Sonntag, 25. November 2018

Obdachlose britische Gewalttäter lesen in der Fed mit AfD-Abgeordneten den Koran - Vermischtes 25.11.2018

Die Serie "Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.

1) In Russia, feminist memes buy you jail time, but domestic abuse doesn't
Such activists face an outright war on women in Russia. The numbers of dead are staggering: 14,000 Russian women die annually from domestic violence-related injuries. That’s about 38 women killed every day, almost two women every single hour, and one every 40 minutes. Making matters worse, Russia’s political system condones such violence. Watch, up to 36,000 Russian women and 26,000 children faced daily violence and abuse. And most of the time—perhaps as much as 91 percent, according to 2013 data from the ANNA Center for the Prevention of Violence—the aggressor is a woman’s husband. Domestic violence is so common, in fact, that it affects one in four Russian families, according to ANNA. Two-thirds of all homicides in Russia are linked to domestic and family issues, and incidents of domestic assault on women and children increased by 20 percent between 2010 and 2015. [...] In early 2017, the State Duma, the lower house of Russia’s Federal Assembly, decriminalized some forms of domestic violence, meaning that first-time offenses against a partner or child bear a fine rather than a criminal charge and trial. The controversial bill was backed by the Russian Orthodox Church, which has historically advocated for less government interference in household matters. The church’s commission on family affairs even stated in 2015 that it considers the term “domestic violence” to be a tool used by radical feminists. It similarly maintains that the West is behind efforts to make domestic violence a crime in Russia. Even as women and children lose protection from domestic violence, those who speak out against it have increasingly been handed criminal charges themselves. Feminist blogger Lyubov Kalugina, for example, was recently charged with inciting hatred toward men and now faces up to five years in prison. (Anna Denejkina, Foreign Policy)
Was in Russland unter dem Banner rechter identity politics passiert, ist kompletter Irrsinn. Und wenn man sich den Backlash gegen #MeToo und ähnliche Initiativen ansieht, dann ist es auch nicht gerade so, als wären wir völlig immun gegen solche Entwicklungen. Eine Rückabwicklung der unter Rot-Grün umgesetzten Reformen des Strafrechts, die Vergewaltigung unter allen Umständen auch in der Ehe zur Straftat machen, ist - sieht man sich die aktuelle Diskursmacht der AfD und das Einknicken der CDU etwa beim Thema Migrationspakt - nur eine Social-Media-Kampagne entfernt. Man muss sich klarmachen, dass rechte identity politics töten. Bedenkt man, wie gebetsmühlenartig viele konservative Kritiker - und nicht zu Unrecht! - die Gefahr der Zerstörung des "guten Rufs" und auch der wirtschaftlichen Existenz prominenter Beschuldigter der #MeToo-Welle betonten, ist ihr drönendes Schweigen in diesen Fällen auf der anderen Seite nicht gerade vertrauenserweckend. Ein ähnliches Problem gibt es, wenngleich weniger prononciert als in Russland, bei den Evangelikalen in den USA. Auch hier sind die Unterdrückungsmaßnahmen von der Gesellschaft sanktioniert und die Dunkelziffern extrem hoch. Das hat Auswirkungen bis auf die Wahlergebnisse. Gerade in den konservativ geprägten Staaten des Mittleren Westens, wo das erzkonservative Familienbild mit dem Patriarchen an der Spitze noch hochgehalten wird (man sehe sich nur mal meinen Namensvetter, den Senator Nebraskas Ben Sasse an), spielt das auch elektoral eine Rolle. Eine Reihe dieser Staaten etwa hat, anstelle die drängenden Probleme der Bevölkerung durch eine weniger ideologisch verblendete, zutiefst schädliche Wirtschaftspolitik zu lösen (Hallo, Kansas), ernsthaft Geld in die Hand genommen und sämtliche Wahlkabinen durch Wahlstehtische ersetzt, die so dicht beieinander stehen, dass der Mann die Wahl der Frau kontrollieren kann - und zwar bewusst zu diesem Zweck. Man kann das an diesen Beispielen des Wahlfälschers-in-chief und seines Sohnes gut sehen. Das mangelnde Unrechtsbewusstsein - ihr Anspruch, diese Kontrolle durchführen zu dürfen - zeigt sich super dadurch, dass sie es vor den laufenden Kameras der ganzen Nation tun. Und das reproduziert sich, wie so vieles, im Kleinen.

2) "Straßenobdachlosigkeit gibt es in Finnland nicht mehr" (Interview mit Juha Kaakinen)
ZEIT ONLINE: Seit Jahren sinkt in Finnland die Obdachlosigkeit. Herr Kaakinen, was läuft in Finnland richtig?
Kaakinen: [...] Jetzt, zehn Jahre später, sieht man in Finnland keine Obdachlosen mehr, wenn man durch die Straßen läuft. Es gibt immer noch Leute, die keine eigene Wohnung haben und zum Beispiel bei Freunden unterkommen. Aber das Phänomen der Straßenobdachlosigkeit gibt es in Finnland nicht mehr.
ZEIT ONLINE: Woran liegt das?
