfall umgibt. Es ist ohnehin merkwürdig, wie leicht es den genuin westlichen Deutschen gefallen ist, den Mauerfall für sich einzunehmen. Obwohl es sich um eine rein ostdeutsche Angelegenheit gehandelt hat reicht für den Rest des Landes irgendwie das Gefühl eines Vulgär-Hegelianismus: irgendwie war man auf der Seite der Geschichte, und dafür kann man sich ja gut fühlen. Aber genau das ist ja der Punkt: es fehlt der BRD immer noch dieser eine Tag, an dem sie sich selbst feiern und sich ihrer selbst positiv vergewissern kann. Der Tag der Deutschen Einheit ist ein Formalakt, auf ironische Weise als deutscher Feiertag auch wieder angemessen, aber nichts, was einen irgendwie begeistern könnten oder der für mehr steht als die Wiedervereinigung, die nun halt auch schon 25 Jahre her ist. Dass Gerhard Schröder seinerzeit ernsthaft vorschlagen konnte, ihn als wirtschaftsfördernde Maßnahme einfach immer auf den ersten Sonntag im Oktober zu legen zeigt seinen Stellenwert.
Aber auch der 9. November taugt nicht so richtig, nicht nur, wie die FAZ feststellt, wegen all der anderen 9. November, sondern auch deswegen, weil der Mauerfall eben vor allem ein negatives Ereignis ist: man wird etwas los, aber man hat deswegen nichts gewonnen. Den Bewohnern der blühenden Landschaften muss das niemand erklären, den alten Bundesländern scheinbar schon. An Norbert Lammert und denen, die seinem Coup zujubelten, wohl ebenfalls. Die Ereignisse, die am 9. November und 3. Oktober gefeiert werden, sind einmalige Ereignisse, die mittlerweile vergangen sind. Aus ihnen sind keine bleibenden Werte oder Einstellungen hervorgegangen, egal wie oft Gauck von der Freiheit schwadroniert. Der Sturm auf die Bastille ist mittlerweile 225 Jahre her, aber die Franzosen feiern neben dem Ereignis auch stets die Entstehung des Bürgers, des cityoen, und seiner Freiheitsrechte. Dasselbe gilt für die Amerikaner, deren Unabhängigkeitserklärungsunterzeichnung bereits 248 Jahre her ist. Unser gerade 25 Jahre altes Ereignis aber hat keinerlei weitere Bedeutung, und die peinlich-bemühten Versuche es mit einer zu füllen scheitern bisher kläglich, wohl auch weil sie von Leuten unternommen werden, in deren Köpfen die Mauer immer noch steht. Dort oben hat es noch keinen Mauerfall gegeben, auf keiner der beiden Seiten.
Letztlich lebt Deutschland vom Gefühl her immer noch irgendwie in den 1980ern, als man eine kleine, aber aufstrebende Wirtschaftsnation in Europa war. Man ignorierte die NS-Vergangenheit und machte sich daran, das deutsche Wesen in Maschinen und Autos neu zu entdecken. Immer dabei war die Negativfolie "drüben", also der DDR, gegen die man sich immer vergleichen und gut fühlen konnte. Das wurde zwar in der DDR umgekehrt auch immer wieder versucht, gelang aber nur selten. Der schnelle und überraschend widerstandsfreie Zusammenbruch des Ostblocks zwischen 1989 und 1991 wurde von der BRD irgendwie nie richtig verarbeitet. Wie anders ist es zu erklären, dass wir es heute als wichtigste Herausforderung sehen, vor der SED zu warnen? Die Partei ist seit 25 Jahren nur noch ein Schatten ihrer selbst, wo überhaupt noch Kontinuitäten bestehen.
Trotzdem haben wir einen Bundespräsidenten, dessen wichtigstes Anliegen ein Freiheitsbegriff ist, der direkt aus dem Kalten Krieg stammt und sich hauptsächlich darin erschöpft, nicht die DDR zu sein. Und bei einer Gedenkfeier zur nationalen Einheit applaudieren 92% der Anwesenden einem anderen Relikt jener Epoche bei der Ausgrenzung der verbliebenen 8%, anstatt die darauf zu verpflichten, sich ebenfalls in den allgemeinen Konsens hineinzuintegrieren. Schaut her, was wir geschafft haben: die Erben jener Unterdrücker sitzen heute als demokratisch gewählte Abgeordnete in einem gesamtdeutschen Parlament. Es gab keine Gulags, keine erzwungenen Exile, keine Konfiszierungen und keine Morde. So friedlich wurde selten eine Diktatur beseitigt und integriert. Aber alles, was den Leuten eingefallen ist ist es, ein gigantisches Reenactment von 1989 aufzustellen, wie es gefühlt richtig ist: so 8% Bösewichter ("Drachenbrut") und 92% Helden ("Drachentöter"). Im Bundestag findet das Spektakel einer verkitschten Erinnerung seinen Niederschlag, inklusive Hinweis darauf, dass bei Wahlen ja manchmal auch ein Hitler rauskommt, was in dem Zusammenhang zwar nichts zur Sache tut und faktisch ohnehin falsch ist, aber das interessiert zu diesem Zeitpunkt ohnehin niemanden mehr.
