Die Überschrift ist kein Witz. Diese Bundestagswahl ist von der Art der Weichenstellung, die hier betrieben wird, definitiv die relevanteste seit 2005, vielleicht sogar schon früher. Das scheint erst einmal widersinnig. Ohne ein mittelgroßes, unvorhersehbares Desaster wird Angela Merkel im September ihre Kanzlerschaft klar verteidigen. Zudem ist der Wahlkampf von allen Parteien ungefähr so spannend geführt wie eine Folge Schwarzwaldklinik. Das täuscht aber über die Bedeutung dieser Wahl hinweg. Wie passt das zusammen?
Es ist ein Allgemeinplätzchen, dass bei Bundestagswahlen nicht der Kanzler und meist auch nicht eine Partei, sondern Koalitionen gewählt werden. Das macht es aber nicht weniger wahr, und über die überflüssige Frage, ob eventuell Martin Schulz doch noch Gottkanzler werden könnte, wird das gerne vergessen. Die große Frage 2017 ist nicht, ob Merkel weiterregiert, sondern mit wem. Und das ist, anders als 2009 und 2013, tatsächlich bedeutsam. Denn der Koalitionspartner, egal wie groß er sein wird, wird in der Legislaturperiode 2017-2021 einen gewaltigen Einfluss haben - und Merkels potenzielle Koalitionspartner unterscheiden sich auf einigen Gebieten drastisch.
Es geht also um nicht weniger als um eine Richtungsentscheidung der Deutschland- und EU-Politik. Trotzdem versucht keine der Parteien, das auch nur im Mindesten zu thematisieren. Das hat Gründe. Die SPD etwa fürchtet, dass auf den Politikfeldern, wo ihr Einfluss am größten ist, ihre Position am deutlichsten vom allgemeinen Wählerwillen abweicht. Eine ähnliche Befürchtung treibt auch die Grünen um. Beide Parteien kämpfen daher auf Nebenkriegsschauplätzen und versuchen genügend Stimmen zu erhalten, um attraktive und starke Koalitionspartner zu sein - und gleichzeitig die FDP weit genug zu blockieren, dass es für Schwarz-Gelb nicht reicht. Die FDP ihrerseits behauptet von sich, sich in der Opposition neu erfunden zu haben und überhaupt nicht mehr die alte Mövenpickpartei zu sein. Jede inhaltliche Positionierung kann ihr nur schaden; sie ist glücklich damit, eine leere Projektionsfläche für all die GroKo-Enttäuschten zu sein, die sich zu fein für die AfD sind und niemals irgendetwas Linkes wählen würden. Bleiben nur LINKE und AfD, aber die werden schlicht ignoriert und spielen als Themenmacher keine Rolle.
Was also sind die Positionen, die Grüne, SPD und FDP so ungeheur ungern öffentlich diskutiert sehen wollen? Sie drehen sich um folgende Komplexe:
Europa: Hier sind die entscheidenden Fragen diejenigen, die sich um die zukünftige Gestaltung der EU drehen. Blockiert oder befürwortet Deutschland Reformen in Richtung einer einheitlicheren Finanzpolitik? Die Bedeutung dieser Frage kann kaum übertrieben werden. Die SPD ist der stärkste Befürworter, die FDP der stärkste Blockierer, die Grünen irgendwo in der Mitte.
Flüchtlinge: Hier geht es um die Frage, wie man mit den Flüchtlingen umgehen soll. SPD und Grüne befürworten tiefer greifende Reformen beim Einwanderungsrecht, während die FDP eher ein zweistufiges Verfahren anstrebt, das klar zwischen Flüchtlingen und Einwanderern trennt und letztere wirtschaftsfreundlicher gestaltet.
Steuerpolitik: Die SPD und Grünen wollen gerne die Steuern so reformieren, dass "die Reichen" mehr zahlen und "die Menschen" weniger. Bei der FDP sollen alle weniger zahlen und stattdessen Staatsausgaben gekürzt werden. Der Themenkomplex steht weniger für eine echte Steuerreform (das ist unrealistisch) sondern für die Mentalität, die im Umgang mit Mitteln der Steuerpolitik und staatlicher Eingriffe generell steht. Die FDP wird hier weniger zurückschneiden als blocken können, während SPD und Grüne eher ausbauen würden.
Ich habe mehrfach darauf hingewiesen, dass die Wahl des Koalitionspartners dieses Mal wichtiger ausfallen wird als sonst. Das liegt vor allem daran, dass die Parteien klüger geworden sind und die gewachsene Bedeutung des Finanzministeriums erkannt haben. Egal mit wem Merkel koaliert, die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Partner das Finanzministerium besetzt, ist hoch. Und davon hängt eine Menge ab, denn dieses Amt - nicht das völlig überbewertete Außenministerium - ist die entscheidende Weichenstelle in der BRD und, vor allem, der EU.
Die oben angesprochene EU-Politik wird an den entscheidenden Stellen von den EU-Finanzministern betrieben. Ein SPD-Finanzminister oder ein FDP-Finanzminister verändern das Bild für alle Verhandlungen innerhalb der EU dramatisch; gleiches gilt in geringerem Ausmaß auch für die Spielräume der Ressorts und die Gestaltung des Bundeshaushalts. Aus meiner natürlich parteiischen Sicht ist eine schwarz-gelbe Koalition auf diesen Gebieten im besten Falle vier Jahre Stillstand, im schlimmsten ein Rückschritt, während ein SPD-Finanzminister die bestmögliche Option darstellt. Die Grünen sind da aktuell in einer undefinierbaren Mittelposition.
Das bestmögliche Ergebnis aus meiner Sicht ist daher die Fortführung der Schwarz-Roten Koalition mit einer SPD, die deutlich selbstbewusster auftritt und eine klare Agenda verfolgt. Aber dazu in späteren Artikeln mehr.
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