Freitag, 10. September 2010

Lob für Merkel

Von Stefan Sasse

Zu behaupten es käme nicht oft vor, dass ich Merkel lobte, wäre noch untertrieben. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals etwas Positives über die Politik dieser Frau gefunden zu haben. Heute ist es soweit, ein Jubiläum. Das ist nicht einmal satirisch gemeint. Ich bin ehrlich erfreut über Merkels Haltung im Fall Sarrazin und Westergaard. Es ist das erste Mal, dass ich sie sich in einer Sache vernünftig festlegen sehe.

Zuerst der Fall Westergaard: der dänische Karikaturist hat einen Medienpreis erhalten. In meinen Augen verdient er keinen Preis als Verteidiger der Meinungsfreiheit, denn letztlich hat er recht wenig geleistet. Seine Karikaturen sind eher plump und unwitzig, und es gehört zu den Grotesken der arabischen Welt, dass sich überhaupt so ein Wirbel darum entfaltete. Er erhält den Preis wohl eher stellvertretend dafür, bedroht zu sein. Er verkörpert gewissermaßen die Meinungsfreiheit, die bedroht ist. Denn dass er das machen darf, steht außer Frage. Man darf auch den Koran verbrennen. Das muss man nicht gut finden, aber es ist erlaubt. In etwa so hat Merkel sich auf der Rede auch geäußert: man muss die Zeichnungen nicht toll finden oder verteidigen, aber das Recht des Zeichners sie anzufertigen schon. Und da kann ich ihr nur zustimmen.

Ähnlich ist es im Fall Sarrazin. Klar darf Thilo seine Brandstifterthesen veröffentlichen. Das fällt durchaus unter Meinungsfreiheit, und Sarrazins Recht das zu sagen hat nie jemand angegriffen. Nur dagegen Stellung beziehen ist ebenfalls Meinungsfreiheit, zu sagen, dass es grotesker Quatsch ist und Verhetzung und rassistisch, auch das ist Meinungsfreiheit. Ich finde es gut, dass Merkel nicht ihren üblichen Anwandlungen erlegen ist und sich der "Mehrheitsmeinung" oder der BILD zu Füßen geworfen hat. Ich glaube das ist das erste Mal, dass sie gegen BILD Stellung bezieht und die Kampagne dezidiert nicht mitmacht. Sie hat sich von Anfang an klar gegen Sarrazin ausgesprochen, klarer noch als die SPD selbst und damit Kritik aus den eigenen Reihen und der eigenen Wählerschaft auf sich gezogen.

Wenn sie solches  Verhalten auch sonst zeigen würde, könnte sie tatsächlich eine gute Kanzlerin sein. Aber wo war das Rückgrat, das sie so überraschend im Fall Sarrazin gefunden hat, die letzten fünf Jahre? Wo war es, als Schäuble das Grundgesetz demontierte? Wo war es, als die Atomindustrie zeigte, dass ihr der Staat eigentlich gehört? Wo war es, als das Scheitern der ISAF-Mission offenkundig wurde? Wo war es, als gegen Hartz-IV-Empfänger gehetzt wurde, als ob es kein Morgen gebe? Wo wird es morgen sein? Wird es wieder fünf Jahre dauern, bevor es sich für einen Moment zeigt?

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5 Kommentare:

  1. Das hätte ich gerne mal in dieser Klarheit und Prägnanz in einer Qualitätszeitung gelesen. Hab ich aber nicht. *flattr*

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  2. Ja genau, da hat sie mich auch positiv überrascht. Vor allem in diesem Interview in einer türkischen Zeitung konnte ich ausnahmsweise ihre Worte und den Sinnzusammenhang verstehen und ihnen zum ersten Mal zustimmen:
    http://www.hurriyet.de/haberler/gundem/672807/bundeskanzlerin-angela-merkel-unsinn

    Aber dieser kleine Zacken lässt sich bestimmt noch abschleifen, da vertraue ich ganz und gar ihrem politischen Instinkt.

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  3. Ich sehe das nicht so, besonders nicht den plumpen Merkelschen Kniefall vor Westergaard. In dieser Situation, wo, angeregt durch die Sarrazinschen Provokationen sowieso schon die Stimmung hochkocht. Meinungsfreiheit heißt doch nicht, dass man alles und jedes sagen und schreiben darf, sondern die Meinungen sollten wenigstens einen humanistischen Gehalt haben. Und den vermisse ich eben bei beiden. Die Reaktionen in der islamischen Welt hatten sich sowohl Westergaard als auch Sarazzin vorher ausrechnen können. Sie haben provoziert, und das hat meiner Ansicht nach absolut nichts mit der Freiheit der Meinung zu tun. Sonst würde sie ja beinhalten, dass jeder dumpfe Nasenbär ausschreien kann, was er von der Welt hält und die Bundeskanzlerin hängt ihm einen Orden um. Und das ist in der Tat passiert.

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  4. @Egon: Sorry, aber Meinungsfreiheit "nur für humanistische Aussagen" ist Unsinn. Wer bestimmt das denn? Meinungsfreiheit ist ja gerade "Freiheit" - und keine Einschränkung, dann ist es nämlich keine Freiheit.
    @Daniel: Nun, ich stehe weiterhin dazu. Dass die CDU schon immer sehr anti in Sachen Einwanderung war ist doch bekannt, gerade dafür lehnt sich Merkel ziemlich weit aus dem Fenster. Ich verstehe deine Kritik durchaus, aber was ich jedesmal vermisse ist die Darstellung, wie es denn anders laufen sollte. Denn du verklärst auch. Wenn radikale Lösungen gemacht werden sollen - wer tut das denn? "Das Volk"? Ich bitte dich, das weiß bevor es die BILD aufgeschlagen hat doch noch gar nicht was es will. Radikale Lösungen werden immer von radikalen Leuten gemacht, und die sind bislang noch jedes mal schief gegangen. Ja, die Demokratie ist immer nur das kleinere Übel, macht es nie richtig, sorgt für unbefriedigende Lösungen - aber auf der anderen Seite passieren auch keine richtig großen Fehler. Es sind kleine Schritte, die in diesem System möglich sind, immer nur kleine Schritte. Und die muss man eben gehen, und nicht springen, bevor man laufen kann.

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