Kaakinen: Wir haben das Prinzip umgedreht: Normalerweise müssen Obdachlose erst ihr Leben auf die Reihe kriegen, um wieder eine eigene Wohnung zu bekommen. Wir machen das andersherum. Wir geben ihnen eine dauerhafte Wohnung, damit sie ihr übriges Leben wieder in den Griff kriegen können. Seit 2008 gibt es das Housing-First-Programm in den zehn größten Städten in Finnland. Wir sprechen Obdachlose auf der Straße an, in den Heimen, bei Treffen mit Sozialarbeitern. [...]
ZEIT ONLINE: Das klingt nach vielen Ausgaben. Wie teuer ist das Wohnprojekt denn im Vergleich zu früheren Ausgaben?
Kaakinen: Insgesamt hat es bist jetzt etwa 270 Millionen Euro gekostet – inklusive der Häuser, Renovierungen und der Löhne für die Sozialarbeiter. Im Vergleich kommt es den Staat nun billiger als früher, wir sparen etwa 15.000 Euro pro früheren Obdachlosen im Jahr. Das liegt daran, dass es viel weniger Notfälle gibt, die versorgt und zu einem Arzt gebracht werden müssen, zum Beispiel bei Alkoholmissbrauch. Auch die Zahl der Polizeieinsätze und die Kosten im Justizsystem, die Obdachlose verursacht haben, sind gesunken. (Zeit)
Wer hätte ernsthaft damit gerechnet, dass Obdachlosen Wohnungen zu geben die Obdachlosigkeit reduzieren könnte? Wohl nur linksgrün versiffte Gutmenschen. Manchmal ist es tatsächlich so einfach, und die blanke Ideologie der ach-so-pragmatischen Bürgerlichen ist alles, was die sinnvollsten Lösungen von ihrer Implementierung abhält. Ein anderes gutes Beispiel dafür sind ja die kontrollierten Abgaben von Heroin an Süchtige, um diesen den "kalten Entzug" zu ersparen. Ein entsprechendes Pilotprojekt im (damals noch schwarz-gelben) Hessen war eindeutig erfolgreich und wurde aus rein ideologischen Gründen beendet. Lieber hat man mehr zerstörte Existenzen und höhere Kosten, als dass man von der eigenen ideologischen Linie abrückt. Auch hier ist das ziemlich offensichtlich der Fall. Und das, obwohl bei dieser Art der Lösung das sonst so hochgehaltene Ideal der Freiheit und Eigenverantwortung am besten umgesetzt wird...

3) The idea of deep continuity in British history is absurd. We've always been in flux
Brexiters claim a deep continuity in British history betrayed by EU membership. Pro-EU people claim that the UK has never got over imperial delusions of grandeur. The reality is that both grotesquely over-egg continuity. [...] British history is one of radical discontinuity, and not quite what it is supposed to be. In 1900, the UK was a cosmopolitan place. It was full of immigrants, from Europe. Food came in from all over the world, free of tariffs too, much from Europe. British coal was vital to both Baltic and Mediterranean nations. [...] That historical reality was profoundly changed by British national policy, which transformed the nation after 1945. In many, many ways, continental Europe and the UK converged, on a continental model of national self-sufficiency. [...] After 40 years in the EEC/EU, the economy has changed radically again. London is where world capitalism does business, no longer one where British capitalism did the world’s business, as before 1914. Foreign capitalists own the infrastructures and factories of the UK, rather than the other way around. [...] What Brexiters say about the British present deserves more attention. Where once there was a ludicrous declinism seriously underestimating British power, now a daft revivalism seems to be at the core of buccaneering Brexiter thinking. [...] But as reality bites, cloth will be cut to size, delusions dispatched, and the huffing and puffing will end. Brexit cannot in reality really happen. The explaining of realities will have to begin – that our productivity is low and stagnant, our health outcomes not the best, our people not the best educated or most enterprising, our entrepreneurs hardly the most important of the age. Any real politics of improvement will recognise we are not in the Premier League but in the lower divisions, and that football long ceased to be a game foreigners did not play. (David Edgerton, The Guardian)
Edgerton hat selbstverständlich Recht wenn er betont, dass die Geschichte ständig im Wandel ist. Man sollte das aber nicht so verstehen, dass es keine Kontinuitäten gibt. Deren Leugnen ist ja eher ein Problem, das wir in Deutschland haben, wo es die Tendenz gibt, völlige Brüche und "Nullstunden" für 1945 und 1990 zu konstruieren, um elegant gewisse Altlasten loszuwerden. Was Edgerton hier kritisiert ist ja eher eine Art Stasis, eine Vorstellung, dass die Geschichte sich vor der gleichen Folie wie vor 100 Jahren lesen lässt. Man hat diese Tendenz bei den Briten ja 2017 auch beobachten können, als der Release des Nolan-Hits "Dunkirk" permanent vor der Folie des Brexit interpretiert würde, als ob man die Schlacht um England von 1940 direkt mit den heutigen Ereignissen vergleichen könnte. Derselbe Unfug wird ja gerne mit dem Ersten Weltkrieg verbrochen. Die Neigung der Briten, immer noch in Begriffen und Mentalitäten des Empire zu denken, das nun seit 1947 wirklich erledigt ist.