Wie Frank Lübberding bereits in seiner vortrefflichen Kolumne erinnert hat, beklagte Frank Schirrmacher bereits 2009 den Rosamunde-Pilcher-Kitsch, der inzwischen den Mauerfall umgibt. Es ist ohnehin merkwürdig, wie leicht es den genuin westlichen Deutschen gefallen ist, den Mauerfall für sich einzunehmen. Obwohl es sich um eine rein ostdeutsche Angelegenheit gehandelt hat reicht für den Rest des Landes irgendwie das Gefühl eines Vulgär-Hegelianismus: irgendwie war man auf der Seite der Geschichte, und dafür kann man sich ja gut fühlen. Aber genau das ist ja der Punkt: es fehlt der BRD immer noch dieser eine Tag, an dem sie sich selbst feiern und sich ihrer selbst positiv vergewissern kann. Der Tag der Deutschen Einheit ist ein Formalakt, auf ironische Weise als deutscher Feiertag auch wieder angemessen, aber nichts, was einen irgendwie begeistern könnten oder der für mehr steht als die Wiedervereinigung, die nun halt auch schon 25 Jahre her ist. Dass Gerhard Schröder seinerzeit ernsthaft vorschlagen konnte, ihn als wirtschaftsfördernde Maßnahme einfach immer auf den ersten Sonntag im Oktober zu legen zeigt seinen Stellenwert.
Aber auch der 9. November taugt nicht so richtig, nicht nur, wie die FAZ feststellt, wegen all der anderen 9. November, sondern auch deswegen, weil der Mauerfall eben vor allem ein negatives Ereignis ist: man wird etwas los, aber man hat deswegen nichts gewonnen. Den Bewohnern der blühenden Landschaften muss das niemand erklären, den alten Bundesländern scheinbar schon. An Norbert Lammert und denen, die seinem Coup zujubelten, wohl ebenfalls. Die Ereignisse, die am 9. November und 3. Oktober gefeiert werden, sind einmalige Ereignisse, die mittlerweile vergangen sind. Aus ihnen sind keine bleibenden Werte oder Einstellungen hervorgegangen, egal wie oft Gauck von der Freiheit schwadroniert. Der Sturm auf die Bastille ist mittlerweile 225 Jahre her, aber die Franzosen feiern neben dem Ereignis auch stets die Entstehung des Bürgers, des cityoen, und seiner Freiheitsrechte. Dasselbe gilt für die Amerikaner, deren Unabhängigkeitserklärungsunterzeichnung bereits 248 Jahre her ist. Unser gerade 25 Jahre altes Ereignis aber hat keinerlei weitere Bedeutung, und die peinlich-bemühten Versuche es mit einer zu füllen scheitern bisher kläglich, wohl auch weil sie von Leuten unternommen werden, in deren Köpfen die Mauer immer noch steht. Dort oben hat es noch keinen Mauerfall gegeben, auf keiner der beiden Seiten.
Samstag, 8. November 2014
Wolf Biermann und das Smartphone
Bekanntlich hat Wolf Biermann im Bundestag eine Rede gehalten, in der er die LINKE angriff und als glücklicherweise überwundene Reste bezeichnete. Er erinnerte außerdem noch einmal an das Unrecht und die repressiven Maßnahmen in der DDR. Bekanntlich bespitzelte die Stasi zehntausenden von offiziellen und vor allem inoffiziellen Mitarbeitern ihre Bevölkerung. Dies führt einige dazu sich zu fragen, was Biermann eigentlich zur heutigen Überwachung zu sagen hat:
Meine These ist, dass es vor allem im Quid-pro-Quo der Überwachungsinstrumente zu suchen ist. Niemand hätte in der DDR freiwillig ein Überwachungsinstrument mit sich herumgetragen (was natürlich nur hypothetisch ist, die Technik der Kommunisten hätte das auch zu einer eher unhandlichen Erfahrung gemacht). Heute tun es fast alle. Der Unterschied zur Überwachung durch NSA und MI6 ist nämlich nicht nur, wie Biermann meint, der des Täters - also dass wir den Amerikanern einfach vertrauen. Angesichts des virulenten Anti-Amerikanismus in der deutschen Gesellschaft scheint diese Erklärung wenig tragfähig, wenngleich natürlich keine sichtbare Repression für politisch nicht genehme Sprüche, Witze und Aktivitäten erfolgt. Nein, für mich ist der Grund ein anderer.
