Mittwoch, 4. November 2015

Die Debatten-Debatte

Vergangene Woche fand beim Spartensender CNBC die dritte Debatte der Republicans statt. Praktisch alle Beobachter von links bis rechts waren sich einig, dass die Debatte ein Desaster war. Nur in dem Grund dafür fallen die Meinungen auseinander. Kritisiert wurde, dass die Moderatoren sehr unvorbereitet schienen und häufiger ihre Daten und Fakten nicht parat zu haben schienen. Zudem gelang es ihnen kaum, die Kandidaten in Griff zu bekommen, die häufig auf alle möglichen Fragen antworteten, nur nicht auf die, die ihnen gerade gestellt worden war. Während das in einem gewissen Rahmen bei jeder Debatte der Fall ist, nahm es bei CNBC ziemlich überhand.
Ein gutes Beispiel ist die - zugegebenermaßen nicht gerade originelle - Eröffnungsfrage: da sich die Kandidaten ja quasi beim amerikanischen Volk bewerben würden, stelle man ihnen die typische Bewerbungsgesprächfrage: Was ist Ihre größte Schwäche? Nur Trump gab darauf eine echte Antwort ("Ich vertraue zu schnell"), alle anderen wichen mehr oder weniger elegant aus. Ben Carson ist auch hierfür typisch: "Meine größte Schwäche ist, dass ich mich nicht schon vorher als Präsident gesehen habe." Was für eine Schwäche das sein soll? Keine Ahnung. Warum immer wieder behauptet wird, Carson sei bescheiden? Es bleibt unerklärlich. Doch schnell wurde es für die Kandidaten ungemütlich, denn CNBC stellte die bislang substanziellsten Fragen an sie.


Das überrascht nicht, denn der Sender ist gewissermaßen der Haussender der Wallstreet und spezialisiert sich auf Wirtschafts- und Finanznachrichten. Als solcher steht er auch den Republicans recht nahe. Umso überraschender ist, wie unvorbereitet die Kandidaten auf die Fragen waren - und wie unvorbereitet die Moderatoren auf die Strategie eben dieser Kandidaten dem auszuweichen. Denn in der CNBC-Debatte zeigte sich die neue Strategie der Republicans von ihrer offensichtlichsten Seite: das direkte Lügen in die Kamera. So wurde etwa Donald Trump gefragt, warum er Marco Rubio als "persönlichen Senator von Mark Zuckerberg" beschimpfte (Rubio hatte sich für besondere Visa für High-Tech-Arbeiter ausgesprochen, genauso wie Facebook-Chef Zuckerberg). Trumps Antwort war, dass er das nie gesagt habe. Moderatorin Becky Quick war davon sichtlich verwirrt: "Wo habe ich das gelesen...?" dachte sie laut nach, worauf Trump nur nachlegte: "Vielleicht...ich meine, ihr Leute schreibt dieses Zeug." Quick nutzte eine Werbepause um nachzurecherchieren. Das Statement fand sich an prominenter Stelle auf Trumps eigener Homepage.


Nun ist es natürlich möglich, dass Trump einfach nur vergessen hat, dass er dieses Statement getroffen hat. Es zeigt sich aber gleichzeitig auch, wie gut diese Strategie im Allgemeinen funktioniert, denn selten können die Moderatoren kurz eine Aussage nachprüfen. Und was die Fact-Checker am nächsten Tag verkünden bekommt kaum jemand mit. Ben Carson nutzte dieselbe Strategie: auf seine Verwicklungen mit dem umstrittenen Konzern Manatech angesprochen, erklärte er rundheraus, nie mit dem Konzern zusammengearbeitet zu haben. Auf Nachfrage erklärte er, einige bezahlte Reden gehalten zu haben, aber das tue er für viele und das könne ja kaum als Zusammenarbeit gelten. Als die Moderatoren erklärten, dass er prominent auf der Mannatech-Homepage abgebildet sei, mitsamt deren Logo, erklärte Carson, nichts davon zu wissen und dass Manatech das wohl ohne seine Zustimmung getan habe. Die Plausibilität dieses Arguments ist, höflich gesagt, etwas dünn. Die Moderatoren zeigten sich angesichts dieser blanken Verleugnung jedoch völlig überfordert und wurden durch ein buhendes Publikum, das Carson als Bestätigung seiner Antwort hernahm, zum Schweigen verdonnert.