 4) Obama? Trump? No, thank these three for the bountiful economy
In economic terms, Americans have a lot to be thankful for this year. Unemployment is at record lows, more people are actually working (as opposed to dropping out of the workforce), and wage growth is improving for workers on the low end of the scale. Other countries, when recovering after a big financial crisis, have suffered though a “lost decade” of slow or negative growth. The U.S. appears to have lost only half a decade. [...] Some of this recovery, of course, is due to natural economic forces. Like a violin string that gets plucked by a finger, economies that suffer deeper downturns have more room to bounce back. The Great Recession probably caused the delay of many capital equipment purchases and other investments. Now that more favorable conditions prevail, firms are making up lost ground. But policymakers can speed up the return of favorable conditions. So who, if anyone, should get credit for the relatively good times? Whom does America have to thank? [...] To his credit, Obama refrained from making the economy even worse. By the same token, the credit he gets for the good economic performance since 2014 should also be modest. The real hero of the story is probably the Federal Reserve. When the crisis hit, Chairman Ben Bernanke didn’t hesitate. Motivated by his own research on the financial roots of recessions, he abandoned the Fed’s traditional cautious approach. He dropped interest rates to just about zero immediately. He helped save the banking system, using unconventional monetary policy to take huge amounts of toxic mortgage-backed assets off of banks’ balance sheets — assets that eventually turned a profit for the taxpayer. But unlike fiscal policy, monetary policy didn’t let up. Despite frantic calls to raise rates to avoid creating inflation or financial instability — neither of which materialized — the Fed stayed the course, keeping rates at zero until late 2015 when it became clear a real recovery was underway. It also engaged in repeated rounds of quantitative easing, again in defiance of the skeptics; some of this probably did have the effect of boosting lending and the real economy. (Noah Smith, Bloomberg)
Die Bedeutung der Fed in der Abwehr der Finanzkrise 2007/2008 kann kaum überschätzt werden. Adam Tooze in seinem bemerkenswerten Buch "Crashed" (deutsche Version) weist ebenfalls darauf hin. Smith unterschätzt den Beitrag der Fed allerdings selbst, wenn er ihre positive Rolle nur im entschiedenen Senken der Leitzinsen und der entsprechenden Stimulierung der amerikanischen Wirtschaft sieht. Fast noch wichtiger war ihre internationale Rolle, wie Tooze in seinem Buch und auch im Vortrag herausarbeitet: Da der Dollar 2007 wie auch heute noch die internationale Leit- und Reservewährung ist, und die Vertrauenskrise ins Bankensystem auch die europäischen Banken erfasste, standen diese vor einem kompletten Zusammenbruch ihrer gegenseitigen Zahlungsfähigkeit (die permanenten kurzfristigen Kredite, mit denen sich Banken untereinander finanzieren, laufen ja auch in Dollar). Es war die Fed, die in dieser Situation sehr zum Zorn der amerikanischen Rechten nicht nur US-Banken, sondern auch ihren europäischen Pendants unbeschränkten Zugang zu Dollars gab und damit in den entscheidenden Tagen, als die EZB und die europäischen Regierungschefs und CEOs die Finanzkrise noch leugneten, das weltweite Wirtschaftssystem retteten. Es ist überhaupt faszinierend, in was für einem Zustand der Realitätsverweigerung sich die Deutschen, ob in Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft, 2007 bis 2009 befanden. Ob Peer Steinbrück sich hinstellte und verkündete, es handle sich um ein rein amerikanisches Problem, das so gar nichts mit Europa zu tun habe, ob Michael Glos seinerzeit Ratschläge gab, wie das bayrische Beispiel zeige wie man nachhaltige Wirtschaftspolitik betreibe oder Josef Ackermann erklärte, er würde sich schämen Staatsgelder anzunehmen - es ist atemberaubend, wie engstirnig und schlichtweg inkompetent die damaligen Entscheidungsträger auf die Krise reagierten. Es ist einfach vorstellbar, dass ähnliche Inkompetenz und Engstirnigkeit auch in den USA regiert hätten ("America First", und so). Dann wäre die Weltwirtschaft 2008 massiv eingebrochen, und statt einer schmerzhaften Mini-Rezession hätten wir Zustände wie in den frühen 1930er Jahren überall gehabt. Dafür sollte man den Fed-Vorständen mehr als dankbar sein. Hätten wir seinerzeit eine Regierung und eine Zentralbank mit Sinn für's Ganze gehabt - undvorstellbar, wie viel besser die Lage heute in ganz Europa aussehen könnte. Aber das gilt ja auch für die USA, wo die Republicans absichtlich die Wirtschaft sabotierten, um die Midterms 2010 zu gewinnen.