Tatsächlich erhalten wir nämlich im Gegenzug für die Nutzung der Spionagewerkzeuge etwas. Keiner hätte sich freiwillig eine Stasi-Kamera ins Wohnzimmer gehängt, aber niemand hat Probleme, das Internet zu nutzen oder Smartphone und Tablet während eines geselligen Abends eingeschaltet herumliegen zu lassen. Diese Geräte bieten dem Nutzer eine gewaltige Menge Informationen. Hätte die Stasi Geräte ausgeteilt, die zur Überwachung dienen, die Leute hätten sie weggeworfen. Die Vorschläge konservativer Intellektueller in der NSA-Debatte, doch auf das Smartphone zu verzichten und für Gespräche in den Wald zu gehen, erscheinen dagegen einfach nur wirklichkeitsfremd. Wer will auf das Smartphone und das Internet verzichten?
Wir haben uns an diese Technologien gewöhnt, so wir uns an andere gefährliche Technologien wie das Auto, das Flugzeug oder McDonalds gewöhnt haben. Auch deren Gefahren sind uns wohlbekannt, aber sie werden akzeptiert, weil wir uns an die positiven Begleiteffekte der jeweiligen Technologie gewöhnt haben und sie nicht missen wollen. Vermutlich würden wir selbst in einer sozialistischen Diktatur nicht auf Internet und Smartphone verzichten wollen. Angesichts der Innovations- und Wirtschaftskraft jener Diktaturen allerdings ist das wahrlich eine akademische Überlegung.
Sorry, Wolf #Biermann, aber Bedrohungen für die Freiheit müssen nicht immer so aussehen, wie Sie sie kennengelernt haben. #Prism #Tempora
— Jan Philipp Albrecht (@JanAlbrecht) 8. November 2014
Die Frage kann beantwortet werden - wenig:
Das berührt mich überhaupt gar nicht. Ich halte das für eine hysterische Propaganda-Idiotie. Es wundert mich, dass sich Leute darüber wundern, dass die Amerikaner so viel Informationen wie möglich sammeln wollen. Der Unterschied ist doch, ob ein totalitärer Staat die Menschen bespitzelt oder ob eine Demokratie sich über den Streit in der Welt informieren möchte.Dabei wird die eigentlich interessante Frage von kaum jemandem gestellt: warum denkt die überwältigende Zahl der Menschen heute ähnlich wie Biermann und lässt sich nicht von der Tatsache beirren, dass sie permanent Mikrophone inklusive Peilsender und Videoüberwachung mit sich herumtragen (Smartphones), während in der DDR die Überwachung für eigentlich alle ein ständig präsenter und einschränkender Fakt war? Nicht umsonst gab es in der DDR den Flüsterwitz, nicht aber heute, und nicht umsonst war man damals vorsichtig, was man sagt, aber nicht heute. Woran liegt das?
Meine These ist, dass es vor allem im Quid-pro-Quo der Überwachungsinstrumente zu suchen ist. Niemand hätte in der DDR freiwillig ein Überwachungsinstrument mit sich herumgetragen (was natürlich nur hypothetisch ist, die Technik der Kommunisten hätte das auch zu einer eher unhandlichen Erfahrung gemacht). Heute tun es fast alle. Der Unterschied zur Überwachung durch NSA und MI6 ist nämlich nicht nur, wie Biermann meint, der des Täters - also dass wir den Amerikanern einfach vertrauen. Angesichts des virulenten Anti-Amerikanismus in der deutschen Gesellschaft scheint diese Erklärung wenig tragfähig, wenngleich natürlich keine sichtbare Repression für politisch nicht genehme Sprüche, Witze und Aktivitäten erfolgt. Nein, für mich ist der Grund ein anderer.