Die Applauszeile des Abends aber gebührte Ted Cruz. Da wenige Tage vor der Debatte ein neuer Haushaltsplan im Kongress verabschiedet worden war, machte es nur Sinn, ihn, der vorherige Abmachungen dieser Art durch einen Filibuster verhindern wollte, danach zu fragen. Moderator Carl Quintilla fragte:“Congressional Republicans, Democrats and the White House are about to strike a compromise that would raise the debt limit, prevent a government shutdown and calm financial markets that fear another Washington-created crisis is on the way. Does your opposition to it show that you’re not the kind of problem solver American voters want?” Cruz verweigerte die Antwort völlig und griff stattdessen die Moderatoren direkt an: "The questions that have been asked so far in this debate illustrate why the American people don’t trust the media. This is not a cage match. And you look at the questions: ‘Donald Trump, are you a comic book villain?,’ ‘Ben Carson, can you do math?,’ ‘John Kasich, will you insult two people over here?,’ ‘Marco Rubio, why don’t you resign?,’ ‘Jeb Bush, why have your numbers fallen? How about talking about the substantive issues people care about?”


Damit eröffnete Cruz das, was in den amerikanischen Medien gerne als Debatten-Debatte bezeichnet wird: Ist das derzeitige Debattenformat schlecht, und sind die Fragen unfair? Ezra Klein hat sich die Mühe gemacht, die ersten sechs Fragen in allen bisherigen vier Debatten (inklusive der CNN-Debatte der Democrats) zu vergleichen und kommt zu dem Schluss, dass die Fragen von CNBC tatsächlich die substanziellsten (und damit anspruchsvollsten) waren, jedoch nicht aggressiver als etwa die von FOX News. Er arbeitete jedoch heraus, dass sowohl FOX als auch in etwas geringerem Umfang CNN ihre aggressiven Fragen ("Gotcha-Fragen") aus dem Sichtpunkt der republikanischen Partei stellten, während CNBC einen deutlich kritischeren Standpunkt einnahm. Nun ist das natürlich eigentlich zu erwarten. Der Sinn der Debatten ist es ja gerade, Schwachpunkte bei den Kandidaten herauszufinden und nicht, sie vor großem Publikum ihre Wahlkampfreden halten zu lassen.


Genau das aber gaben die Kandidaten als neues Ziel aus. Vertreter aller Kandidaten trafen sich nach der Debatte, um einen Forderungskatalog auszuarbeiten, der den TV-Sendern für die anderen Debatten vorgelegt werden sollte. Gleichzeitig sagte der RNC eine im Frühjahr geplante Debatte beim Sender NBC ab. CNBC ist ein Tochtersender von NBC, und der RNC unter seinem unglücklich agierenden Chef Reince Priebus versuchte so, Stärke zu demonstrieren. Interessanter als diese Absage (die übrigens nicht ohne Präzedenzfall ist, die Democrats sagten 2007 eine Debatte bei FOX unter ähnlichen Umständen ab) ist jedoch das Verhalten der Kandidaten. Nachdem sie sich auf der Bühne alle hinter dem Cruz'schen Ductus der ehrlichen Empörung versammelt hatten, so unfair von den Medien behandelt zu werden, bröckelte ihre Einheit über das Wochenende bereits wieder.


Denn während zwar alle Kandidaten versuchen, sich mit übersteigerter Kritik an den Medien zu profilieren (eine Diskussion, die viele Ähnlichkeiten zur deutschen "Lügenpresse"-Kritik aufweist), sind sie immer noch in einem harten Wahlkampf gegeneinander, in dem sich ihre Interessen nicht gerade überlappen. Unter der Führung von Ben Carson hatten sich einige andere Kandidaten (vor allem vom Kid's Table, etwa Bobby Jindal und Lindsay Graham) aufgemacht und einen offenen Brief an die TV-Sender mit einer Reihe von Forderungen verfasst. Ein großer Teil davon befasste sich mit organistorischen Dingen (die Temperatur in der Halle, die Verfügbarkeit von Toiletten, etc.), aber einige Forderungen waren deutlich substanziellerer Natur. So verbitten sich die Kandidaten fortan Fragen, auf die sie die Hand heben sollten (diese sind häufig peinlich für alle Beteiligten, wie als sie 2012 alle per Handsignal erklärten, selbst dann nicht die Steuern um einen Dollar erhöhen zu wollen, wenn dem 10 Dollar in Kürzungen gegenüberstünden) oder Fragen, auf diese nur mit "Ja" oder "Nein" antworten dürfen.