5) Der dickste Brocken Dunkelziffer steht im Koran
Man fragt sich, wie oft es vorkommt, dass eine Frau einen Mann oder Exmann umbringt. Frauen töten ihre Männer in der Regel nicht. Aber Männer töten Frauen. 147 Mal im vergangenen Jahr. Immerhin erwähnte Giffey die Dunkelziffer. Als ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Neukölln wird sie wissen, was sie an dieser Stelle beschweigt. Es ist nicht nötig, für sie die Sure 4:34 zu zitieren, sie dürfte diese Koran-Passage kennen, denn sie findet in Berlin Neukölln regelmäßig Anwendung. „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat. ... Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie.“ Da ist er, der dickste Brocken der Dunkelziffer. Niemand kann wissen, wie viele der muslimischen Frauen es nicht wagen, ihre Männer anzuzeigen, nachdem sie geschlagen wurden. Was nach dem Strafgesetzbuch in Deutschland eine Straftat ist, ist es im Gesetzbuch der Muslime, dem Koran, nun mal nicht, im Gegenteil. [...] Die ungehorsame Frau zu schlagen, das ist im Islam ein Gebot Gottes, adressiert an das überlegene Geschlecht. Diejenige, die geschlagen wurde, hat es verdient. Sie ist nicht Opfer, sondern Täterin. Nicht er verdient Strafe, sondern sie. Wo nichts Unrechtes passiert, gibt es auch nichts anzuzeigen. (Kathrin Spoerr, Welt)
Ich finde diesen Artikel in der Welt beachtlich. Nicht, weil irgendetwas darin sonderlich falsch wäre; häusliche Gewalt ist in den zutiefst konservativ geprägten Wertebildern von Muslimen - wie überall, wo konservative Wertebilder vorherrschen - mit Sicherheit ein großes Problem, und gerade in diesen Kreisen trauen Frauen sich oft nicht, Anzeige zu erstatten oder andere Maßnahmen zu ergreifen, weswegen die Dunkelziffer entsprechend hoch ist - auch hier analog etwa zu den Evangelikalen des Mitteleren Westens in den USA oder den (glücklicherweise kleinen) Sprengseln solcher radikaler Christen hierzulande. Viel spannender ist aber, dass exakt die Argumentation, die Frau Spoerr hier im Zusammenhang mit muslimischen Einwandern bringt, die Argumentation von #MeToo ist. Nur dass ihre Zeitung - wie viele andere - sie da mit Verve von sich gewiesen hat. Kein Aufruf dazu, vielleicht doch den Männern zu glauben, wenn diese Gewalt leugnen; keine Sorge darum, wie der Ruf dieser Menschen leidet (im vorliegenden Fall mit dem großen Pinsel gezeichnet als Blanko-Verdacht gegen eine ganze ethnische und religiöse Einwanderergruppe); keine Sorge, dass die Frauen sich vielleicht mit den Anklagen nur wichtig machen wollen. Stattdessen Forderungen nach Maßnahmen. Warum geht das nicht bei #MeToo auch?

6) Bundesbildungsministerin: Einführung der Ehe für alle war "so nicht richtig"
Karliczek hatte damals, noch als einfache Abgeordnete, gegen die Ehe für alle gestimmt und das damit begründet, dass es "keine Langzeitstudien zu den Auswirkungen auf Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften" gebe und Kinder das "emotionale Spannungsfeld zwischen Vater und Mutter" bräuchten. Im Zuge ihrer Nominierung zur Bildungsministerin hatte Ina Spanier-Oppermann, SPD-Landtagsabgeordnete in NRW, die Äußerung kritisiert und Karliczek auf "mehr als 75 eindeutige und anderslautende Studien zu dem Thema Regenbogenfamilien" verwiesen. [...] Es gehe nicht um glücklich oder gut erzogen, so Karliczek – sie sei "zutiefst überzeugt", dass dies auf viele Familien, wo Kinder gewünscht sind, zutreffe. Sondern es gehe um etwas "grundsätzlich anderes": "Solange Kinder diskriminiert werden in Schulen oder in irgendeiner Weise gemobbt werden, solange haben wir ein Problem." Nach einer Nachfrage, ob Äußerungen wie ihre nicht eher zur Diskriminierung beitragen, wich sie zunächst allgemein aus mit dem Hinweis, dass sie glaube, dass Männer und Frauen einen unterschiedlichen Einfluss auf Kinder hätten und dass dies eine "spannende Forschungsfrage" sei. Im Rahmen mehrerer Nachfragen fokussierte sich das Thema auf ihre konkrete Äußerung zum Adoptionsrecht homosexueller Paare. "Wir verändern grundsätzliche Strukturen in unserer Gesellschaft mal eben so im Federstrich, und das ärgert mich und das stört mich auch", meinte sie. Wenn man "grundsätzlich Strukturen verändert", müsse man Fragen wie die nach dem Spannungsfeld zwischen Vater und Mutter "grundsätzlich klären" – "Wir verschieben eine ganze Gesellschaft und reden gar nicht richtig drüber!", so Karliczek im Tonfall der Verzweiflung. Das sei kein "Generalverdacht" gegenüber homosexuelle Paaren, wie vom Moderator beklagt, sondern eine "offene Frage" und eine "Wahrnehmungsfrage", die sie habe und "gerne mal unter Forschungsgesichtspunkten erörtert hätte, und zwar in einer Langfrist-Studie". Deshalb könne man "nicht mal eben diese Entscheidung treffen". (nb, queer.de)
Karliczek ist schon witzig. Da orakelt sie darüber, dass man ja nur mal fragen dürfe, ob Kinder, die bei homosexuellen Eltern aufwachsen vielleicht doch ganz heftig geschädigt werden und erklärt dann mit großem Augenaufschlag, dass es ja schon schlimm sei, wenn solche Kinder auf der Schule gemobbt werden. Ich frage mich woher es kommt, dass solche Kinder einen Außenseiterstatus in der Schule haben, wenn die Bildungsministerin höchstselbst die Frage stellt, ob sie komische Außenseiter sind. Die Homophobie Karliczeks ist leider nur typisch. Anders als ihre Gesinnungsgenossen in den osteuropäischen Theokratien ist sie vorsichtig, stellt nur "offene Fragen" und solche nach "Wahrnehmung", aber hinter all dem Wortgebimmel verbirgt sich schlicht nur Homophobie. Auch die Aussage, man könne die Gesellschaft "nicht mit einem Federstrich" verändern, um ihre Ablehnung der Homo-Ehe zu rechtfertigen, ist kompletter Humbug. Die Gesellschaft wurde ja auch nicht mit einem Federstrich verändert. Die Gesellschaft ist schon seit Jahren mehrheitlich für die Homo-Ehe, und ihre Repräsentanten im Bundestag haben in einer offenen Abstimmung diese Realität der Federstrich anerkannt, aber sicherlich nicht gemacht. Die Aussage ist nur Taktik: Die Homo-Ehe ist ein rechtliches Konstrukt. Die kann überhaupt nicht anders als per Federstrich Realität werden. Was Frau Karliczek hier erreichen will ist, per Federstrich die gesellschaftliche Realität zu ändern - nur eben in die von ihr bevorzugte Richtung. Und die ist eben homophob und reaktionär. Sind wir mal froh, dass sie kaum Einfluss auf die Schulen hat. Da tut der Bildungsföderalismus ausnahmsweise mal was Gutes...