Tatsächlich erhalten wir nämlich im Gegenzug für die Nutzung der Spionagewerkzeuge etwas. Keiner hätte sich freiwillig eine Stasi-Kamera ins Wohnzimmer gehängt, aber niemand hat Probleme, das Internet zu nutzen oder Smartphone und Tablet während eines geselligen Abends eingeschaltet herumliegen zu lassen. Diese Geräte bieten dem Nutzer eine gewaltige Menge Informationen. Hätte die Stasi Geräte ausgeteilt, die zur Überwachung dienen, die Leute hätten sie weggeworfen. Die Vorschläge konservativer Intellektueller in der NSA-Debatte, doch auf das Smartphone zu verzichten und für Gespräche in den Wald zu gehen, erscheinen dagegen einfach nur wirklichkeitsfremd. Wer will auf das Smartphone und das Internet verzichten?
Wir haben uns an diese Technologien gewöhnt, so wir uns an andere gefährliche Technologien wie das Auto, das Flugzeug oder McDonalds gewöhnt haben. Auch deren Gefahren sind uns wohlbekannt, aber sie werden akzeptiert, weil wir uns an die positiven Begleiteffekte der jeweiligen Technologie gewöhnt haben und sie nicht missen wollen. Vermutlich würden wir selbst in einer sozialistischen Diktatur nicht auf Internet und Smartphone verzichten wollen. Angesichts der Innovations- und Wirtschaftskraft jener Diktaturen allerdings ist das wahrlich eine akademische Überlegung.
Montag, 3. November 2014
Gauck und Thüringen - darf der das denn?
Originalbeitrag auf Deliberation Daily.
Ja, er darf.
Ok, vielleicht sollten wir etwas spezifischer werden. Bundespräsidenten sind im bundesdeutschen System bekanntlich eine gewisse Kuriosität, etwas, das man sich leistet, das aber keine essenzielle konstitutionelle Signifanz besitzt. Der Anspruch an das Amt ist es, tagespolitische Streitigkeiten zu meiden und stattdessen Deutschland und das deutsche Volk als Ganzes zu repräsentieren - ein demokratischer Nachhall von Kaiser Wilhelm II. "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche." Im Großen und Ganzen ist das den Bundespräsidenten bislang gelungen. Gauck ist wohl derjenige, der sich seit Theodor Heuss am offensivsten einmischt und dabei auch gerne einmal tief ins Klo greift. Seine Kommentare zu Thüringen und der Frage eines linken Ministerpräsidenten allerdings sind ein Wandel auf einem schmalen Grat, ohne dass Gauck herunterfällt.
Das gilt im Übrigen nicht für seine jüngsten Einlassungen zur Außenpolitik - diese sind tatsächlich indiskutabel. Es kann nicht sein, dass ein Teil der Exekutive einen anderen konterkariert und die BRD so widersprüchliche Signale aussendet, gerade, wenn diese vom formal höchsten Amt im Staate kommen. Das ist im besten Falle unprofessionell und dilettantisch, im schlimmsten Falle extrem gefährlich, gerade wenn es um Russland und die Ukraine-Krise geht.
Auf der innenpolitischen Ebene kann der Bundespräsident daher ohne größere Kollateralschadengefahr unterwegs sein, besonders, weil das Amt tatsächlich als nicht besonders mächtig gilt. Das aber ist kein Argument gegen die sonst übliche Zurückhaltung, denn tatsächlich hat der Bundespräsident sich unparteiisch zu verhalten. Im Falle der Regierungsbildung in Thüringen allerdings hat Gauck es geschafft, die Kurve gerade noch zu kriegen. Zum Einen äußerte er sich dezidiert in seinem Lieblingsthemengebiet, der Freiheit, und aus seiner persönlichen Biographie als Bürgerrechtler im Osten heraus. Es war also mindestens so sehr ein Statement des Privatmenschen Gauck wie das des Bundespräsidenten.
Zudem schaffte Gauck es, in der Formulierung seiner Antwort alles im Konjunktiv zu lassen. Er sprach davon, dass sich "ein Mensch in seinem Alter" anstrengen müsse, um das zu akzeptieren, und dass Teile der LINKEn in ihrer Verfassungstreue Zweifel aufwerfen würden. Er sagte dezidiert nicht, dass dies auf die Führungsriege in Thüringen zuträfe; seine Bemerkungen waren noch halbwegs als allgemeiner Natur einstufbar. Wie gesagt, ein schmaler Grat, aber dieses Mal blieb er gerade noch auf der Seite, die ihm erlaubt ist. In der Vergangenheit hatte er sich schon deutlich schärfer und konfrontativer gegenüber der LINKEn gezeigt.