Carson und seine Verbündeten gingen aber wesentlich weiter, weswegen die meisten anderen Kandidaten - allen voran Trump, aber auch Rubio, Bush, Cruz und Kasich - inzwischen erklärt haben, den Brief nicht zu unterzeichnen. Carson wollte nämlich nicht nur, dass künftig nur radikalkonservative Moderatoren die Debatten leiten dürfen (etwa Rush Limbaugh) sondern auch, dass die Eröffnungs- und Schlussstatements der Kandidaten bis zu fünf Minuten dauern sollen, ununterbrochen - das macht bei zehn Kandidaten 100 Minuten. Da die Debatte selbst nur 120 Minuten dauern soll, inklusive Werbeunterbrechung, würde Carsons Forderung darauf hinauslaufen, die Debatte vollkommen abzuschaffen. Damit legt die Debatten-Debatte auch die inneren Widersprüche von Carsons Kandidatur offen. Kritische Nachfragen wie die nach der Funktionsfähigkeit seines Steuerplans, der an Komplexität und Plausibilität kaum Herman Cains 9-9-9-Plan übertrifft, wie bei CNBS erneut deutlich wurde, oder Mannatech sind für Carson gefährlich. Seine ungebrochen hohe Zustimmung basiert vor allem darauf, dass man wenig über ihn weiß. Sein persönliches Charisma und seine Lebensgeschichte sind die ganze Basis einer Kandidatur, die mehr und mehr nach einem reinen Business-Unternehmen aussieht.


Trump, Cruz und Rubio dagegen leben davon, starke Momente in der Debatte selbst zu haben. Dazu kommt, dass eine von Limbaugh moderierte Debatte die Kandidaten allesamt so weit nach rechts drücken würde, dass die general election ein Albtraum würde. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Carson mit seinen Forderungen durchdringen wird. Die Frage ist nur, ob seine Konkurrenten es den ostentativ verhassten Medien überlassen, den Darling der Evangelikalen zu demontieren oder ob sie nachhelfen. Trump hat bisher erstaunliche Zurückhaltung im Falle Carson bewiesen und konzentriert seine Energie vor allem auf Rubio. Meine Vermutung wäre, dass es die anderen Kandidaten ähnlich halten werden, denn Kasichs Versuch vor und während der CNBC-Debatte, den programmatischen Irrsinn Carsons direkt zu attackieren, ging eher nach hinten los.


Die Debatten-Debatte offenbart aber auch noch etwas anderes über den gesamten Wahlkampf. Konnte man bisher annehmen dass es normal sei, dass die Kandidaten auf ihre Schwächen hin abgeklopft werden und dass ein zentrales Evalutionsinstrument ihr Umgang damit wäre - eine Ansicht, die sich in der CNBC-Eröffnungsfrage nach ihren Schwächen direkt ausdrückt - so versuchen die Republicans, die ganze Debatte als reine Wahlkampfplattform zu nutzen und nur ihre Stärken zur Schau zu stellen. Dies ist natürlich kurzfristig von Vorteil, kann aber auch mittelfristig und langfristig schwere Nachteile mit sich bringen. So ist Obamas Reaktion auf die Debatte mehr als zutreffend, selbst wenn er natürlich die Gelegenheit nutzt, einige Punkte zu kassieren: "Every one of these candidates says, 'Obama's weak, Putin's kicking sand in his face. When I talk to Putin, he's going to straighten out. And then it turns out, they can't handle a bunch of CNBC moderators. If you can't handle those guys, I don't think the Chinese and the Russians are going to be too worried about you."


Je offensichtlicher es wird, dass die Republicans unangenehmen Fragen ausweichen wollen, desto schwächer erscheinen sie gegenüber Hillary Clinton, die gerade erst einen 11-Stunden-Marathon einer mehr als parteiischen und unfairen Befragung im Kongress ohne Fehler hinter sich gebracht hat. Für die general election verheißt das nichts Gutes - und erst Recht nicht, sollte einer der republikanischen Kandidaten tatsächlich der nächste Präsident werden. Weder Clinton und ihr Wahlkampfteam noch die Verhandlungspartner Amerikas werden dieselben Samthandschuhe anziehen, die die Republicans gerade für sich verlangen. Als Bewerbungsschreiben um das Amt der mächtigsten Person der Welt ist das nicht gerade ein positives Zeichen.

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