7) Populistisches Rosinenpicken
Nun geht die Ablehnung viral, haben auch Israel und Polen mitgeteilt, dass sie den UN-Migrationspakt nicht unterzeichnen wollen. Und es werden wahrscheinlich nicht die letzten Staaten gewesen sein. Ob bei der Ablehnung wirklich nachvollziehbare, lautere Gründe das Motiv bilden, darf bezweifelt werden – man will wohl vor allem seinem nationalistischen Ruf gerecht werden und keine Schwäche zeigen. Denn eine internationale Übereinkunft – mag sie auch noch so unverbindlich sein – gilt unter den nationalstaatlichen Einzelgängern im Moment als schlechter Deal. Wo früher rational war, ist heute national. Dabei ist der UN-Migrationspakt natürlich nicht fehlerlos, ist sein teilweise angestimmtes Hohelied der Migration fragwürdig, weil sie für die Betroffenen doch Verlust und meist Entbehrungen mit sich bringt und für Zielländer auch Probleme; aber er ist doch ein guter Kompromiss, weil er auch Staaten wie die vom Golf und Afrikas zum Beispiel in die Verantwortung nimmt. Der Pakt ist im Großen und Ganzen einfach eine Anerkennung von Realitäten und der Versuch, eine Verbesserung der Situation von Individuen und Staaten hinzubekommen. Es wäre ein erster guter Schritt, wenn, ja, wenn da eben nicht die Semantik wäre… [...] Auf dem Feld heiß umstrittener politischer Themen geht es ja schon länger nur noch um die Zeichen, die man setzt, um das richtige „Framing“, nicht die Fakten und Argumente. Da werden von links alle Migranten, Asylsuchenden und Flüchtlinge einfach einheitlich zu „Flüchtenden“ umdefiniert und die Aufnahme aller, ja, einfach aller als von den Menschenrechten diktiert; und von rechts hat man den Herbst 2015 immer als „Grenzöffnung“ und „Rechtsbruch“ deklariert, wider besseres Wissen. Der populistische Zweck heiligt auf allen Seiten die semantischen Mittel. Und so wird es bei diesem UN-Migrationspakt, nachdem die Regierung die Aufklärung mittels politischer Bildung verschlafen und sich der Bundestag mangels völkerrechtlicher Verbindlichkeit des Pakts als nicht zuständig verstanden hat, wie in den vergangenen Jahren zu einem intensiven populistischen Rosinenpicken kommen – und es wird gleich nach dem 11. Dezember beginnen. (Bernd Rheinberg, Salonkolumnisten)
Die CDU hat scheinabr nichts aus Bayern gelernt. Die Kritik am UN-Migrationspakt ist ein typisches Beispiel für identity politics, ein völlig unbedeutendes Thema, das die rechten Populisten nutzen, um von einer Weltverschwörung zu orakeln, die Flüchtlingsströme zur Durchsetzung ihrer fiesen Machenschaften orchestriert. Die Kritik an diesem Pakt, die von solch illustren Bettgenossen wie Orban, Trump, Bolsanora und anderen geteilt wird, hat ja nichts mit den konkreten Maßnahmen zu tun, von denen das Ding herzlich wenig bietet - es sind ja doch nur unverbindliche Absichtserklärungen. Stattdessen geht es um das öffentlichkeitswirksame Positionieren am rechten Rand; die CDU hoffte wohl, eine billige Möglichkeit zu bekommen, rechte Glaubwürdigkeitspunkte zu sammeln, ohne irgendetwas Substanzielles dafür tun zu müssen. Seehofer und Söder sollten eigentlich Beweis genug gewesen sein, dass das nicht funktioniert. Das Framing der Rechten zu übernehmen ist das Spiel des Verlierers. Das erlebt die SPD gerade bei ihrem undurchdachten und ebenso unglücklichen Versuch, die Abschaffung von Hartz-IV zu fordern, ja genauso. Punkte des Gegners werden übernommen, um sie zu neutralisieren - nicht, um sich zu profilieren. Die CDU führte den Mindestlohn nicht ein, um ihr soziales Profil zu schärfen, sondern das der SPD zu verwaschen. Merkel hat das verstanden. Ihre Gegner eher weniger.

