Sonntag, 6. Juli 2008

Realitätsmacher

Dass Forsa-Chef Güllner ein alter Schröderianer ist, der die Umfragewerte der SPD derzeit künstlich niedrig hält und eine der Hauptfiguren hinter der Beck-Hetze ist, dürfte Lesern des Blogs bekannt sein. Nun ist ein Interview mit ihm in der Süddeutschen Zeitung erschienen, in dem er einige Sätze loslässt, die selbst für ihn bemerkenswert sind.

sueddeutsche.de: In der SPD gilt die These, Schuld sei vor allem Gerhard Schröder mit seiner verhassten Agenda 2010.

Güllner: Das ist ein ziemliches Missverständnis in der SPD. Die Krise der SPD begann schon weit vor 1998 unter anderem mit einem großen Mitgliederschwund. Schröder hat es geschafft, der Partei wieder ein Zwischenhoch bringen. Es hat nicht lange angehalten und viele die nach 1998 wegen Schröder in die Partei eingetreten sind, sind inzwischen wieder ausgetreten. Auch weil die SPD nie hinter den schröderschen Reformen stand.

Wow. Das ist wirklich die schärfste Theorie, seit die Illuminaten aus der Mode gekommen sind. Wobei die ja gerade laut der FAZ auch wieder in Mode kommen; sicher kann sich also niemand sein. Die ganzen Austritte sind also in Wirklichkeit Agenda-Fans, die von der schlaffen SPD enttäuscht sind! Mann, das ist ja irre. Wenn ich für solche Geschichten Geld verdienen und Interviews in der SZ kriegen würde, ich hätte noch ein paar ähnlich qualitativ hochwertige Theorien anzubieten: in Wirklichkeit waren die ganzen SPD-Eintritte nämlich Marsmenschen, die nur die Erdengesellschaft unterwandern wollten und jetzt genug gelernt haben. Deswegen treten sie vor ihrem Abflug ordnungsgemäß wieder aus. Ist in etwa genauso realistisch wie Güllners Sermon.
Güllner: Die SPD wird schon noch gebraucht. Ohne die SPD würden viele Menschen ihre politische Heimat verlieren. Viele sind ja auch willens, SPD zu wählen. Das war schon im Wahlkampf 1986/87 so. Aber Johannes Rau musste gegen seine eigene Überzeugung einen Programmwahlkampf führen, den die Wähler nicht akzeptierten. Wir haben kurz vor der Wahl 1987 eine Umfrage gemacht und da haben die Menschen gesagt, die Partei hätte Rau so verbogen, dass er nicht mehr Rau ist. Und dann kam Lafontaine, aber der war überhaupt nicht wählbar, genau wie Scharping. Erst Schröder hat die SPD wieder für eine breitere Mehrheit wählbar gemacht.
Und weiter geht es. Schon komisch, dass die SPD, der Güllner ja angehört, immer wieder "nicht wählbare" Leute aufstellt, bis plötzlich, als Phönix aus der Asche, Schröder aufsteigt. Die SPD hätte die Wahl 1998 auch mit Scharping gewonnen - bereits 1994 war eine extrem knappe Angelegenheit. Von Lafontaine gar nicht zu reden.
Mit solchen Theorien geht es noch eine ganze Weile weiter, wer möchte, kann das Interview ja ganz lesen. Ich kriege mal wieder Bauchkrämpfe von solchen Leuten.

4 Kommentare:

  1. Für die Einordnung der Feststellung, die "SPD" hätte unter Schröder ein Zwischenhoch gehabt, genügt diese Abbildung.

    http://www.nachdenkseiten.de/upload/bilder/20080401_LTW9008.gif

    Kurzfassung: kein Absturz der "SPD" in der Wählergunst war so kraß wie unter Schröder.

    AntwortenLöschen
  2. "Dass Forsa-Chef Güllner ein alter Schröderianer ist, der die Umfragewerte der SPD derzeit künstlich niedrig hält "

    Ja klar, das erklärt natürlich auch die 10% Punkte Unterschied zu Infratest.. *hüstel*

    Das ist schon ein bisschen realtitätsverweigerung...

    AntwortenLöschen
  3. "Güllners Gülle" ist ein anschauliches Beispiel dafür, daß die sog. Modernisierer in der SPD auch vor krasser Geschichtsklitterung nicht zurückschrecken, somit unbelehrbar sind und politisch bekämpft werden müssen.

    AntwortenLöschen
  4. @anonym: Realitätsverweigerung? Bei wem?
    SPD bei Forsa (2.7.08): 22%,
    SPD bei infratest (3.7.08): 25%.

    AntwortenLöschen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.