Es zeigt sich hier einfach einmal mehr, dass die Wahl eines Charakterkopfs in das Amt ein zweischneidiges Schwert ist. Gauck stieß sicherlich mehr Debatten an als Köhler. Er ist mit Sicherheit eine interessantere Figur als Wulff, mit mehr Ecken und Kanten und Persönlichkeit. Aber das heißt halt auch, dass diese Ecken und Kanten, nun ja, anecken. Und dass Gauck das mit Sicherheit mehr am linken als am rechten Spektrum tut dürfte bei seinem Hintergrund nicht verwundern. Verbieten wir Gauck aber, diese Äußerungen zu tun, so verbieten wir es ihm auch, wenn AfD oder NPD in Greifweite der Macht kommen. Und das kann niemand ernsthaft wollen.
Ja, er darf.
Ok, vielleicht sollten wir etwas spezifischer werden. Bundespräsidenten sind im bundesdeutschen System bekanntlich eine gewisse Kuriosität, etwas, das man sich leistet, das aber keine essenzielle konstitutionelle Signifanz besitzt. Der Anspruch an das Amt ist es, tagespolitische Streitigkeiten zu meiden und stattdessen Deutschland und das deutsche Volk als Ganzes zu repräsentieren - ein demokratischer Nachhall von Kaiser Wilhelm II. "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche." Im Großen und Ganzen ist das den Bundespräsidenten bislang gelungen. Gauck ist wohl derjenige, der sich seit Theodor Heuss am offensivsten einmischt und dabei auch gerne einmal tief ins Klo greift. Seine Kommentare zu Thüringen und der Frage eines linken Ministerpräsidenten allerdings sind ein Wandel auf einem schmalen Grat, ohne dass Gauck herunterfällt.
Das gilt im Übrigen nicht für seine jüngsten Einlassungen zur Außenpolitik - diese sind tatsächlich indiskutabel. Es kann nicht sein, dass ein Teil der Exekutive einen anderen konterkariert und die BRD so widersprüchliche Signale aussendet, gerade, wenn diese vom formal höchsten Amt im Staate kommen. Das ist im besten Falle unprofessionell und dilettantisch, im schlimmsten Falle extrem gefährlich, gerade wenn es um Russland und die Ukraine-Krise geht.
Auf der innenpolitischen Ebene kann der Bundespräsident daher ohne größere Kollateralschadengefahr unterwegs sein, besonders, weil das Amt tatsächlich als nicht besonders mächtig gilt. Das aber ist kein Argument gegen die sonst übliche Zurückhaltung, denn tatsächlich hat der Bundespräsident sich unparteiisch zu verhalten. Im Falle der Regierungsbildung in Thüringen allerdings hat Gauck es geschafft, die Kurve gerade noch zu kriegen. Zum Einen äußerte er sich dezidiert in seinem Lieblingsthemengebiet, der Freiheit, und aus seiner persönlichen Biographie als Bürgerrechtler im Osten heraus. Es war also mindestens so sehr ein Statement des Privatmenschen Gauck wie das des Bundespräsidenten.
Zudem schaffte Gauck es, in der Formulierung seiner Antwort alles im Konjunktiv zu lassen. Er sprach davon, dass sich "ein Mensch in seinem Alter" anstrengen müsse, um das zu akzeptieren, und dass Teile der LINKEn in ihrer Verfassungstreue Zweifel aufwerfen würden. Er sagte dezidiert nicht, dass dies auf die Führungsriege in Thüringen zuträfe; seine Bemerkungen waren noch halbwegs als allgemeiner Natur einstufbar. Wie gesagt, ein schmaler Grat, aber dieses Mal blieb er gerade noch auf der Seite, die ihm erlaubt ist. In der Vergangenheit hatte er sich schon deutlich schärfer und konfrontativer gegenüber der LINKEn gezeigt.
Es zeigt sich hier einfach einmal mehr, dass die Wahl eines Charakterkopfs in das Amt ein zweischneidiges Schwert ist. Gauck stieß sicherlich mehr Debatten an als Köhler. Er ist mit Sicherheit eine interessantere Figur als Wulff, mit mehr Ecken und Kanten und Persönlichkeit. Aber das heißt halt auch, dass diese Ecken und Kanten, nun ja, anecken. Und dass Gauck das mit Sicherheit mehr am linken als am rechten Spektrum tut dürfte bei seinem Hintergrund nicht verwundern. Verbieten wir Gauck aber, diese Äußerungen zu tun, so verbieten wir es ihm auch, wenn AfD oder NPD in Greifweite der Macht kommen. Und das kann niemand ernsthaft wollen.
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