8) Rechtsausleger
Spahn hat dafür auch innerparteilich eine Menge Haue einstecken müssen, wie so oft in den vergangenen Jahren - allerdings gehörte das bislang auch zu seinem politischen Geschäftsmodell: Die Chefin kritisieren = auffallen = interessant sein. Nur so hat er es am Ende geschafft, ein potenzieller Nachfolger zu werden. Weil er die Projektionsfläche für alle Merkel-Kritiker in der CDU war. Dann allerdings tauchte der Wirtschaftsanwalt und Multi-Aufsichtsrat Merz aus der politischen Versenkung auf, der einst Merkels Antipode gewesen war - und plötzlich war Spahn nur noch 1b für die der Vorsitzenden Überdrüssigen: Keiner von denen, die Spahn jahrelang gestützt haben, hat sich bislang für ihn ausgesprochen. Jetzt ist ja Merz da. Umfragen in der Bevölkerung sehen ihn und Kramp-Karrenbauer deutlich vorn, auch in der Partei rechnen viele damit, dass die beiden die Sache unter sich ausmachen. [...] Merz reiste mit dickem Schal an, er hat sich eine kleine Erkältung eingefangen, jetzt ist davon allerdings nichts mehr zu spüren: Man müsse ja wissen, dass Deutschland weltweit das einzige Land sei, das ein Grundrecht auf Asyl habe, sagt Merz. Deshalb sei er seit Langem der Meinung, dass offen darüber geredet werden müsse, ob dieses Asylgrundrecht "in dieser Form fortbestehen" könne, wenn eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik ernsthaft gewollt werde. Die Rechtsauslegung des Juristen Merz bedeutet mit anderen Worten: Er stellt das Grundrecht auf Asyl zu Debatte. Nun kann man der Meinung sein, dass vom ursprünglichen Artikel 16 seit der umkämpften Reform 1992 ohnehin nur noch Teile übrig sind - aber die waren in der demokratischen Mitte bislang so wenig umstritten, dass sie nicht einmal Jens Spahn zur Disposition stellte. [...] Kramp-Karrenbauer zieht in Seebach ihre Furche weiter. Ihr Angebot heißt: große exekutive Erfahrung als langjährige Regierungschefin im Saarland und zuvor Ministerin in verschiedenen Ressorts, politisches Detailwissen - und ein Herz für die CDU. Sie ist deutlich emotionaler als bislang, auch schärfer mitunter im Ton und manchen Forderungen. Aber im Wettbewerb der Rechtsausleger will Kramp-Karrenbauer nicht mitspielen. Bislang schien das erfolgsversprechend zu sein. (SpiegelOnline)
Ich muss zugeben, ich habe fast ein wenig Mitleid mit Jens Spahn. Der Mann hat mehrere Jahre lang konsistent daran gearbeitet, sein Profil als Kritiker Merkels von rechts zu schärfen und sich als Gesicht des Rechtsrucks aufzubauen. Das muss ziemlich anstrengend gewesen sein, weil er damit beständig seinen Kollegen Ärger machte. Unter den aktuellen Führungskräften und Funktionären in der Partei wird er sicher die eine oder andere Brücke verbrannt haben. Und dann, wenn das Ziel endlich erreicht und in Griffweite ist, kommt von der Seitenlinie der seit 14 Jahren abgeschriebene Merz daher und sammelt eben alle Früchte von Spahns Arbeit ein, weil die ganze Medienlandschaft und ein guter Teil der Basis aus den Mann anspringen, statt Jens Spahn zu folgen. Die Krokodilstränen, die manche jetzt wegen der Kritik an Merz' Wohlstand weinen, sind daher auch verfehlt. Der gleiche Glamour und Verbindungsknoten, der Merz jetzt als Mühlstein um den Hals hängt, hat ihn überhaupt erst so weit gebracht. Für Spahn dürfte das nur ein schwacher Trost sein. Er ist jetzt der nützliche Idiot, der AKK's Sieg garantiert, weil er die Anti-Merkel-Stimmen aufspaltet. Vielleicht trifft er sich mal mit Lafontaine auf ein Gläschen Wein an der Saarschleife, der kann ihm sicher erzählen, wie sich die Situation so anfühlt, wenn man von einem als intellektuell durchweg unterlegenen Zentristen ausmanövriert wird. Ob AKK der Vergleich mit Schröder wohl schmeichelt? Keine Ahnung. Von Spahns persönlichem Schicksal abgesehen können sich andere Parteien ein Beispiel an dem aktuellen Kampf um die Führung bei der CDU nehmen: Effektiv exerziert die Partei den eigenen moderaten Rechtsruck geschickt durch. Hätte die SPD bei ihrem Versuch des Linksrutschs seit 2013 auch nur einen Bruchteil des taktischen Geschicks der CDU besessen, sie stünde deutlich besser da. Spahn und Merz sind die Folie, vor der AKK sich einerseits als pragmatisch-vernünftiges Korrektiv profilieren kann und andererseits behutsam an manchen Stellen vom Merkel-Erbe abrücken. Spahn und Merz erweitern den Diskursrahmen, und AKK setzt ihn neu. Allein diese Position als ultimativer Arbiter macht sie zum Favoriten, selbst wenn Spahn und Merz sich nicht gegenseitig Stimmen wegnehmen würden und Merz gegenüber AKK der deutlich unterlegene Politiker wäre. Gleichzeitig bleibt die CDU mit einem gesitttet-demokratischen Führungsstreit um echte Positionen in den Schlagzeilen. Faszinierend. Man muss die Partei bewundern. Und da erzähle mir mal einer, Merkel hätte die Demokratie abgetötet. In der CDU ist mehr innerparteiliche Demokratie als bei FDP, SPD und LINKEn zusammen. Allenfalls die Grünen können da gleichziehen. Was für eine Ironie.

9) Bundestag wählt Stephan Harbarth zum obersten Verfassungsrichter
Der Bundestag hat Unionsfraktionsvize Stephan Harbarth (CDU) ans Bundesverfassungsgericht gewählt. Der 46-jährige Rechtsanwalt erhielt bei seiner Wahl die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit. Auf Harbarth entfielen 452 Stimmen, 166 Abgeordnete votierten gegen ihn. Es gab 34 Enthaltungen. [...] Harbarths Wahl in das höchste deutsche Gericht ist nicht unumstritten. Der Deutsche Juristinnenbund bemängelte, dass keine Frau für den Posten ausgewählt wurde. Die Linke stört sich daran, dass ein Berufspolitiker aus dem Bundestag zum obersten Gericht wechselt. Ihr Abgeordneter Niema Movassat sagte im Deutschlandfunk, als Verfassungsrichter werde Harbarth über Gesetze entscheiden, die er selbst mitbeschlossen habe. Solche Interessenskonflikte sollten vermieden werden. (SpiegelOnline)
Ich bringe diese Meldung hauptsächlich, weil der Kontrast zu den USA so faszinierend ist. Ich bin nur sehr zufällig über diese kleine Spiegel-Meldung gestolpert. In Deutschland war die Wahl eines neuen obersten Verfassungsrichters ein totales Non-Event. Natürlich liegt das, wie mir auf Twitter hilfreich beigesteuert wurde, auch zu großen Teilen an den massiv unterschiedlichen Rechtssystemen in USA und Deutschland; bei uns ist die gesetzgebende Kraft der Verfassungsrichter wesentlich beschränkter. Aber das ist sicherlich nicht die ganze Wahrheit; trotz aller Unterschiede hält bei uns die Mitte, und die Tatsache, dass CDU und SPD - die diese Ernennungen effektiv immer noch maßgeblich steuern - zu moderaten Kompromissen neigen und eben nicht ideologische Kandidaten einsetzen sorgt dafür, dass das BVerfG, anders als SCOTUS, kein sonderlich parteiisches Instrument ist - und entsprechend hohe Zustimmungs- und Vertrauenswerte genießt. Auch hierzulande haben wir immer wieder die Diskussion um das BVerfG als "Ersatzgesetzgeber", aber von amerikanischen Zuständen sind wir glücklicherweise weit entfernt.

10) When will conservatives admit that racism exists?
It’s pretty clear from the start that Voegeli has no intention of, say, providing us with an idea of what he thinks racism is and how it should be fought. His job is merely to provide intellectual cover for Donald Trump’s jeremiads against political correctness and leave it at that. You could easily read his whole essay and come away with the notion that racism in America barely even exists anymore, while the real threat comes from all the lefties who oppose racism and occasionally go a little too far for his comfort. This belief is now so standard on the right that it barely even needs to be defended with anything like a coherent argument: just toss out a few examples here and there and everyone will understand exactly what you’re saying. So why bother with more? It’s too bad, because the truth is that some of the more extreme precincts of the left could use a serious challenge on this score in order to sharpen their thinking. Essays like Voegeli’s, by contrast, are totally ignorable. I mean, does he seriously think that power has nothing to do with racism in practical terms? That hardly seems possible. So why not mount an argument that takes racism seriously and then reflects on how power intersects with racial fears and attitudes in America? [...] There is an essay worth spinning out here, but only if it starts with a mutual understanding that white racism is still endemic in America; still mostly hurts people of color; is mostly pretty quotidian; and continues to demand action from those of us with the power to do something about it. Start there, and a look at the changing nature of America’s power structure might be useful and provocative. Start anywhere else, as conservatives almost all do these days, and you’re just making excuses for Donald Trump and his pals. (Kevin Drum, Mother Jones)
Ich finde besonders den Aspekt spannend, den Drum gegen Ende seines Artikels aufbringt. Es wäre im Diskurssystem durchaus genug Platz für eine konservative Kritik an den Rassismus-Konzeptionen, die auf der linken Seite des Spektrums in Umlauf sind, aber dieser Platz wird nicht genutzt. Stattdessen leugnet man die Existenz komplett. Das ist von den Rechten strategisch nicht sonderlich clever. In dem Maße, in dem die Gesellschaft den Rassismus zunehmend als Problem anerkennt und verurteilt - und trotz aller orangenen Präsidenten im Weißen Haus ghet der gesellschaftliche Trend klar in diese Richtung - wird eine Antwort auf das Problem benötigt werden. Wenn die Rechten keine solche Antwort formulieren, dann bleiben stets nur zwei Alternativen: Verleugnung oder Übernahme der linken Ideen. Letzteres ist natürlich immer Anathema, weswegen häufig genug nur die Verleugnung bleibt. Das ist bedauerlich, denn wie ein vor einigen Wochen von mir verlinkter Artikel von Andrew Sullivan bereits festgestellt hat ist ein gesunder Konservatismus ein gutes Korrektiv. So wird ja etwa in Deutschland von liberal-konservativer Seite immer wieder beklagt, wie unsinnig die eine oder andere Maßnahme der Energiewende ist, sicherlich nicht zu Unrecht. Nur, die Weigerung, selbst ein konkurrierendes Konzept aufzustellen, führt dann eben zu diesem Ergebnis: unter konservativen Regierungen passiert nichts, und die progressiven Regierungen setzen dann ihre Ideen um - die natürlich auch nicht alle das Gelbe vom Ei sind. Auf Feldern, auf denen beide Seiten das Problem anerkennen und nur um die richtige Lösung streiten, wie das in einer Demokratie ja bestenfalls immer der Fall ist, können deutlich nachhaltigere Lösungen gefunden werden, weil üblicherweise das spätere Verbessern von Problemen kein Thema ist: da geht es dann nur um handwerkliche Umsetzung.

11) A determined man: World War I, Hitler and the march into World War II
Historians and political scientists have often noted this shift toward war aversion in Europe. Arnold Toynbee points out that World War I marked the end of a “span of five thousand years during which war had been one of mankind’s master institutions.” And Evan Luard observes that “the First World War transformed traditional attitudes toward war. For the first time there was an almost universal sense that the deliberate launching of a war could now no longer be justified.” It appears that only one man really disagreed with this development, but he proved to be crucial. As military historian John Keegan puts it, “only one European really wanted war: Adolf Hitler.” Another historian concludes: “Hitler willed, desired, lusted after war…In every country the military advisers anticipated defeat, and the economic advisers expected ruin and bankruptcy.” As political scientist Robert Jervis summarizes, few scholars believe that World War II would have occurred in Europe “had Adolf Hitler not been bent on expansion and conquest.” As this suggests, in order to bring about another continental war it was necessary for Germany to desire to expand into areas that would inspire military resistance from other major countries and to be willing and able to pursue war when these desires were opposed. Only Hitler possessed that desire and war-willingness. [...] As Weinberg concludes, Hitler was “the one man able, willing, and even eager to lead Germany and drag the world into war.” And Hitler was well aware of this. As he told his generals in 1939, “essentially all depends on me, on my existence, because of my political talents.” Clearly, if, against all odds, Europe’s greatest cataclysm came about only because one spectacularly skilled, lucky, and determined man willed it into existence, this has substantial implications. It suggests, for example, that World War II in Europe was not an inevitable continuation of the first — that it was not somehow in the cards. It also suggests that appeasement may unwisely have been given a bad name. In the 1930s, the British and French were becoming aware that the terms of settlement to World War I had foolishly been too harsh on the Germans and were working to mellow them. That policy might well have worked with any German leader except Hitler. And World War II did not naturally grow out of the instability of the 1920s or the depression of the 1930s. Hitler may have been aided by the turmoil, but his existence was necessary (but not, of course, sufficient) for the war to take place. If he, rather than the man next to him, had been gunned down in the Beer Hall Putsch, it certainly seems that World War II in Europe would not have taken place. (John Mueller, War on the Rocks)
Ich habe auf dem Geschichtsblog auch schon einmal über diese Thematik gesprochen: an und für sich war der Zweite Weltkrieg ein durch und durch unwahrscheinliches Ereignis. Ohne Hitler passiert er nicht; es ist einer dieser Fälle, in denen die "Great Man Theory of History" voll zu ihrem Recht kommt. Mit Ausnahme Hitlers war sich praktisch die gesamte Welt einig, dass einen großen Krieg zu führen so ziemlich das Nutzloseste ist, was man machen kann. Die Reaktionen der Öffentlichkeit in allen europäischen Staaten auf die Ereignisse der Jahre 1937 bis 1939 spricht ja auch eine deutliche Sprache: Die Deutschen, die auf Militärparaden mit eisiger Ablehnung reagieren; die Briten, die sich an die Hoffnung des Appeasement klammern; die Franzosen, deren Moral absolut auf dem Tiefstand ist. Das macht übrigens den Gedanken aus dem Artikel oben auch relevant. Appeasement war keine grundsätzlich dumme Politik. Wäre Hitler nicht ein so vollkommen irrationaler Akteur gewesen, so hätte diese Politik (auf Kosten der Tschechoslowakei) den Krieg ziemlich sicher verhindert. Geschicktere Politiker als er hätten vielleicht keine so auffälligen Erfolge wie die Annexion des Sudetenlands bekommen, dafür aber ziemlich sicher eine ähnlich weitreichende und vor allem nachhaltigere Revision des Versailler Vertrags. Aber das alles ist dank dieser Person nie Realität geworden.

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